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Das Leder rollt fürs Kapital…

Unser Team für die WM. Plakat der Düsseldorfer Lateinamerika Gruppe "Alerta!"

Unser Team für die WM. Düsseldorfer Lateinamerika Gruppe „Alerta!“

… selbst wenn es längst kein Leder mehr ist: Zutreffen tut dieser Satz – Überschrift auf Flugblättern zur WM in der BRD 1974 – allemal immer noch.  Das Sonderthema des LabourNet Germany vom 12. Juni 2014 aus Anlass des WM-Beginns.

Das Leder rollt fürs Kapital…

… im Gegensatz zu den Bekundungen der brasilianischen Regierungspartei PT will die politische Rechte diese WM. Denn weder gehören die Eventmanager der FIFA zur Linken, noch die dubiosen Vereinigungen adidas, Nike und Co, noch gar brasilianische Multis wie Gerdau, Odebrecht oder Correia Camargo. Die ganze Klientel der Rechten verdient daran, der Nationalismus wird weiter salonfähig gemacht – und demokratische Rechte, ganz wie im  Austeritätseuropa, (hier, einstweilen?: vorübergehend) abgeschafft.

Dass die politische Rechte diese WM will, wird auch in dem Artikel A direita quer a copa externer Link von Renato Nucci Jr am 10. Juni 2014 beim Correio da Cidadania deutlich, worin der Autor ausführlich die Positionen der Opposition von Rechts, wie sie in den großen Medien vertreten wurden dokumentiert. Oder aber auch so: „Oh, da steckt sehr viel Logik dahinter. Keine ökonomische, sondern eine politische Logik. Der Gouverneur von Mato Grosso etwa war bis vor einigen Jahren der König des Soja. Er hat nach wie vor enorme politische Macht und großen Einfluss in Brasília. Es war also ein politischer Gefallen, dass der weltgrößte Soja-Produzent sein Weltcup-Stadion bekommt“ – wie es Christopher Gaffney, Dozent an der Landesuniversität von Rio de Janeiro im Gespräch «Die Städte werden brennen, … externer Link in der Ausgabe Juni 2014 der SoZ sagt. Wobei er den Brand voraussagt für den Fall, dass Brasilien nicht gewinnt…

In seinem Beitrag Die weissen Herren kehren zurück externer Link fasst Carlos Hanimann am 12. Juni 2014 in der WoZ noch einmal die gesellschaftlichen Umstände dieser 20. Fußball WM zusammen und beginnt dies so: „Trotz rasantem sozialem und ökonomischem Aufstieg ist Brasiliens Bevölkerung aufgebracht. Die Weltmeisterschaft im Land des Fussballs wird die teuerste aller Zeiten, nie verdiente die Fifa mehr Geld“.

Und wenn – zu Recht – in diesen  Tagen viel die Rede ist (und auch hier sein wird) von Polizei und Armee, von Sondergesetzen und Medienkampagnen so sollte man andrerseits nicht übersehen, dass alle Register der Beruhigung gezogen werden. In den letzten Wochen und erst recht Tagen hatte die Obdachlosenbewegung MTST massive Demonstrationen vor allem in São Paulo organisiert, aufgrund derer nun die Bundesregierung einige ganz massive Zusagen (inklusive Verbesserungen an ihrem eigenen Bauprogramm „mein Haus – mein Leben“) gemacht hat, wie die Pressemitteilung MTST tem reivindicações atendidas e promete seguir nas ruas externer Link des MTST vom 09. Juni 2014 (hier dokumentiert bei Jornalismo B) unterstreicht – wie auch unterstrichen wird, dass man weiterhin auf der Straße sein werde…

Lokale Proteste, auch kleinerer Art gab es in den letzten Tage jede Menge, hier als eines der vielen möglichen Beispiele eine Fotostrecke von der Aktion Congresso do Povo – Copa das Tropas externer Link am 10. Juni 2014 bei indymedia. Einen ungefähren Überblick über die aktuellen Auseinandersetzungen gibt beispielsweise das Interview Fußball ist geil, aber… – Im Gespräch mit einer brasilianischen Aktivistin externer Link am 11. Juni 2014 bei der Freiheitsliebe, worin Alessandra Lacerda von der PSOL auch die aktuellen Streiks bei der Petrobras nennt.

