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Ausnahmezustand in El Salvador setzt Bürger- und Menschenrechte außer Kraft

Dossier

Aus der Armut rekrutiert - Marabanden in El Salvador haben mindestens 50.000 Mitglieder„… Mit 67 von 84 Stimmen hat das Parlament von El Salvador auf Antrag von Präsident Nayib Bukele im Morgengrauen des Sonntag den Ausnahmezustand verhängt. Bukele hatte den Antrag mit einer extrem angestiegenen Mordrate begründet. Allein am Tag zuvor wurden 62 Menschen ermordet. Der Ausnahmezustand gilt zunächst für 30 Tage, kann aber verlängert werden. Mit dem Ausnahmezustand werden folgende Rechte, die in der Verfassung garantiert sind, außer Kraft gesetzt: das Recht auf freie Ein- und Ausreise, die Meinungsfreiheit, das Briefgeheimnis (gilt auch für digitale Kommunikation), die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Verteidigung im Fall einer Verhaftung. Der Polizeigewahrsam wurde von 72 Stunden auf 15 Tage ausgedehnt. Die Entscheidung des Parlamentes wurde unmittelbar im Diario Oficial veröffentlicht und trat sofort in Kraft. Präsident Bukele hat sofort Polizei und Militär dazu beauftragt, mit aller Macht gegen kriminelle Banden vorzugehen, und Richter beschuldigt, auf der Seite von Banden zu stehen, wenn sie ihnen Rechte zugestehen…“ Beitrag von Chris Klänie vom 31. März 2022 bei amerika21 externer Link, siehe mehr daraus und erste internationale Kritik:

  • El Salvador: Auf dem Weg in die Diktatur? Bericht aus einem Land, in dem der Ausnahmezustand zum Normalzustand wird New
    „Der Taxifahrer, mit dem ich etwa eine Stunde vom Flughafen zum Hotel in der Hauptstadt San Salvador fahre, lässt nichts auf Bukele kommen. Ich brauche gar nicht nachzufragen, da sprudelt er schon los, wie viel besser als früher die Situation sei. Die maras, die Straßengangs, seien verschwunden, das Stadtzentrum wäre auch nachts sicher, Unternehmer würden investieren, der Tourismus zöge spürbar an. Er beschreibt die Erleichterung im öffentlichen Transport, wo immer wieder Fahrer auf Touren ermordet wurden, weil sie aus der falschen Stadt (das heißt, von der falschen Gang kontrolliert) kamen. Und die Menschenrechtsverletzungen, die mit dem von Polizei und Militär durchgesetzten Ausnahmezustand einhergehen? Die habe es hier immer gegeben, sagt er. „Wo waren die Menschenrechte in den Vierteln unter Kontrolle der maras?“ Den Einwand, dass es aber einen Unterschied zwischen der Staatsgewalt und kriminellen Banden gebe, lässt er gelten. „Wenn Bukele sich etwas zuschulden kommen hat lassen, muss er dafür vor Gericht.“ Aber dafür brauche es Beweise, nicht nur Anschuldigungen. Natürlich sei nicht alles perfekt. „Ja, kann sein, dass auch Bukeles neues Prestige-Gefängnis überbelegt sein werde, aber das war doch immer so und niemand hat etwas daran geändert.“ (…) Als ich 2015 das erste Mal nach El Salvador kam, war es eines der gefährlichsten Länder der Welt. Allein in jenem Jahr fielen 6600 Menschen einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Bei einer Bevölkerung von nur 6,5 Millionen Menschen. Zum Vergleich: Im vierzehn Mal größeren Deutschland wurden im gleichen Jahr 296 Menschen ermordet. Die unvorstellbare Gewalt ging in den vergangenen Jahren deutlich zurück – bis an einem Wochenende im März 2022 erneut über achtzig Menschen getötet wurden. (…) Bukele reagierte damals das erste Mal öffentlichkeitswirksam mit markiger Rhetorik und Bildern verhafteter Gang-Mitglieder in entmenschlichten Posen. Menschenrechtsorganisationen, die das damals kritisierten, hielt er entgegen, sie würden diejenigen verteidigen, die „vergewaltigen, entführen, töten und zerstückeln“. Dabei war es seine Regierung, die mit eben diesen kriminellen Organisationen paktierte. Dieses Bündnis endete erst zwei Massaker später. So lautet eine Interpretation der Geschehnisse. Eine andere These vertritt die Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Celia Medrano, die davon ausgeht, dass der Pakt zwischen Regierung und Kriminellen