Beifall der Aktionäre für den Polizeieinsatz auf der Rheinmetall-Jahresversammlung – ein Polizeieinsatz gegen den „Beginn einer neuen antimilitaristischen Bewegung“?

[28. Mai 2019] Protest gegen Rheinmetall-Aktionärsversammlung in Berlin„… Etwa 50 Kriegsgegner des Bündnisses „Rheinmetall Entwaffnen“ haben heute die Hauptversammlung des größten deutschen Rüstungskonzerns massiv gestört. Sie stürmten das Podium der Versammlung im Berliner Maritim-Hotel, als der Rheinmetall-Vorstandsvorsitzende Armin Papperger zu sprechen begann.  „Wir haben das Wort ergriffen, weil wir die Kriegsverbrechen nicht mehr ertragen können, an denen der Rheinmetall-Konzern beteiligt ist“, erklärt Carola Palm vom Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“. Auf mitgeführten Transparenten forderten die Friedensaktivisten „Rüstungsexporte stoppen“ und Solidarität mit Rojava. Die Hauptversammlung musste wegen der lautstarken Proteste für eine dreiviertel Stunde unterbrochen werden. Diese massive Störung stellt ein Novum dar. Eine Sitzblockade auf dem Podium führte dazu, dass Vorstandsvorsitzender Armin Papperger das Rednerpult verlassen musste. Anschließend räumte die Polizei die Blockade mit Gewalt und nahm mehrere Kriegsgegner in Gewahrsam.  Die Rüstungsexportgegner werfen dem Unternehmen Beihilfe zu Mord und Bruch mit dem Völkerrecht vor. Die Rheinmetall-Tochterfirma RWM Italia liefert Bomben für den Krieg der saudischen Allianz, der auch gegen die Zivilbevölkerung im Jemen geführt wird. Die Türkei überfällt das demokratische Projekt Rojava in Nordsyrien mit deutschen Panzern und Technik von Rheinmetall. „Es reicht! Der Konzernvorstand muss zur Verantwortung gezogen werden, weil er mit dem Bau von Waffen und Munition Massenmord und eine Entdemokratisierung im Nahen Osten in Kauf nimmt“, so Carola Palm. Vorstand und Aufsichtsrat des Unternehmens zeigten sich in den vergangenen Jahren emotionslos, wenn Betroffene aus Jemen auf der Hauptversammlung über Familienangehörige sprachen, die durch Rheinmetall-Lenkbomben ums Leben kamen. Weil bisherige Proteste an Vorstand und Aktionären abgeprallt sind, hat das Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ sich zu dieser Aktion des Zivilen Ungehorsams entschieden…“ – aus dem Bericht „Nachhaltige Störung der Rheinmetall-Aktionärsversammlung“ von der IL am 28. Mai 2019 externer Link (hier dokumentiert bei scharf links). Siehe dazu – neben [28. Mai 2019] Protest gegen Rheinmetall-Aktionärsversammlung in Berlin – auch drei weitere aktuelle Aktionsberichte und einige Fotos des Polizeieinsatzes, den Twitter-Kanal der Aktion, sowie zwei Beiträge über eine „neue antimilitaristische Bewegung“ im politischen Zusammenhang von bundesdeutscher Rüstungsindustrie und Jemenkrieg und dem Krieg des türkischen Regimes gegen Rojava:

„Aktionäre stören Rheinmetall“ von Tobias Schulze am 28. Mai 2019 in der taz online externer Link in einem Gesamtüberblick über die Aktion auf der Jahresversammlung: „… Für Proteste gegen die Jahres­hauptversammlung, die in einem Hotel gegenüber dem Verteidigungsministerium stattfand, hatten verschiedene rüstungskritische Gruppen aufgerufen, darunter die Interventionistische Linke und die Menschenrechtsorganisation Urgewald. An einer Demonstration und einer Kundgebung vor dem Hotel beteiligten sich nach Veranstalterangaben rund 300 Menschen. Greenpeace-AktivistInnen seilten sich aus Hotelzimmern in der oberen Etage ab und befestigten an der Fassade ein Transparent mit der Aufschrift „Rheinmetall-Bomben töten in Jemen“. Rund 30 AktivistInnen beteiligten sich an einer Störaktion im Veranstaltungssaal selbst. (…) SicherheitsmitarbeiterInnen des Unternehmens schafften es nicht, die Bühne zu räumen. Schließlich wurden die AktivistInnen von der Polizei aus dem Saal getragen und zum Teil in Gewahrsam genommen. Sicherheitspersonal des Veranstalters und ein Konzernsprecher hinderten Journalisten daran, den Protest und den Polizeieinsatz zu filmen. Trotzdem gelangten Aufnahmen ins Internet. Als Konzern-Chef Papperger seinen Bericht anschließend fortsetzte, konnte er hervorragende Geschäftsergebnisse verkünden. Der Rüstungssparte des Unternehmens sei eine „in mehrfacher Hinsicht überzeugende Leistung gelungen“. Der Auftragseingang habe „ein völlig neues Niveau erreicht“, ihren Umsatz habe die Sparte um 8 Prozent gesteigert…“

