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Die Opfer des Wirtschaftswunders: Wie Asbest auch heute noch tausende Menschen tötet
Dossier
„… Industrie und Politik haben über Jahrzehnte dafür gesorgt, dass weiter Menschen an dem tödlichen Stoff sterben – bis heute. Asbest ist der Killer Nummer eins unter den Berufskrankheiten. Keiner tötet mehr. Es geht um hunderttausende Menschen. Menschen, die unter anderem unsere Häuser gebaut und unsere Dächer gedeckt haben, die unsere Bremsen am Auto gewechselt und unsere Bäder gefliest haben. Menschen, die Deutschland zu einem der wirtschaftlich stärksten Länder der Welt gemacht haben. Auch danke Asbest, denn Asbest war überall. Mit Asbest wurde Deutschland aufgebaut. Nun sind diese Menschen krank. Weil sie über Jahrzehnte hinweg in ihren Berufen mit Asbest in Kontakt gekommen sind – bis es 1993 verboten wurde. Jedes Jahr sterben Tausende von ihnen an den Folgen…“ Artikel von Daniel Drepper und Bettina Dlubek vom 8. März 2019 bei BuzzFeed Deutschland – siehe mehr daraus und dazu:
- IG BAU: „Neue Gefahrstoffverordnung ist ein Skandal“: Handwerksbetriebe und Bauunternehmen, und damit die Beschäftigten, sollen selbst alte Häuser auf Asbest prüfen
„Die Bundesregierung knickt vor den Eigentümerverbänden und der Wohnungswirtschaft ein und nimmt in Kauf, dass sich tausende Baubeschäftigte mit dem tödlichen Asbest in Gefahr bringen. Das ist ein ungeheuerlicher Skandal! Auf Kosten der Gesundheit der Handwerksbeschäftigten, und nicht auf Kosten der Immobilienbesitzer, soll die energetische, familiengerechte und altersgerechte Sanierung von alten Häusern schneller vorangebracht werden. Das muss gestoppt werden!“ So kommentiert Carsten Burckhardt, im Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) zuständig für die Baubranche, die jüngste Kabinettsentscheidung zur Novellierung der Gefahrstoffverordnung. Danach sollen nicht Bauherren zuständig für die Untersuchung alter Gebäude auf Asbest sein, sondern die Bau- und Handwerksbetriebe selbst. „Da bricht doch das völlige Chaos aus: die Fensterbauer starten eine Untersuchung, und finden nichts, die Fliesenleger werden fündig und die Parkettverleger lassen eine Asbestanalyse erst gar nicht machen. Und jetzt? Steckt in dem alten Haus nun Asbest oder nicht?“, fragt Burckhardt. „Da muss doch eine Gesamtuntersuchung her, und das auf Kosten des Bauherrn – sonst passiert nichts!“ Die Bau- und Handwerksbetriebe stünden zudem unter hohem Kostendruck, wer wolle da noch zusätzliche Prüfungskosten verursachen.
Der Gewerkschafter versteht nicht, wie es dazu kommen konnte. An sich waren sich im vorausgegangenem „Asbestdialog“ Baugewerbe, Wohnungswirtschaft, Berufsgenossenschaft, Gewerkschaft und Politik einig, dass für vor 1993 erstellte Häuser, von da an galt ein Verbauungsverbot von Asbest, bei einer Sanierung Bauherren für eine umfassende Prüfung auf gefährliche Stoffe verantwortlich sind. „Dahinter steckt wohl die Befürchtung, dass die energetische, familiengerechte oder altersgerechte Sanierung für viele Großimmobilienbesitzer zu teuer wird und sie lieber die Hände davon lassen statt den dringenden Wohnraum zu schaffen.“ Burckhardt erinnert daran, dass die IG BAU schon lange eine KfW-Förderung für Häusersanierungen fordert, die gerade für Familien den Traum vom Eigenheim durch Abfederung der Asbestsanierungskosten ermöglichen soll.
