»
Brasilien »
»

Brasiliens Oberkommandierender drohte mit Putsch, falls Expräsident Lula nicht ins Gefängnis muss, statt erneut zu kandidieren: „Ihr dürft ja wählen, wen wir wollen“

So sehen Putschisten heute aus: Brasiliens Oberkommandierender Villas Boas im März 2018Eduardo Villas Boas ist General (ob sich seine arme Mutter dafür schämt, ist nicht bekannt) – mehr sogar, Oberkommandierender der brasilianischen Armee. Und Verfassungsfeind: Denn er äußerte sich zur politischen Aktualität, wovon er, laut jenem Papier von 1988, die Finger lassen sollte. Mehr als das: Er drohte. Mit dem Eingreifen der Armee – natürlich, weswegen auch sonst, um die Verfassung (wie sie halt nur er sehen kann) zu schützen – für den Fall, dass der Oberste Gerichtshof Expräsidenten Lula auf freiem Fuß (und damit als möglichen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl Oktober 2018) lasse. Woraufhin auch noch gleich die letzte Richterin ihre Meinung änderte. In allen Umfragen aber hatte Lula immer so um die 35% der erklärten Wahlabsichten gelegen, stets etwa das Doppelte unterschiedlicher Zweitplazierter. Trotz jahrelanger Schmutzkampagnen von Dreckschleudern a la TV Globo und der faschistischen Fake News Front von MBL (Bewegung Freies Brasilien). Was immer man von Lula, seiner Politik und seiner Partei halten mag (an der es sehr viel zu bekämpfen, kritisieren und noch mehr zu debattieren gibt, die aber eben auch einige Sozialreformen bedeutete) – und erst recht von ihrem selbstmörderischen Vertrauen in die „Legalität“, die das jetzt ergangene Urteil als Überraschung behandelt – deren klassisch sozialdemokratische (vor-Schröderianische) Ausrichtung nicht mehr in das Konzept der Unternehmerverbände passt: Auch in Brasilien nimmt der heutige Kapitalismus den Menschen sogar noch das Wahlrecht. Zum Urteil gegen Lula drei aktuelle Beiträge – jetzt mit dem Update zu Massenprotesten gegen den sofort erlassenen Haftbefehl:

  • „Oberster Gerichtshof von Brasilien verfügt in umstrittenem Prozess Haft für Lula da Silva“ von Harald Neuber am 05. April 2018 bei amerika21.de externer Link bewertet das Ergebnis so: „Paukenschlag in Brasilien: Der Oberste Gerichtshof in Brasília hat am Mittwoch in einer international viel beachteten Marathonsitzung von gut elf Stunden die Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten (2003-2011) und derzeit aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten Luiz Inácio Lula da Silva verfügt. Sechs der elf Richter stimmten dafür, die Haftanweisung für den 72-jährigen Politiker zu vollstrecken. Sie wiesen damit einen Antrag der Anwälte des linksgerichteten Politikers zurück, die Haftanweisung aus der zweiten Instanz in einem sogenannten Habeas-Corpus-Verfahren zu prüfen und bis zur Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten auszusetzen. Beantragt die Staatsanwaltschaft in den nächsten Tagen erwartungsgemäß die Inhaftierung Lula da Silvas, kann der in dem aktuellen Wahlumfragen Erstplatzierte jedoch noch einmal dagegen Einspruch einlegen. Mit dem Urteil vom Mittwochabend schwinden jedoch erneut die Chancen, dass der linksgerichtete Politiker bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober antreten kann“.
  • „Globo uses tweet by Army general for own political agenda in Lula’s case“ am 04. April 2018 in Brasil de Fato externer Link (englische Ausgabe) behandelt die Twitter-Äußerung des Oberkommandierenden als Auslöser einer entsprechenden Kampagne von TV Globo. Seine darin zitierte Aussage, man müsse heute die Institutionen und Menschen fragen, wer sich wirklich für das Land und kommende Generationen interessiere und wer nur für seine persönlichen Belange“ ist aber eindeutig viel mehr, als nur die verschiedentlich kritisierte unzulässige politische Aussage – es ist eine Drohung. (Wer daran zweifeln mag, kann sich leicht eine Übersetzung der Erklärung der Putsch-Generale vom 1. April 1964 besorgen, und einmal einige – anfängerhafte genügen bereits – linguistische Vergleiche anstellen).
  • „STF enxovalha a Constituição ao negar Habeas Corpus de Lula“ am 05. April 2018 bei Esquerda Online externer Link dokumentiert, ist die Erklärung der PSol zum Urteil gegen Lula. Die linkere Abspaltung der PT unterstreicht darin, dass sie trotz eigener Kandidatur zum einen das Recht des mit Abstand populärsten Kandidaten zur Wahlteilnahme verteidigt, zum anderen in dem Urteil sowohl eine Haltung der Juristen sieht, die nicht der brasilianischen Verfassung entspricht, als auch die Umsetzung der Politik der illegalen amtierenden Rechtsregierung, jegliche politischen und sozialen Probleme mit möglichst Höchststrafen zu „lösen“. Und sie unterstreicht massiv, dass die Erklärung des Oberkommandierenden der Höhepunkt dieser Kampagne gegen Lula gewesen sei.
  • „Brasilianischer Richter erlässt Haftbefehl gegen Ex-Präsident Lula“ am 05. April 2018 bei der Deutschen Welle externer Link, worin unter anderem zum Haftbefehl und den Schlussfolgerungen der PT  informiert wird: „Der frühere linksgerichtete Präsident Luiz Inácio Lula da Silva muss sich laut gerichtlicher Anordnung bis Freitag (17 Uhr Ortszeit, 22 Uhr MESZ) bei der Polizei in der Stadt Curitiba im Süden Brasiliens melden. „Aufgrund der Funktion, die er inne hatte“, habe der 72-Jährige die Möglichkeit, sich freiwillig der Polizei zu stellen, erklärte Richter Sérgio Moro. Das Oberste Gericht des Landes hatte zuvor einen Antrag Lulas abgelehnt, mit dem er einen Aufschub seiner zwölfjährigen Haftstrafe erwirken wollte.  Der brasilianische Ex-Präsident Lula hat 24 Stunden Zeit, sich den Behörden zu stellen und seine zwölfjährige Haftstrafe anzutreten. Das geht aus dem Haftbefehl hervor, den ein Bundesrichter erlassen hat. Der frühere linksgerichtete Präsident Luiz Inácio Lula da Silva muss sich laut gerichtlicher Anordnung bis Freitag (17 Uhr Ortszeit, 22 Uhr MESZ) bei der Polizei in der Stadt Curitiba im Süden Brasiliens melden. „Aufgrund der Funktion, die er inne hatte“, habe der 72-Jährige die Möglichkeit, sich freiwillig der Polizei zu stellen, erklärte Richter Sérgio Moro. Das Oberste Gericht des Landes hatte zuvor einen Antrag Lulas abgelehnt, mit dem er einen Aufschub seiner zwölfjährigen Haftstrafe erwirken wollte. Der Ex-Präsident weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück und wertet das Verfahren als Versuch, seine diesjährige Präsidentschaftskandidatur zu verhindern. Lula, der Brasilien von 2003 bis 2010 regierte, galt bisher als aussichtsreichster Kandidat für die Abstimmung im Oktober. Der Haftbefehl ist ein schwerer Rückschlag für den beliebtesten Politiker des Landes, der angesichts mehrerer Korruptionsverfahren um seine politische Zukunft kämpft. Der Fall hat das Land tief gespalten und wirft einen Schatten auf die Präsidentenwahl. Nach brasilianischem Wahlrecht darf ein Kandidat acht Jahre lang nicht bei Wahlen antreten, wenn er wegen eines Verbrechens verurteilt wurde. Allerdings gab es in der Vergangenheit immer wieder Ausnahmen von dieser Regel. Sollte Lula seine Kandidatur anmelden, müsste die oberste Wahlkommission über seine Zulassung entscheiden. Die brasilianische Arbeiterpartei (PT) will die erneute Präsidentschaftskandidatur Lulas auch im Fall seiner Inhaftierung aufrechterhalten. „Lula bleibt unser Kandidat“, sagte die Parteivorsitzende Gleisi Hoffmann nach einem Treffen der Parteispitze in São Paulo, an dem auch die Ex-Präsidentin Dilma Rousseff teilnahm“.
  • „Todos para São Bernardo. Agora!“ am 05. April 2018 beim Gewerkschaftsbund CUT externer Link ist der abendliche (etwa um Mitternacht unserer Zeit) Aufruf der Föderation zur Massenmahnwache vor dem Sitz der Metallgewerkschaft im Paulistaner Industriegürtel ABC, zu der auch zahlreiche weitere linke und demokratische Organisationen aufrufen, die nicht dem „PT-Konvoi“ angehören, wie etwa die Massenorganisation der Obdachlosen und prekär wohnenden, die MTST. Von dort wird auch auf verschiedenen Kanälen live berichtet werden. In dem Aufruf wird auch deutlich gemacht, Lula werde „nicht alleine“ zum Gefängnis kommen und zu Protesten im ganzen Land ausgerufen.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=130163
nach oben