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Air France: Heftiger Widerstand gegen Massenentlassungen
Artikel von Bernard Schmid vom 7.10.2015
Bei Air France übt man beim höheren Management jetzt auch mal ohne Flugzeug das Fliegen. Bislang hat es nur über einen Zaun gereicht, ohne Hemd und fast ohne Hose. Am Mittwoch Mittag verlautbart, „zwanzig Verdächtige“ unter den Lohnabhängigen müssten mit Folgen rechnen. Über die Gewalt in Form von knapp 3.000 Entlassungen reden die, über die Aktion meist empörten, Medien weniger laut. Ansonsten träumt Konzernchaf de Juniac schon mal laut & öffentlich von Streikenden im Knast – wie in Qatar…
Nicht mit den buchstäblichen abgesägten Hosen, aber beinahe ohne Hosen hätte Air France-Personaldirektor Xavier Broseta am Montag dieser Woche vorübergehend dagestanden. Beinahe, denn die Hose blieb am Ende doch dran. Nicht so das Hemd, das verloren ging, als der Personaldirektor (französisch DRH, directeur des ressources humaines) des Unternehmens mit 64.000 abhängig Beschäftigten eine leicht hitzige Diskussion mit aufgebrachten Lohnabhängigen durchlebte, denen soeben 2.900 Stellenstreichungen verkündet worden waren. Die Bilder gingen um die Welt als Broseta am Montag Vormittag mit zerrissenem und zerrupftem Oberhemd die Örtlichkeiten, also den Sitzungsort des Comité central d’entreprise – entspricht ungefähr einem Gesamtbetriebsrat in Deutschland – am Flughafen Roissy bei Paris, verließ. (Vgl. https://www.facebook.com/239805696183892/photos/a.239832722847856.1073741829.239805696183892/497133413784451/?type=3&theater und http://www.politis.fr/Air-France-la-violence-comme-seule,32571.html?utm_source=twitterfeed&utm_medium=facebook )
Bitterböse Zungen behaupten gar, das arme Opfer sei zuvor – zitter, zitter – glatt gezwungen worden, eine der berüchtigten Bordmahlzeiten seiner Fluggesellschaft zu verspeisen (vgl. http://www.legorafi.fr/2015/10/05/indignation-le-drh-dair-france-force-par-les-grevistes-a-manger-un-plateau-repas-de-la-compagnie/ ). Ein Schauer läuft einem/r ob solcher Schreckensmeldungen wahrhaftig über den Rücken. Achtung, ,Le Gorafi’ (Umdrehung von,Le Figaro’) ist eine, gut gemachte, französische Satirezeitung.
Die Direktion des Unternehmens hatte es kommen sehen, dass es an diesem Tag etwa hitziger zugehen könnte. Deswegen hatte sie einen Sitzungssaal ausgewählt, den sie üblicherweise nicht benutzt, welcher aber einen kleinen Seiten- oder Hinterausgang aufweist. Auffälligerweise platzierte die Leitung sich vor Beginn der Sitzung, die am Montag um 09.30 Uhr anfing, unmittelbar in der Nähe dieses kleinen Ausgangs. 3.000 demonstrierende Lohnabhängige hatten sich gegen zehn Uhr, also im Laufe der Sitzung, am Unternehmenssitz in Roissy versammelt.
Der Vorstandschef des Konzerns Air France-KLM Alexandre de Juniac, seit Ende 2011 im Amt, zog es von vornherein vor, der Sitzung lieber gleich fernzubleiben. (Die französische Luftfahrtgesellschaft Air France kaufte 2004 den niederländischen Konkurrenten KLM auf und fusionierte mit ihm.) Der ihm untergebene Unternehmenschef für Air France, Frédéric Gagey, musste dagegen an der Sitzung teilnehmen. Doch nach dem Eindringen von protestierenden Lohnabhängigen durch den Haupteingang suchte er, todesmutig, sofort das Weite und entfloh durch die besagte Hintertür. Vize-Chef Pierre Plissonnier seinerseits gab Fersengeld und kletterte über einen Zaun, vgl. das Foto, das den anbei verlinkten Artikel ziert (-> http://www.challenges.fr/politique/20151006.CHA0160/besancenot-brossat-attac-et-les-violences-a-air-france-la-gauche-dangereuse.html); es handelt sich um einen lustigen Artikel in einer Wirtschaftszeitschrift über „Die gefährliche Linke“ (La gauche dangereuse), illustriert durch die unfreiwillig durchlebten Abenteuer der Air France-Führungsleute.
