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Gewerkschaften bei DHL – Chile: Nur heimliche Gründung möglich
„Wie die Arbeitsbedingungen und gewerkschaftliche Aktivitäten bei DHL Chile aussehen, schildern in Gesprächen im Mai 2014, die diesem Artikel zugrunde liegen, GewerkschaftsgründerInnen aus zwei DHL-Sindicatos. Es sind Mitglieder des Sindicato DHL Número 2 Lo Aguirre (Logistik, gegründet 2011, zuständig für den Vertrieb bei Wal-Mart, gelegen an einer der Ausfallstraßen der Hauptstadt Santiago de Chile in Flughafennähe) und dem Sindicato DHL No 3 Exprés (Paketausfahrer, neun Monate nach ihrer Gründung)“ – aus dem Beitrag „„Wir haben uns lautlos organisiert“ – Gewerkschaftsgründungen bei DHL im postdiktatorischen Chile“ von Olaf Berg und Helen Schwenken ursprünglich in der Zeitschrift iz3w des Informationszentrums Dritte Welt Ausgabe 349 – Zeitschrift zwischen Nord und Süd vom (Juli/August 2015) erschienen und mit Dank an AutorInnen und Redaktion im LabourNet Germany dokumentiert. (Diese Ausgabe der iz3w hat das Schwerpunktthema „Logistik – Leidbranche der Globalisierung“ und ist ausgesprochen lesenswert!)
„Wir haben uns lautlos organisiert“ – Gewerkschaftsgründungen bei DHL im postdiktatorischen Chile
Der Weltmarktführer in Luft- und Seefracht DHL gehört seit 2002 zur Deutschen Post AG. In Chile steht der Konzern für Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen. In manchen Betrieben wehren sich Angestellte, indem sie sich gewerkschaftlich organisieren. AkteurInnen aus zwei Transportgewerkschaften berichten über diese Organisierung vor dem Hintergrund der Konzernpolitik sowie der innenpolitischen Situation.
Von Olaf Berg und Helen Schwenken
Am 17. März 2015 stellte DHL, nach eigenen Angaben der weltweit führende Anbieter von Logistikdienstleistungen, eine neue Markenkampagne vor. Sie steht unter dem Motto „The Power of Global Trade“. Dazu erklärt ein Manager der Deutsche Post DHL Group: „Der globale Handel ist der Motor, der das Wirtschaftswachstum und individuellen Wohlstand auf allen Kontinenten der Erde ankurbelt. Die Kampagne zeigt DHL als verantwortungsvollen Dienstleister, der Menschen miteinander verbindet und ihr Leben verbessert.“ Auf Plakaten wird behauptet, dass längere Lebenserwartung, bessere Schulbildung und Gesundheitsversorgung Ergebnisse des globalen Handels seien.
Neoliberal globalisiert
Was wie eine Realsatire anmutet, ist auch Ausdruck des Selbstbewusstseins einer Branche, die zu einem zentralen Glied des neoliberal globalisierten Kapitalismus geworden ist. Dabei ist die Deutsche Post/DHL selbst ein Produkt neoliberaler Politik. Im Zuge der Privatisierung öffentlicher Dienste wurden aus den nationalen europäischen Postdiensten, die im internationalen Verkehr miteinander kooperierten, durch Fusionen und Zukäufe globale Player. Sie ringen nun in Konkurrenz mit den US-amerikanischen Firmen wie UPS oder FedEx um die Aufteilung des Weltmarktes für Logistikdienstleistungen. Das Geschäft geht weit über den klassischen Brief- und Pakettransport hinaus und umfasst zum Beispiel die Übernahme der weltweiten Ersatzteilelieferung für Maschinenhersteller oder die Belieferung von Supermarktketten mit Waren, wie etwa für Wal-Mart in Chile.
