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Lohnerhöhung statt Limo: Rider in Dänemark organisieren Proteste gegen die Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhne bei WOLT
Wolt ist ein Essenslieferdienst, der vor allem in den skandinavischen Ländern vertreten ist. In Dänemark gibt es seit 2020 Auseinandersetzungen um die Arbeitsbedingungen der scheinselbstständigen Kuriere, in denen die Arbeiter:innen sichere Beschäftigung, Schutz von (oft vorkommenden) willkürlichen de-facto Kündigungen und bessere Arbeits- und Lohnbedingungen fordern. Gut vergleichbar mit den Arbeitskämpfen, die es in Deutschland bei Gorillas gab, haben die zu einem guten Teil migrantischen Fahrer:innen eine eigene Gewerkschaftsgruppe gegründet, die Wolt Workers Group (WWG) (Fratzebuch!). Weitere Aspekte dazu u.a. im Beitrag von Peter Birke – wir danken für die Recherche, Übersetzung und Zusammenfassung!
- Eine Kiste voll Limo, statt einer Lohnerhöhung
„Die Gruppe hat 2021 eine von hunderten Kolleg:innen unterzeichnete Petition veröffentlicht, in der es vor allem um die Forderung geht, die Entlohnung der Beschäftigten nicht nach der zurückgelegen „Luftlinie“; ,sondern nach realen Fahrstrecken zu bemessen. Seitdem kommt es immer wieder zu Boykotten und Streiks, die Arbeiter:innen versammeln sich auch spontan an wichtigen Ort der größeren Städte, in denen Wolt ausliefert. Seit dem Sommer 2022 protestieren die Fahrer:innen nunmehr auch dagegen, dass Wolt den Beschäftigten keinerlei Inflationsausgleich angeboten hat, deren Löhne bei einer Inflation um 10 Prozent also buchstäblich weiter „entwertet“ werden. Die Kampagne gegen den unsozialen Arbeitgeber wird mittlerweile auch gegenüber Restaurants und Einrichtungen vorgetragen, die Wolt als Lieferservice nutzen. Durchaus mit Erfolg: Im Sommer kam es zu einer großen Aktion beim Kopenhagener Fußballklub FCK, der bei seinen Heimspielen Wolt den Zugang zu „Parken“, dem größten dänischen Fußballstadion, ermöglicht hat. Außerdem konnten in der nordjütländischen Stadt Aalborg 30 Restaurants überzeugt werden, Wolt nicht mehr zu nutzen, solange keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen stattfindet. Dieser Boykott hat dabei zusätzlich die Dimension, dass die Besitzer dieser Restaurants Wolt vorwerfen, gegenüber der Gastronomie weit überhöhte Pauschalen für die Essenslieferungen zu verlangen (siehe dazu den Artikel von Michael Qureshi vom 28. September 2022 auf migogaalborg.dk ). Am 5. Oktober kulminierte die Kampagne der Wolt-Arbeiter:innen, die mit der dänischen LO-Gewerkschaft NNF kooperieren, in einer Versammlung vor der lokalen Zentrale des Unternehmens. In der dänischen Presse wurde darüber berichtet, dass Wolt versucht habe, die Forderung der Rider nach Inflationsausgleich dadurch zu beschwichtigen, dass sie ihren sogenannten “Partnern“ eine Kiste Limonade (Sodavand, Faxe Kondi) zur Verfügung gestellt habe (aus dem Artikel von Emma Inge Hansen vom 10. Oktober 2022 auf piopio.dk ). Eine Sprecherin der WWG habe das Unternehmen bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dass „wir uns auch in Zukunft nicht mit Faxe Kondi abspeisen lassen werden“. Bei dieser Aktion wurde eine Kiste Limonade vor der Tür der WOLT-Firmenzentrale abgeliefert. Am 13. Oktober gingen die Aktionen als „wilder Streik“ und „Karavaneprotest“ weiter- Facebook-Beitrag der WorkersWorldGroup vom 12. Oktober 2022 (engl.). Fortsetzung folgt.“ Beitrag von Peter Birke vom 14.10.2022, siehe dazu auch: - Wolt couriers wildcat strike in Denmark
