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„Es giebt keine Sozialdemocraten hier!“ Der Verein und die Zeitung „Vorwärts“ in Buenos Aires: ein unbekanntes Kapitel deutsch-argentinischer Geschichte
„„Was wir wollen, das ist ernst und würdig unsere Forderungen erheben, die Einheit und festere Organisirung der Arbeiter fördern, um durch ein festliches Gepräge, und sei es auch nur am Abend, dem internationalen Arbeitertag eine höhere Weihe zu geben.“ Mit diesen Worten ruft die Zeitung Vorwärts im Jahr 1891 dazu auf, den 1. Mai in Buenos Aires zu feiern. Und das nicht zum ersten Mal: Bereits im Jahr zuvor hatte der Verein Vorwärts, Herausgeber der gleichnamigen Zeitung, die Initiative ergriffen, die Beschlüsse des Internationalen Arbeiterkongresses in die Tat umzusetzen. Dort hieß es, dass die Arbeiter*innen in ihren jeweiligen Ländern jedes Jahr am 1. Mai demonstrieren sollten, um weltweit der Forderung nach einem achtstündigen Arbeitstag Ausdruck zu verleihen. Zu diesem Zweck gründete der Vorwärts ein internationales Komitee, das die Kundgebung vorbereitete und erfolgreich durchführte. Damit schrieben sich Verein und Zeitung Vorwärts in die Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus in Argentinien ein…“ Artikel von Jessica Zeller in der Ila Nr 477 vom Juli/August 2024:
„Es giebt keine Sozialdemocraten hier!“
Der Verein und die Zeitung „Vorwärts“ in Buenos Aires: ein unbekanntes Kapitel deutsch-argentinischer Geschichte
„Was wir wollen, das ist ernst und würdig unsere Forderungen erheben, die Einheit und festere Organisirung der Arbeiter fördern, um durch ein festliches Gepräge, und sei es auch nur am Abend, dem internationalen Arbeitertag eine höhere Weihe zu geben.“ Mit diesen Worten ruft die Zeitung Vorwärts im Jahr 1891 dazu auf, den 1. Mai in Buenos Aires zu feiern. Und das nicht zum ersten Mal: Bereits im Jahr zuvor hatte der Verein Vorwärts, Herausgeber der gleichnamigen Zeitung, die Initiative ergriffen, die Beschlüsse des Internationalen Arbeiterkongresses in die Tat umzusetzen. Dort hieß es, dass die Arbeiter*innen in ihren jeweiligen Ländern jedes Jahr am 1. Mai demonstrieren sollten, um weltweit der Forderung nach einem achtstündigen Arbeitstag Ausdruck zu verleihen. Zu diesem Zweck gründete der Vorwärts ein internationales Komitee, das die Kundgebung vorbereitete und erfolgreich durchführte. Damit schrieben sich Verein und Zeitung Vorwärts in die Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus in Argentinien ein.
Das historische Verdienst des Vorwärts wird praktisch in jeder Veröffentlichung zum Thema erwähnt. Doch parallel dazu entwickelten sich die deutschen Sozialisten [1] in Argentinien zu einer Art Mythos. Viele Autor*innen vertraten in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass es sich bei den deutschen Sozialisten um Personen gehandelt habe, die in marxistischer Theorie bewandert waren. Wirklich belegt werden konnte das nicht. Grund dafür war, dass die entscheidende Quelle, die Zeitung Vorwärts, die 15 Jahre lang (1886-1901) in Buenos Aires in deutscher Sprache erschien, schwer zugänglich war und erst seit vergleichsweise kurzer Zeit auch auf Spanisch verfügbar ist.