weiter gilt. Die kleinen Gang-Mitglieder in den Elendsvierteln würden geopfert, doch die Strukturen der maras hätten sich längst zu mächtigen Kartellen entwickelt, mit denen die Regierung weiter kooperiere. Medrano zufolge ist El Salvador auf dem Weg, den Mexiko oder Honduras bereits gegangen sind, wo staatliche und kriminelle Strukturen sich überformten und vielerorts keine Unterscheidung zwischen ihnen mehr möglich ist. (…) 2024 wird in El Salvador gewählt. Bukele hat schon im September 2022 angekündigt, erneut antreten zu wollen. Obwohl die Verfassung eine Wiederwahl ausschließt und es gute Gründe in der an Putschen und Diktatoren reichen Geschichte des Landes gibt, warum eine Wiederwahl verboten ist. Nicht auszuschließen also, dass Bukele gerade die nächste Diktatur in El Salvador errichtet. Auch wenn der Taxifahrer sie nicht als solche wahrnehmen würde.“ Bericht von Moritz Krawinkel vom 18. März 2023 bei medico international externer Link
  • El Salvador: Der «coolste Diktator» Repression, Chaos, nationaler Notstand: Ein Jahr nachdem Präsident Nayib Bukele den Bitcoin als Landeswährung ausrief, droht der Staatsbankrott 
    „Teotepeque soll die Zukunft sein. Das behauptet zumindest El Salvadors Präsident Nayib Bukele. Er hat es mit grossem Brimborium bei einem Festival im November vergangenen Jahres angekündigt – mit Rockmusik, Videoanimationen auf riesigen Bildschirmen und einem Feuerwerk. Und mit einer selbstverliebten Rede. Ganz in Weiss stand der 41-Jährige auf der Bühne. Die Baseballkappe mit dem Schild nach hinten, das Hemd mit den akkurat aufgekrempelten Ärmeln, die eng anliegende Hose – alles in Weiss. Der kurz gestutzte schwarze Vollbart kam so noch besser zur Geltung. In diesem verschlafenen 12 000-Einwohner:innen-Städtchen werde «Bitcoin City» entstehen, ein Eldorado für Kryptounternehmen aus aller Welt. (…) Die «Bitcoinisierung» El Salvadors war von Anfang an misslungen. Obwohl nur jede:r zweite erwachsene Salvadorianer:in ein Konto bei einer Bank besitzt und viele keinen Strom und kein fliessendes Wasser zu Hause haben, versuchte Präsident Bukele, seinem Volk aufzubinden, mit der Kryptowährung würden sie zum fortschrittlichsten aller Länder. Er hat mit staatlichen Mitteln für über hundert Millionen US-Dollar Bitcoins gekauft, die seither über sechzig Prozent ihres Werts verloren haben. (…) Die einflussreichsten Ratingagenturen stuften Anleihen aus El Salvador auf Ramschniveau herunter. Wirtschaftspolitisch gesehen war die Einführung des Bitcoins schlicht eine Katastrophe. (…) Und wenn etwas trotzdem ein Flop ist, erfindet er [Bukele] ein Spektakel, um davon abzulenken. (…) Dieses Spektakel begann am 27. März. An jenem Tag rief der Präsident – nach einem schnellen Parlamentsbeschluss ohne Debatte – für dreissig Tage den nationalen Notstand aus. Seither können Menschen ohne Angaben von Gründen und ohne konkreten Verdacht verhaftet werden. Über 40 000 wurden tatsächlich ins Gefängnis geworfen, in der überwiegenden Mehrheit Männer zwischen achtzehn und vierzig Jahren. Der pauschale Vorwurf, in der Regel ohne Beweise: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Zuvor sassen in El Salvador gut 30 000 Menschen in Gefängnissen, die für 18 000 Häftlinge ausgelegt sind. Heute drängen sich zum Teil über hundert Gefangene in einer Zelle. Sie müssen in Schichten schlafen, weil der Platz auf dem Boden nicht für alle reicht. (…) Spätestens im Januar nächsten Jahres werden die Wirtschaftsprobleme wieder aus der Versenkung auftauchen. Dann muss El Salvador 800 Millionen US-Dollar Schulden begleichen. Einen neuen Kredit dafür wird es nicht geben. Bukele hat zwar schon vor Monaten angekündigt, er werde eine Bitcoinanleihe im Gegenwert von einer Milliarde Dollar auflegen, aber er hat sie nie platziert. Wahrscheinlich weiss er inzwischen, dass niemand diese Papiere kaufen würde. So droht dem Land im Januar der Staatsbankrott. Um Unruhen vorzubeugen, wird dem Präsidenten die jetzt eingeübte Repression nützlich sein…“ Beitrag von Toni Keppeler (Text) und José Cabezas (Fotos) bei der WOZ Nr. 39 vom 29. September 2022 externer Link
