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Folgen der Nachfrage nach Elektroautos in Chile: Lithium und die trügerische Hoffnung auf ein gutes Leben

Chile: Wo ist das Wasser von Atacama geblieben?In Chile hat die Nachfrage nach Elektroautos zu einer Verdreifachung des Lithium-Abbaus geführt – mit weitreichenden Folgen für die Umwelt und die Gesellschaft (…) Das Lithium in Chile stammt aus dem Salar de Atacama, einem ausgetrockneten Salzsee im Norden des Landes. Er liegt in der Atacamawüste, der trockensten Wüste der Welt. Kritiker*innen bezeichnen den Lithium-Extraktivismus auch als Wasserextraktivismus, weil der Lithium-Abbau sehr viel Wasser verbraucht. Täglich werden mehrere Millionen Liter lithium- und wasserhaltige Sole aus dem Boden gezogen. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel ab, die Böden trocknen aus und versalzen noch mehr. Das hat auch soziale und kulturelle Folgen: Denn die bis jetzt relativ autonome, selbstbestimmte Lebens- und Produktionsweise der indigenen Menschen dort wird erschwert oder unmöglich gemacht…“ Interview von Juliane Schumacher vom 06.05.2024 externer Link bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Nina Schlosser – siehe mehr daraus und dazu:

  • Weiter aus dem Interview von Juliane Schumacher vom 06.05.2024 externer Link bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Nina Schlosser: „… Eigentlich ist es ein staatliches Gebiet, aber in diesem liegen 18 indigene Gemeinden, die bei Entscheidungen, die sie betreffen, einbezogen werden müssten. Die Konzessionen für den Abbau von Lithium haben die Unternehmen allerdings schon früher bekommen, schon während der Diktatur in den 1980er Jahren. In dieser Zeit wurde in Chile alles, was möglich war, privatisiert. José Piñera, der Bruder des ehemaligen rechtskonservativen Präsidenten Sebastián Piñera und einer der neoliberalen Chicago Boys, hat damals das Bergbaugesetz geschrieben, und die Bergbaukonzerne haben auf dieser Grundlage die Konzessionen auf Lebenszeit erhalten. 2018 hat SQM mit dem Staat die Erhöhung der Produktion ausgehandelt, 2016 Albermale. Albermale hat den Vertrag auch direkt mit den Gemeinden abgeschlossen.
    [Wohin geht das Lithium aus Chile?]
    Vor allem nach China, Südkorea und Japan, da werden die meisten Batterien produziert. Dorthin gehen rund 80 Prozent des Lithiums aus Chile. China liefert auch die Batterien für Tesla. Das chinesische Unternehmen CATL, der heute weltweit größte Batteriehersteller, ist Teslas wichtigster Batterielieferant. Dann geht ein Teil des chilenischen Lithiums in die Vereinigten Staaten. In die EU exportiert Chile zwar nur 4 Prozent, aber umgekehrt ist die EU mit 84 Prozent ihrer Lithiumimporte aus Chile wirtschaftlich ausgesprochen abhängig.
    [Gab es Proteste von Seiten der Gemeinden im Gebiet gegen diese Erweiterung der Produktion?]
    Um 2016 kam es zu Protesten, weil die indigenen Gemeinden bei den Vertragsverhandlungen nicht berücksichtigt wurden und ihr Recht auf Free, Prior and Informed Consent, auf freie, vorherige und informierte Zustimmung, verletzt wurde. Um die Konflikte einzuhegen und die Zustimmung der indigenen und lokalen Gruppen zu erhalten, haben die Bergbaukonzerne begonnen, direkt mit ihnen zu verhandeln und eigene Verträge mit ihnen zu schließen. (…) Nachdem es Widerstand gegen die Ausweitung der Förderung und Forderungen nach mehr Beteiligung gab, haben die Konzerne ihre Strategie verändert.  Sie leisten nicht nur die Geldzahlungen. Ein Manager von SQM hat einmal gesagt: «Wir wollen mehr tun, als nur Geld geben, wir wollen den Menschen vor Ort etwas zurückgeben.» Seither setzen sie sogenannte Entwicklungsprojekte in der Region um. Sie kümmern sich um die Infrastruktur, die Jahrzehnte lang komplett vernachlässigt wurde. Denn der Staat war, seitdem Pinochet gegen den sozialistischen Präsidenten Allende geputscht hatte, in Atacama komplett abwesend. Das war im Süden des Landes anders – da war der repressive Staat sehr präsent, er hat die Indigenen offen bekämpft, tut es bis heute. Aber im Norden galt das Gegenteil, der Staat hat sich seit Allende komplett aus der Region zurückgezogen, nicht mehr investiert. Die Bürgermeister, die Lokalregierungen, die hatten und haben aufgrund der staatlichen Zentralisierung kaum Mittel, um die notwendige Infrastruktur zu finanzieren.
    [Da springen jetzt die Konzerne ein.]
    Genau. Sie füllen das Vakuum, das der Staat hinterlassen hat – so hat es Elmar Altvater einmal genannt. In der Region um den Salar de Atacama bauen sie Straßen, bauten ein Recyclingsystem, stellen Mülleimer im öffentlichen Raum auf. In Toconao, einer kleinen Gemeinde, in der das Büro von SQM liegt, hat der Konzern eine Schule gebaut – auch wenn die bisher gar nicht geöffnet werden kann, weil es kein fließendes Wasser gibt. Die Konzerne finanzieren auch kulturelle Feste, Gemeindeaktivitäten, da ist immer etwas los. Jetzt plant SQM die Errichtung eines Krankenhauses. (…)
    Die Strategie der Konzerne scheint in diesem Sinn aufzugehen – dass sie in die Infrastruktur investieren, «Fortschritt» und «Entwicklung» gewährleisten, verschafft ihnen Anerkennung. Und Akzeptanz – Akzeptanz des Extraktivismus. Die Leute bekommen das, was sie seit Jahren einfordern. Sie haben das Gefühl, dass sie zum ersten Mal auch profitieren, tatsächlich etwas zurückbekommen, dass man ihnen zuhört. Die Konzerne tun das und passen ihre Strategien in der Region an. (…)
    Die Bäuerinnen und Bauern, die Menschen, die dort leben, die erfahren ja am eigenen Leib, dass sie nicht mehr genug Wasser in ihren Brunnen haben. Aber dafür können sie sich das Wasser nun von den Kompensationszahlungen kaufen und die sozialen Leistungen der Unternehmen und die neuen Infrastrukturen in Anspruch nehmen. Kurzfristig scheint das überzeugend. Ich würde nicht sagen, dass das daran liegt, dass sie falsch oder unvollständig informiert werden. Es geht dabei eher um das Verständnis von Wohlstand, um die Annahme, dass der Extraktivismus der einzige Weg wäre, ein gutes Leben zu ermöglichen. Und gutes Leben ist dabei nicht gemeint im Sinne von Buen Vivir, also einer alternativen Vorstellung von einem guten Leben, im Einklang mit der Natur, solidarisch mit der Gemeinschaft. Sondern in einem sehr westlich geprägten, materialistischen Sinn: Konsumieren zu können, einen Fernseher zu haben, ein Auto. Sich industriell hergestellte Lebensmittel kaufen zu können und sie nicht mehr selbst herstellen zu müssen. (…)
    es gibt die Gruppen Indigener, die stark profitieren und erstmal dafür sind, dass der Lithium-Abbau fortgesetzt wird. Aber sie sagen auch, dass die Natur nicht geschädigt werden darf. Dann gibt es die Mehrheitsgesellschaft, die dort lebt, und sich einen Zugang zu all diesen Dingen und Leistungen erhofft, sie wollen auch einbezogen werden und hoffen, dass sie bei der nächsten Verhandlung auch berücksichtigt werden. Und dann gibt es einige ganz wenige, die grundsätzlich gegen den Lithium-Abbau sind, die die ökologischen Folgen sehen, die kulturellen Folgen erkennen. Etwa eine kleine kritische feministische Gruppe in Atacama, die sagt: Ohne Wasser kein Feminismus. Kleine Kulturverbände, Bauern und Bäuerinnen, denen das Wasser abgegraben wird. Wobei auch das widersprüchlich ist, denn viele von diesen erhalten selbst Zahlungen von den Konzernen, mittels derer sie ihre wichtige und kritische Arbeit finanzieren können. Es ist sehr schwierig, in der Region tatsächlich gegen die großen Konzerne zu agieren…“

Siehe zum Thema auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=220410
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