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Die brasilianische Rechtsregierung (wie immer) im Dienst der Unternehmen: „Brasilien darf wegen Corona nicht angehalten werden“
Wer (wieder einmal) einfach meint, Bolsonaros Reaktionen auf Corona seien irgendwie lächerlich, sollte einmal darauf schauen, was in den evangelikalen Tempeln des Landes – eine seiner Machtbasen – gepredigt wird und was, selbstverständlich, auch in Brasilien Unternehmer fordern: „Brasilien darf nicht anhalten“. Ein erneutes Amtsenthebungsverfahren? Das würde nicht nur, wie in es auch in den USA gewesen wäre, nichts bedeuten bezüglich rechter Mehrheiten, sondern es müsste allermindestens auch klar ausgesprochen werden, dass dies – realpolitisch, wie es die so motivierte Opposition gerne hat – bedeuten würde, dass General Mourao, der „Schlächter von Haiti“, Ersatzpräsident würde. Dabei zeigt der parlamentarische Beschluss, ein dreimonatiges staatliches Noteinkommen einzuführen, durchaus einen anderen gangbaren Weg: Eine wirkliche Massenmobilisierung, die die wachsende Unzufriedenheit bestimmter Schichten insbesondere der ärmeren Bevölkerung mit der antisozialen Politik der Rechtsradikalen aufnimmt. Siehe dazu einige aktuelle Beiträge mit durchaus unterschiedlicher Bewertung der aktuellen Entwicklung – und der Situation Bolsonaros:
„Auf dem Weg zur Corona-Revolte“ von Niklas Franzen am 25. März 2020 in der taz online unter anderem zu den Ursachen der wachsenden Unzufriedenheit: „… Am Dienstagabend wandte sich Brasiliens Präsident mit einer Fernsehansprache an die Bevölkerung. In zahlreichen Städten schlugen Brasilianer*innen an ihren Fenstern auf Kochtöpfe, brüllten Sprechchöre gegen die Regierung und zündeten Feuerwerkskörper. Mit seinem Aussagen zum Coronavirus katapultiert sich Bolsonaro immer mehr ins Abseits. Er hat selbst dafür gesorgt, dass eine Bewegung gegen ihn entstanden ist. Während seiner Ansprache bezeichnete er Corona erneut als „kleine Grippe“ und forderte eine Rückkehr zur Normalität. Einzelne Bundesstaaten hatten in den letzten Tagen den Notstand ausgerufen, Veranstaltungen wurden abgesagt, der Einzelhandel weitestgehend geschlossen, Menschenansammlungen verboten. Bolsonaro fordert nun, alle Einrichtungen und Geschäfte wieder zu öffnen. (…) Auch Gesundheitsexpert*innen widersprechen dem Präsidenten vehement und warnen vor einer dramatischen Eskalation der Krise. Brasilien hat bereits jetzt mehr als 2.000 bestätigte Corona-Fälle, mehr als 40 Menschen starben in den vergangenen Tagen an der Covid-19-Krankheit. Gesundheitsminister Luiz Mandetta sagte einen Kollaps des Gesundheitssystems für Ende April voraus. Zudem wurden Anfang der Woche die ersten Fälle in den dicht besiedelten Favelas gemeldet. Laut dem Medizin-Professor Miguel Srougi droht durch Corona eine Katastrophe für die sozial benachteiligte Bevölkerung. „Die Armen werden an den Krankenhaustüren sterben“, sagte der Wissenschaftler der renommierten Universität von São Paulo dem Nachrichtenportal UOL…“
„Bolsonaro isoliert sich“ von Hannah Lorenz am 31. März 2020 in der jungen welt unter anderem zur Frage, wer da alles gegen die Person Bolsonaro Front macht: „… Eine ungebremste Verbreitung des Virus zum schnellen Aufbau einer »Herdenimmunität« würde vor allem die Leben der Hunderttausenden in den überfüllten Gefängnissen und der mehr als 11 Millionen Einwohner der Favelas aufs Spiel setzen. Die Wohnverhältnisse in den Armensiedlungen sind häufig beengt, die Generationen leben eng beieinander, die sanitären Bedingungen sind katastrophal. Die ausschließliche Isolierung von Risikogruppen ist hier undurchführbar. Zugleich sind gerade hier die Menschen auf Lohnarbeit angewiesen. Eine jüngst erschienene Studie von Forschern der britischen Oxford-Universität sagt für Brasilien anhand demographischer Faktoren mehr als 478.000 Covid-19-Tote voraus. Mit seinem Kurs gegen einen Lockdown, wie ihn viele Gouverneure und Bürgermeister bereits verhängt haben, isoliert sich der Staatschef politisch, auch von Rechten gibt es immer mehr Kritik. Nach Medienberichten sollen sich in Brasília in der vergangenen Woche hohe Vertreter des Militärs getroffen und dem Vizepräsidenten, General Hamilton Mourão, Unterstützung für den Fall einer Ablösung Bolsonaros signalisiert haben. Einen offenen Schlagabtausch gibt es mit São Paulos Gouverneur João Doria von der großbürgerlichen PSDB, einem möglichen Konkurrenten bei Präsidentschaftswahlen 2022. Doria wirft Bolsonaro vor, das Land »zu spalten, statt zu regieren«. Eine »Politik, die Leute tötet, rettet nicht die Wirtschaft«, erklärte der Gouverneur. Auf Druck der linken Opposition verabschiedete der Kongress am vergangenen Donnerstag ein Programm, in dem eine monatliche Nothilfe in Höhe von umgerechnet 106 Euro für von der Coronakrise betroffene Erwerbslose, Niedriglöhner und informell Beschäftigte vorgesehen ist…“
