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Afrika – Meisterschaft und Ebola: Vorsicht – oder Diskriminierung?
Artikel von Bernard Schmid vom 23. Oktober 2014 – die ausführlichere Fassung eines zunächst in der jungle world erschienen Beitrags
Wenn ein Fußballereignis gefährdet ist oder gar auszufallen droht, spürt man, dass etwas wirklich Wichtiges passiert. Auch auf dem mehrheitlich fußballbegeisterten afrikanischen Kontinent lässt sich diese Behauptung aufstellen. Nun könnte der Africa Cup of Nations – oder französisch Coupe africaine des nations (CAN) -, der vom 17. Januar bis 8. Februar kommenden Jahres in Marokko stattfinden sollte, ernsthaft gefährdet sein.
Die Ausbreitung der Ebola-Epidemie in Westafrika, die nach wie vor nicht unter Kontrolle gekommen ist, lässt die marokkanischen Behörden zögern. Laut Informationen der spanischen Tageszeitung El Pais hat das nordafrikanische Königreich am 10. Oktober bei den zuständigen Sportfunktionären beantragt, das Ereignis auf frühestens Juni 2015, besser aber noch auf das Jahr 2016 zu verschieben. Auf einer Tagung am übernächsten Sonntag (/ 2. November) in Algier soll darüber diskutiert werden. Unterdessen hat der Afrikanische Fußballverband jedoch bereits die Staaten Ghana und Südafrika angefragt, ob sie notfalls einspringen und die CAN noch so kurzfristig organisieren könnten. Die Republik Südafrika hatte bereits 2013 ausgeholfen, als das drei Jahre zuvor zum Gastgeber auserkorene Libyen wegen zwischenzeitlich aufgetretener Bürgerkriegswirren ausgefallen war.
Nun ist es sicherlich verständlich, dass der Name des Ebola-Virus Ängste hervorruft. Allerdings könnte das Gastgeberland auch auf weniger radikale Weise denn eine Absage der Meisterschaft dafür sorgen, dass eine Ausbreitung der Seuche auf sein Staatsgebiet verhindert wird. Denn die Ebola-Krankheit ist nur dann ansteckend, wenn die erkrankte Person bereits selbst ihre Symptome aufzeigt, wie erhöhte Körpertemperatur und häufig Flecken auf der Haut. Allerdings wurden die ersten Anzeichen oft fälschlich für Grippesymptome gehalten, was die Ausbreitung der laufenden Epidemie begünstigt hat. Das westafrikanische Land Mali etwa hat seit Monaten an seinen Flughäfen und Grenzübergängen Apparate aufgestellt, die eine sofortige Erkennung möglicher Ebola-Symbole erlauben: Reisende werden mit einer Videokamera gefilmt, die ihre Bilder auf einen Computer übertragt, welcher so programmiert ist, dass verdächtige Symptome sofort einen Alarm auslösen. Bislang hat Mali es geschafft, die Krankheit von seinem Territorium fernzuhalten. Ein erster Verdachtsfall im Februar dieses Jahres entpuppte sich als Fehlalarm.
Auch Frankreich führt seit dem Ende vergangener Woche vergleichbare Kontrollen auf dem Flughafen Charles de Gaulle-Roissy in der Nähe von Paris durch, allerdings vorerst gezielt nur für Flugpassagiere, die aus dem westafrikanischen Staat Guinea einreisen. Am Samstag musst ein Flieger kehrtmachen, weil ein Verdachtsfall gemeldet wurde, der aber in Wirklichkeit keine Ebola-Erkrankung war. Für die Republik Guinea ist dies relativ desaströs, weil nur ein einziger Linienflug zwischen Conakry und Paris verkehrt. Dabei ist die Einführung der Kontrollen in Roissy vorwiegend eine „psychologische Maßnahme“, wie die Pariser Abendzeitung Le Monde formuliert hat. Denn den Reiseverkehr aus dem westafrikanischen Ebola-Gebiet – das Teile Guineas sowie der Nachbarländer Liberia und Sierre Leona umfasst – vermag die Kontrolle nicht als solchen zu erfassen. Es genügt, dass Flugpassagiere über ein anderes Land reisten, etwa in Dakar umstiegen, um von den Kontrollen nicht erfasst zu werden. Die senegalesische Hauptstadt ist einer der Hauptknotenpunkte für den regionalen Flugverkehr. In Senegal herrscht derzeit keine Ebola-Gefahr. Ende August war ein einzelner Fall gemeldet wurde, es handelte sich um einen erkrankten Guineer, der an den Grenzkontrollen vorbei eingereist war. Heute gilt das Ebola-Risiko in Senegal als inexistent, während die Seuche am Montag in Nigeria für offiziell beendet erklärt wurde. Dort war im August durch einen Einreisenden aus Liberia ein erster Krankheitsfall vermeldet worden.
