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Neupack in Rotenburg – Eindrücke in der achten Streikwoche
Man hat Zeit, sich ausführlich zu unterhalten. Die Beschäftigten arbeiten in der Regel an großen automatischen und halbautomatischen Maschinen an Einzelarbeitsplätzen. D.H. die relativ kleine Belegschaft, die außerdem im Schichtdienst arbeitet, hat kaum Gelegenheit und Zeit, sich während der Arbeitszeit zu unterhalten. Um so größer ist die Freude, jetzt als Streikposten vor dem Werkstor und im (warmen) Streikzelt beides im Überfluss zu haben. Da das Streikgeld und die sonstige Organisation und Unterstützung einschließlich Verpflegung durch die IG Bergbau-Chemie-Energie „stimmen“, ist die Laune an diesem Tag durchweg gut bis blendend. „Notfalls streiken wir bis Ostern,“ meint eine der Frauen. Die Belegschaft habe noch nie gestreikt und noch nie einen Streik organisiert. In den Gesprächen wird immer wieder eins deutlich: es geht den Streikenden nicht nur ums Geld und um Arbeitszeiten. Es geht ihnen um mehr. Es geht ihnen um Wertschätzung und um die Anerkennung ihrer Arbeit. Irgendwie geht es ihnen um ihre Ehre, so drücken sie es aus, die der Unternehmer mit Füßen tritt. Dass an „ihre“ Arbeitsplätze so mir nichts dir nichts Leiharbeiter gebracht werden können, die von irgendwoher mit Bussen kommen, wollen sie nicht begreifen. Der Streik wäre doch ein im Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz garantiertes und verankertes Recht. Wie könne es da sein, dass ihnen von der Polizei und von den Arbeitsgerichten verwehrt wird, dieses Recht nun auch wahrzunehmen, die Zufahrt zum Werk zu sperren und die Produktion zu stoppen.
Das Werkstor in Rotenburg wird von den Streikposten rund um die Uhr bewacht. Claus-Dieter Thiele, 2. Betriebsrats-Vorsitzender von Neupack, engagiert sich full-time und wohnt quasi im bereitgestellten komfortablen Wohnwagen. Es wäre ein glücklicher Umstand gewesen, dass der Besitzer des direkt benachbarten Grundstücks, derzeit Brachland, ihnen sofort erlaubt habe, hier Streikzelt, Wohnwagen und Toiletten aufzubauen und auch den Stromanschluss zu nutzen. „Ihr habt keinen richtigen Tarifvertrag? Das geht doch nicht“, das habe er gesagt.
Die wenigen Streikbrecher sowie die Leiharbeiter, die jeden Morgen mit Bussen aus ihrer Pension im nahen Hellwege gebracht werden, werden genau beobachtet, und sie senken die Köpfe, wenn sie an den Streikposten vorbei müssen. In einer Art Tagebuch werden alle Vorfälle penibel registriert. Die Leiharbeiter kommen vorwiegend aus Polen. Zuerst wären sie über eine Leiharbeitsfirma gekommen, was unzulässig war, jetzt habe sie der Arbeitgeber befristet eingestellt, was wiederum von einem Arbeitsgericht als zulässig erklärt worden war. Die Streikenden haben extra vor das Werkstor ein großes Transparent mit dem typischen Solidarnosz-Schriftzug gehängt, um die Businsassen an solidarisches Handeln zu erinnern. Sie haben ihnen, den Streikbrechern aus Polen, weil ja Weihnachten ist, sogar kleine Geschenke überreicht. Sie überlegen, ob sie nicht auch einen Gottesdienst für sie organisieren sollten. Woraufhin die Bemerkung nicht fehlen konnte, dass sie als Streikbrecher bestimmt „nicht in den Himmel kommen würden“ und sich ihren Einsatz hier in Rotenburg noch mal überlegen sollten. Auf keinen Fall würden sich die Aktionen aber gegen die Betroffenen persönlich richten. Es wäre doch klar, dass es den Leiharbeitern und Leiharbeiterinnen aus Polen nicht persönlich angelastet werden könne, dass sie hier als Streikbrecher eingesetzt werden. Sie nähmen eben auch nur eine Gelegenheit zum Geldverdienen wahr, hätten wahrscheinlich gar nicht gewusst, um was es hier in Rotenburg gehe und müssten eben auch ihre Familien ernähren. Dass der Arbeitgeber die Not so schamlos ausnutze, um den Streik zu unterlaufen, das wäre der Skandal.
Die Neupack GmbH & Co KG ist ein ziemlich großes mittelständisches Unternehmen, das vor allem Kunststoffbecher für Joghurt und außerdem tiefgezogene Kunststoffverpackungen aller Art einschließlich Etikettierungen herstellt. Das Unternehmen ist erfolgreich und konnte in der letzten Zeit Umsatz, Gewinn und Wachstum deutlich steigern. In zwei Werken beschäftigt das Unternehmen zur Zeit 191 Arbeitnehmer, davon 128 in Hamburg-Stellingen und 63 in Rotenburg. Die Eigentümerfamilie Krüger führt das Unternehmen mit einem quasi feudalen Der-Herr-im-Haus-sind-wir-Standpunkt. Eine Gewerkschaft in „ihrem“ Unternehmen wollen die Eigentümer nicht haben; ein erster Betriebsrat wurde erst 2004 gewählt; die Löhne sind durchweg niedrig; die Lohnstruktur ist unübersichtlich und willkürlich; das deutsche Arbeits- und Mitbestimmungsrecht für die Eigentümer ein ebenso fremdes wie verhasstes Gebiet.
- auf dieser der Homepage von Die Linke in Bremen am 23.11.12
- junge Welt v. 14.11.12 und vom v. 22.11.12
- Hamburger Abendblatt v. 03.12.12
- taz v. 16.12.12
- Radio Bremen v. 11.12.12
- In Hamburg-Stellingen machte die Aktion „Den Krügers die Rute – den Streikenden Apfel, Nuss und Mandelkern“ viel Spaß. Morgens um 7 Uhr am 15. Dezember kamen gleich drei Nikoläuse mit großen Säcken auf dem Rücken ins Streikzelt, sagten, dass sie von der Fa. Schleifmittel Hermes in Lurup kämen, übergaben 200 in der Belegschaft gesammelte Euro und leerten die Säcke mit den typischen Adventsartikeln.
- Ebenfalls in Hamburg waren am 15. Dezember mehr als 1000 Menschen vor dem Hauptbahnhof zu einer Kundgebung, von der IG BCE organisiert, gekommen. Fast alle Fraktionen der Hamburger Bürgerschaft und des niedersächsischen Landtags bekundeten ihre Solidarität. Der Schauspieler Rolf Becker rezitierte Texte von Tucholsky und Brecht, die „Gutzeit“-Band hatte extra zwei Songs aktualisiert, und der altbekannte Gunther Gabriel brachte unter großem Jubel seinen alten Song: „Hey Boss, ich brauch mehr Geld“. (taz v. 16.12.12 www.taz.de/!107544
- In Rotenburg sind so große Soli-Veranstaltungen wie in Hamburg nicht zu organisieren. Aber einiges passiert doch. 35 IG-Metall-Kollegen von Mercedes und ArcelorMittal (früher Klöckner) aus Bremen, die mit einem großen Transparent und einem eisernen Feuerkorb sowie einer großen Ladung Koks aus der Hütte kamen, sind auch nicht zu verachten und zeigten praktische Solidarität.