„Am Mittwoch (5. Oktober) fand in Kopenhagen und Aarhus ein wilder Streik der Wolt-Kuriere statt, um eine Lohnerhöhung zur Bewältigung der Lebenskostenkrise zu fordern. Die Unabhängigen Wolt-Kuriere, eine Gruppe migrantischer Fahrer:innen in Dänemark, organisierten den Protest in der Stadt, bevor sie das Wolt-Büro in der dänischen Hauptstadt betraten. Ein Fahrer erzählte dem Gig Economy Project, dass sie wütend zurückblieben, nachdem die Wolt-Mitarbeiter ihnen statt einer Lohnerhöhung eine Fahrradladung voller Limonade angeboten hatten – eine Behauptung, die Wolt bestreitet. Die Fahrer:innen nahmen absichtlich Aufträge an und stornierten sie in einer Störaktion gegen das Unternehmen. Auf dem Video des Protests vor dem Wolt-Büro sieht man eine Fahrradladung mit Limonade und hört, wie die Arbeitenden „keine Limonade mehr“ schreien (…)
Im Vorfeld der Mobilisierung gaben die Unabhängigen Wolt-Kuriere eine Erklärung mit ihren Forderungen ab, die da lauteten:
Eine Erhöhung der Grundgebühr von 35 dänischen Kronen (dkk) auf 45 dkk;
Eine Umstrukturierung des Bonussystems oder ein ergänzendes System, das den Vollzeitarbeitenden zugute kommt und die Tätigkeit in den Stoßzeiten dezentralisiert;
Abschaffung des „linearen Entfernungsmesssystems“ von Wolt, das nicht die tatsächliche Entfernung der Zustellung vergütet;
Abschaffung des letzten Algorithmus-Updates, das die Abholung einer zweiten Bestellung auf dem Weg zum Kunden unmöglich machte.
Hjorth sagte, dass etwa 60-65 Fahrer:innen an der Aktion teilgenommen haben, die meisten von ihnen in Vollzeit, die 10-12 Stunden am Tag arbeiten und im Stadtzentrum tätig sind, was seiner Meinung nach bedeutet, dass der Streik erhebliche Störungen für das Unternehmen verursacht haben wird.
Er fügte hinzu, dass die Geschäftsführung von Wolt den Kurieren zuvor gesagt hatte, sie sollten bis September warten, um eine Lösung zu finden, aber als der September kam, gab es kein Angebot. Hjorth sagte, er halte dies für eine „Hinhaltetaktik“, auf die die Kuriere nicht positiv reagierten…“ engl. Artikel von Gig Economy Project vom 10. Oktober 2022 auf Brave New Europe - Außerdem zu Wolt im LabourNet Germany:
- ReWolt: Rider von Wolt und Glovo in Slowenien vereint u. a. gegen den Versuch sie zu nummerieren
- Ein dänischer Kurier und Aktivist bei Wolt hat Lieferando Workers‘ Collective in Berlin bei der Wahl des Betriebsrats unterstützt – und berichtet darüber
„Rasmus Emil Hjorth, dänischer Wolt-Kurier in der Wolt Workers‘ Group und Basisaktivist, berichtet aus Berlin, wo er das Lieferando-Arbeiterkollektiv bei der Wahl des ersten Betriebsrats unterstützt hat
Ich komme in einem Wahllokal am Ostkreuz in Berlin an. Von außen sieht es aus wie ein altes besetztes Haus, das die Bumzen (ein legalisiertes besetztes Haus in Kopenhagen) blass aussehen lässt.
Es ist einer der letzten Wahltage für den Betriebsrat bei Lieferando, dem deutschen Ableger von Just Eat Takeway. Ich arbeite ehrenamtlich und unterstütze die selbstorganisierte Gruppe Lieferando Workers‘ Collective (LWC) bei ihren Wahlbemühungen.
