„… Die Berufsverbote waren und sind dreierlei. Sie bilden die Fortsetzung einer spezifischen deutschen Tradition seit dem 19. Jahrhundert, zwischenzeitlich verschärft im deutschen Faschismus 1933–1945, dann in neuer Form aufgenommen im Kalten Krieg. Sie waren ein regierungstaktisches Manöver zur Absicherung der sozialliberalen Koalition. Schließlich bilden sie ein Herrschaftsinstrument, das auch in der Gegenwart für die Zukunft noch bereitgehalten wird. (…) Waren Berufsverbote Kampfinstrumente des alten deutschen Obrigkeitsstaates, dann des Faschismus, schließlich des Kalten Krieges gewesen, so erhielten sie ab 1969 eine neue Funktion innerhalb der sozialliberalen Koalition. Damals sind junge Menschen aus politischem Kalkül, das mit ihnen selbst überhaupt nichts zu tun hatte, zu Opfern gemacht worden. Es ging um die Selbsterhaltung einer Regierung. (…) Nach konservativem Verständnis gehörten Akademiker zur Elite. 1968 waren Teile von ihr desertiert und sollten nun durch Drohungen wieder in den Pferch zurückgetrieben werden. Diese Auffassung von der Intelligenz als einem schmalen Teil der Führungsschicht war etwas oberflächlich, denn sie verkannte einen Tiefenprozess: das Anwachsen der Intelligenz zur Massenschicht. Hier wurde die SPD, die viel von Personalpolitik versteht, aufmerksam. (…) Wer über die Geschichte der Berufsverbote spricht, darf zum Glück auch über den so erfreulichen Protest dagegen berichten. Eine Initiative »Weg mit den Berufsverboten« organisierte eine der bis dahin breitesten außerparlamentarischen Bewegungen in der Bundesrepublik. Im Ausland wurde man schnell hellhörig. Alfred Grosser machte die deutsche Radikalenverfolgung zum Thema seiner Friedenspreis-Rede 1975. In Frankreich kündigte François Mitterrand die Gründung eines eigenen Komitees gegen die deutschen Berufsverbote an, unterließ es dann allerdings. (…) Wenn der sogenannte Verfassungsschutz faschistische Mörder toleriert, vielleicht sogar deckt und dieser selbe Verfassungsschutz völlig harmlose linke Abgeordnete bespitzelt, mögen das einige Leute für einen Skandal halten. Man kann es aber auch anders sehen, nämlich so: Er tut, was er immer tat, etwas anderes hat er nicht gelernt. Der deutsche Inlandsgeheimdienst ist nicht reformierbar. Er ist nur reformierbar durch seine vorherige Auflösung. Unter den gegebenen deutschen Machtverhältnissen erscheint das undenkbar. Diese spezifisch deutschen Machtverhältnisse zu verändern ist nach wie vor Aufgabe gegenwärtiger und zukünftiger Wachsamkeit.“ Vorabdruck eines Beitrags von Georg Fülberth bei der jungen Welt vom 10. September 2019 aus der von der Heinz-Jung-Stiftung beim Papyrossa-Verlag herausgegebene Band »Wer ist denn hier der Verfassungsfeind! Radikalenerlass, Berufsverbote und was von ihnen geblieben ist« (230 Seiten, Preis: 18 Euro)
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