Personalchef Broseta sollte es nun ausbaden und die lieben Mitarbeiter anhören. Doch auch ihm sausten die Ohren; er umgab sich mit Wachleuten und versuchte seinerseits, sich jeglicher Diskussion zu entziehen und schleunigst das Weite zu suchen. Dies wiederum kam nicht besonders gut an und ist, nun ja, seinem Hemd nicht besonders gut bekommen. (Vgl. Augenzeugenbericht; plus ausführliche Schilderung bei der Gewerkschaft SUD Aérien: http://www.sud-aerien.org/IMG/pdf/cce_05_oct_v6.pdf ) Die ursprünglich vorgesehene nachmittägliche Sitzung des CCE/Gesamtbetriebsrats, die auf 14.30 Uhr anberaumt war, wurde abgesagt. Stattdessen fand eine Demonstration der protestierenden Lohnabhängigen statt, ebenso wie eine Pressekonferenz des gerade noch einmal mit dem Leben, ähm, der Hose davongekommenen Personaldirektors Broseta.
Konzernchef Alexandre de Juniac machte sich zu Anfang dieser Woche zwar in die Hose, welche er noch anhat, und blieb der Sitzung mit den Beschäftigtenvertretern fern. Ansonsten brüllt der Löwe aber schon ganz gerne einmal laut durch die Gegend. Im MÄrz dieses Jahres etwa stellte er in einem Interview wahrlich tiefsinnige Gedanken an. So fragte er sich laut, ob das Verbot der Kinderarbeit etwa heute noch so sinnvoll sei, ob es wirklich eines Rentenalters bedürfe, oder er entwickelte auch folgenden subtilen Gedanken: „Die Arbeitszeitbegrenzung, die, so scheint es, eine soziale Errungenschaft bildet – was bedeutet das für einen Ingenieur, der ein Tablet und ein Smartphone bei sich zu Hause hat und daheim arbeitet?“ Ins Schwärmen kam er jedoch, als er ein Gespräch mit einem Kollegen von einem Konkurrenzunternehmen vom Golf (vom Arabisch-Perssischen Golf, nicht vom Golfplatz) wiedergab. Er schilderte so mit sichtlichem Wohlgefallen: „Wie mein Amtskollege von Qatar Airways gestern bezüglich des Streiks (Anm. gemeint ist der Pilotenstreik bei Air France vom September 2014) sagte: Monsieur de Juniac, bei uns wäre das nicht möglich, wir hätten sie alle ins Gefängnis gesteckt.“ (Vgl. http://www.francetvinfo.fr/france/travail-des-enfants-35-heures-droit-de-greve-l-intervention-cash-du-pdg-d-air-france_852497.html )
Reaktionen, Reaktiönchen
In der Folgezeit hagelte es Distanzierungen und Verurteilungen. Die, räusper, Gewerkschaft CFDT (na gut, was hätte man von ihr heutzutage erwartet?) erklärte beispielsweise, dass sie „vorbehaltlos und auf das Entschiedenste die unwürdigen Gewalttaten“ – die gegen das Hemd – „verurteilt“. (Laut Ausgabe der Pariser Abendzeitung,Le Monde’ vom Dienstag Abend.) Für den Gewerkschaftsdachverband FO, Force Ouvrière, erklärte dessen Generalsekretär Jean-Claude Maillu: „Man darf nicht hin bis zu körperlicher Gewalt“ (gegen das Hemd) „gehen. Das liegt nicht in unseren Traditionen.“ Ambivalenter äußerte sich hingegen die CGT. Ihr stellvertretender Generalsekretär bei Air France, Mehdi Kemoune, erklärte zunächst, man habe die Direktion vorher „gewarnt“, aber „wie üblich hat sie uns nicht zugehört. (…) Wir wollten nicht, dass die Sitzung überrannt wird.