  • Zunehmend Verletzungen der Menschenrechte unter dem Ausnahmezustand in El Salvador
    „… Der zum fünften Mal verlängerte Ausnahmezustand in El Salvador hat weiterhin schwerwiegende Folgen für die Bevölkerung. Vergangenen Montag gab das Sicherheitsministerium von El Salvador an, 51.241 mutmaßliche Bandenmitglieder festgenommen zu haben. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichten dabei jedoch von immer mehr willkürlich Inhaftierten und der Missachtung des Rechts auf ein ordnungsmäßiges Verfahren. Die Organisation Cristosal konnte 129 Fälle ermitteln, in denen Personen allein aufgrund eines anonymen Anrufs verhaftet wurden. Angehörige von Betroffenen protestieren gegen die willkürlichen Verhaftungen an. Die Gruppe „Bewegung von Opfern des Ausnahmezustands“ (Movir) versammelte sich vor dem Büro des Ombudsmannes für Menschenrechte. Sie kritisierten den aktuellen Menschenrechtsbeauftragten scharf: „Wir schämen uns, José Apolonio Tobar als unseren Menschenrechtsbeauftragten zu haben. Er ist mitschuldig an schweren Menschenrechtsverletzungen, weil er geschwiegen hat“. Am Montag lehnte der politische Ausschuss des Parlaments einen Antrag auf Aufhebung des Ausnahmezustands, auf Freilassung der unrechtmäßig Inhaftierten und Wiedergutmachung der ihnen widerfahrenen Schäden ab. Der Antrag wurde am 16. August in die Versammlung eingebracht. Die Partei des regierenden Präsidenten Nayib Bukele, Nuevas Ideas, gab als Begründung an, dass der Antrag dem Willen des Volkes widerspreche. Die Inhaftierten sollten stattdessen eine Möglichkeit suchen, ihre Unschuld zu beweisen. Vertreter von Menschenrechtsorganisationen trafen sich vergangenen Freitag zu einem Forum zur Analyse der Menschenrechtsverletzungen und stellten fest, dass der fehlende Zugang zur Justiz und zu ordnungsmäßigen Verfahren zu den schwerwiegendsten Verstößen während des Ausnahmezustands gehörten. Sie zeigten auf, dass sich unter der aktuellen Regierung insbesondere die Situation der schutzbedürftigen Bevölkerung, wie Frauen, Kinder, Jugendliche und LGBTIQ+-Personen, verschärft hat. (…) In keinem der Punkte, die der Ausschuss 2018 bewertet hat, habe es signifikante Verbesserungen gegeben. Die Situation von Opfern des gewaltsamen Verschwindenlassens sei sogar schlechter geworden, weil Informationen zurückgehalten werden. Der Ausschuss äußerte sich besorgt über die aktuelle Situation und sprach davon, dass „Straffreiheit herrsche“.“ Beitrag von Melanie Schnipper vom 2. September 2022 bei amerika21 externer Link
  • Ausnahmezustand in El Salvador zum fünften Mal verlängert – Beriche über Folterungen durch Polizisten und Soldaten, mindestens 59 Tote im Gefängnis
    Das Parlament von El Salvador hat den seit 27. März andauernden Ausnahmezustand um weitere 30 Tage bis zum 19. September verlängert. Die Regierung will nach eigenen Angaben damit „das Leben, die Unversehrtheit und die Habe der Salvadorianer:innen schützen“. In den 142 Tagen, die der Ausnahmezustand nun andauert, habe es 77 Tage ohne Morde gegeben. Bisher seien rund 50.000 Personen verhaftet worden, die zu kriminellen Banden gehörten. Zuvor wurde ein neuer Bericht der Beobachtungsstelle für Menschenrechte (OUDH) der Zentralamerikanischen Jesuitenuniversität (UCA) über Menschenrechtsverletzungen bekannt. „Die Beschwerden, die beim Menschenrechtsinstitut der UCA eingegangen sind, belegen die Existenz von Folterungen“, sagte der Generalkoordinator der OUDH, Danilo Flores, bei der Vorstellung des Dokuments „100 Tage Notstandsregime in El Salvador“. Er berichtete von einem 14-jährigen Jugendlichen, der von Polizei und von mitgefangenen Bandenmitgliedern geschlagen und gefoltert wurde. Natalia Ponce, Ermittlerin der Beobachtungsstelle, sprach von 63 mutmaßlichen Opfern grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung im Ermittlungszeitraum zwischen 27. März und 4. Juli. Die Mehrzahl seien über 42-jährige Männer und die Verursacher sowohl Polizisten wie auch Soldaten. Mindestens 59 verhaftete Personen seien im Gefängnis verstorben, alles Männer zwischen 18 und 30 Jahren. Als Ursache werden Schläge, physische Angriffe von Mitgefangenen und die Verweigerung von medizinischer Versorgung genannt. Die Gefängnisse sind mit 247,6 Prozent überbelegt.  Andere Quellen sprechen von 69 in Haft verstorbenen Personen, wobei 35 ermordet worden seien, sie wiesen Anzeichen von Misshandlungen auf…“ Beitrag von Chris Klänie am 21.08.2022 in amerika21 externer Link
