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„Ein Jahr nach dem Neupack-Streik – Solidarität stärken“
Rede von Christin Bernhold als Vertreterin des Solikreises Neupack auf einer Veranstaltung von DIDF Hamburg am 26.11.13 unter dem Motto: „Ein Jahr nach dem Neupack-Streik – Solidarität stärken“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe GenossInnen,
ich freue mich, dass ich hier ein paar Worte für den Solikreis Neupack sagen darf. Es gab auch Gelegenheiten, bei denen dies anscheinend nicht erwünscht war.
Es gibt sicherlich vieles zum Streik bei Neupack zu sagen. Zum Beispiel wie vorbildlich die KollegInnen gekämpft haben, obwohl es zum Teil ihr erster Arbeitskampf war und obwohl die Bedingungen und die Umstände des Streiks es ihnen nicht leichter gemacht haben durchzuhalten. Es ist auch bemerkenswert, dass die KollegInnen es im gemeinsamen Kampf geschafft haben, Vorurteile und Abgrenzungen zwischen ArbeiterInnen verschiedener Nationalitäten abzubauen.
Da ich mich hier und jetzt aber leider auf wenige Sätze beschränken muss, muss ich auch einige wenige Punkte herausgreifen.
Der Solikreis besteht aus vielen unterschiedlichen Gruppen und Einzelpersonen, die aus teils sehr unterschiedlichen politischen Traditionen stammen. Nichtsdestotrotz hat es uns geeint, den ganz konkreten Kampf der Neupack-KollegInnen praktisch zu unterstützen. Wir waren vor Ort, als in aller Herrgottsfrühe an der Seite der KollegInnen im Doerriesweg die Tore blockiert worden sind. Wir waren auch immer ansprechbar für die KollegInnen, viele haben gemeinsam Schichten im Streikzelt geschoben. Wir haben im St. Pauli-Stadion, in linken Medien und mit Veranstaltungen den Streik bekannt gemacht und Solidarität organisiert. Wir hätten auch noch mehr gemacht, wenn man uns gelassen hätte. Leider wurden beispielsweise unsere Besuche bei Zulieferbetrieben untersagt. Unterm Strich ging es uns immer darum zu zeigen: Ihr seid nicht allein! Euer Kampf ist unser Kampf! Und euer Kampf ist auch der Kampf vieler Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Bundesrepublik.
Denn was bei Neupack passiert ist, ist in vielerlei Hinsicht exemplarisch und zukunftsweisend. Wir dürfen nicht vergessen, dass die überwiegende Mehrzahl der Betriebe in Deutschland Mittelstandsbetriebe sind.
Und diese Firmen konkurrieren infolge der Internationalisierung der Märkte und Produktion mit Unternehmen überall auf der Welt. Und was heisst das, „wettbewerbsfähiger“ werden? Unternehmen eignen sich noch Arbeit ihrer Belegschaften an, als sie ohnehin schon tun. Konkret heißt das: Sie steigen aus Tarifverträgen aus oder lehnen den Abschluss eines solchen gleich grundsätzlich ab. Sie drücken die Löhne und verschlechtern die Arbeitsbedingungen. Und last but not least bekämpfen die sog. Arbeitgeber jeden Versuch des Protests oder Widerstands erbittert. Was die Krügers gemacht haben, ist daher keine Überraschung. Die Neupack-Bosse sind nicht die personifizierte Rückkehr des Mittelalters, sondern die Inkarnation des modernen Kleinkapitalisten. Die Krügers besitzen auch keine „unternehmerische Unvernunft“. Sie haben nicht in „unternehmerischer Unverantwortung“ gehandelt, wie Michael Vassiliadis beim letzten IG BCE Kongress behauptet hat. Die Krügers sind im Gegenteil ihrer unternehmerischen Vernunft und Verantwortung ganz direkt gefolgt. Aus diesen Gründen hat der Arbeitskampf bei Neupack auch Modellcharakter für tausend andere Betriebe in der Republik.
Um so bitterer ist es, dass wir knapp ein Jahr nach Beginn des Streiks konstatieren müssen, dass wir Zeuginnen und Zeugen einer historischen Niederlage geworden sind. Die Krügers haben an euch und vor allem der IG BCE ein Exempel statuiert. Das heißt nicht, dass die minimalen Zugeständnisse Krügers wertlos sind. Aber gemessen an den Zielen, der gegenwärtigen Situation der Kolleginnen und Kollegen im Betrieb, der Größe der Gewerkschaft, den Opfern der kämpfenden KollegInnen und den Zugeständnissen, die die IG BCE den Krügers gemacht hat, kann und sollte man das Ergebnis des Streiks nicht beschönigen. Wir sollten uns nicht vor den Resultaten unserer Kritik und Selbstkritik fürchten. Nur durch die Kritik des alten, beschrittenen Weges können wir einen neuen, besseren Weg finden.