“ Das klingt zunächst ein bisschen nach: Hättet Ihr uns mal beim Abwiegeln helfen lassen.. Kurz darauf forderte die CGT bei Air France, man müsse „alle Formen von Gewalt“ verurteilen – sowie die Vorfälle als auch den geplanten sozialen Existenzverlust für knapp 3.000 Lohnabhängige. Und fügte hinzu: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“ (Vgl. bspw. http://www.humanite.fr/sites/default/files/tract_292015.pdf und http://www.humanite.fr/cgt-air-france-toutes-les-violences-se-condamnent-585788 ) An der Spitze des Dachverbands weigerte Generalsekretär Philippe Martinez inzwischen, sich dem Distanzierungsritual zu beugen – „Seinen Job verlieren, das ist Gewalt“ -, und mochte die Vorfälle weder verurteilen noch rechtfertigen. Vgl. http://www.franceinfo.fr/emission/l-interview-politique/2015-2016/air-france-perdre-son-boulot-ca-c-est-violent-cgt-07-10-2015-07-46
Viele Medien nehmen übel. Die konservative Tageszeitung,Le Figaro’ beispielsweise übertitelt ihre Papierausgabe: „Schaffen es die Extremisten bei Air France, das Unternehmen zu töten (/ an die Wand zu fahren)?“ Hingegen berichtete die linksliberale Tageszeitung,Libération’ zunächst nur kleinlaut – mittels einer winzigen Bildmeldung am Dienstag, am Mittwoch referiert sie dann ausführlicher die Hintergründe. Und die liberale, eher regierungsfreundliche Pariser Abendzeitung,Le Monde’ zieht es vor, in ihren Augen konstruktiv auf die Vorgänge einzuwirken. In ihrer Ausgabe vom Dienstag Abend rückt sie in den Vordergrund, dass „die Direktion von Air France den Dialog wieder aufnahmen möchte“ (d.h. Gespräche zwischen der Leitung und den Gewerkschaften).
Auch die etablierte Politik meldet sich offen zu Wort, sei es mit Kritik oder mit unerbetenen Ratschlägen (während die radikale Linke ihrerseits die sozialen Kämpfe bei Air France und anderswo unterstützt, vgl. bspw. https://npa2009.org/videos/air-france-o-besancenot-le-gouvernement-devrait-faire-en-sorte-que-les-revendications-du ). Die Regierungsspitze betriebe eine offene „Einmischung“ in den Konflikt, ein Wort (immixion = Einmischung), das auch die üblicherweise regierungsfreundliche Pariser Abendzeitung,Le Monde’ in diesem Falle benutzt: http://www.lemonde.fr/entreprises/article/2015/10/06/air-france-l-executif-juge-les-violences-inacceptables_4783444_1656994.html – Premierminister Manuel Valls bezeichnete die wütenden Lohnabhängigen als ,voyous’ („Ganoven“; das entspricht im deutschen Sprachgebrauch den dort üblichen „Chaoten“, jedoch mit einem kriminellen Touch), kündigte strafrechtliche Ermittlungen und Verfahren an. (Vgl. etwa im Video: http://www.lemonde.fr/economie-francaise/video/2015/10/06/air-france-valls-denonce-des-agissements-de-voyous_4783570_1656968.html ) Auch die als halb regierungskritisch geltende Vorsitzende der französischen Grünen – welche seit April 2014 zwar der Parlamentsmehrheit, doch nicht mehr dem Kabinett angehören -, Emmanuel Cosse, gab sich als Bedenkenträgerin: „Die Gewalt der Air France-Mitarbeiter denaturiert ihren sicherlich berechtigten Zorn “, d.h. diskreditiert ihr Anliegen. (Vgl. http://www.itele.fr/chroniques/invite-bruce-toussaint/emmanuelle-cosse-sur-air-france-ces-violences-denaturent-la-colere-certainement-juste-des-salaries-139186 )
