- Automobilindustrie
- Bauindustrie und Handwerk
- Chemische Industrie
- Dienstleistungen, privat und Öffentlicher Dienst
- Elektro- und Metall(-Zulieferer)
- Elektrotechnik
- Energiewirtschaft (und -politik)
- Fahrzeugbau (Vom Fahrrad, über Trecker bis zum Flugzeug)
- Gewerkschaften als Arbeitgeber
- Holz, Papier, Glas und Kunststoffe
- Landwirtschaft und Gartenbau
- Maschinen- und Anlagenbau
- Medien und Informationstechnik
- Rüstungsindustrie und -exporte
- Sonstige Branchen
- Stahl-Industrie
- Stoffe und Bekleidung
Zwangsarbeit bei Bahlsen: Scharfe Kritik an Erbin – „Wir waren schon mal weiter“
Dossier
„Die Erbin des Gebäck-Unternehmens Bahlsen, Verena Bahlsen, hat mit Äußerungen zur Situation von Zwangsarbeitern, die während des Zweiten Weltkrieges für Bahlsen arbeiten mussten, eine heftige Kontroverse ausgelöst. Die 26-Jährige hatte behauptet, dass Zwangsarbeiter in dem hannoverschen Unternehmen gut behandelt und genauso wie die deutschen Mitarbeiter bezahlt worden seien. Bahlsen galt im Zweiten Weltkrieg als „kriegswichtiger Betrieb“ und produzierte im Bahlsen-Werk im hannoverschen Stadtteil List unter anderem Notverpflegungen für deutsche Soldaten. Die Zwangsarbeiter, vorwiegend Frauen aus dem besetzten Polen und der Ukraine, waren in einem Barackenlager untergebracht. (…) Der Göttinger Historiker Manfred Grieger hat Zweifel an der Darstellung der Erbin. (…) Auf einer Konferenz hatte die 26-Jährige jüngst in einem Vortrag gesagt: „Ja, ich bin Kapitalistin. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen. Ich will Geld verdienen und mir Segeljachten kaufen.“…“ Meldung beim NDR vom 14. Mai 2019 – wenn auch selten so offen vorgetragen, eine Überraschung ist das alles nicht. Erkannte doch bereits 1939 Max Horkheimer: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“. Siehe dazu weitere Infos:
- Studie und Buch „Die Geschichte des Hauses Bahlsen“ offenbart einen Nutznießer der NS-Diktatur mit über 800 ZwangsarbeiterInnen, weit mehr als bisher bekannt
- Mehr Zwangsarbeit bei Bahlsen: Kekse unterm Hakenkreuz
„Während der NS-Zeit wurden bei Bahlsen mehr Zwangsarbeiter beschäftigt als ursprünglich bekannt. Die Unternehmerfamilie zeigte sich bei Vorlage der Bahlsen-Biografie betroffen. Manchmal können unbedarft dahingesagte Worte eine riesige Wirkung entfalten – auch eine negative. Vor fünf Jahren hatte Familienerbin Verena Bahlsen mit der Aussage für Aufregung gesorgt, man habe Zwangsarbeiter bei Bahlsen während der NS-Zeit „gut behandelt“. Kurz danach hatte sie sich entschuldigt und von einem Fehler gesprochen. Die öffentlichen Diskussionen hätten dazu geführt, dass sich intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt wurde, teilte die Familie nun in einer Stellungnahme mit. „Viele Details aus der Unternehmensgeschichte waren uns nicht bekannt, und die Wahrheit ist, dass wir auch nicht nachgefragt haben.“ Eine Studie der beauftragten Historiker Manfred Grieger und Hartmut Berghoff sollte folglich Antworten liefern. Entstanden ist ein 600 Seiten starkes Buch mit dem Titel „Die Geschichte des Hauses Bahlsen. Keks – Krieg – Konsum“, das sich mit den Jahren von 1911 bis 1974 beschäftigt.
Das Ergebnis der Untersuchung: Der Konzern unterstützte das Naziregime und profitierte vom System, insbesondere durch den Einsatz von Zwangsarbeitern; Bahlsen beschäftigte mehr Zwangsarbeiter als bislang bekannt. Die Geschäfte zogen Nationalsozialismus gewaltig an. Von 1940 bis 1945 haben nach Unternehmensangaben mehr als 800 ausländische Arbeitskräfte Zwangsarbeit für Bahlsen geleistet. Bahlsen zufolge handelte es sich zumeist um Frauen aus Polen und der Ukraine. (…)
Auch bei Bahlsen mussten Zwangsarbeiter aus Polen das stigmatisierende P-Zeichen tragen, schrieben Grieger und Berghoff. Sie erhielten geringere Löhne, kleinere Lebensmittelrationen und eine schlechtere medizinische Versorgung. Der Studie zufolge waren sie in Baracken untergebracht und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sozialer Kontakt zu Deutschen war ihnen verboten. Polnischen Männern, denen sexuelle Kontakte zu deutschen Frauen nachgewiesen wurden, drohte die Hinrichtung.