Als ich meinen dänischen Freunden erzählte, dass ich zur Teilnahme an einer Betriebsratswahl abgereist war, fanden sie das Konzept befremdlich. Nur wenige meiner Freunde wussten, was ein Betriebsrat ist, und die, die es wussten, verstanden es nur im dänischen Kontext.
In Dänemark funktioniert der Betriebsrat anders, da er dort als ein weniger mächtiges Instrument für die Arbeitnehmer angesehen wird. Das liegt daran, dass unsere Tarifverträge eine stärkere Rolle bei der Organisierung spielen. Das Konzept des Betriebsrats ist in vielen Ländern Europas zu finden. Es ist ein Organ, in dem sowohl Arbeiter als auch Angestellte zusammenkommen. Die Absicht des Betriebsrats ist es, dass die Arbeitnehmer über die laufenden Vorgänge informiert werden, aber letztendlich auch Entscheidungen treffen können, sofern es keine Interessenkonflikte gibt. Ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, dass es sich bei den dänischen Betriebsräten nur um Bereiche handelt, in denen Anhörungen stattfinden und nicht um eine gleichberechtigte Beteiligung.
Ich habe herausgefunden, dass Betriebsräte (BR) im deutschen Kontext eine andere Bedeutung haben. Die deutschen Kuriere nutzen die Betriebsräte für ihre Organisierungsbemühungen.
Während ich bei der Wahl geholfen habe, gab es diese ständige Vorstellung von sichtbarer und offener Konfrontation seitens der Lebensmittellieferfirma. Die demokratische Gesinnung der Zustellfirmen ist fragwürdig. Es gibt eine klare Tendenz, dass jedes Mal, wenn ein Kurier zu Wahlen für einen Betriebsrat aufruft, die Arbeitgeber versuchen, den Prozess zu stören. Der Kampf um demokratische Mitbestimmung am Arbeitsplatz wird also nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in den deutschen Gerichtssälen ausgetragen.
Die Kuriere, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass die Geschäftsleitung die Gerichtsprozesse als eine Art Gewerkschaftsfeindlichkeitsmechanismus nutzt. So war es auch bei den Lieferando-Wahlen, bei denen 1600 Kuriere wahlberechtigt sind. Unmittelbar vor der Wahl reichte Lieferando eine Klage gegen die Wahllisten der Kuriere ein. Kurze Zeit später wies das Arbeitsgericht die Klage ab.
Die deutschen Lebensmittelkuriere und die Arbeiterbewegung
Die Wahlliste, für die ich mitkämpfe, LWC, ist keine Gewerkschaft, sondern ein Kollektiv, das den Fahrern angegliedert ist. Sie arbeitet mit den Gewerkschaften zusammen, aber nach dem Prinzip „arm’s length“. Das Kollektiv will autonom bleiben. (…) Die Kuriere haben ein lebendiges Netzwerk ohne ein zentrales Programm oder Gebühren geschaffen. Sie haben ein Netzwerk über verschiedene Lieferfirmen hinweg aufgebaut. Diese Netzwerke basieren auf dem Wissen, welche Lagerhäuser oder Flotten strategisch wichtig sind. Die Stammbelegschaft und eine kleine Gruppe von Sympathisanten halten alles am Laufen. Die Hauptidee ist, dass diese Betriebsräte einen dauerhafteren Bereich der Entscheidungsfindung für Kuriere in der gesamten Branche schaffen können. Die LWC-Aktivisten gehören zu den Hauptorganisatoren dieser Strategie, wobei sie die von Kurieren in anderen Unternehmen geführten Kampagnen aufgegriffen und unterstützt haben. Die Kuriere von LWC sehen den ÖR als ein Schlüsselinstrument, um die Ausbeutung der Kuriere zu beenden. Durch die BR-Wahlen werden die Kuriere in einem Wahlzyklus von vier Jahren vor Kündigung geschützt, was eine starke Basis für die Organisierung darstellt. Dies ist viel fortschrittlicher als die Organisierungsstrategien, die ich in Dänemark erlebt habe. In einigen Sektoren denken wir nur daran, unsere derzeitigen Bedingungen zu schützen, und nicht daran, sie zu verbessern oder zu erweitern. In Deutschland denkt man anders. Selbst mit nur zwei oder drei Basisaktivisten in einem Lagerhaus ist eine Forderung nach Wahlen fast garantiert.