Streiks im Nahverkehr und im öffentlichen Dienst

Protest für entlassene Metrostreikende in BrasilienWie die streikenden LehrerInnen von Rio, die kurzfristig den Bus der Nationalmannschaft blockierten (siehe dazu Selecao mit wütenden Protesten empfangen externer Link am 27. Mai 2014 bei You Tube) – und dafür bei der nächsten Demonstration zusammengeknüppelt wurden (LabourNet berichtete) – so sind auch die streikende Metrobeschäftigten von São Paulo der WM „zu nah“ gekommen: Das Unternehmen war bereit, die wegen des Streiks Entlassenen wieder einzustellen, der Gouverneur des Bundesstaates legte sein Veto ein. Gestern haben mehr als 1500 TeilnehmerInnen der Gewerkschaftsversammlung darauf verzichtet, den Streik, der am Montag ausgesetzt worden war, wieder aufzunehmen und haben stattdessen eine möglichst breite Kampagne für die Wiedereinstellung der 42 entlassenen KollegInnen beschlossen – von denen zufälligerweise 11 Mitglied des Gewerkschaftsvorstandes sind. Metroviários não param na 5ª. Aprovada grande campanha pela readmissão dos 42 externer Link – das ist die Pressemitteilung der Gewerkschaft der Metroviarios vom 11. Juni 2014, in der diese Beschlüsse bekannt gemacht werden – der Beschluss gegen die Fortsetzung des Streiks sei „mit großer Mehrheit“ gefasst worden. Onze diretores estão entre os demitidos por justa causa, diz sindicato externer Link ist die Meldung vom 11. Juni 2014 beim Portal R7 über die Vorstandsmitglieder unter den Entlassenen. Aber nicht nur in der grössten Stadt des Kontinents ist die Lage angespannt – überall, quer durchs Land gibt es Proteste, Streiks und Demonstrationen, auch wenn sie nicht die Größe und Wucht aus dem letzten Jahr erreichen, bisher. Über São Paulo und die dortigen Aktionen wurde auch im LabourNet relativ viel berichtet – in der Aufmerksamkeit auch wegen des Eröffnungsspiels – und wegen des teueren Baus eines dritten Großstadions für die WM.  Die Vorzüge für die umliegenden Stadtteile werden in dem Beitrag Próximo ao Itaquerão, Jardim Helian encara uma Copa sem legado social externer Link von Gabriel Brito und Paulo Silva Junior am 06. Juni 2014 im Correio da Cidadania geschildert: Keine, im Gegenteil, aber etwa Ausweispflicht auch für AnwohnerInnen und faktisches Besuchsverbot. Von den viel erwähnten strukturellen Verbesserungen „für die Zeit danach“ zumeist für den Nahverkehr vorhergesagt: Nichts zu sehen, zumeist noch nicht einmal fertig. Bauten für WM in Brasilien erst zur Hälfte fertig externer Link heisst der Artikel von Claudia Fix am 10. Juni 2014 bei amerika21.de, worin dieser Aspekt so bilanziert wird: „Mindestens die Hälfte der im Zusammenhang mit der WM geplanten Bauprojekte sind jedoch noch nicht abgeschlossen und werden frühestens Ende 2014 zur Verfügung stehen“.

„Fallstudie“ Natal

Das zweite Spiel dieser WM findet am Freitag in Natal statt, Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do Norte: Heute, am Donnerstag, streiken die Busfahrer. Natal tem greve de ônibus, médicos e guardas; Exército vai às ruas na Copa externer Link heisst der Artikel von Bruno Thadeu am 11. Juni 2014 beim UOL Portal – Streiks der Busfahrer, der angestellten Ärzte und der Wachmänner finden heute statt – in „Anwesenheit“ von 4.700 Soldaten aller Waffengattungen… Natal: Prefeito Carlos Eduardo pede na Justiça a proibição de passeatas e greves, como na ditadura externer Link – die Meldung bei der CSP Conlutas am 09. Juni 2014 kritisiert den Vorstoß des Bürgermeisters von Natal, ein komplettes Streik- und Demonstrationsverbot während der WM bei der Justiz zu beantragen. Womit der Politiker der PDT die aktuelle bundesweite Sondergesetzgebung besonders extrensiv auslegen möchte. In dem Beitrag Lei da Copa: uma afronta ao ordenamento jurídico brasileiro externer Link stellt der Rechtsanwalt und Autor João Clair am 10. Juni 2014 beim brasilianischen Indymedia deutlich heraus, wie die aktuellen Verfügungen gegen die Verfassung Brasiliens verstoßen. Er hebt dabei vor allem zwei grundsätzliche Verstöße hervor: Zum einen, dass ein Sondergesetz erlassen wird, das auf der Basis privater Verträge entstand, was der Festlegung  widerspricht, Gesetze müssten dem öffentlichen Interesse entsprechen. Zum anderen, dass die Menschen, die in den Stadien benachbarten Stadtteilen wohnen in ihrer Freiheit der Bewegung durch Ausweiskontrollen und Zugangsverbote entscheidend behindert werden.