Charakteristisch für die aus der Privatisierung hervorgegangenen Konzerne ist, dass sie in ihrem Herkunftsland noch mit historisch gewachsenen, relativ gut geregelten Arbeitsverhältnissen operieren. Dagegen haben sie ihr internationales Geschäft von Anbeginn unter neoliberalen Vorzeichen aufgebaut (und durch Kredite für Expansionen einen zusätzlichen Druck zur Gewinnmaximierung erzeugt). Selbstverständlich schrauben die Konzerne auch in den Stammländern an den Arbeitsbedingungen. Ein Beispiel dafür sind die aktuellen Konflikte bei der Deutschen Post/DHL. Der Konzern gliedert etwa Gesellschaften für die Paketzustellung aus, um sie auf den Tarif des Speditions- und Logistikgewerbes herunterzustufen. Geschätzt wird, dass in Europa nur noch rund ein Drittel der MitarbeiterInnen der Deutschen Post/DHL direkt bei den Paketdiensten beschäftigt sind. Alle anderen sind über Subunternehmen zu schlechteren Bedingungen beschäftigt.[1]
Ein Blick auf die Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Post/DHL in Chile, dem frühen Experimentierfeld des Neoliberalismus, ist damit in Teilen auch ein Blick in die Zukunft der Arbeitsbeziehungen, wie sie sich die Konzernspitze für Deutschland wünscht. Ob deren Wünsche wahr werden, hängt zum Beispiel davon ab, ob eine internationale Solidarität zwischen den weltweit verstreuten KollegInnen sowie zwischen den direkt bei den Paketdiensten Angestellten und den outgesourcten KollegInnen herstellbar ist.
Gewerkschaftliche Organisierung …
Schon die Bedingungen für eine gewerkschaftliche Organisierung sind in Chile jedoch denkbar schwierig. Vor dem Hintergrund der Pinochet-Diktatur von 1973-1990 ist die Kultur von Arbeitsrechten nachhaltig geschädigt. Als sich die Militärs 1973 an die Macht putschten, war die Zerschlagung der Gewerkschaften ein oberstes Ziel. Es wurde durch massenweise Verhaftungen mit anschließender Folter, Mord und „Verschwindenlassen“ angegangen, aber auch durch Verfassungs- und Gesetzesänderungen untermauert, die teils bis heute gelten. Die Gründung von Gewerkschaften gilt weiterhin als ungehörig und sieht sich hohen Gesetzeshürden gegenüber. So sind nur auf betrieblicher Ebene gegründete Gewerkschaften als Verhandlungspartner zugelassen. Erst wenn ein bestimmtes Quorum an notariell bestätigten Mitgliedern erreicht ist, besteht Kündigungsschutz. Die Unternehmensseite kann deshalb GründerInnen von Gewerkschaften oft vorher kündigen.
Da es andererseits kaum mehr als eines Briefkastens bedarf, um ein Unternehmen zu gründen, haben viele Konzerne ihr Unternehmen in hunderte von Sub-Firmen unterteilt. Damit muss zur Interessenvertretung für jeden Betriebsteil eine eigene Gewerkschaft gegründet werden. DHL hat sich nach Sparten aufgeteilt. So müssen sich die KollegInnen aus dem Kurierdienst zumindest formal unabhängig von denen aus der DHL-Sparte, die für Wal-Mart-Filialen die Waren anliefert, organisieren.
Der unabhängige Gewerkschaftsberater Iván Saldías berichtet, dass sich Gewerkschaften deshalb höchstens dann gründen, wenn die Arbeitsbedingungen unerträglich werden, wenn offene Misshandlungen stattfinden oder die Repression groß ist: „Dann kann jeder Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen: ein Wechsel in der Geschäftsführung oder Arbeitsbedingungen.“ Wegen der durch das Arbeitsgesetz vorgegebenen schwierigen Bedingungen der Gewerkschaftsgründungen werden diese fast immer klandestin vorbereitet. Das führt nach Saldías zu einer weiteren Schwäche, weil die Organisierung im Betrieb anfangs nicht auf breiten Füßen steht.
Wie die Arbeitsbedingungen und gewerkschaftliche Aktivitäten bei DHL Chile aussehen, schildern in Gesprächen im Mai 2014, die diesem Artikel zugrunde liegen, GewerkschaftsgründerInnen aus zwei DHL-Sindicatos. Es sind Mitglieder des Sindicato DHL Número 2 Lo Aguirre (Logistik, gegründet 2011, zuständig für den Vertrieb bei Wal-Mart, gelegen an einer der Ausfallstraßen der Hauptstadt Santiago de Chile in Flughafennähe) und dem Sindicato DHL No 3 Exprés (Paketausfahrer, neun Monate nach ihrer Gründung).