Von konservativer Seite pöbelte Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy herum, fühlte sich an „1793“ (damals rasselte die Guillotine) erinnert, warnte vor ,la Chienenlit’ („Bettscheißerei“, mit diesem Ausdruck belegte Präsident Charles de Gaulle den Massenprotest im Pariser Mai 1968); und erklärte, dies sei doch kein Wunder, wo die Gewerkschaften so viel zu sagen hätten (,des syndicats qui ont pignon sur rue’), welche „allesamt 2012 zur Wahl von François Hollande aufriefen“. Ihm antwortete Premierminister Valls, er solle doch die Gewerkschaften mal lieber nicht diskreditieren, die benötige man doch als Vermittler in einer Demokratie. (Vgl. dazu http://www.leprogres.fr/france-monde/2015/10/06/air-france-valls-attendu-au-siege?utm_source=direct&utm_medium=newsletter&utm_campaign=le-progres-air-france-pour-valls-les-agresseurs-sont-des-voyous ) – Wirtschaftsminister Emmanuel Macron seinerseits twitterte durch die Lande, von ihm komme „totale Unterstützung für die Angegriffenen“, gemeint war das höhere Management.
Am Mittwoch zur Mittagszeit wurde bekannt, inzwischen seien „zwanzig Verdächtige identifiziert“; (vgl. http://www.letelegramme.fr/france/violences-a-air-france-les-politiques-s-en-melent-07-10-2015-10802015.php?xtor=EPR-3-%5Bquotidienne%5D-20151007-%5Barticle%5D&utm_source=newsletter-quotidienne&utm_medium=e-mail&utm_campaign=newsletter-quotidienne ) – Manuel Valls’ Androhungen von juristischen Konsequenzen dürften also noch einige Nachklänge finden.
Zu den Hintergründen
Bei Air France wurden bereits in den vergangenen Jahren 8.000 Stellen abgebaut; meist mit „freiwilligen Abgängen“ (unter Verlockung mit einer Abfindungssumme). An diesem Montag sollte das nun Verschwinden von weiteren, zusätzlichen 2.900 Stellen verkündete werden – darunter 1.900 beim Bodenpersonal, 700 beim Bordpersonal (Stewards und Stewardessen) sowie 300 bei den Piloten/Pilotinnen. Ab 2017 sollen speziell die Langstreckenflüge um ein Volumen von 10 % reduziert werden.
Doch damit dürfte es nicht bewendet sein. Denn die französische Satire- und, vor allem, Enthüllungszeitung ,Le Canard enchaîné’ (nicht on-line) berichtet an diesem Mittwoch, den 07. Oktober unter Berufung auf Dokumente, für 2017 stehe bereits die nächste Welle des Stellenabbaus bereit, und dann sollten nochmals zusätzliche 5.000 Arbeitsplätze verschwinden. Die Direktion dementierte dies am heutigen Tage zunächst energisch.
Die Löhne bei Air France liegen eher unter dem Durchschnitt der EU-Nachbarländer, wenngleich die Sozialabgaben ihrerseits überdurchschnittlich ausfallen. Die Fluggesellschaft schreibt nicht rote, sondern schwarze Zahlen; für das laufende Jahr wird ein Gewinn von 123 Millionen Euro prognostiziert. Doch aus Sicht der Direktion (und der dahinterstehenden Aktionäre) genügt dies nicht; sie erklärt, der Reingewinn müsse in naher Zukunft auf 700 Millionen jährlich gesteigert werden. Sonst sei das Unternehmen in seinem Konkurrenzumfeld nicht länger „wettbewerbsfähig“. Allerdings hat das Unternehmen lt. gewerkschaftlichen Zahlen die Arbeitsproduktivität bereits in den letzten zwei Jahren um zwanzig Prozent steigern können, d.h. in einer Arbeitsstunde wird 20 % zusätzlicher Mehrwert produziert.