  • Parlament in El Salvador verlängert Ausnahmezustand um weitere drei Monate – erwidert mit zahlreichen Protesten, auch internationaler Menschenrechtsorganisationen 
    „Das Parlament von El Salvador hat einer dritten Verlängerung des Ausnahmezustandes zugestimmt, um „die Bandenkriminalität zu bekämpfen“. Christian Guevara, Vorsitzender der Regierungspartei Nuevas Ideas, sagte: „Wir sind entschlossen, nicht nur eine weitere Verlängerung zu beschließen, sondern so viele wie die Regierung für nötig hält, weil es das ist, was die Menschen wollen.“ Die Entscheidung hat zahlreiche Proteste von nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen ausgelöst. Seit Beginn des Ausnahmezustands Ende März hat die Regierung mehr als 41.000 Menschen wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer kriminellen Bande verhaftet, darunter 1.190 Minderjährige. Die Gefängnisse sind mit mehr als 250 Prozent überbelegt. Nach Angaben von Amnesty International werden den Gefangenen grundlegende Rechte wie regelmäßige Nahrung und Medikamente verweigert und es wird von viel Gewalt in den Gefängnissen berichtet, mindestens 52 Menschen sind dort zu Tode gekommen. Menschenrechtsorganisationen haben mehr als 3.000 Anzeigen über Menschenrechtsverletzungen erhalten, darunter willkürliche Verhaftungen und Folter in den Gefängnissen. (…) Die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH äußerte sich sehr besorgt über die Situation. Am Donnerstag fand eine Anhörung von nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen bei der 184. Sitzungsperiode der Kommission statt, darunter Cristosal, Fespad, Cejil, Amnesty International und andere. Allgemein beklagt wurde, dass die Regierung El Salvadors der Einladung zur Teilnahme an dieser Anhörung nicht gefolgt ist. Am Freitag kritisierten die Organisationen in einer Pressekonferenz, dass die Regierung mit ihrer Abwesenheit klares Desinteresse demonstriere, sich Fragen zu stellen und Verantwortung zu übernehmen. Der Ausnahmezustand werde das Problem der kriminellen Banden nicht lösen. Das bestätigen auch Erkenntnisse von Cristosal: Die Organisation hat seit Beginn des Ausnahmezustandes weitere 85 Fälle von erzwungener Vertreibung im Land registriert, 81,5 Prozent davon verursacht durch kriminelle Banden, vier durch staatliche Organe. Cristosal hat außerdem seit Ende März 2.077 Anzeigen über Menschenrechtsverletzungen erhalten, vor allen Dingen willkürliche Verhaftungen (97,4 Prozent), darunter auch von 62 Personen mit chronischen Krankheiten, 13 Personen mit physischen Einschränkungen und eine schwangere Frau.“ Beitrag von Chris Klänie vom 26. Juni 2022 bei amerika21 externer Link
  • Der Ausnahmezustand wird zur Norm – Militarisierung der Politik und Abbau demokratischer Institutionen nehmen in El Salvador einen weiteren Schritt 
    „Seit Ende März herrscht Ausnahmezustand in El Salvador. Die Regierung unter Präsident Nayib Bukele hatte die Maßnahme nach einer Mordserie krimineller Banden mit zahlreichen Opfern erlassen und inzwischen bis Ende Mai verlängert. (…) Der Ausnahmezustand berechtigt die Regierung vier zentrale Grundrechte einzuschränken: das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit; das Briefgeheimnis und das Recht der Unverletzlichkeit privater Kommunikation ohne vorherige richterliche Genehmigung; das Recht, innerhalb von 72 Stunden nach Verhaftung einem Gericht vorgeführt zu werden und das Recht, über