Emigration deutscher Sozialisten nach Argentinien
Gegründet und herausgegeben wurde die Zeitung Vorwärts in Buenos Aires von Sozialisten, die aus Deutschland emigriert waren. Dort hatte sich 1875 die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) gegründet, die sich ab 1890 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) nannte. Die Sozialist*innen in Deutschland waren zu diesem Zeitpunkt keineswegs Industriearbeiter*innen in den großen Fabriken, die vielerorts gerade im Entstehen begriffen waren, sondern (teils selbständige) Kleinhandwerker*innen und Arbeiter*innen in kleineren Betrieben, deren Existenz von der wirtschaftlichen Modernisierung unmittelbar bedroht war. Sie traten für radikale demokratische Reformen ein. Der Staat wurde nicht als Feind, sondern als Verantwortlicher begriffen, der für die Integration und den Fortschritt der gesamten Bevölkerung zu sorgen habe. Reichskanzler Bismarck antwortete mit einer Politik aus „Zuckerbrot und Peitsche“. Zum einen führte er eine umfangreiche Sozialgesetzgebung ein. Zum anderen erließ er das repressive „Sozialistengesetz“, das sozialistische Aktivitäten und Publikationen verbot. Personen, die gegen das Gesetz verstießen, wurden hart bestraft und teilweise des Landes verwiesen. Andere entschlossen sich direkt auszuwandern. Ihr Ziel war zum Beispiel die Schweiz, in der sozialistische Zeitschriften weiter publiziert wurden und über ein verdecktes Verteilersystem auch nach Deutschland gelangten. Doch nicht alle, die aus Deutschland emigrierten, blieben in Europa. Die Mehrheit derjenigen, die den Kontinent verließen, ging in die USA und spielte eine wichtige Rolle beim Entstehen der dortigen Arbeiter*innenbewegung. Eine andere Gruppe wanderte nach Argentinien aus und gründete in Buenos Aires gemeinsam mit anderen bereits dort lebenden Deutschen im Januar 1882 den Verein Vorwärts. Der Verein besaß eine eigene Leihbibliothek und bezog verschiedene Zeitungsabonnements aus Deutschland, der Schweiz und den USA. In den Anfangsjahren organisierte er fast wöchentlich Veranstaltungen zu politischen und wirtschaftlichen Themen, die jedoch mit der Zeit immer weniger wurden und durch Tanz- und Theaterabende ersetzt wurden.
Ausdrücklich bezog sich der Vorwärts auf die SAP beziehungsweise die SPD. In den einschlägigen Werken über die Anfangszeit der SAP und die ihr nahestehenden Gewerkschaften findet man jedoch kaum biografische Hinweise auf den Vorwärts. Ausnahme ist Adolf Uhle, der den illegalen Vertrieb sozialistischer Zeitschriften, die im Ausland erschienen, nach Deutschland aufbaute und später nach Argentinien auswanderte. Uhle war dann auch erster Leiter der Verwaltung und Redaktion der Zeitung „Vorwärts. Organ für die Interessen des arbeitenden Volkes“. Zwischen dem 2. Oktober 1886 und dem 15. März 1901 erschienen in Buenos Aires insgesamt 696 Ausgaben. Die Herausgeber verstanden den Vorwärts als Teil der im Entstehen begriffenen internationalen sozialistischen Bewegung und als Sprachrohr der Arbeiter und Kleinhandwerker. Bis auf sehr wenige Ausnahmen, zum Beispiel Artikel von besonderer Wichtigkeit (etwa das Manifest vom 1. Mai 1890) oder einige Werbeanzeigen, veröffentlichte der Vorwärts ausschließlich auf Deutsch. Seinen Namen übernahm er von der gleichnamigen sozialdemokratischen Zeitung, die bereits vor und dann wieder nach 1891 in Deutschland erschien, nachdem die Sozialistengesetze aufgehoben worden waren.
Autoren und inhaltliche Ausrichtung
Namentlich genannte Autoren im Vorwärts waren etwa der studierte Bauingenieur Germán (Hermann) Avé-Lallemant, der 1868 nach Argentinien kam und zahlreiche Artikel für den Vorwärts verfasste. Daraus geht seine genaue Kenntnis über die Lage in den argentinischen Provinzen und ihre agrarisch geprägte Wirtschaftsstruktur klar hervor. Außerdem war er ein fundierter Kenner und Bewunderer des Werks von Karl Marx, weswegen man ihn als den „Theoretiker“ unter den Autoren des Vorwärts bezeichnen kann. Avé-Lallemant war 1890 auch einige Monate Chefredakteur der vom ersten argentinischen Gewerkschaftszusammenschluss Federación Obrera herausgegebenen Zeitung El Obrero, zu Deutsch: Der Arbeiter. Ebenfalls aktiv