Den Piloten versuchte die Direktion abzuverlangen bzw. abzuverhandeln, ihre Arbeitsproduktivität ihrerseits um 17 Prozent zu steigern. Nicht durch Lohnsenkungen, sondern durch eine Ausdehnung von Arbeitszeiten und die Verringerung der Zahl von Ruhetagen (bei mittleren Flügen etwa von 13 auf 11 Ruhetage pro Monat; und bei interkontinentalen Flügen mit Auswärtsübernachtung z.T. von 48 Stunden Verweildauer vor Ort auf 24 Stunden am Ort, mit zusätzlichen fünf bis sechs Flügen jährlich). Die Piloten, mehrheitlich vertreten durch eine eigene Gewerkschaft (den SNPL, Syndical national des pilotes de ligne) ihrerseits waren bereit, auf 10 Prozent Erhöhung ihrer Arbeitsproduktivität zu gehen. Die Direktion rechnete jedoch nach und behauptete ihrerseits, das Angebot der Piloten entspreche nur einer Steigerung um 4,6 %. Diese Differenz resultiert daraus, dass die Direktion die Zahlen einfach auf alle Piloten mitrechnet, also die im Krankenstand oder in Fortbildung befindlichen, gewerkschaftliche Funktionen ausübenden oder aus sonstigen Gründen vom Arbeitsplatz abwesenden mitgezählt.
Im September 2014 hatten allein die Piloten einen vierzehntägigen Streik durchgeführt, der die Fluggesellschaft laut eigenen Angaben (400 bis) 500 Millionen Euro kostete. Dabei ging es speziell darum, die Einrichtung einer Air France-eigenen Low Cost-Filiale, die also der eigenen Gesellschaft Billigkonkurrenz bereiten würde, zu verhindern. Der Streik endete damals nach zweiwöchiger Dauer ohne konkretes Verhandlungsergebnis. Die Einrichtung der Low Cost-Filiale (unter dem Namen Transavia) wurde vorübergehend vom Tisch genommen, jedoch einige Zeit später wieder aufs Tapet gebracht und konnte letztendlich nicht verhindert werden.
Da die Piloten und ihre „autonome“, d.h. keinem Dachverband angehörende (und keiner übergreifenden Struktur angeschlossene) Gewerkschaft SNPL damals für ihre Interessen allein kämpften, waren sie teilweise von anderen Lohnabhängigengruppen isoliert. Die tatsächlich materiell eher privilegierte Stellung der Piloten/Pilotinnen wurde dabei durch Medien und Unternehmensleitung erfolgreich gegen diese gekehrt. Interessanterweise hat die neue Welle von angekündigten Hiobsbotschaften, also Einschnitten durch die Unternehmensleitung, jedoch nunmehr alle Lohnabhängigengruppen fest zusammenschweißen können. Als überraschend gilt, dass SNPL-Chef Philippe Evain (wider Erwarten und unüblicherweise) am Montag von Beschäftigten aus allen Mitarbeiter- und Lohngruppen deutlichen Applaus erhielt, als er zu der Sitzung am Unternehmenssitz eintraf.