Ein Vertreter der Paketausfahrer schildert das Klima an seinem Arbeitsplatz als desolat: „Es gibt Vorarbeiter, die die Leute richtig schlecht behandeln.“ Obwohl es dem Arbeitsgesetz widerspreche, seien Erniedrigungen oder Anspielungen auf die sexuelle Orientierung von ArbeiterInnen gängig. Auch die Drohung mit Kündigung, um konforme Verhaltensweisen zu erreichen, sei eine gängige Praxis. Eine Kollegin aus der Wal-Mart-Logistik bestätigt dies: „Die Vorgesetzten haben keine Führungsqualitäten, sie verstehen nicht, dass eine schlechte Behandlung nicht dazu führt, dass Arbeiter produktiver sind. Manchmal picken sie sich einen raus und sagen der Person immer und immer wieder, wie schlecht sie arbeitet. Sie nennen das ‚Feedback’.“ Der Schatzmeister der Paketarbeitervertretung blickt darauf zurück, wie sich die Belegschaft angesichts solcher Arbeitsverhältnisse organisiert hat: „Wir haben uns lautlos organisiert, bis wir es der Geschäftsleitung mitgeteilt haben, dass wir uns konstituiert haben.“ Zur Anerkennung musste das oben erwähnte hohe Quorum aus dem Stand erreicht werden: „Wir sahen uns mit tausenden von Hindernissen konfrontiert. So muss man sich bei einem öffentlichen Notar registrieren, der in Chile gleichzeitig als Arbeitsinspektor agiert. Die verlangen enorme Tagessätze.“
… führt erstmal zur Kündigung
Der Präsident der DHL-Paketarbeitergewerkschaft führt dazu das Beispiel seiner Firma mit 350 MitarbeiterInnen an. Sie gründeten hier die erste Gewerkschaft seit 40 Jahren. Auch dort seien diskriminierende Übergriffe auf die ArbeiterInnen alltäglich. Die Gründung der Gewerkschaft habe ebenfalls Schikanen nach sich gezogen: „Wenn bei uns einer nur das Wort Gewerkschaft erwähnt, wird er automatisch entlassen. Aus Angst, die Arbeit zu verlieren, ziehen viele im letzten Moment ihre Zusage zurück, sich gewerkschaftlich zu organisieren oder Posten zu übernehmen.“ Dennoch gelang die Gründung, wenn auch nicht reibungslos: „Als ich dann zur Arbeit ging, haben sie mich, den Gewerkschaftspräsidenten, noch am gleichen Tag entlassen. Das ging natürlich nicht. Sie hatten dann tausend Erklärungen, dass sie es nicht wussten. Und fragten dauernd: ‚Warum habt ihr das getan?’ – ‚Weil es nötig ist!’“ Die GewerkschafterInnen betonen, sie legen es nicht auf Streik an. Ihre Vorstellung sei es nicht, direkt die Produktion zu stoppen, sondern zu verhandeln und für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
Ein Paketarbeiter sagt zum möglichen Inhalt solcher Gespräche, dass sein Arbeitsvolumen extrem hoch und die Arbeit auf den Straßen unfallreich sei. Aber der Lohn reicht kaum, um die Familie zu ernähren. Dazu kommt, „dass du keine Zeit für die Familie mehr hast – und nur mit Glück am Monatsende Schulden oder Rechnungen begleichen kannst“. So seien fast alle Kuriere unter 30 Jahre alt. „Für die Firma sind wir nur eine Nummer“, beklagt der Kurier. „Daher möchten wir als Personen, als Arbeiter anerkannt werden.“
Ein Kollege der Wal-Mart-Belieferer nennt Zahlen über die Löhne in den Sortierhallen. Die KollegInnen dort „verdienen 240.000 Pesos (320 Euro) monatlich. Als wir unsere Tarifverhandlungen hatten, haben wir für sie einen Anstieg von 15.000 Pesos verhandelt. Wir arbeiten im Dreischichtsystem. Das höchste, was wir verdienen sind 400.000 Pesos (530 Euro)“. Die vertraglichen Zulagen „erreichst du nur, wenn du mit 120 Kilometer in der Stunde über die Straße bretterst. Und wenn du dich bei einer Abholung verspätest, verlierst du fünf oder zehn Prozent, wenn dir ein Fehler mit den Rechnungspapieren unterläuft, gibt es weitere fünf Prozent Abzug.”