Viele Guineer sehen ihr Land einer „Stigmatisierung“ ausgesetzt, wie sie es ausdrücken. Und sie berufen sich wie Youssouf darauf, „niemand in (meiner) Umgebung zu kennen, der oder die Ebola hatte“, während man sich in Europa für die weitaus zahlreicheren Opfer nicht interessiere, die jährlich von der Malaria gefordert werden – eine Krankheit, die von Stechmücken übertragen wird, die aber nicht von Mensch zu Mensch ansteckend wirkt. Als weiteren Kritikpunkt müsste man hinzufügen, dass Frankreich trotz erklärter Bedenken gegenüber dem Reiseverkehr mit den drei hauptbetroffenen Ländern bislang keinen Abschiebestopp für diese Staaten verhängt hat. Jedenfalls keinen formalen.
Am 27. August und am 19. September verbot allerdings ein Verwaltungsgericht in Nancy jeweils Abschiebungen in Richtung Guinea, zumindest für die Dauer der Epidemie. Tatsächlich finden derzeit auch keine von Polizisten begleiteten Abschiebeflüge in die drei hauptbetroffenen Staaten statt. Allerdings werden Staatsbürger dieser Länder zugleich weiterhin abgeschoben, sofern dies über Drittstaaten möglich ist. Insbesondere über Marokko. Mitte September dieses Jahres wurden vier Einreisende aus Sierra Leona auf einen Flug nach Casablanca gesetzt, obwohl sie gar nicht von dorther eingetroffen waren. Und Anfang Oktober wurde ein über Casablanca eingereister guineischer Staatsbürger dorthin zurückgeschickt. Das Risiko ist hoch, dass die marokkanischen Behörden diese Menschen in ihre jeweiligen Herkunftsländer weiterschoben.
Das Risiko einer „Stigmatisierung“ und Isolierung der betreffenden Länder, und generell Afrikas, untermalte in der Zwischenzeit ausgerechnet der Internationale Währungsfonds (IWF). Am 11. Oktober warnte die aus Frankreich stammende IWF-Direktorin Christine Lagarde davor, „den Rest des Planeten von Afrika in seiner Gesamtheit zu verschrecken“, und forderte deswegen zu „äußerster Umsicht“ im Umgang mit diesen Ländern auf. Ihr wahres Motiv dabei lautet jedoch: The business must go on. Denn Lagarde fügte ferner auch hinzu: „Die Geschäfte müssen weitergehen, die Ökonomien der anderen Länder müssen auch weiterhin agieren und Arbeitsplätze schaffen.“
Die von ihr geleitete Finanzinstitution trug durch ihre Auflagen in „Strukturanpassungsprogrammen“ in den letzten dreißig Jahren viel dazu bei, dass die Seuche so durchschlagende Wirkung annehmen konnte wie in den letzten Monaten. Die Privatisierungsauflagen förderten etwa das Land grabbing, das zu breitflächigen Rodungen in Westafrika und zur Landflucht beitrug. Und das dafür sorgte, dass auch Städter verstärkt in Berührung mit „Buschfleisch“ genannten Wildtiermahlzeiten kamen: Der Rückzug der Wälder brachte Flughunde und Affen näher an städtische Zonen heran; und der Proteinmangel infolge sich verschlechternder Ernährung veranlasste viele Menschen, verstärkt das Fleisch solcher Tiere zu verzehren. In Guinea waren in jüngerer Vergangenheit etwa US-amerikanische Interessen an der so genannten „Farm Land of Guinea“ –Initiative beteiligt, in Liberia die malaysische Firma Sime Darby, in Sierra Leone das schweizerische Unternehmen Addax. Der Anbau von Agrosprit oder von Nahrungsmittel für den heimischen Markt dieser multinationalen Unternehmen vertrieben vielfach Menschen von ihrem früher bewirtschafteten Land.
Das Agieren solcher Institutionen und solcher Firmen trug wesentlich mit dazu bei, dass die Menschen in den hauptbetroffenen Ländern misstrauisch gegenüber ausländischen „Experten“ und „Beratern“ jeglicher Couleur geworden sind. Ebenso wie die begründete Erfahrung, dass man vom jeweiligen Staat und seinen Eliten für das eigene Wohl wenig bis nichts zu erwarten hat. Das gilt in verschärfter Form für die bis 2003 von besonders blutigen und grausamen Bürgerkriegen geschüttelten Länder Liberia und Sierra Leone. Aber in abgeschwächter Form auch für die Republik Guinea, deren Eliten den Staat in den letzten drei Jahrzehnten allzu oft als reine Beute behandelt und pure Klientelpolitik betrieben haben. Vor allem nachdem der Tod des ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit – Ahmed Sékou Touré – im Jahr 1984 dessen politisches Projekt in Gestalt eines anfänglich viele Hoffnungen weckenden, und später höchst repressiven, Tropenstalinismus beendet hatte.
