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Warum die Massenproteste in Algerien so dauerhaft sind
„… Das Alltagsleben in Algerien ist durch soziale, branchenspezifische und korporatistische Kämpfe geprägt. Der Sozialpolitik fehlt die Kohärenz, sie erzeugt neue soziale und territoriale Ungleichheiten. Die vor allem im Süden des Landes sehr aktive Erwerbslosenbewegung hat besonders deutlich aufgezeigt, wie soziale mit territorialen Ungleichheiten einhergehen. Die Wohnungsbauprogramme wurden zu Auslösern zahlreicher, häufig gewalttätiger Proteste. Das Entstehen neuer Elendsviertel an den Rändern der Städte zeigte weitere Grenzen dieser Wohnungspolitik auf. Streiks, Straßenblockaden und Aufstände haben das Alltagsleben in den letzten Jahren geprägt. Wissenschaftler*innen haben ermittelt, dass es 2010, in einem für die Proteste besonders herausragenden Jahr, im ganzen Land nicht weniger als 9.700 Demonstrationen gab, bei denen es zu Gewalt kam: das sind nicht weniger als 26 pro Tag...“ – aus dem Beitrag „Der Hirak und die Krise des neopatrimonialen Systems in Algerien. Auf dem Weg zu einer zweiten Unabhängigkeit?“ von Saïd Belguidoum in der Ausgabe 27/2020 von Sozialgeschichte Online zur Analyse des Systems und der langen Vorgeschichte der heutigen Proteste. Siehe dazu auch zwei weitere Hintergrundbeiträge – über die Gewerkschaften in Algerien und ihre Rolle bei diesen Protesten und über die Entwicklungen an den Universitäten des Landes, die ein Zentrum der Bewegung waren und sind:
- „Algeria: Trade Unions and the Hirak“ von Samir LARABI und Shelagh Smith am 03. Juni 2020 bei Europe Solidaire dokumentiert, befasst sich ausführlich mit der Rolle der Gewerkschaften in der aktuellen Protestbewegung. Dabei befasst er sich sowohl mit den Entwicklungen innerhalb des Gewerkschaftsbundes UGTA, wo es eine regelrechte Rebellion der Gewerkschaftsbasis gab, die die vorherigen Leitungsstrukturen und ihre Repräsentanten, allesamt Bestandteil des Regimes regelrecht wegfegten, als auch mit den unabhängigen Gewerkschaften, die von Beginn an zwar eine positive Haltung zu den Massenprotesten eingenommen hätten, ohne jedoch ein wesentlich eigenes „Profil“ im Namen von rund 9 Millionen Menschen in Algerien „einzubringen“, die die ArbeiterInnenklasse ausmachten.
- „Algeria: Students Build Unity in Struggle“ von Samir LARABI ebenfalls am 03. Juni 2020 bei Europe Solidaire dokumentiert, befasst sich ebenfalls ausführlich mit den Entwicklungen an den Universitäten Algeriens im Rahmen der Protestbewegung. Dabei steht die Gründung zahlreicher Koordinierungs-Komitees an verschiedenen Universitäten und deren Wirken im Zentrum, das einerseits geprägt war von beeindruckender Mobilisierungsfähigkeit, andererseits aber auch von einer hier deutlicher als anderswo werdenden Auseinandersetzung zwischen verschiedenen oppositionellen Strömungen.