„Notenbanken haben das ungewohnte Problem, dass die Inflation zu niedrig bleibt. Ökonomen weisen mit einem Unterbeschäftigungsindex nach, dass das in beträchtlichem Maß auf unfreiwillige Teilzeitarbeit zurückgeht. Dank ihr können die Arbeitgeber die Löhne und damit die Inflation drücken. Bei Karl Marx hießen sie „industrielle Reservearmee“: die Arbeitslosen, die jederzeit bereitstehen, eine Arbeit anzunehmen. Diese Reservearmee sorge dafür, dass die Arbeitnehmer keine übermäßig hohen Lohnforderungen stellen, aus Angst vor Arbeitslosigkeit. Im Sprachgebrauch angelsächsischer Ökonomen heißt das gleiche Konzept NAIRU – als Abkürzung für Non-Accelerating Inflation Rate of Unemployment. Zu Deutsch: die Arbeitslosenrate, die gerade hoch genug ist, eine Inflationsbeschleunigung zu verhindern. Da die Wirkung der Arbeitslosigkeit auf die Inflation über die Lohnsteigerungen läuft, heißt das Konzept bei der EU-Kommission konequenter Weise gleich NAWRU. Das W steht für Wages, englisch für Löhne. NAWRU ist also die Arbeitslosenquote, die hoch genug ist, dass die Lohnsteigerungen nicht zunehmen. In den Fachausdrücken NAIRU und NAWRU ist die Einräumung enthalten, dass es bei der Anti-Inflationspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) traditionell darum geht, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmer im Machtkampf mit den Arbeitgebern um höhere Löhne nicht zu erfolgreich sind. Die EZB würde das nie so offen einräumen, weil sie die Illusion wahren will, sie sei eine unpolitische Institution, die man schadlos ohne Aufsicht durch Volksvertreter ihr Werk verrichten lassen kann. Seit einiger Zeit scheint der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflaiton allerdings nicht mehr richtig zu funktionieren…“ Beitrag von Norbert Häring vom 19. September 2019 auf seiner Homepage – Anm.: Stimmt: Marx sprach von „industrielle Reservearmee“, aber er bestritt allerdings auch, dass höhere Löhne zu Inflation führen…
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