Auch im Vergleich mit anderen Logistikunternehmen bezahlt DHL gemäß dem Gewerkschafter der Paketkuriere besonders schlecht. Ein Kurier bei FedEx verdiene rund 265 Euro pro Monat mehr und müsse deutlich weniger arbeiten: „Die Leute bei DHL setzen sich auch selten für bessere Bedingungen ein, weil sie entweder sowieso nicht bei DHL direkt angestellt sind oder weil sie gedanklich schon woanders arbeiten.“ Man lerne das Gewerbe hier, ginge dann aber möglichst zu Chile Exprés, FedEx, TNT oder UPS.
DHL erweckt in Chile den Eindruck eines Unternehmens, dessen Geschäftsmodell Billiglohn heißt, und das die postdiktatorische, verwüstete Arbeitsweltkultur alltäglich reproduziert. Der aktuelle Gesetzesrahmen macht das leicht. Ein Paketarbeiter kritisiert: „Die Gesetze hier in Chile sind für die Firmen gemacht, nicht um die Arbeiter zu schützen. Der Durchlauf ist enorm. Die gesamte Logistikbranche und auch DHL sind in Chile am Wachsen. Aber die Arbeiter haben nichts davon.“ Das Unternehmen habe sich das Ziel gesetzt, weitere Kosten zu Lasten der Beschäftigten einzusparen. Auch in Chile heißt ein Zauberwort dafür ‚Auslagerung’: „In unserem Betriebsteil sind wir 352 Personen, aber nur 208 sind direkt bei DHL angestellt.“
Ein Kollege der Wal-Mart-Belieferer verweist auch auf Erfolge in seinem Betrieb. Mittlerweile seien rund 600 von den 1305 Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert. Damit könnten die nächsten Herausforderungen angepackt werden: „Unsere drei wichtigsten Forderungen sind zuerst die Arbeitsrechte, zweitens die wirtschaftlichen und finanziellen Belange jedes Arbeiters, wie Lohnerhöhungen oder Zuschläge. Und drittens die Infrastruktur des Arbeitsplatzes, etwa ob es eine Kantine oder sanitäre Anlagen gibt. Das sind ganz grundlegende Dinge. Denn es macht einen Unterschied, ob ich tagtäglich ungern und verbittert zur Arbeit gehe oder nicht.“
Die DHL-Marketingabteilung ergänzt ihre eingangs zitierte Image-Kampagne mit einer zweiten, an die eigenen Mitarbeitenden gerichteten. Sie hat den Titel „Connecting people. Improving lives“. In Wirklichkeit sind es die GewerkschafterInnen an der Basis, die dieses Versprechen gegen alle Widerstände einlösen.
Olaf Berg und Helen Schwenken sind Redaktionsmitglieder der Zeitschrift „Peripherie. Politik und Ökonomie in der Dritten Welt“.
[1] Vgl.: Hajo Holst (2015): Europäisierung als institutionelle Entbettung. In: Susanne Pernicka (Hg.), Horizontale Europäisierung im Feld der Arbeitsbeziehungen. Wiesbaden, S. 151-183
- „Logistik in Chile“ von Olaf Berg und Helen Schwenken in der Zeitschrift iz3w Ausgabe 349 ist in der gedruckten Ausgabe der Zeitschrift ein Infokasten innerhalb des Artikels „„Wir haben uns lautlos organisiert“ – Gewerkschaftsgründungen bei DHL im postdiktatorischen Chile“, den wir zur selben Zeit in unserer Rubrik Chile/Gewerkschaften mit Dank an AutorInnen und Redaktion veröffentlichen. Weil die Redaktion LabourNet Germany meint, dieser Beitrag stellt einen guten knappen Überblick über eine wichtige Branche der chilenischen Wirtschaft dar, veröffentlichen wir ihn gesondert in eben dieser Rubrik
- Siehe dazu auch bisherige Beiträge im LabourNet Germany zu Gewerkschaften bei DHL Chile