Der Zuschauerschnitt der brasilianischen Meisterschaft: Niedriger als in den USA…

Brasilien: Demo auf dem Weg zum EröffnungsstadionJuca Kfouri ist der wohl bekannteste Sportjournalist Brasiliens – und hat diese WM „als total verrückter Fußballfan“ von Beginn an kritisiert. („Schuld an dieser sozialen Katastrophe ist nicht die FIFA, sondern wir, dass wir ihren Erpressungen im Dienste der Sponsoren nachgeben“ sagte er bei der Vergabe). Er verweist unter anderem darauf, dass ein Besuch in einem Stadion – „wenn die Stehplätze abgeschafft werden, wird der Volkssport abgeschafft“ – in Richtung unbezahlbar geht, nicht nur für Arme, auch zunehmend für Durchschnittsverdiener. Das ausführliche Interview ‘Teremos duas Copas do Mundo: uma com as imagens bonitas da FIFA e outra tensa, das ruas’ externer Link am 10. Juni 2014 beim Correio da Cidadania ist der Versuch einer grundsätzlichen Analyse des gesellschaftlichen Prozesses, der sich in den Protesten vom Juni 2013 gezeigt hatte. Wobei Kfouri besonders Wert darauf legt, dass es eben neben der weit verbreiteten Kritik an den Kosten dieser WM – und dem entsprechenden Finanzmangel in wichtigeren Bereichen – auch einen weiteren Grund für diese Proteste gibt, dass nämlich der Fußball vom Volkssport zum Elitensport werden soll, weil sich dadurch mehr Profit erzielen lasse.

Dass er damit keineswegs alleine steht kann man auch so lesen: “Eles levaram a luta de classes para dentro dos estádios e não querem uma reação?” (Sie haben den Klassenkampf ins Stadion gebracht und wollen keine Reaktion darauf?) –  so schreibt es, als eines von vielen möglichen Beispielen in dem Beitrag Minha segunda primeira vez am 23. Mai 2014 Gabriel Brito bei Central3 über seinen ersten Besuch im neuen (Eröffnungs-)Stadion von Corinthians. Oder auch in Parabéns, Lula, Cabral, Paes e Dilma! Vocês venceram! externer Link Douglas Carrara am 11. Juni 2014 im brasilianischen Indymedia – Glückwünsche zum Sieg über den Fußball…

Wobei Ereignisse, wie die Vergabe des Turniers an ein bestimmtes Land nur die Spitze des Eisbergs sind, wenn auch eine kräftige Spitze – auch bei der Vergabe für 2006 an die BRD rankten sich Gerüchte um die „13. Stimme“ (Südafrika bekam damals 12) aus Neuseeland – und erst recht um Katar. Etwa so: „Aktuelle Vorwürfe in der Affäre um die Vergabe der Fußball-WM 2022 an Qatar werfen erneut Fragen zur etwaigen Einflussnahme Berlins auf die Entscheidung auf. Aktuelle Presseberichte beleuchten die bislang unklare Rolle, die der langjährige deutsche Fußball-Funktionär Franz Beckenbauer in der Affäre spielte. Bereits vor einiger Zeit hat FIFA-Chef Sepp Blatter berichtet, „europäische Länder“ hätten erheblichen Druck ausgeübt, für Qatar zu votieren – dabei habe sich insbesondere Deutschland hervorgetan. Aussagen von Beteiligten legen nahe, dass der damalige Bundespräsident Christian Wulff Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen versuchte. Von den Baumaßnahmen, die für die Fußball-WM in Qatar notwendig sind, profitieren zahlreiche deutsche Unternehmen; vergleichbare Aufträge hätten sie kaum erhalten, wäre die WM an die USA vergeben worden, die sich gleichzeitig mit Qatar beworben hatten“ – aus dem Beitrag Fußball in der Wüste externer Link bei German Foreign Policy  11. Juni 2014.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=60007
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