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Bosnische Wirkungen: Auf die Nachbarstaaten sowieso – aber auch grundsätzlicher Art?

Bosnien und Herzegowina: „Das ist keine Revolte mehr, das ist die Revolution!“Vom österreichischen Außenminister über den ORF-Korrespondenten aus Sarajevo bis zu diversen berufsbosnischen Kommentatoren macht man sich den gleichen Reim auf die Geschehnisse im EU-Protektorat: Die Bevölkerung habe die Nase voll von nationalistischen Phrasen und Korruption. Arbeitslosigkeit, Stagnation und archaische Verbohrtheit hindere die Bosnier daran, so erfolgreich und glücklich zu sein wie wir. Man müsse bloß eine parasitäre Schicht von den Futtertrögen der Macht vertreiben, dann könne endlich die Demokratie ausbrechen. Kein einziges Mal wird in Erwägung gezogen, dass sich der Unmut vieler Bürger und Bürgerinnen Bosnien-Herzegowinas nicht nur gegen ihre „politische Klasse“ richten könnte, sondern auch gegen die internationale Verwaltung und die Auflagen der diversen EU- und IWF – Austeritätsprogramme, welche ihre Not mitverschuldet haben“ – aus dem Essay Am bosnischen Wesen könnte Europa genesen externer Link von Richard Schuberth am 21. Februar 2014 im österreichischen Standard, der Beitrag dieser kleinen Sammlung, der unsere leitende Frage am deutlichsten stellt.

Auch dies gehört dazu: „Was jetzt in Bosnien-Herzegowina passiert, ist neu und radikal. Die Tatsache, daß die Leute zusammenkommen und ihre Bedürfnisse kollektiv zum Ausdruck bringen, ist das Gegenteil der allgemeinen Passivität und Lethargie, die in der bosnischen Gesellschaft 20 Jahre lang dominierte. Außerdem haben die Bürger die herrschende politische Elite zum ersten Mal das Fürchten gelehrt. Die Ministerpräsidenten von vier Kantonen haben bereits ihren Rücktritt eingereicht und die Plena haben den Kantonalparlamenten Forderungen mit einer Frist für die Umsetzung übermittelt. Die Bürger sind gestärkt, sie sind besser in der Lage, ihre Bedürfnisse zu artikulieren und sich selbst als Kollektiv zu sehen. Das könnte zu einer Verschiebung im politischen System von Bosnien-Herzegowina führen“ – aus dem Interview »Die politische Elite das Fürchten gelehrt« externer Link von Raoul Rigault mit Medina Malagic (Sarajewo Times) am 24. Februar 2014 in der jungen welt.

Wir müssen abwarten, ob einige diese Forderungen tatsächlich in die Tat umgesetzt werden. Bisher scheinen alle glücklich zu sein, dass die Gewalt aufgehört hat. Aber die Frage nach dem Verhältnis der Plena zu den anderen Auseinandersetzungen ist noch offen“ – eine Fragestellung, die nicht nur ausgesprochen wichtig zu sein scheint, sondern gerade für die Frage der Wirkungen anderswo bedeutend, vom Autor verbunden mit einer Kritik am Plenum von Tuzla (weil dieses die ursprünglichen Forderungen der Belegschaften mehrerer Betriebe nicht aufgenommen haben) in dem Artikel Was passiert in Bosnien? externer Link von Juraj Katalenac (ursprünglich auf englisch am 11. Februar 2014 in den Insurgent Notes, worauf wir bereits verlinkt hatten, hier in der deutschen Übersetzung von Wildcat).

Auch in dem Beitrag Bosnia and Herzegovina: all power to the plenums? externer Link von Mate Kapović am 22. Februar 2014 im Roarmag steht, wie schon die Überschrift zeigt die Frage der Plenen im Mittelpunkt, wobei unter anderem darauf verwiesen wird, dass einige der Organisatoren von Plenen ausdrücklich Bezug nehmen auf die kroatischen Studentenproteste von 2009: „The protesters who are organizing the plenums in Bosnia and Herzegovina openly acknowledge that they are using the experiences of the Croatian student movement and their how-to-make-a-general-assembly manual called The Occupation Cookbook“.

In dem Beitrag Les Balkans pour les peuples des Balkans externer Link von Andreja Zivkovic und Matija Medenica am 24. Februar 2014 bei Europe Solidaire dokumentiert, wird versucht, Proteste und Perspektiven in die Entwicklung des gesamten Exjugoslawien einzuordnen, und argumentieren nur eine neue Balkanföderation könne der Schuldensklaverei ein Ende machen.

Der Beitrag A Revolution on the Periphery of Europe externer Link von Mate Kapović am 25. Februar 2014 bei The Bullett versucht diese Proteste in die Kette weltweiter Entwicklungen seit 2008 einzuordnen: „However, this uprising in Bosnia is also an integral part of the world uprisings in the last couple of years. After the outbreak of the economic crisis in 2008 and a few years of initial shock, a wave of great protests and uprisings began in 2011 with the Arab Spring, the Indignados in Spain and Occupy Wall Street in the United States“.

Die andere Seite der überregionalen Auswirkungen der bosnischen Kämpfe ist mit folgendem Zitat – und daraus folgenden Konsequenzen – bestimmt: „Der gesamte Bankensektor in BiH liegt in der Hand österreichischer Banken wie der Bank Austria, der Hypo Alpe Adria und der Raiffeisen Bank. Ebenso sind die Versicherungen in österreichischer Hand (Uniqa, der Vienna Insurance Group und Grazer Wechselseitige). Insgesamt ist Österreich für ein Fünftel der Direktinvestitionen in Bosnien verantwortlich. Das Investitionsvolumen Österreichs liegt nach offiziellen Zahlen bei 1 Milliarde Euro. Es ist somit mehr als lukrativ für die parasitären österreichischen Kapitalisten in BiH ihre Schmarotzerfunktion mit Hilfe von Soldaten abzusichern. Denn die derzeitigen Aufstände sind dafür ein Risikofaktor“ – aus dem Artikel Österreichische Soldaten – Raus aus Bosnien und dem gesamten Balkan! externer Link von Nina Gunić am 26. Februar 2014 dokumentiert bei scharf links, was nach den bereits dokumentierten Drohungen des EU Beauftragten die notwendige Schlussfolgerung ist.

Zusammengestellt von hrw, 27. Februar 2014

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=54031
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