„Aktivisten stürmen Aktionärsversammlung von Rheinmetall“ von Sebastian Bähr am 28. Mai 2019 in neues deutschland online externer Link noch zu folgenden Aspekten des Polizeieinsatzes: „… Der Vorstandsvorsitzende des Rüstungskonzerns Rheinmetall, Armin Papperger, will frohe Botschaften verkünden. Der Versammlungsaal im Berliner Maritim-Hotel ist gut gefüllt, mehrere Hundert Aktionäre haben sich am Dienstagvormittag nach strengen Vorkontrollen zur jährlichen Hauptversammlung eingefunden. Weit kommt Papperger mit seiner Jahresbilanz jedoch nicht: Gerade als er seine Rede beginnen will, stehen plötzlich mehrere Personen in der Menge auf. Viele von ihnen tragen Anzug oder Kleid. »Deutsche Waffen, deutsches Geld – morden mit in aller Welt« oder »Iran, Irak, Syrien, Türkei – bei jeder Schweinerei ist Deutschland mit dabei« rufen sie. Eine Flagge der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG wird in die Höhe gehalten. Ehe die privaten Sicherheitsmitarbeiter reagieren können, stürmen kurzerhand rund 50 im Raum verteilte Aktivisten die Bühne, auf der der Rheinmetall-Vorstand Platz genommen hat. Auf dem mittlerweile besetzten Podium entrollen die Kriegsgegner ein Transparent mit der Aufschrift »Rheinmetall entwaffnen« und zeigen mehrere Plakate. Sie haben sich eingehakt und skandieren Parolen. Rheinmetalls Sicherheitskräfte versuchen, ihnen die Transparente zu entreißen, doch sie bleiben erfolglos. Immer wieder kommt es zu Gerangel. Nach rund 45 Minuten erreicht die Polizei den Saal. Der Rheinmetall-Vorstand fordert die Beamten auf, dass Hausrecht durchzusetzen und die Protestierer zu entfernen. Die Polizisten drängen daraufhin die Aktivisten nach draußen, einzelne Kriegsgegner werden regelrecht herausgeschleift. Mehrere Demonstranten schreien vor Schmerzen – viele Aktionäre beklatschen den ruppigen Einsatz der Beamten. Anwesende Journalisten werden von privaten Sicherheitsmitarbeitern aufgefordert, keine Filmaufnahmen anzufertigen…“

„Störfall bei Rüstungsriesen“ von Claudia Wangerin am 29. Mai 2019 in der jungen welt externer Link unter anderem zu Reaktionen von Aktionären und Unternehmensleitung auf diese Aktion: „… Am Einlass zur Rheinmetall-Hauptversammlung im Berliner Maritim-Hotel waren am Dienstag sämtliche Teilnehmer und deren Gepäckstücke durchleuchtet worden, ein Polizeiaufgebot bewachte den Tagungsort, als rechne der Rüstungskonzern mit einem Anschlag oder einer Geiselnahme – aber gewaltfreier Protest ließ sich so nicht verhindern. Ein Großtransparent mit der Aufschrift »Rheinmetall-Bomben töten im Jemen« hatte die Umweltorganisation Greenpeace schon vor Beginn der Versammlung an der Fassade des Hotels entrollt. Im Foyer standen noch Dutzende Aktionäre in der Schlange vor den Sicherheitsschleusen, als das Programm um zehn Uhr beginnen sollte. Kurz darauf ertönten die ersten Sprechchöre aus dem Saal: »Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt«, »Blut, Blut, Blut an euren Händen« und »Deutsche Panzer raus aus Kurdistan«. Ein Großteil der rund 50 Protestierenden hatte die Bühne besetzt und ein Transparent mit der Aufschrift »Rheinmetall entwaffnen« entrollt. Die Veranstalter erklärten, sie hätten die »Botschaft vernommen«, beriefen sich auf ihr Hausrecht und drohten mit der Polizei. Es folgten Parolen wie: »Rheinmetall zu Altmetall« und »Iran, Irak, Syrien, Türkei – bei jeder Schweinerei ist Rheinmetall dabei«. Für manche Aktionäre war die Kritik nicht neu. Eine ältere Frau betonte, ihr Sohn arbeite in der Autozulieferersparte von Rheinmetall und habe »mit der Schießerei nichts zu tun«. Ein anderer Aktionär sagte, Rheinmetall müsse keine Angst vor schärferen Rüstungsexportrichtlinien haben – schließlich lasse man »das Zeug« im Ausland fertigen. Er bestätigte damit ungeniert den Vorwurf der Rheinmetall-Kritiker, die Gesetze gegen solche »Schlupflöcher« fordern. Mehrere Organisationen werfen dem Konzern vor, dass dessen italienische Tochterfirma RWM Italia Bomben an Saudi-Arabien liefert, wohin für rein deutsche Produkte ein Exportstopp gilt, weil das Königreich Krieg gegen den Jemen führt…“