In abgestuftem Maße sind alle drei Staaten deswegen in weiten Kreisen ihrer jeweiligen Bevölkerung diskreditiert, und in ihren Versorgungsfunktionen oft inexistent, wenn in Liberia und Sierra Leone nicht einmal ein Arzt oder ein Ärztin auf 50.000 Einwohner kommt. Von „oben“ und aus den städtischen Zentren erwartet man nichts Gutes. Und der Anblick von Menschen in Astronautenanzügen, die Tote in Plastiksäcken abtransportieren, trägt nicht zur Aufhellung der Erwartungen und besseren Einstellungen bei – auch wenn die dahinter stehende Absicht gut begründet ist, nämlich eine Infizierung der überlebenden Familien an den besonders hochgradig ansteckenden Leichnamen zu verhindern.
Einen Extremfall stellt dabei die Ermordung von sieben Mitgliedern einer medizinischen Delegation dar, die am 16. September in dem guineischen Dorf Womé gelyncht wurden. Die Getöteten waren Mitglieder des Krankenhauspersonals der nicht weit entfernt liegenden Stadt N’Zérékoré sowie drei Journalisten. Die Dorfbevölkerung von Womé wurde seitdem mutmaßlich zum Opfer von Racheakten der Armee, die Siedlung ist weitgehend menschenleer und viele ihrer Bewohner irren durch den Wald.
Viele Menschen vertrauen aus den genannten Gründen lieber auf die traditionelle Medizin. Was in anderem Zusammenhang gar nicht immer eine schlechte Idee ist, weil die traditionellen Heiler zumindest die arzneimittelähnliche Wirkung vieler Pflanzen kennen – während die modernen Medikamente, wie sie auf den Märkten verkauft werden, ohnehin meist gefälschte Produkte sind, die oftmals im günstigsten Falle wirkungslos bleiben. Einer Krankheit wie Ebola können die Anhänger der traditionellen Medizin jedoch nicht beikommen. Und im August dieses Jahres war es eine solche Heilerin und Kräuterspezialistin, die in Sokoma –in Sierra Leone nahe der Grenze zu Guinea – wirkte, die die Krankheit erst recht ausbreitete. Sie hatte behauptet, Ebola heilen zu können, und damit Menschen auch aus größeren Entfernungen angezogen.
Mit diesem tiefsitzenden Misstrauen hängt es auch zusammen, wenn Dorfbevölkerungen nicht auf die Ratschläge von medizinischem Personal aus den Großstädten oder aus dem Ausland hören, und wenn Familien in städtischen Armenvierteln ihre Kranken lieber verstecken als zur Behandlung „herausgeben“. In West Point, einem extrem dicht besiedelten Armenviertel in Liberias Hauptstadt Monrovia mit 80.000 Einwohnern und 62 nachgewiesenen Ebola-Toten, etwa halten sich hartnäckige Gerüchte: Menschen, die in die speziellen Behandlungszentren gebracht würden, erwarte dort ihre Ermordung. Zumal die Angehörigen meist nicht unterrichtet werden, sondern im Ungewissen darüber bleiben, wie es ihren Familienmitgliedern erging, ob sie verstorben oder auf dem Wege der Besserung sind. Viele Familien behalten deswegen ihre Kranken lieber zu Hause und verstecken sie vor behördlichem Zugriff. Unter diesen Umständen lässt sich jedoch die Ausbreitung der Krankheit nicht wirksam eindämmen.
Am 18. August hatte die liberianische Staatsmacht angeordnet, das ganze Viertel West Point unter Quarantäne zu stellen, Ein- und Ausgänge zu verhindern. Das dauerte zehn Tage, dann brachen heftige Riots aus, die zur Rücknahme der Maßnahme führten. Seitdem wird versucht, einzelne Familien unter Quarantäne zu halten, wenn Personen aus ihrer Mitte an Ebola gestorben sind. Das funktioniert jedoch insbesondere deswegen nicht, weil behördlicherseits niemand dafür sorgt, dass die Menschen während ihrer Dauer auch mit Nahrungsmitteln und sonstigem Bedarf versorgt werden. Allerdings versuchen inzwischen eine ganze Reihe von Stadtteilorganisationen und NGOs in Liberia, an dem Punkt Abhilfe zu schaffen und täglich die betroffenen Familien aufzusuchen. Und das „Welternährungsprogramm“ der Vereinten Nationen lieferte am vorigen Samstag Nahrungsmittel an 265.000 Personen in Sierra Leone aus.