Die IG BAU hatte erst im vergangenen Jahr eine Asbest-Charta herausgegeben. Unter anderem wird darin ein Asbest-Gebäudepass sowie ein Asbest-Kataster gefordert. Zudem sollte es Sanierungs- und Abwrack-Prämien für Asbest-Häuser geben. Auch die Arbeitsschutzkontrollen sollten intensiviert werden…“ Pressemitteilung vom 22.08.2024 der IG BAU - [„Asbest-Charta“ der IG BAU] Warnung vor „Asbest-Welle“: 9,4 Mio. Wohnhäuser in Deutschland sind „Asbest-Fallen“ bei Sanierung
„IG BAU legt „Asbest-Charta“ vor: Förderprogramm „Asbest-Sanierung“. Burckhardt fordert Info-Kampagne zur Asbest-Gefahr für Bauarbeiter*innen und Heimwerker*innen.
Millionen Tonnen Asbest stecken in Altbauten. Bei Sanierungsarbeiten kann der krebserregende Stoff freigesetzt und damit zu einem ernsten Problem werden. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) warnt jetzt vor einer neuen Asbest-Gefahr: „Wir stehen am Anfang von zwei Sanierungsjahrzehnten. Die energetische Gebäudesanierung wird enorm an Fahrt aufnehmen. Gleichzeitig baut sich Deutschland um: Aus bestehenden Gebäuden wird neuer und zusätzlicher Wohnraum. Wohnhäuser werden modernisiert, senioren- und familiengerecht umgebaut oder aufgestockt. Mit der Sanierungswelle droht deshalb jetzt eine ‚Asbest-Welle‘ auf dem Bau. Sie ist eine Gefahr – für Bauarbeiter genauso wie für Heimwerker“, sagt Carsten Burckhardt. Er ist im Bundesvorstand der IG BAU für die Bauwirtschaft und den Arbeitsschutz zuständig.
Burckhardt warnt vor einer „unsichtbaren Gefahr“ durch Asbest: Alles beginne mit Baustaub und dem Einatmen von Asbestfasern. Dabei hätten Bauarbeiter und Heimwerker kaum eine Chance, diese Gefahr zu erkennen. Bis zu 30 Jahre dauere es, ehe es zur tragischen Diagnose komme: Asbestose – mit Lungen-, Bauchfell- oder Kehlkopfkrebs.
Burckhardt will der drohenden „Asbest-Welle“ auf dem Bau jetzt mit einem Maßnahmenpaket entgegentreten. Die Bau-Gewerkschaft hat dazu eine „Asbest-Charta“ mit zentralen Forderungen für mehr Schutz vor Asbest vorgelegt. „Es geht dabei um bessere Informationen über Asbest-Gefahren bei Gebäuden, um die Förderung von Asbest-Sanierungen und vor allem auch um konsequenten Arbeitsschutz. Denn der bevorstehende Sanierungsboom darf nicht zu einer Krankheitswelle führen“, warnt Carsten Burckhardt. Der Gewerkschafter fordert einen Schadstoff-Gebäudepass mit unterschiedlichen Gefahrenstufen für die jeweilige Asbest-Belastung eines Gebäudes. „Jeder Bauarbeiter und jeder Heimwerker muss wissen, auf was er sich einlässt, wenn er Fliesen abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert“…“ Pressemitteilung vom 10.08.2023 der IG BAU mit weiteren Informationen zur Asbest-Charta - »Und wer wird krank? Die Armen!« Kampf gegen Asbest: Warum ist der Kampf für ein weltweites Aus so schwierig?