die Gründe der Verhaftung informiert zu werden sowie einen Rechtsbeistand und einen fairen Prozess zu erhalten. Gleichzeitig mit der Einführung des Ausnahmezustands im März wurden acht Reformen – ohne jegliche parlamentarische Mitsprache – durch den von Bukeles Partei Nuevas Ideas kontrollierten Kongress gepeitscht. Darin werden die bestehenden strafrechtlichen Mittel gegen Gangs, die bereits seit 2010 verboten sind, wesentlich verschärft. So kann die Mitgliedschaft in Gangs zukünftig mit 20 bis 30 Jahren Haft bestraft werden, Anführern und Financiers drohen gar Haftstrafen von 40 bis 45 Jahren. Neu ist, dass nun auch Jugendliche ab zwölf Jahren zu Haftstrafen von bis zu zehn Jahren verurteilt werden können, Jugendliche ab 16 Jahren bis zu zwanzig Jahren. Eine Person, die der Bandenmitgliedschaft beschuldig wird, hat kein Anrecht darauf, nach zwei Jahren Untersuchungshaft entlassen zu werden, selbst wenn keine Beweise für eine Straftat oder einen Freispruch vorliegen, sondern bleibt in Haft, bis alle Instanzen durchlaufen sind. Prozesse können auch in Abwesenheit der Beschuldigten durchgeführt werden, aus Sicherheitsgründen sollen Richter*innen außerdem das Recht auf Anonymität erhalten. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und Rechtsexpert*innen wiesen darauf hin, dass die im Eilverfahren verabschiedeten Reformen, vor allem im Falle minderjähriger Angeklagter, im Konflikt mit internationalen wie auch nationalen Normen stehen. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) veröffentlichte eine Stellungnahme, in der sie die Regierung Bukele bittet, die erlassenen Strafrechtsreformen für Minderjährige zu revidieren, da diese nicht im Einklang mit der UN-Kinderrechtskonvention stünden. Bezweifelt wurde ferner die Notwendigkeit der Anwendung des Ausnahmezustands, da auch die bereits bestehenden strafrechtlichen Instrumente dem Staat hinreichende Kompetenzen zur Verfolgung krimineller Banden erteilen. Im Laufe des Ausnahmezustands sind derweil weitere Verhaftungswellen im Gange: Bis zum 2. Mai wurden laut Angaben der salvadorianischen Polizei, 22.754 Menschen festgenommen. Inzwischen häufen sich die Hinweise, dass es nicht nur zu einer Reihe von irrtümlichen Verhaftungen junger Männer kam, sondern zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Bei den Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Cristosal gingen bis Ende April Informationen von über 160 willkürlichen Verhaftungen ein, sowie über brutale Gewalt gegen Inhaftierte. Nach Angaben der oppositionellen Kongressabgeordneten Claudia Ortiz sollen mindestens fünf Personen unter ungeklärten Umständen in Untersuchungshaft verstorben sein. Bereits vor der jüngsten Verhaftungswelle waren die salvadorianischen Gefängnisse hoffnungslos überfüllt: 39.147 Häftlinge gab es nach Angaben der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte im Land. Die Rate von 549 Häftlingen auf 100.000 Einwohner*innen wird in den Amerikas lediglich von den USA übertroffen…“ Beitrag von Ingrid Wehr aus den Lateinamerika Nachrichten Nr. 575 vom Mai 2022 externer Link
  • El Salvador: Maikundgebung in angespannter Atmosphäre – währenddessen Reformen des Arbeitsrechts verabredet 
    Massive Personenkontrollen durch Sicherheitskräfte. Arbeitsminister bezeichnete Demonstrierende als „kriminelle Gruppe“. Mehr als 18.000 Verhaftete in den ersten 30 Tagen Ausnahmezustand
    Wie auch in anderen Jahren hat am 1. Mai eine Demonstration und Kundgebung zum Tag der Arbeit in der Hauptstadt San Salvador stattgefunden. Im Vorfeld hatte Arbeitsminister Rolando Castro diejenigen, die daran teilnehmen wollten, als „kriminelle Gruppe“ bezeichnet und gedroht sie verhaften zu lassen, was erneut Proteste auslöste. Kardinal Gregorio Rosa Chavez äußerte sich sehr besorgt über den Ausnahmezustand. Es gebe viele unmenschliche Handlungen, viele der Verhafteten seien unschuldig. Er forderte die Einhaltung des Rechtes auf friedliche Versammlung und Meinungsäußerung am Tag der Arbeit.