Um wirksam zu sein, müsste eine Quarantäne jedoch 21 Tage dauern, was sicherstellen würde, dass die betroffenen Menschen garantiert keine Virusträger mehr sein. Dies wird in der Praxis nur in seltensten Fällen eingehalten. Und auch die dreitägige vollständige Ausgangssperre, welche die Regierung Sierra Leones vom 19. bis 21. September über ihre gesamte Bevölkerung verhängte, war deswegen weitgehend unwirksam. Zwar erlaubte die Maßnahme es, 56 Fälle von neu ausgebrochenen Ebola-Erkrankungen rechtzeitig ausfindig zu machen, bevor Ansteckungsgefahr auftrat, und 92 Ebola-Tote aufzuspüren und unter Sicherheitsvorkehrungen zu beerdigen. Um die Ausbreitung der Seuche generell einzudämmen, war die Dauer des Ausgehverbots jedoch zu kurz – und von seinen sozialen Auswirkungen her zu lange oder zu brutal, da es viele Menschen für mehrere Tage von jeglicher Versorgung abschnitt und die Straßenmärkte verwaist zurückließ.
Dadurch, dass die Menschen vor allem in den Grenzgebieten der drei Länder auch heute daran gehindert werden, sich frei vorzubewegen, sowie durch die Einstellung oder Verringerung regionaler und internationaler Flugbewegungen ist auch das lokale Wirtschaftsleben beeinträchtigt. Zugleich haben die Menschen mit dem Verzehr von „Buschfleisch“, das als Ansteckungsquelle identifiziert worden ist, aufgehört oder ihn verringert. Deswegen werden sich auch weiterhin dramatische Auswirkungen auf das soziale und wirtschaftliche Leben der Region einstellen. Schon Ende August war laut USA Today der Preis für einen Sack Reis aus lokaler Produktion in Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones, von 37 auf 45 Dollar gestiegen und der für einen Sack Importreis sogar um fünfzehn Dollar. Seitdem liegen keine neuen verlässlichen Zahlen vor.
Unterdessen warten sogar die Weltbank am vorigen Freitag in drastischen Worten vor einer Verschärfung der Katastrophe: „Manche Länder sind nur über den Schutz ihrer eigenen Grenzen besorgt“, monierte ihr Direktor Jim Yong Kim. Von den zugesagten Finanzhilfen diverser Staaten an die UN trafen bis dahin 377 Millionen von 988 zugesagten ein, und der Soforthilfefonds namens Trust Fund ist bislang nur mit 100.000 Dollar statt den zusagten 20 Millionen gefüllt. „Wir sind dabei, die Schlacht gegen Ebola zu verlieren“, warnte Kim. Tatsächlich warnt die Weltgesundheitsorganisation davor, ab jetzt drohe sich die Zahl der Erkrankten monatlich verdoppeln, weil mangels wirksamer Eindämmung der Ebola-Infektion nunmehr eine Art Schneeballsystem bei ihrer Ausbreitung entsteht.
4.555 Menschen waren bis Ende vergangener Woche an der Krankheit gestorben. In den Jahren von ihrer erstmaligen Entdeckung im Jahr 1976 im damaligen Zaire bis einschließlich 2013 waren es weltweit 2.345 Tote gewesen. Doch seitdem hat sich nicht der Virus gewandelt, von dem mittlerweile fünf Stämme bekannt sind, sondern auch die Voraussetzungen für eine menschliche Katastrophe verändert: War die Ebola-Krankheit von 1976 auf eine ländliche Region beschränkt, hat ihre heutige Form urbane Zentren in Gestalt der drei Hauptstädte Conakry, Freetown und Monrovia erfasst. Land grabbing hat zu-, das Vertrauen in die Medizin abgenommen. Nicht geändert hat sich hingegen, dass ein Großteil der Welt passiv zuschaut, während die Ermittlung eines Impfstoffs – wenn sie denn gelingt – reichlich spät kommt, weil die Krankheit „bislang“ nur arme Länder ohne „zahlungsfähige Nachfrage“ bei den Pharmakonzernen traf.
Ausgerechnet die Inselrepublik Kuba, die genügend eigene Probleme aufweist, verhält sich „beispielhaft“, wie Le Monde Ende voriger Woche schlagzeilte, und entsandte Ärztedelegationen und Gesundheitspersonal nach Westafrika. In den übrigen Ländern, vor allem den Großmächten, wird die Hilfe meist an Militärs delegiert. Die USA entsandten 3.000 Soldaten, und in Deutschland meldeten sich 4.500 Krisenhelfer freiwillig, von denen über siebzig Prozent jedoch aus der Bundeswehr kommen. Mit militärischen Mitteln und Methoden wird der Feind Ebola jedoch nicht zu besiegen sein.