„… Es ist ein drastisches Bild: »In Brasilien und in aller Welt ernährte die Asbestindustrie ihre Maschinen mit Menschenfleisch«, schreibt Eliane Brum, die viel über das Thema publiziert. »Sie wussten, was sie taten. Trotzdem taten sie es. Und sie tun es noch heute.« Schauplatz des millionenfachen Dramas, das die prominente brasilianische Journalistin so beschreibt, ist der Globale Süden. Crecentia Mofokeng von der Bau- und Holzarbeiter-Internationale kämpft in Afrika für ein weltweites Verbot des hochgiftigen, aber sehr preiswerten Faserbaustoffs. Die meisten afrikanischen Länder hätten Asbest noch nicht verboten, meint sie. Und sagt: »Asbest ist billig, und wer wird krank? Die Armen.« Das interessiere wenige, der Kampf sei darum so schwierig. (…) Das ist auch in Lateinamerika nicht anders. Dort haben bisher auch nur sechs Länder ein Asbestverbot verhängt: Argentinien, Uruguay, Chile, Honduras, Brasilien und Kolumbien. Und auch das heißt noch nicht, dass Asbest dort völlig verschwunden ist. Dabei hält auch die Weltgesundheitsorganisation ein Verbot des Stoffes für alternativlos, da Jahr für Jahr weltweit grob geschätzt 200.000 Arbeiter_innen an Asbest-Erkrankungen wie Asbestose, dem bösartigen Mesotheliom-Tumor oder Lungenkrebs sterben. Die Dunkelziffer ist hoch. »Oft treten die Krankheiten mit jahrzehntelanger Verzögerung auf«, sagt der Ex-Metaller Carlos Aparício Clemente aus dem brasilianischen Osasco. Der industrielle Vorort der Megametropole São Paulo ist das brasilianische Zentrum des politischen und juristischen Widerstands gegen Eternit und andere Firmen, deren Arbeiter_innen durch Asbest am Arbeitsplatz vergiftet wurden. Der 66-jährige Clemente ist seit 1979 dabei und hat seine Erfahrungen gemacht. (…) Als in den 1990ern Gewerkschaften in aller Welt Asbestverbote forderten, stellten viele Unternehmen aus der Baubranche und Bremsenfabriken langsam auf giftfreie Ersatzstoffe um. Eternit schloss die Fabrik in Osasco. Schließlich verfügte der Oberste Gerichtshof 2017 das Verbot in Brasilien. Nur: Es werde immer noch oft unterlaufen, berichtet Clemente, »so gibt es viel zu wenige Inspekteure des Arbeitsministeriums«. Und: Trotz des Verbotes ist Brasilien nach Russland, Kasachstan und China nach wie vor der viertgrößte Asbestexporteur. (…) Brasilianische Dokumentarfilmer deckten unlängst auf, dass kranke Mitarbeitende Ablasszahlungen erhielten, Politiker mit üppigen Wahlkampfspenden unterstützt wurden, Professorinnen Studienaufträge bekamen und dann im Sinne der Asbestlobby publizierten. »Asbestexporteure und -importeure in aller Welt betreiben eine systematische Desinformationspolitik«, erklärt Fernanda Giannasi. (…)Auch der kolumbianische Gewerkschafter Miguel Ángel Hernández, der sich seit 43 Jahren um Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz kümmert, verweist auf die starke Lobby der Asbesthersteller. In Kolumbien ist erst Anfang 2021 ein Verbot in Kraft getreten. Die einzige Asbestmine des Landes hat auf den Abbau von Talkum umgestellt. Doch noch immer sind giftige Wellblechdächer in Armenvierteln beliebt. In Sibaté, einer Kleinstadt bei Bogotá, wo Abfälle der lokalen Eternit-Fabrik im ganzen Ort verbaut wurden, liefen die Klagen Betroffener gegen den Multi und den kolumbianischen Staat ins Leere. Immerhin hätten Arbeiter_innen, die einen gesundheitsgefährdenden Job hinter sich haben, nun Anspruch auf eine Sonderrente wegen »Spezialrisiken«, sagt Hernández. Nilton Freitas aus Brasilien ist Regionalbeauftragter der Bau- und Holzarbeiter-Internationale für Lateinamerika. Er betont, die Verbote in verschiedenen Ländern und die weitgehende Reduzierung des Schadstoffs in der Produktion seien große Erfolge gewesen. So sei das Thema zuletzt in den Hintergrund gerückt. Doch nun sei es an der Zeit, wieder zu kämpfen. Er sagt: »Jetzt haben wir wieder Arbeitsgruppen gebildet, etwa zum Rückbau von Asbest. Ohne Druck und weitere Verbote wird die Lobby nicht nachgeben.