    Erwartungsgemäß haben die Sicherheitskräfte an zahlreichen Orten Busse auf dem Weg zur Demonstration angehalten, die Personalien der Menschen aufgenommen externer Link und so ihre Anreise be- und verhindert. Mit drei Zügen aus unterschiedlichen Richtungen zogen Teilnehmende zur zentralen Kundgebung externer Link im Centro Histórico. Allerdings kamen nicht so viele Menschen wie sonst, weil die Drohungen mit Verhaftung ihre Wirkung zeigten. Die befürchteten Übergriffe der Sicherheitskräfte auf die Demonstrierenden blieben indes aus. Zeitgleich zur Kundgebung auf der Plaza Cívica fand im Hotel Real Intercontinental eine Veranstaltung externer Link der Regierung mit ihr nahestehenden Gewerkschaften statt. Dort wurden einige Reformen des Arbeitsrechts vorgestellt, die am Montag dem Parlament vorgelegt externer Link wurden…“ Bericht von Chris Klänie vom 03.05.2022 bei amerika21 externer Link
  • El Salvador: Proteste gegen die drastischen Einschränkungen von Grundrechten gehen weiter 
    „… Das Parlament hat auf Antrag von Präsident Bukele am 24. April 2022 den Ausnahmezustand um weitere 30 Tage verlängert. Während der Ausnahmezustand in El Salvador in die vierte Woche geht, brüstet sich die Regierung damit, mehr als 15.000 Bandenmitglieder verhaftet zu haben. Proteste von nationalen und internationalen Organisationen gegen die massiven Einschränkungen von Grundrechten werden vom Staatspräsidenten und vom Parlamentspräsidenten mit Angriffen und Verunglimpfungen beantwortet – und mit einem Gesetz für den Bau von weiteren Gefängnissen. Zu den Maßnahmen, die die Regierung in den letzten Wochen ergriff, gehört auch die Einschränkung der Pressefreiheit. Journalist:innen, die über die kriminellen Banden berichten, werden ab sofort mit drastischen Haftstrafen bedroht. Der Journalist:innenverband Asociación de Periodistas de El Salvador (APES) und die Menschenrechtsorganisation Cristosal reichten am 19. April Klage beim Obersten Gerichtshof gegen dieses Gesetz ein, weil nicht eindeutig formuliert sei, was erlaubt ist und was nicht. So bleibe es dem Gutdünken des jeweiligen Richters überlassen, über Haft oder Freiheit zu entscheiden. Das Vertrauen in eine unabhängige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ist aufgrund der erwiesenen Parteilichkeit der Justiz zugunsten der Regierung jedoch gering, so dass APES davon ausgeht, dass danach internationale Instanzen angerufen werden müssen. Die Angriffe auf Journalist:innen sind so massiv, dass einige von ihnen bereits das Land verlassen mussten. (…) Auch kritische Richter:innen sind nicht mehr sicher. Richter Jorge Guzmán, der bis August 2021 den Prozess und die Untersuchungen des Massakers von El Mozote leitete, bis er – wie zahlreiche andere Richter:innen auch – vom Parlament zwangsweise in den Ruhestand geschickt wurde, berichtet aktuell über Drohungen und Angriffe auf ihn und seine Wohnung. (…) Die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH forderte am 21.04.2022 die Regierung El Salvador dringend dazu auf, rechtsstaatliche Verfahren und die Menschenrechte einzuhalten. Auch der US-Außenminister Antony Blinken forderte die Einhaltung von Bürgerrechten. Bereits zuvor gab es zahlreiche Proteste von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International.“ Beitrag von Chris Klänie vom 27. April 2022 bei amerika21 externer Link
  • Immer drastischere Einschränkungen der Grundrechte in El Salvador 
