Die gewaltigen Massenproteste am Samstag, 8. August 2020, in Beirut hatten sich regelrecht angekündigt: Sowohl durch die Wut nach der tödlichen Explosion, als auch durch die
monatelangen Proteste zuvor – und erst recht durch die tiefe Krise des kapitalistisch-korrupten Proporz-Systems. „Alle meint alle“ – die Parole der Besetzungen („alle sollen gehen“) ist die aktualisierte Version des argentinischen „Que se vayan todos“ vor rund 20 Jahren. So hatten es die Besetzerinnen und Besetzer der Ministerien in Beirut unterstrichen – dass sie ein Ende des Systems haben wollen und keinen der verschiedenen Repräsentanten, die von den Proporz-Kapitalisten hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden. Was auch deutlich macht, dass es viele geben wird, die die nun angekündigten Neuwahlen keineswegs mit Begeisterung zur Kenntnis nehmen werden. Die Polizei reichte nicht mehr – es musste die Armee „ran“ zur Verteidigung des Regimes. Und während die reaktionäre Hizbollah Drohungen gegen Demonstrierende ausstößt, sehen die diversen imperialistischen Kräfte eine Chance, eben diese Organisation los zu werden, beziehungsweise ihren Einfluss zu reduzieren. Die Trump-Mannschaft unterstrich, es müsse Freiheit für Demonstrationen geben – nicht in den USA, wo sie dagegen den Polizeistaat auffahren, sondern im Libanon – und die französische Polizei-Regierung tut dasselbe. (Über den wenig freundlichen Empfang der Bevölkerung Beiruts für Macron hatten wir bereits
in unserem ersten Beitrag berichtet). Kein Grund, in diesem (zweitrangigen) Aufeinanderprallen reaktionärer Kräfte eine andere Partei zu ergreifen, als die jener Dritten, die auf den Straßen nicht nur Beiruts für eine Veränderung des Systems gegen die Wünsche von Hizbollah und Kapitalisten jeglichen Ursprungs eintreten. Siehe zu den aktuellen Auseinandersetzungen im Libanon, ihren Ursachen, Hintergründen und Perspektiven unsere ausführliche und kommentierte
Materialsammlung „Beirut brennt weiter – jetzt vor Protesten“ vom 09. August 2020 weiterlesen »