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Brasilianische Polizei schießt wie früher. Brasilianische Rechte auch – gemeinsam auf Marielle Franco?

Einmarsch in Favela am 16.2.2018In Brasilien nimmt die Zahl der Toten bei Polizeieinsätzen zu. Im vergangenen Jahr kamen 5.012 Menschen durch Polizeigewalt ums Leben, 19 Prozent mehr als 2016, wie das Nachrichtenportal G1 auf Grundlage offizieller Statistiken am Donnerstag (Ortszeit) meldete. Die Zahl der Polizisten, die ihr Leben im Dienst verloren, sank 2017 auf 385. Im Jahr zuvor waren 453 getötete Beamte verzeichnet worden. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl gibt es die meisten Toten bei Polizeieinsätzen im Amazonasstaat Amapá: Dort wurden 8,3 Tote auf 100.000 Einwohner registriert. Rio de Janeiro hat mit 6,7 Opfern pro 100.000 Einwohner die zweithöchste Todesrate und liegt in absoluten Zahlen mit 1.127 Toten durch Polizeischüsse an der Spitze der Statistik“ – aus der epd-Meldung „5.000 Tote bei Einsätzen der Polizei“ am 11. Mai 2018 in der taz externer Link dokumentiert, worin auch die unterschiedlichen Interpretationen solcher offizieller Zahlen durch die Polizei und Menschenrechtsorganisationen Thema sind. Über Hautfarbe und Wohnort der meisten Opfer hingegen gibt es rein gar nichts zu diskutieren… Siehe dazu auch zwei weitere Beiträge: Über neue Erkenntnisse über den Mord an Marielle Franco und über den Zusammenhang der verschiedenen anwachsenden Formen der Gewalt in der aktuellen politischen Situation

  • „Brasilien: Zeuge bringt Licht in Mordfall Marielle Franco“ von Mario Schenk am 13. Mai 2018 bei amerika21.de externer Link informiert: „Ein Zeuge, der jahrelang im Dienst einer paramilitärischen Miliz stand, hat sich an die Polizei in Rio gewandt und umfassende Aussagen zu den mutmaßlichen Tätern und Hintergründen des Verbrechens an der Linkspolitikerin gemacht. Demzufolge haben Francos Rathauskollege Marcello Siciliano von der rechten Splitterpartei PHS und der Ex-Polizist und Chef einer lokalen Miliz, Orlando Oliveira de Araújo, den Mord an Franco geplant. Ferner lieferte der Informant die Namen von zwei weiteren Personen, die die Ermordung durchgeführt haben sollen. Dabei handelt es sich um einen Polizisten und einen polizeilich gesuchten Ex-Polizisten aus dem Stadtteil Maré, aus dem auch Franco stammte. Die beiden hätten zusammen mit zwei anderen Männern in dem Wagen gesessen, aus dem heraus die Aktivistin und ihr Fahrer erschossen wurden. Die Zeitung Globo hat Auszüge der Zeugenaussage diese Woche öffentlich gemacht“.
  • „Brasilien: Rückfall in brutale Zeiten“ von Anne Vigna in der Ausgabe Mai 2018 von Le Monde Diplomatique externer Link berichtet unter vielem anderem: „Die polizeilichen Ermittlungen zu den Schüssen auf Lulas Wahlkampfkonvoi vom 27. März haben ergeben, dass die Schützen von Leandro Bonottos Fazenda kamen. Der Großgrundbesitzer kämpft seit den 1990er Jahren hartnäckig gegen das MST und die Landumverteilungen der staatlichen Siedlungs- und Agrarreformbehörde (Instituto National de Colonização e Re­forma Agrária, Incra). Ein Zufall? Wohl kaum. Alle Angriffe auf Lulas Fahrzeugkolonne wurden von Großgrundbesitzervereinigungen geplant, die offen zu gewalttätigen Aktionen gegen das MST aufrufen. So kündigte auch Gedeão Ferreira, Vorsitzender des Landwirtschaftsverbands von Rio Grande do Sul, in seiner Antrittsrede an: „Wir werden Widerstand gegen die Landlosenbewegung und das Incra leisten. Das einzige Ziel ihrer Besetzungen besteht darin, den ländlichen Agrarproduzenten ihr Eigentum zu nehmen.“ Nachdem Ferreira Incra-Mitarbeitern den Zutritt zu seinen Ländereien verweigert hatte, wurde er 2002 wegen „Ungehorsams gegen die Justiz“ und „Aufforderung zu Straftaten“ verurteilt, 2003 sprach ihn das Regionalgericht in Porto Alegre jedoch wieder frei. Es war dasselbe Berufungsgericht, das im Januar dieses Jahres Lula für schuldig erklärt hat. „Brasilien ist ein extrem gewalttätiges Land mit einer rekordverdächtigen Mordrate. Aber anders als in Kolum­bien oder Mexiko betrifft dieses Phänomen bei uns traditionell nicht die Politik“, sagt Mauricio Santoro, der an der Universität Rio de Janeiro Politikwissenschaft lehrt. „Im selben Monat, in dem die Schüsse auf Lulas Konvoi fielen, wurde die linke Stadträtin Marielle Franco aus Rio umgebracht. So etwas gab es in der jüngeren Geschichte unseres Landes bislang nicht.“ Dass die Gewalt prominente Politiker erreicht, ist tatsächlich ein Novum in Brasilien. Soziale Bewegungen sind zwar schon länger Ziel gewalttätiger Angriffe, aber auch diese Attacken nehmen gerade deutlich zu“.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132020
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