    „… Seit der Verhängung des Ausnahmezustandes in El Salvador am 27. März werden immer mehr Menschenrechtsverletzungen bekannt. Personen werden willkürlich verhaftet, inzwischen weit mehr als 6.000. Ihre Angehörigen wissen meistens nicht, wohin sie gebracht werden und müssen selbst suchen. Schwerbewaffnete Polizisten und Soldaten sind überall präsent und führen Personenkontrollen durch. Ganze Stadtteile wurden abgeriegelt und die Menschen so in ihrer Bewegungsfreiheit behindert. Auch Aktivist:innen werden verhaftet, darunter die Präsidentin der Verbände für kommunale Entwicklung (Asociaciones de Desarrollo Comunal, Adesco), Roselia Elvira Rivas Alfaro. Die Regierung von Präsident Nayib Bukele setzt wichtige Grundrechte außer Kraft. Dazu gehört das Recht auf einen fairen Prozess, das Recht auf Verteidigung, das Versammlungsrecht und das Kommunikationsgeheimnis. Angesichts der Berichte über den Einsatz von Spyware gegen Journalist:innen und Aktivist:innen ist insbesondere diese Intervention in private Kommunikation eine unmittelbare Bedrohung der Menschenrechte und der Pressefreiheit. Ein Richter, der Verhaftete freilassen wollte, wurde strafversetzt. Richter:innen wird außerdem der Zugang zu einem zentralen Gefangenenregister verweigert. Auch verschärft die Regierung die Situation mithilfe von weiteren Gesetzesänderungen. Zum Beispiel können Richter:innen sowie Justizangestellte nun in Prozess-Dokumenten und bei gerichtlichen Anhörungen anonym bleiben. Kriminelle Banden und Maras gelten ab jetzt als „terroristische Organisationen“, allein die Zugehörigkeit zu einer Bande wird mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft. Kinder im Alter zwischen zwölf und 15 Jahren können bis zu zehn Jahre und 16-18-Jährige bis zu 20 Jahre inhaftiert werden. Auch weitere drastische Verschärfungen des Strafrechts wurden beschlossen. Außerdem stockte das Parlament das Budget für Polizei und Militär zum Kauf von Waffen und Ausrüstung um 80 Millionen Dollar auf. Bukele ordnete inzwischen den Bau eines Gefängnisses für 20.000 Inhaftierte an. Die Insassen sind den von der Regierung verordneten Strafmaßnahmen ausgesetzt, bei denen es sich Human Rights Watch zufolge um „grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe“ handeln könnte, laut UN-Zivilpakt ebenso verboten wie Folter. Bukele selbst publiziert Videos, in denen Gefangene gefoltert werden. Ein von der Gefängnisverwaltung veröffentlichtes Video auf Twitter, das die Misshandlung von Gefangenen zeigte, wurde nach 40 Minuten wieder gelöscht. (…) Am Dienstag beschloss die Regierung die massive Einschränkung der Pressefreiheit. Wenn Medien beispielsweise über den Pakt zwischen Regierung und Maras berichten, kann dies zu Haftstrafen bis zu 15 Jahren führen.“ Beitrag von Chris Klänie vom 7. April 2022 bei amerika21 externer Link
  • Weiter im Beitrag von Chris Klänie vom 31. März 2022 bei amerika21 externer Link: „… Bei der Suche nach den Gründen des Anstiegs der Gewalt spielen Recherchen von Journalist:innen von El Faro im vergangenen Jahr eine Rolle. Diese belegen, dass die Regierung mit den kriminellen Banden Absprachen über Hafterleichterungen und andere Vergünstigungen getroffen hatte, um eine Reduktion der seit vielen Jahren hohen Mordrate zu erreichen. Gleichzeitig versuchte Präsident Bukele, diesen Rückgang der Mordzahlen seinem Plan Control Territorial zuzuschreiben, der jedoch nie veröffentlicht wurde. In Medien wird nun gemutmaßt, dass die Regierung in der vergangenen Woche auf Forderungen der Banden nicht eingegangen sein könnte, was zu dieser unglaublichen Mordwelle geführt haben könnte. (…) Im Land herrscht nun große Besorgnis, dass der Ausnahmezustand dazu genutzt werden könnte, um gegen regierungskritische Gruppen und Organisationen vorzugehen. Es gibt Berichte über Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die auch von der Generalstaatsanwaltschaft als eine der Maßnahmen zur Bekämpfung von Banden hervorgehoben