«“ Beitrag von Günther Michahelles vom 9. Dezember 2022 beim DGB-Bildungswerk online - Wie Wissenschaftler das Asbest-Problem kleinrechnen
„Bis heute haben Opfer des lebensgefährlichen Baustoffs Probleme, eine Entschädigung zu erhalten. Über zweifelhafte Verbindungen zwischen Forschung und Berufsgenossenschaften (…) Bis zu 60 Jahre können vergehen, bis Asbest krank macht. Daher wächst die Zahl der jährlichen Asbesttoten immer weiter, 1600 zählte bereits die offizielle Statistik im Jahr 2017. Wie lange das noch weitergeht, weiß niemand. Tückisch für die Betroffenen: Sie kommen gerade wegen der langen Latenzzeit zwischen Belastung und Krankheit selten zu ihrem Recht. Dabei hätten diejenigen, die durch ihre Arbeit krank wurden, einen Anspruch gegen ihre Berufsgenossenschaft (BG). Aber eine Rente oder Entschädigung erhalten die wenigsten. Und während die Anzeigen asbestbedingter Berufskrankheiten seit 20 Jahren in die Höhe schnellen, zuletzt waren es knapp 10 000, gehen immer mehr Menschen leer aus. Besonders extrem ist das beim „asbestverursachten Lungenkrebs“: Dort ist die Anerkennungsrate von früher 90 Prozent auf zuletzt 16 Prozent gefallen…“ Artikel von Christina Berndt und Johannes Ludwig vom 17. März 2019 bei der Süddeutschen Zeitung online - Weiter im Artikel von Daniel Drepper und Bettina Dlubek vom 8. März 2019 bei BuzzFeed Deutschland : „… Obwohl schon vor mehr als hundert Jahren klar war, wie gefährlich Asbest ist. Obwohl Asbest seit einem Vierteljahrhundert in Deutschland verboten ist. Bis heute kämpfen viele dieser Betroffenen vergeblich um ihre Entschädigung. Wie kann das sein? Das wollte ein Rechercheteam für BuzzFeed News Deutschland herausfinden. Und hat jahrelang recherchiert. In vertraulichen Akten. Bei Opfern, Anwälten, Wissenschaftlern. Bei Behörden und in Archiven. In ganz Deutschland. Wir hatten keine Ahnung, wie viel Sprengstoff in diesem Thema steckt. Wir dachten: Asbest, das sei vorbei, ein Thema der Achtziger, mit dem bestenfalls unsere Eltern etwas zu tun hatten. Weit gefehlt. Wir fanden heraus, wie Industrie und Politik bis heute gemeinsam dafür sorgen, dass sterbende Menschen nicht entschädigt werden. Wie mit viel Geld auch Wissenschaftler und Gutachter gekauft wurden. Wie viele Opfer und Angehörige vor Gericht keine Chance haben gegen die reiche und mächtige Industrie-Lobby. Wie bis heute Menschen vor Gericht scheitern, die eigentlich entschädigt werden müssten. Wie wir alle dafür bezahlen, jeden Tag. Und wie in Zukunft noch mehr Menschen sterben könnten – auch an Asbest…“
Siehe zu Asbest (auch im LabourNet):
- Asbest-Charta der IG BAU
- Siehe die Informationsplattform Asbest bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
- 107.000 Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen von Asbest – jetzt verbieten!
- Viele zu viel zu Asbest gibt es in unserem Dossier: 28. April: Workers Memorial Day
- und ebenso zu viele Beiträge weltweit mit der Volltextrecherche zu „Asbest“