Die Wahrheit über die damaligen Ereignisse sei unbequem und schmerzhaft, teilte die Familie weiter mit. „Wir bedauern das Unrecht, das diesen Menschen bei Bahlsen geschehen ist, zutiefst. Auch bedauern wir, dass wir uns dieser schwierigen Wahrheit nicht früher gestellt haben.“…“ Beitrag vom 21.08.2024 in tagesschau.de - Auf der Bahlsen-Homepage steht unter „Über uns“ / 1933-1945:
Bahlsen während der NS-Zeit
“ Während der NS-Zeit machte sich Bahlsen das System zu Nutze. Da viele Arbeitskräfte zum Kriegsdienst eingezogen wurden, setzte Bahlsen mehr als 800 Zwangsarbeiter:innen aus verschiedenen europäischen Staaten, mehrheitlich Frauen aus Polen und der Ukraine ein. Die Rolle des Unternehmens während der NS-Zeit wurde von 2019 bis 2024 von einem unabhängigen Historikerteam umfassend aufgearbeitet und als Buch „Die Geschichte des Hauses Bahlsen“ veröffentlicht.“ - Siehe auch die Pressemitteilung vom 13.08.2024 in thebahlsenfamily.com : „Buchvorstellung „Die Geschichte des Hauses Bahlsen““ und darin die Stellungnahme der Familie
- Nazi-Zeit: Mehr Zwangsarbeiter bei Bahlsen als bisher bekannt – Das Familienunternehmen hat seine Geschichte erforschen lassen
„Fünf Jahre nach den empörenden Aussagen der Firmenerbin arbeitet eine Studie die Geschichte des Gebäckherstellers Bahlsen auf. Verena Bahlsen hatte viel Kritik auf sich und das Unternehmen gezogen, als sie 2019 behauptete, man habe Zwangsarbeiter bei Bahlsen während der NS-Zeit »gut behandelt«. Kurz danach hatte sie sich entschuldigt und von einem Fehler gesprochen. Doch der Name Bahlsen stand plötzlich nicht mehr nur für Leibniz-Keks und Pick-up-Riegel. Die öffentlichen Diskussionen hätten dazu geführt, dass sich intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt wurde, teilte die Familie nun in einer Stellungnahme mit. »Viele Details aus der Unternehmensgeschichte waren uns nicht bekannt und die Wahrheit ist, dass wir auch nicht nachgefragt haben.« Eine Studie der beauftragten Historiker Manfred Grieger und Hartmut Berghoff sollte folglich Antworten liefern. Entstanden ist ein 600 Seiten starkes Buch mit dem Titel »Die Geschichte des Hauses Bahlsen«, das sich mit den Jahren von 1911 bis 1974 beschäftigt. (…) Das Ergebnis der Untersuchung: Der Konzern unterstützte das Naziregime und profitierte vom System, insbesondere durch den Einsatz von Zwangsarbeitern. Bahlsen beschäftigte mehr Zwangsarbeiter als bislang bekannt. Die Geschäfte im Nationalsozialismus zogen gewaltig an. Von 1940 bis 1945 haben nach Unternehmensangaben mehr als 800 ausländische Arbeitskräfte Zwangsarbeit für Bahlsen geleistet. Bahlsen zufolge handelte es sich zumeist um Frauen aus Polen und der Ukraine. Die Zwangsarbeiter in Deutschland unterlagen generell weitreichenden rassistisch motivierten Diskriminierungen, wie die Autoren ausführen. Polinnen und Polen mussten eine violett-gelbe P-Raute auf ihrer Kleidung tragen, die sie als rassistisch diskriminierte Personen erkennbar machte. Dies sei auch bei Bahlsen der Fall gewesen, schrieben Grieger und Berghoff. Sie erhielten geringere Löhne, kleinere Lebensmittelrationen und eine schlechtere medizinische Versorgung. (…) Der Studie zufolge waren sie in Baracken untergebracht und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sozialer Kontakt zu Deutschen war ihnen verboten. Polnischen Männern, denen sexuelle Kontakte zu deutschen Frauen nachgewiesen wurden, drohte die Hinrichtung. Die Wahrheit über die damaligen Ereignisse sei unbequem und schmerzhaft, teilte die Familie weiter mit. »Wir bedauern das Unrecht, das diesen Menschen bei Bahlsen geschehen ist, zutiefst. Auch bedauern wir, dass wir uns dieser schwierigen Wahrheit nicht früher gestellt haben.« …“ Artikel von Kilian Genius vom 21. August 2024 in der Jüdischen Allgemeinen online
- Mehr Zwangsarbeit bei Bahlsen: Kekse unterm Hakenkreuz
- Zwangsarbeit bei Bahlsen: Im Viehtransport ins Deutsche Reich, untergebracht in bewachten Lagern