bei Zeitung und Verein Vorwärts war Augusto Kühn, der als Drucker arbeitete. Er bereitete den 1. Mai 1890 in Buenos Aires mit vor und folgte Avé-Lallemant im Vorstand und als Chefredakteur bei El Obrero. Später war Kühn aktiv an der Gründung der Sozialistischen Partei Argentiniens beteiligt und zeitweise Redakteur bei der Parteizeitung La Vanguardia. Gemeinsam mit dem damaligen Parteivorsitzenden Juan B. Justo arbeitete Kühn an der spanischen Übersetzung von „Das Kapital. Erster Band“, die 1898 in Argentinien erschien. Allerdings erschienen theoretische Texte im Vorwärts nur selten. Die wenigen Artikel von Leitfiguren der deutschen Sozialdemokratie dienten weniger zur Rezeption und Verbreitung von Ideen, sondern standen meist im Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen, etwa dem Todestag einer herausragenden Persönlichkeit oder dem Jahrestag eines wichtigen Ereignisses. Ein „typischer“ Vorwärts hatte auf der Titelseite ein bis zwei Artikel von besonderer Wichtigkeit, die sich mit verschiedenen Aspekten der argentinischen Gegenwart, politisch-strategischen Fragen und Entwicklungen in der europäischen Arbeiterbewegung auseinandersetzten. Es folgte die Rubrik „Rundschau“ mit kürzeren Texten aus dem Ausland, „Vermischtes“ mit kuriosen und humorvollen Meldungen, Glossen und kurzen Gedichten sowie „Kabelnotizen“ mit Meldungen aus aller Welt. Großen Raum nahm das Feuilleton ein, das dazu diente, die Leser*innenschaft, insbesondere die weibliche, gleichermaßen zu unterhalten und zu belehren. Es folgte ein Anzeigenteil.
Grenzgänger im fremden Land
Wie ist nun die Rolle des Vorwärts zu bewerten? Sicherlich waren die deutschen Sozialisten Pioniere des Sozialismus und der Arbeiterbewegung in Argentinien. Und doch blieben sie Grenzgänger im fremden Land. Sie mussten sich entscheiden: Entweder blieben sie dem deutschen (politischen) Erbe treu, verhinderten damit aber eine wirkliche Transformation, oder sie gelangten von der deutschen zu einer argentinischen Identität und ließen sich wirklich auf die Situation in Südamerika respektive Argentinien ein. War man in den Anfangsjahren noch darauf bedacht, in Argentinien aktiv zu sein, womöglich auch durch die Unmittelbarkeit der deutschen politischen Erfahrung und die Formierung der „Zweiten Internationale“ bestärkt, setzte sich später immer mehr eine fast schon konservative Haltung durch. Wirklich engagierte und politisierte Personen verließen den Vorwärts und orientierten sich in Richtung argentinischer beziehungsweise internationaler Sozialismus, so zum Beispiel Augusto Kühn. Zurück blieb, überspitzt gesagt, ein Verein mit dem Fokus als Treffpunkt für deutsche Einwanderer*innen, der zudem kaum mehr im Widerspruch zu anti-sozialistischen Positionen stand. So bezieht sich der Titel dieses Textes „Es giebt keine Sozialdemocraten hier!“ auf einen gleichnamigen Artikel im Vorwärts zur Teilnahme mehrerer Vereinsmitglieder an einer Feier zu Ehren Bismarcks in Buenos Aires im Jahr 1895. Übrig blieb eine inhaltlich immer mehr entleerte Zeitung, die einst als politisch engagierte Publikation gestartet war. Im Jahr 1901 wurde der Vorwärts aus „ökonomischen“ Gründen schließlich ganz eingestellt.
Artikel von Jessica Zeller in der Ila Nr 477 vom Juli/August 2024
Anmerkung:
1) In die Gründung des Vereins und bei der Zeitung Vorwärts waren soweit bekannt ausschließlich Männer involviert.
- Die Autorin ist Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Sie verfasste 2004 über den damals fast unbekannten Vorwärts ihre Diplomarbeit und gab 2008 gemeinsam mit Sandra Carreras (IAI-SPK) und Horacio Tarcus (CeDinCi) eine kommentierte deutsch-spanische Sammlung ausgewählter Texte der Zeitung heraus
- Die Sommerausgabe der ila Nr 477 vom Juli/August 2024 hat den Themenschwerpunkt „Deutsche in Lateinamerika“. Siehe Editorial samt Inhaltsübersicht
- Der Schwerpunkt der ila 477 hat einen Umfang von 30 Seiten (das gesamte Heft 54 Seiten). Die Juli/August-Ausgabe kann zum Preis von 6,00 Euro bei der ila (Heerstraße 205, 53111 Bonn, 0228-658613, ila-bonn@t-online.de, www.ila-web.de ) bestellt werden – wir können ein Abo nur empfehlen und danken der Redaktion für die Freigabe!