Zu den Gründen, warum Air France (laut Auffassung der Direktion) nicht genügend Geld verdient und „in ihrer Wettbewerbsfähigkeit bedroht“ ist, zählt das Verhalten des französischen Staates. Dieser ist nach wie vor mit 17 Prozent Aktionär an der Fluggesellschaft – welche bis zu Anfang der 2000er Jahre noch in hundertprozentigem Staatsbesitz war. (1993 fand zunächst ein harter Abwehrkampf gegen die Privatisierung statt, damals besetzten wütende Lohnabhängige – trotz harten Polizeieinsatzes – die Start- und Landebahnen und Rollfelder auf den Pariser Flughäfen. Damals wurde das vormalige Staatsunternehmen zwar in eine privatrechtliche Gesellschaft umgewandelt, doch der Staat behielt die Kapitalanteile zunächst allein in seiner Hand. Knapp zehn Jahre später wurde die Aktiengesellschaft dann jedoch für Privataktionäre geöffnet, und der Staatsanteil auf derzeit 17 % zurückgefahren.)
Gleichzeitig ist derselbe französische Staat jedoch auch Aktionär am Flughafenbetreiber Aéroports de Paris (ADP), der die beiden Pariser Flughäfen Roissy-Charles de Gaulle und Orly innehat. Auf beiden Seiten versucht der Staat, eine Aktionärsdividende abzuschöpfen: bei Air France – aber zugleich auch bei ADP, wo er auf höhere Nutzungsgebühren für die Flughäfen und Flughafensteuern drängt (vgl. http://www.challenges.fr/entreprise/20140108.CHA8928/air-france-va-devoir-payer-15-millions-de-plus-a-aeroports-de-paris-pour-ses-avions-bases-a-roissy-cdg-et-orly.html ), während diese bspw. in Brüssel zurückgehen. Dieses widersprüchliche Verhalten des Staates kostet Air France allein, laut Philippe Evain vom SNPL, jährlich 900 Millionen Euro.
Hinzu kommt, dass der französische Staat einerseits manche Billigflieger verhätschelt (etwa, um die Nutzung des Flughafens Beauvais fünfzig Kilometer nördlich von Paris verhätschelt) – aber anderseits auch eine andere Konkurrenz aufbaut, in Gestalt der Luftfahrtgesellschaften mehrerer Golfstaaten. Diesen, etwa Qatar Airways und Emirati Airways, werden zunehmende Flugfrequenzen auf den französischen Flughäfen eingeräumt, während die dahinter stehenden Staaten ein Spiel nach anderen Regeln führen als der französische Staat. Denn die reaktionären Golfmonarchien, die die Ölrente in ihren Ländern abschöpfen, pumpes massenhaft öffentliches Geld in ihre Fluggesellschaften, um diese internationale konkurrenzfähig werden zu lassen (während die öffentliche Hand in Frankreich und anderswo auf Sparpolitik eingeschworen bleibt). Resultat: Die Fluggesellschaften vom Arabischen-Persischen Golf liegen in ihren Angebot zwar in der mittleren bis gehobenen Preisklasse (und nicht im Low Cost-Bereich), bieten dafür jedoch einen wahren Luxusservice an Bord an. Insbesondere für Flugziele in quasi ganz Asien stellen sie insofern für viele Fluggäste eine attraktive Alternative dar.
Besonders Qatar Airways wird in Frankreich durch die Staatsmacht verhätschelt, und ihr Chef bekam die Légion d’honneur – eine Verdienstmedaille der französischen Republik – verliehen. Viele Beobachter/innen sind der Auffassung, dies sei eine der Gegenleistungen dafür, dass der Golfstaat als einer der ersten Kunden den französischen Kampfflieger ‚Rafale’ aus dem Hause von Serge Dassault kaufte, den bis dahin aufgrund seiner technischen Pannenfähigkeit so gut wie niemand abnehmen wollte. (Seit dem Großgeschäft mit dem ägyptischen Militärregime vom Februar 2015, über die Abnahme von zwei Dutzend ‚Rafale’, hat sich dies nun freilich geändert.) Und dafür wird, monieren Kritiker/innen, das Personal der zivilen Luftfahrt geopfert.
- Siehe Hintergründe und Aufrufe bei der SUD Aérien
- Air France shirtless bosses flee from angry protesters – BBC News-Video vom 05.10.2015 bei youtube
- und im LabourNet-Archiv: Neue Protestform: Manager festsetzen (Bossnapping)