„Brasilien unter Corona: Militärs stellen Autorität von Präsident Bolsonaro infrage“ von Mario Schenk am 30. März 2020 bei amerika21.de zur Haltung der Generale: „… Um den sinkenden Umfragewerten zu trotzen, sucht das Staatsoberhaupt sein Heil bei seiner wichtigsten Wählergruppe, den Evangelikalen. Er beschloss, dass Kirchen, evangelikale Tempel mit Zehntausenden Besuchern und Lotterien zu „existentiellen Dienstleistungen“ gehörten und damit während der Quarantäne offen bleiben. Evangelikale Pastoren feiern ihn. „Um das Coronavirus unbeschadet zu überstehen, braucht es Corona-Glauben“, so der Milliardär, Medienmogul und Eigentümer der Igreja Universal do Reino de Deus, Edir Macedo. Solche Maßnahmen und der Gesichtsverlust der Regierung irritieren auch Bolsonaros Partner. Am Freitag stellte der rechtskonservative Präsident des Abgeordnetenhauses, Rodrigo Maia (DEM), seine Autorität infrage. Der Kongress werde die Rolle des Handelns übernehmen, sollte die Regierung keine geeigneten Antworten auf die Krise finden, gab sich Maia einer breiten parlamentarischen Unterstützung sicher. Und selbst die Militärs gehen auf Abstand zum Staatschef. Vertreter der Streitkräfte haben erstmals offen signalisiert, im Fall einer Amtsenthebung oder eines Rücktritts Bolsonaros, den Vizepräsidenten General Hamilton Mourão zu unterstützen. Mehrmals sollen sich Teile der Generalität getroffen und Szenarien einer Amtsenthebung diskutiert haben. Mitte vergangener Woche konnte Bolsonaro noch auf die volle Unterstützung der Militärs zählen, berichtete die Zeitung O Estado de São Paulo unter Berufung auf hochrangige Armeeangehörige. Auch sie fürchteten, Maßnahmen gegen Corona könnten zum „Kollaps der Wirtschaft und zu sozialem Chaos mit Plünderungen“ führen...“
„Centrais Sindicais celebram a aprovação da renda mínima emergencial“ am 27. März 2020 beim Gewerkschaftsbund CTB ist die positive Stellungnahme der (KP-nahen) Föderation zum dreimonatigen Grundeinkommen, wie es vom Abgeordnetenhaus beschlossen wurde – bis zu 1.200 Reais pro Familie (gegenwärtig etwas über 200 Euro, der aktuelle Mindestlohn liegt bei rund 1.000 Reais), für informell Beschäftigte, angebliche Selbstständige, Kleinstunternehmer, Bezieher des Familien-Grundeinkommens und Erwerbslose. Der Beschluss wird als Ergebnis der Aktivität der Betroffenen und der Mobilisierung der Gewerkschaften bewertet, und es wird darauf hingewiesen, dass die Gewerkschaften auch Unterstützung für Kleinunternehmen fordern, damit diese die Löhne weiter bezahlen können.
„Charlatanismo, mentira e má fé nas mensagens de alguns líderes evangélicos“ ebenfalls am 27. März 2020 bei der CTB ist der Kommentar zu einem Video eines evangelikalen Predigers, der das alles eine Erfindung (der Kommunisten, wg. China) nennt – wobei auch weitere, ähnliche Predigten erwähnt werden.
„Canalhas: empresários minimizam mortes pelo coronavírus para garantir seus lucros a qualquer custo“ am 27. März 2020 beim Gewerkschaftsbund CSP Conlutas ist ein Beitrag, der dokumentiert, wie einige der bekanntesten brasilianischen Unternehmer in dieselbe Kerbe schlagen, wie Bolsonaro und unbedingt die möglichst bruchlose Fortsetzung ihrer Kapitalverwertung garantiert sehen wollen. In einem Ton mit Bolsonazi eben…
„Coronavírus: para Bolsonaro não há crise, mas uma oportunidade“ am 25. März 2020 bei den Brigadas Populares ist eine Stellungnahme der linken Basisgruppierung zur aktuellen Entwicklung und zur Bedeutung von Bolsonaros Haltung gegenüber dem Virus. Im Unterschied zu vielen anderen wird hier darauf verwiesen, dass auch nach der Weigerung Bolsonaros, Maßnahmen zu ergreifen und auch keinerlei soziale Absicherung organisieren zu wollen immer noch 36% aller Befragten seine Amtsführung für gut oder sehr gut hielten. Und es werden Unternehmer-Äußerungen angeführt, die sagen „wegen ganzen 7.000 Toten“ könne man nicht die Wirtschaft still legen…