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[30. Juni 2017] Aktionstag statt Generalstreik? Neuwahlen statt Generalstreik? Eine seltsame (Nicht)Debatte macht sich in Brasilien breit
Der Beschluss der neun brasilianischen Gewerkschaftsverbände war schon längere Zeit gefasst, am 30. Juni, nach dem historischen Erfolg des ersten Generalstreiks, einen zweiten zu organisieren: Im Kampf zur Abwehr des Rentenklaus und der explosionsartigen Ausdehnung von Leiharbeit in die Kernbereiche jeder Unternehmenstätigkeit – die beiden aktuell zentralen Vorhaben der ungewählten Rechtsregierung. Dann gab es plötzlich am 22. Juni ein Treffen einiger dieser Verbände mit der Regierung – um „Veränderungen“ an dem Gesetzesprojekt zu erreichen. Zur selben Zeit wurde von verschiedenen oppositionellen Parteien ein Bündnis für allgemeine Neuwahlen begründet, das wiederum von nicht Wenigen als Ersatz für weitere Proteste und Widerstandsaktionen verstanden wird. Der Klärungsbedarf ergab ein erneutes Treffen der neun Verbände, in dessen Abschlusserklärung der „Kampftag 30. Juni“ bestätigt wurde – aber dezidiert nicht zum „Generalstreik“ aufgerufen wurde, ein Begriff, der bewusst nicht benutzt wird. Kein Streit um „Kaisers Bart“ oder um Worte, sondern sehr deutlich eine Frage der politischen Orientierung und Zielsetzung. Siehe dazu fünf aktuelle Beiträge, inklusive Reaktionen linker Strömungen auf die aktuellen Entwicklungen und zwei Beispiele von Basisaktivitäten in Vorbereitung eines Generalstreiks:
- „Centrais mantêm mobilização para o dia 30 contra reformas“ von Vitor Nuzzi am 24. Juni 2017 bei Brasil de Fato dokumentiert (ursprünglich bei der Rede Brasil Atual) ist die Meldung über das abermalige Treffen der brasilianischen Gewerkschaftsverbände an diesem Tag (in dem auch die Erklärung des Treffens dokumentiert ist) – hier eher mit einer Bewertung, die in die Richtung geht, dass die Begriffe ja unwichtig seien, schließlich hätten die Verbände beschlossen „an diesem Tag Brasilien anzuhalten“. Über die simple Tatsache, dass viele Einzelgewerkschaften (und die linken Verbände Conlutas und Intersindical) dies ganz anders sahen und sehen, wird dabei nicht berichtet.
- „Nota da CSP-Conlutas: Não em nosso nome! É hora de unidade pela Greve Geral!“ am 22. Juni 2017 bei der CSP Conlutas ist die Erklärung des linken Gewerkschaftsverbandes zum Treffen der Verbände UGT, CSB, Força Sindical und Nova Central Sindical mit der Regierung zur Diskussion der sogenannten Reformprojekte – was in der Erklärung bewertet wird, als Versuch, den Generalstreik zu verhindern, und weswegen darin unterstrichen wird, dass der Conlutas Verband weiterhin für die volle Mobilisierung zum Generalstreik eintritt und dies auch tut.
- „Greve Geral dia 30 é uma obrigação histórica“ am 24. Juni 2017 bei Esquerda Online ist ein redaktioneller Kommentar der linken Webzeitung in Verteidigung des Generalstreiks, der ihrer Meinung nach gerade angesichts der aktuellen Situation mit einer wankenden Rechtsregierung und des großen Erfolges des ersten Generalstreiks Ende April eine „historische Pflicht“ sei und nun erst recht durch massenhafte Vorbereitungsaktionen und –aktivitäten von der Basis der Gewerkschaftsbewegung her angegangen werden müsse – dies hier als ein Beispiel von vielen, ähnlich orientierten Stellungnahmen verschiedenster linker Strömungen und Basisgewerkschaften.
- „Força Sindical e UGT recuam da greve geral para aceitar as reformas“ von Diana Assunção am 22. Juni 2017 bei Esquerda Diario ist ein Beitrag vom Tage des Treffens einiger Verbände mit der Regierung, in dem vor allem der zweit- und drittgrößte Verband des Landes, FS und UGT, für ihr Verhalten kritisiert werden für ihren Verrat, wie es die Autorin bezeichnet, aber auch CUT und CBT (die jeweils der PT und der KPB nahe stehenden Verbände) für ihre Reaktionen, mit einer neuen „Sprachregelung“ anstelle des Generalstreiks – den müsse, so eine Schlussfolgerung, die stellvertretend für viele steht, die Basis in die eigene Hand nehmen, solle er wirklich stattfinden.
- „Manifesto às centrais sindicais defende greve geral do dia 30 de junho“ am 22. Juni 2017 ebenfalls bei Esquerda Online ist die Dokumentation einer Initiative aus dem Bundesstaat Rio de Janeiro, mit der zahlreiche Einzelgewerkschaften vor allem aus Rio Stadt und dem benachbarten Niteroi sich an das Treffen der nationalen Verbände zwei Tage später richteten, und darin forderten „auf jeden Fall“ den nötigen und möglichen Generalstreik zu beschließen und das auch deutlich zu machen, denn ein direkter Aufruf dazu würde in der aktuellen Situation die Mobilisierung erleichtern – ähnliche Initiativen gab es etwa auch in den Bundesstaaten Minas Gerais und Rio Grande do Sul.
- „Comitês da Zona Sul de São Paulo exigem manutenção da greve geral“ am 22. Juni 2017 bei Esquerda Diario dokumentiert, ist der Offene Brief an die Vorstände der Gewerkschaftsverbände von den Kampfkomitees aus São Paulo, mit dem die Beibehaltung des Aufrufs zum Generalstreik gefordert wird. Diese Kampfkomitees (deren Zusammensetzung am Ende dokumentiert wird) waren beim ersten Generalstreik ein wichtiger Faktor bei der Mobilisierung weit über den gewerkschaftlichen Rahmen hinaus und umfassen von anarchosyndikalistischen bis zu sozialdemokratischen Strömungen und Gruppierungen eine breite Palette innergewerkschaftlicher Strömungen.
- Siehe dazu zuletzt: „[30. Juni 2017] Zweiter Generalstreik in Brasilien beschlossen“ am 08. Juni 2017 im LabourNet Germany