„„Deutsche Waffen, deutsches Geld…“ Demonstranten stürmen Rednerpodium bei Hauptversammlung von #Rheinmetall“ am 28. Mai 2019 im Twitter-Kanal von Hans Martin Tillack externer Link ist eine kleine Fotosammlung über Protest – und Polizei…

„40 Minuten wurde die Rheinmetall-Hauptversammlung heute durch Zivilen Ungehorsam unterbrochen. Jetzt geht es aber erst richtig los!“ am 28. Mai 2019 im Twitter-Kanal #RheinmetallEntwaffnen ist eine Zusammenfassung der Aktion im Kanal der tragenden Gruppierungen, worin auch noch angekündigt wird: „Das nächste Mal blockieren wir die Bombenfabrik in Unterlüß – beim #RheinmetallEntwaffnen Camp vom 01.-09. September!

„Gegen Waffenexporte und für eine antimilitaristische Bewegung“ am 21. Mai 2019 bei der ANF externer Link dokumentiert, ist ein Vorschlag der Interventionistischen Linken für eine neue antimilitaristische Bewegung, worin die Zusammenhänge des Todeshandels und der Kriege im Jemen und der Türkei so dargestellt wird: „Die Interventionistische Linke (iL) hat sich der internationalen Kampagne RiseUp4Rojava angeschlossen und schlägt auch eine Initiative für eine neue antimilitaristische Bewegung vor: „Eine neue Friedensbewegung ist internationalistisch, tauscht sich mit sardischen Anarchist*innen aus und trägt die Fahnen der kurdischen Selbstverteidigung.“ Man werde dort ansetzen, wo der Tod produziert, wo mit dem Sterben verdient wird, meint die iL. Die Gegner sind die Rüstungskonzerne, allen voran Rheinmetall, aber auch der Staat mit seiner immer wieder phantasievollen Umgehung sogenannter Waffenkontrollgesetze…

„Neue Kriege – Alte Antworten“ im April 2019 beim Debattenblog der IL externer Link ist das Grundsatzpapier zu den Überlegungen zu neuen Aspekten in der Bewegung, worin es unter anderem heißt: „… Machen wir uns nichts vor: Aktuell gibt es keine Friedensbewegung. Es gibt auch kein dynamisches Moment wie 2001 und 2003, an das eine neue Friedensbewegung anknüpfen könnte. So zerstört heute, 2019, bereits seit vier Jahren ein Krieg den Jemen, in dem Saudi-Arabien Luftangriffe geflogen, Deutschland Waffen geliefert und der die »aktuell weltweit schlimmste humanitäre Katastrophe« (UNO) im Schlepptau hat – aber die Menschen gehen nicht auf die Straße. Warum ist das so? Der Krieg der saudischen Allianz im Jemen trägt alle Zeichen eines sogenannten neuen Krieges. Theoretische Stichwortgeberin dafür ist Mary Kaldor. Den neuen Krieg soll man vor allem daran erkennen, dass die Kriegsgegner nicht mehr zwei (drei…) Staaten sind. Die Kriegsparteien im neuen Krieg setzen sich stattdessen aus vielschichtigen Gruppen – etwa Rebell*innen, Warlords, privatwirtschaftlichen Söldnern – zusammen. Staatliche Militärangriffe sind damit nicht ausgeschlossen. Sie finden wie im Fall des Jemens durch die saudi-arabischen Luftangriffe auch statt. Sie sind aber eben nur noch eine kriegerische Möglichkeit von vielen. Der neue Krieg kann auch als IT-, Wirtschafts-, Propaganda- oder Hungerkrieg geführt werden. Man könnte nun meinen, eine solche vielschichtige, unüberschaubare Kriegsmelange mache eine Friedensbewegung unmöglich. (…) Eines – und genau das ist den genannten 80% in Deutschland klar – bleibt auch in den neuen Kriegen sehr deutlich übrig: Der Staat ist und bleibt Waffenexporteur. Damit bleibt er Unterhändler des Kapitals. Wir denken, dass das Umfrageergebnis in dieser Deutlichkeit vielleicht sogar direkte Folge der neuen Kriege ist – nicht mehr der angreifende Staat, sondern die Waffenexporte und damit die Zusammenarbeit von Staat und Rüstungsindustrie sind vielleicht noch das einzig klar Erkennbare im neuen Krieg. Darin liegt für eine neue Friedensbewegung eine doppelte Chance: Der Angriff auf deutsche Rüstungskonzerne ist nicht nur richtig, weil er gegen den kriegerischen Kapitalismus gerichtet ist. Dieser Angriff stellt in der Frage Krieg und Frieden aktuell auch die einzige Möglichkeit dar, einen global agierenden, aber konkreten Gegner vor Ort angehen zu können…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=149492
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