„Die Aussagen der Firmenerbin Verena Bahlsen zur historischen Schuld ihres Unternehmens folgen einem Muster: Bahlsen erkannte nie an, dass es während des Zweiten Weltkriegs hunderten Menschen Unrecht zufügte. Dabei wurde die Firma im Jahr 2000 bereits von Zwangsarbeitern verklagt. Wir veröffentlichen das damalige Urteil des Landgerichts Hannover. Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs angeblich „gut behandelt“ wurden: Die Firmenerbin Verena Bahlsen sorgte in den vergangenen Tagen für einen Eklat , weil sie in Interviews die Verbrechen ihres Unternehmens zur Zeit des Nationalsozialismus verharmloste. Inzwischen entschuldigte sie sich dafür, „Gefühle verletzt“ zu haben. Und tatsächlich sind die Aussagen von Verena Bahlsen skandalös – allerdings sind sie nicht alleine der Ignoranz der 26-Jährigen zu verschulden. Sie spiegeln vor allem wieder, was ihre Firma seit Jahrzehnten verkündet…“ Beitrag vom 15. Mai 2019 bei FragDenStaat
- Mit Füßen getreten, verhöhnt und beschmutzt: das Leiden der Zwangsarbeiter
„Anläßlich revisionistischer Äußerungen aus prominenten Kreisen der deutschen Wirtschaft über das Leiden sowjetischer und polnischer Zwangsarbeiter im NS-System erklärt der Zug der Erinnerung: Von über 4 Millionen Staatsbürgern, die aus Osteuropa ins „Reich“ verschleppt wurden, mussten Hunderttausende Zwangsarbeit in deutschen Industriebetrieben leisten. In Hannover, dem Standort der Unternehmensfamilie Bahlsen, waren 40 Prozent aller Arbeitskräfte Häftlinge oder Zwangsarbeiter. Kaserniert in über 500 Lagern der Stadt, diente ihre Arbeit der Aufrechterhaltung des deutschen Krieges und der Steigerung privater Unternehmensgewinne. Die in die Nachkriegszeit hinübergeretten deutschen Industrievermögen, an denen Blut und Schweiss der Zwangsarbeit klebt, sind das Fundament des Aufstiegs der Bundesrepublik Deutschland zur wohlhabendsten EU-Nation. Bis heute weigert sich die deutsche Industrie, das Leid der Zwangsarbeiter zu restituieren. Sie hat Brosamen ihrer Gewinne in einen zweifelhaften Ausgleichsfonds gezahlt (Stiftung EVZ) – rechtsunverbindlich wegen angeblicher Verjährung und völlig unzureichend. Obwohl die deutsche Industrie im Europa der EU Milliardengewinne erzielt, darunter in jenen Ländern, aus denen die Zwangsarbeiter verschleppt wurden, lässt sie die letzten Überlebenden der Zwangsarbeit leer ausgehen, in Polen ebenso wie in der ehemaligen Sowjetunion, in der Tschechischen Republik oder in Italien. Die unbedarften Äußerungen einer geschichtsvergessenen Unternehmenserbin werfen ein Schlaglicht auf das Selbstverständnis der neuen deutschen Industriegenerationen und auf die öffentliche Moral…“ Pressemitteilung vom 15. Mai 2019 von und bei Zug der Erinnerung
- Andreas Eberhardt über die Bahlsen-Debatte: „Wir waren schon mal weiter“
„… „Es ist überraschend, wie Firmennachfolger jetzt auf einmal mit diesem Thema umgehen“, sagt Andreas Eberhardt, Vorstandsvorsitzender der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die ehemalige Zwangsarbeiter des NS-Regimes entschädigt. „Wir sind uns doch in Deutschland sehr gewiss, dass sich bestimmte Dinge verankert haben. An solchen Äußerungen merkt man, dass man bei der Setzung solcher Themen nicht nachlassen sollte, sondern dass man weiterhin sehr genau darauf achtet, welche Narrative sich verankern und welche Narrative wir derzeit auch pflegen.“ (…) Die Deutschen nähmen sich zu viel als Helden und Opfer wahr und zu wenig als Täter, sagte Eberhardt. „Wir müssen uns einer gewissen Anstrengung unterziehen, uns mit den Aspekten unserer eigenen Geschichte auseinander zu setzen“, fordert er. Es habe durchaus sehr unterschiedliche Arten des Umgangs mit Zwangsarbeit gegeben, sagt er – immerhin ginge es um 14 Millionen Menschen, die zur Arbeit gezwungen worden waren. In Unternehmen seien sie aber in der Regel in Lager gesperrt und auch schlechter verpflegt und geringer entlohnt worden. Zwangsarbeit sei so alltäglich gewesen, dass sie bis heute nicht als nationalsozialistisches Verbrechen bewusst geworden sei. Sie sei eher als Normalität des Krieges behandelt worden, sagt er. „Das missachtet, dass dort Menschen gezwungen wurden zu arbeiten und massiv in ihre Biografie eingegriffen wurde – mit weitgehenden Folgen für diese Menschen. Das Problem in dieser Äußerung sehe ich darin, dass weiterhin nationalsozialistische Zwangsarbeit kaum als ein Verbrechen bei uns verankert zu sein scheint.“…“ Beitrag und Interview von Julius Stucke vom 14. Mai 2019 beim Deutschlandfunk Kultur (Audiolänge: ca. 8 Min., abrufbar bis zum 19. Januar 2038)