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Der große Streik an Chiles Schulen und sein erfolgloses Ende nach 7 Wochen entfachen eine Debatte um die Orientierung der Gewerkschaften
„… Die Tatsache, dass die offizielle Führung der Lehrer*innengewerkschaft die Koordination nicht gefördert hat, um die Chancen für einen Lehrer*innenstreik zu vervielfachen, hat mit einem größeren Problem zu tun: der Strategie der Frente Amplio als politisches Bündnis. Die Frente Amplio setzte nicht darauf, die Reformpläne der Regierung durch den Klassenkampf zu besiegen, Lehrer*innen mit Bergleuten oder Walmartarbeiter*innen [die sich ebenfalls im Streik befanden, Anm. d. Ü.] zu vereinen, als das möglich war; sie setzte darauf, soziale Kämpfe als Druckmechanismen in bestehenden Institutionen zu nutzen. Deshalb war es für sie auch logisch, zeitgleich mit dem wichtigsten Streik der Arbeiter*innen der letzten Zeit eine wahrhafte Parade an Treffen mit Minister*innen wie Innenminister Chadwick oder Bildungsministerin Cubillos selbst zu machen, bei denen die FA-Politiker*innen Camila Rojas und Senator J. I. Latorre anboten, mit den Lehrer*innen zu vermitteln. Dennoch wurde der Streik fortgesetzt, und die Befragungen zeigten immer wieder die Ablehnung der Reaktionen der Regierung und die Überzeugung, den unbefristeten Streik fortzusetzen. Ohne Strategiewechsel vergingen die Wochen, bis Aguilar sich schließlich gegen den Streik aussprach…“ – aus dem Beitrag „Chile: Eine Bilanz von 7 Wochen Vollstreik der Lehrer*innen“ bei Klasse gegen Klasse – eine Übersetzung eines Artikels von La Izquierda Diario Chile vom 01. August 2019 über die Auseinandersetzungen der Beschäftigten mit der Regierung – und innerhalb der Gewerkschaft. Zur Debatte um die Ergebnisse des Streiks siehe drei weitere aktuelle Beiträge und den Hinweis auf unseren letzten Streikbericht:
- „Gegen das Vergessen“ von Jule Damske am 19. August 2019 in der jungen welt erinnert an einen der wesentlichen Streikgründe: „… Direkter Auslöser des Ausstands war der Versuch der Regierung, die Lehrpläne zu reformieren und dabei Geschichte, Kunst und Sport in der Oberstufe zu Wahlfächern zu degradieren. Die Streichung von Geschichte als obligatorischem Fach für alle fördert das Vergessen von Vergangenheit. So entfiele unter anderem der an sich schon sehr geringe Teil des Unterrichtsstoffs, mit dem über die Militärdiktatur unter Augusto Pinochet aufgeklärt wird. Der rechte General hatte sich am 11. September 1973 mit einem brutalen Putsch gegen den linken Präsidenten Salvador Allende an die Macht gebracht und regierte das südamerikanische Land bis 1990. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Protesten und Streiks von Lehrkräften, Studierenden sowie Schülerinnen und Schülern. Der Grund für die Unzufriedenheit im öffentlichen Bildungsbereich ist zu einem bedeutenden Teil in der Vergangenheit des Landes zu suchen. Während der rechten Militärdiktatur baute Diktator Pinochet das Bildungssystem von Grund auf um und privatisierte Schulen und Universitäten. Die sogenannten Chicago Boys, eine Gruppe chilenischer Ökonomen, die überwiegend an der University of Chicago in den USA studiert hatten, etablierten ein praktisch alle Lebensbereiche einschließendes neoliberales System, das bis heute aufrechterhalten wird. Die wochenlangen Proteste der Lehrkräfte waren Ausdruck der strukturellen Probleme im Bildungsbereich, dessen Kommerzialisierung existierende soziale Ungleichheiten weiter vertieft: Die chilenische Gesellschaft teilt sich in Familien, die ihre Kinder auf Privatschulen und -universitäten schicken können, und jene, denen das nicht möglich ist. So werden Klassenunterschiede zementiert...“
- „Chile: fortalezas y debilidades del movimiento de profesores“ von Christian Matamoros am 10. August 2019 bei Clajadep-LaHaine ist ein Beitrag, der – wie die Überschrift schon ausweist – versucht, eine genaue Bilanz der Stärken und Schwächen dieser großen Streikbewegung zu ziehen. Wobei er die Stärken insbesondere in der Entschlossenheit der Lehrerinnen und Lehrer sieht, die ja den ersten Aufruf der Gewerkschaftsführung, den Streik zu beenden, ablehnten. Dies sei auch zustande gekommen, weil die Streikenden erlebt hatten, wie ihre Schülerinnen und Schüler und vor allem auch die übergroße Mehrzahl der Eltern den Streik unterstützt haben – wie dies auch eine Reihe anderer Gewerkschaften getan haben, alles eben, weil deutlich geworden sei, dass der Streik eben nicht nur um höhere Löhne, sondern für ein anderes Schulwesen gegangen sei. Die Schwachpunkte sieht er dann, wenig überraschend, vor allem in der Haltung des Gewerkschaftsvorstandes, der von Anfang an auf Gespräche mit der Regierung und eben seine politischen Kontakte über die parlamentarische Opposition der Frente Amplio gesetzt habe.
- „La crisis del Colegio de Profesores o la victoria pírrica del gobierno“ von Raúl Román am 30. Juli 2019 bei Rebelion.org ist ebenfalls ein Versuch, die Bedeutung des Endes des Streiks für die kommende Zeit zu bewerten. Der Sieg der Regierung, dank der Gewerkschaftsführung, sei ein Pyhrrus-Sieg, so die Einschätzung, und zwar vor allem aufgrund jener Tendenzen, deren Stärkung seit dem Streikabbruch massiv betrieben werde, dass eben andere Gewerkschaften – als großes Beispiel werden immer wieder die Hafenarbeiter genannt, es gab aber auch noch weitere Gewerkschaften, die sich bereit erklärt hatten, ebenfalls zum Streik zur Unterstützung des Kampfes an den Schulen aufzurufen, weil dies im Interesse der gesamten Bevölkerung liege – ihre Unterstützung weit über Erklärungen hinaus deutlich gemacht hatten.
- Zum Streikende siehe: „Der Streik an Chiles Schulen: Will der Gewerkschaftsvorstand so lange abstimmen lassen, bis er das erwünschte Ergebnis – ein Ende des Streiks – erhält?“ am 19. Juli 2019 im LabourNet Germany