Der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger hat einen Vorschlag gemacht, wie wir in Zukunft bessere Kampfbedingungen auf unserer Seite der Barrikade herstellen können. Er riet auf einer Konferenz im Frühjahr dazu, die Gewerkschaften durch Streiks zu erneuern. Ich glaube, dass dies eine Möglichkeit ist. Aber ich meine auch, dass wir nicht DAMIT beginnen können und dass es nicht ausreicht, in den sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften zu kämpfen. Vielmehr müssen wir – wieder – damit anfangen, uns, unsere KollegInnen und unsere Beziehungen im Betrieb zu erneuern. Wir müssen uns und unseren KollegInnen klar machen, dass die Ausbeutung im Betrieb uns eint, egal welcher Herkunft wir sind, an welchen Gott wir glauben oder welches Geschlecht wir haben. Und wir müssen uns vor Augen führen, dass niemand uns helfen wird außer wenn wir uns selber organisieren.
Politiker können schöne Reden halten, Gewerkschaften sind nützliche Instrumente, wenn man sie richtig einsetzt. Aber PolitikerInnen in den Parlamenten nützen uns genausowenig wie Gewerkschaften, wenn wir in den Betrieben keine Macht haben. Und Macht bekommen wir nur, wenn wir uns organisieren – im Betrieb und in der Gewerkschaft. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass das Ende des Streiks nicht das Ende eures Kampfes bei Neupack sein kann und auch nicht sein darf.
Wenn ihr den Krügers eine Lektion erteilen wollt, dann geht das nur dadurch, dass bei Neupack nicht nur ein Murat, sondern viele Murats arbeiten. Kämpfende Belegschaften haben nur dann eine Chance, sich gegen ihre Ausbeuter und deren Komplizen durchzusetzen, wenn sie sich die geistigen und praktischen Fertigkeiten aneignen, die es für den Kampf bedarf. Eine Mannschaft braucht nicht nur einen Kapitän, sondern viele Kapitäne, auch wenn nicht alle die Spielführerbinde tragen.
Darüber hinaus müssen, und das hat der Streik bei Neupack eindrucksvoll gezeigt, klassenkämpferische Kolleginnen und Kollegen heute mindestens an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen. Einerseits müssen sie sich in den Betrieben und in Gewerkschaften zusammenschließen, um der herrschenden Klasse auf Augenhöhe entgegentreten zu können. Sie müssen sich also selbständig von unten organisieren, um – wie Marx schrieb – zumindest die alltägliche Ausbeutung auf das Normalmaß zurückzufahren. Andererseits müssen sie sich heute noch mehr als vielleicht jemals zuvor auch in den Gewerkschaften organisieren, um gegen die Sozialdemokratie und die sozialpartnerschaftliche Strategie ihrer Führung in Wort und Tat eine klare Alternative zu bilden. Hin und wieder gegen die Sozialpartnerschaft zu wettern und sie dann doch in der Praxis mitzutragen, ist ausdrücklich zu wenig. Wir brauchen nicht noch mehr Lippenbekenntnisse oder eine Rückkehr zu den Trade Unions der Arbeiteraristokratie, die Marx und Engels bereits im 19. Jahrhundert zurecht verspotteten. Wir brauchen eine andere gewerkschaftliche Praxis.
Diese kann man auch in Zukunft bei Neupack erproben. Niemand muss also die Füße still halten. Dafür muss aber klar sein und auch der Gewerkschaftsführung klar gemacht werden, dass die Kolleginnen und Kollegen nicht bereit sind, weitere Opfer in ihren eigenen Reihen in Kauf zu nehmen. Und in einem Punkt bin ich mir wirklich sicher: Die AktivistInnen des Solikreises werden die ersten sein, die euch zur Hand gehen, wenn es zur Sache gehen soll.
In diesem Sinne wünsche ich uns einen schönen Abend und natürlich, dass es nicht der letzte Arbeitskampf mit euch bei Neupack gewesen ist!
Danke für eure Aufmerksamkeit!