Zwei Wahllisten kämpfen um gewählte Positionen
Die Wahltage sind ein großer Koordinationsaufwand. Wir mussten losziehen und die 17 Wahllokale abdecken. Das wurde zu einer großen Menschenjagd für Kuriere. LWC waren nicht die einzigen, die auf einer Liste zur Wahl antraten. Es gab eine weitere Liste namens „Drivers and Riders United“, die von der Gewerkschaft für Küchenpersonal und Lebensmittel, NGG, unterstützt wurde. Die beiden Listen waren sich in einigen Streitpunkten uneinig, die weniger im Wahlmaterial zum Ausdruck kamen, sondern eher in der Frage, wie sie ein Betriebsratsmandat ausüben wollten. Ein Teil der Kritik bezog sich auf die Befürchtung des LWC, dass die NGG-Liste eine zu enge Beziehung zu Lieferando habe, insbesondere weil ein von ihr geführtes Mandat die Stellung des LWC im Betrieb gefährden würde.
Die eigentliche Spannung besteht darin, wo die Organisation am Arbeitsplatz stattfinden soll. Die NGG möchte den Betriebsrat nutzen, um einen langfristigen Tarifvertrag mit der Unternehmensleitung auszuarbeiten. Andererseits fühlt sich der LWC in der Gewerkschaft nicht sehr gut vertreten. Die Zahlung von Gewerkschaftsbeiträgen ist ein großes Problem; die LWC wollen kein Geld zahlen, das dann an anderer Stelle verwendet wird. Der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war, als ein LWC-Mitglied von einem Inkassounternehmen aufgesucht wurde, weil NGG eine Schuld eintreiben wollte. Die NGG wurde daher vom LWC nicht als alternative Liste aus der Basis bezeichnet, sondern als etwas, das von außen kam.
Der Wahlkampf selbst verlief jedoch friedlich. Es gab nicht viele Probleme, und die Wähler waren im Allgemeinen recht zufrieden. Die Koordinationsarbeit und die Suche nach Kurieren hat mich durch ganz Berlin geführt. Wir haben stundenlang vor einem McDonald’s gestanden, nur um mit zwei Kurieren zu sprechen. Aber es hat sich gelohnt. Am Freitag kamen dann die Ergebnisse. Die Wahlbeteiligung war jedoch nicht rekordverdächtig; die Kuriere wussten, dass bei der im Sommer sinkenden Nachfrage 200 Kuriere, die zur Wahl gingen, ein gutes Ergebnis waren. LWC erhielt mit 131 Stimmen gegenüber 68 Stimmen für die NGG-Liste eine deutliche Mehrheit. (…)
Ich denke jedoch, dass es wichtig ist, die Arbeit dieser Basisgruppen anzuerkennen. Sie sind keine Gegenspieler der Gewerkschaftsbewegung, sondern aktive Teile, die die wirklichen Probleme der Branche auf den Verhandlungstisch bringen. In meiner Hauptorganisation, der Internationalen Transportarbeiter-Föderation, haben die jungen Transportarbeiter der Einbeziehung der Kollektive von Fahrern zugestimmt.“ Maschinenübersetzung des engl. Beitrags von Rasmus Hjorth am 15.8.2022 im Gig Economy Project bei Brave new Europe („Rasmus Hjorth – Berlin Lieferando couriers Works’ Council election: Notes from a Danish courier“) – ein insgesamt lesenwerter Artikel mit interessanten Einblicken in die dänische Gewerkschaftsbewegung und die Organisierung der Branche insgesamt – in unserem Dossier Desinfektionsmittel, Schutzkleidung und bessere Arbeitsbedingungen für Lieferando-Fahrer – und Betriebsratswahlen