wird. Bereits in den ersten Stunden nach der Verhängung des Ausnahmezustandes wurden Hunderte Menschen verhaftet, deren Angehörige sie stundenlang in Polizeistationen suchen mussten. Offenkundig haben bei weitem nicht alle der Festgenommenen etwas mit kriminellen Banden zu tun. Durch die Ausrufung der höchsten Sicherheitsstufe in den Gefängnissen wurden bereits Menschenrechte von Inhaftierten außer Kraft gesetzt. Bukele publizierte Videos mit menschenverachtender Behandlung von Inhaftierten auf Twitter und erklärte, 16.000 seien bereits inhaftiert und 1.000 neue Verhaftete hinzugekommen, ihre Mahlzeiten würden rationiert und sie blieben 24 Stunden in ihren Zellen eingesperrt. Diese Behandlung drohte er allen an, die „weiterhin morden“. Aus der Partei Gana kommt indes wieder der Ruf nach der Wiedereinführung der Todesstrafe…“
  • Menschenrechte ignoriert: Freifahrtschein für Repression
    „… Nun hat sich sogar der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, persönlich einschaltet. Am Dienstag (Ortszeit) rief Guterres die Regierung von El Salvador dazu auf, die Menschenrechte zu achten. In der Erklärung hieß es weiter, die UNO sei besorgt angesichts der Zunahme der Gewalt und der Morde in dem zentralamerikanischen Land in den vergangenen Tagen. Allein am Sonnabend waren in El Salvador 62 Morde registriert worden – die höchste Zahl seit dem Ende des Bürgerkriegs 1992. (…) Bukele hatte das Präsidentenamt im Juni 2019 mit dem Versprechen angetreten, die Kriminalität zu bekämpfen. Schätzungen gehen davon aus, dass rund 70.000 Menschen in El Salvador Mitglieder krimineller Banden sind. Diese gehen auf das Ende des Bürgerkriegs (1980–1992) zurück, in dessen Folge die USA Tausende junge Männer, die zuvor marginalisiert in US-Großstädten gelebt hatten und dort mit den Gangs in Kontakt gekommen waren, zurück in ihr Heimatland abschoben. Der Generalsekretär der früheren Guerilla und heutigen Oppositionspartei FMLN, Óscar Ortiz, erklärte am Montag vor Journalisten, die Regierung verfüge über keinen Plan zur Bekämpfung der Bandenkriminalität. Statt dessen, so der Politiker der Linkspartei, solle mittels Propagandaaktionen der Eindruck erweckt werden, »dass die Gewalt unter Kontrolle sei«.“ Beitrag von Frederic Schnatterer in der jungen Welt vom 31. März 2022 externer Link
  • Harsche Kritik am Ausnahmezustand
    „… Seit diesem Sonntag gilt in El Salvador ein vom Parlament beschlossener, 30-tägiger Ausnahmezustand. Nun hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch an die Regierung des mittelamerikanischen Landes das Vorgehen kritisiert. Die Regierung von Präsident Nayib Bukele müsse zwar entschlossen und rechtgemäß gegen die abscheuliche Bandengewalt in El Salvador vorgehen, erklärte die Amerika-Direktorin der Menschenrechtsorganisation, Tamara Taraciuk Broner, in Washington. Der Ausnahmezustand dürfe aber die Rechte der Menschen nicht in Frage stellen. (…) Nach Kritik der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) an der Verhängung des Ausnahmezustandes warf Bukele dem Gremium vor, die Banden in Schutz zu nehmen. „Die CIDH verteidigt Bandenmitglieder, verliert aber kein Wort über die Opfer dieser Mörder“, schrieb der Präsident auf Twitter. Zudem legte er nahe, dass sein Land aus dem amerikanischen Menschenrechtssystem aussteigen könnte…“ Meldung vom 30. März 2022 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link
  • Siehe u.a. vom Mai 2020: Die Rechtsregierung in El Salvador bekämpft die Epidemie mit Polizeistaatsmethoden. Es sei denn, es handelt sich um Unternehmen, die gegen Gesetze verstoßen
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=199293
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