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Presse-Umgang mit „Alternative für Deutschland“: Je weniger, desto besser
Dossier
„Viele Journalisten stellen sich die Frage, ob sie die „Alternative für Deutschland“ (AfD) behandeln sollen, wie jede andere Partei auch? Dabei müsste die Frage eher lauten: reicht es, wenn sich Journalistinnen und Journalisten für Gespräche mit der AfD so vorbereiten, wie bei anderen auch? (…) Für Journalist*innen ist es wichtig zu wissen, wie Populismus funktioniert. Viele Leute denken fälschlich, es gehe darum, dass Politiker einfache Wahrheiten aussprechen und dabei provozieren. Aber Populismus ist kein rhetorisches Stilmittel, sondern eine Ideologie. (…) die AfD würde die unliebsame „Systempresse“ gern abschaffen. Sie hinterfragt die Legitimation unserer Arbeit – insbesondere die der öffentlich-rechtlichen Medien. Gleichzeitig braucht sie die etablierten Medien, um ihre Themen in die Debatten zu einzubringen. (…) Redaktionen könnten sich vor der Berichterstattung diese Fragen stellen: Wie geht man kritisch mit ihrer irreführenden Selbsteinordnung um und ordnet sie richtig ein? (…) Muss man ihr bei jeder/dieser Provokation eine Plattform bieten?…“ Artikel von Ferda Ataman vom 1. Dezember 2019 aus der dju-Zeitung mmm und mehr zur wichtigen Debatte:
- AfD und die Medien: Der geliebte Feind
Im Interview von Dorte Lena Eilers vom 11. November 2024 in Neues Deutschland online sagt Teresa Völker vom Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung über die mediale Fixierung auf die AfD, das Erstarken der extremen Rechten und die Fehlerkultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: „… Die Aussage, die AfD habe erst Raum im medialen Diskurs erhalten, als sie in den Parlamenten saß, steht zu meinen Ergebnissen im Widerspruch. Seit Gründung konnte die AfD sehr viel Sichtbarkeit, Resonanz und damit auch Legitimität in den Medien verbuchen. Insbesondere nach kritischen Ereignissen, nach der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 etwa oder den Terroranschlägen 2015/16, wurden ihre Narrative aufgegriffen. Sie konnte auf diese Weise schnell Deutungsangebote machen – im Kontext kultureller Debatten, etwa zu Migration oder dem Islam, aber auch in Sicherheitsfragen. Diese Positionen wurden von anderen Akteuren dann aufgegriffen. Ein Trend, der sich bis heute fortsetzt. (…) Das Erstarken der radikalen Rechten hat natürlich viele Faktoren. Dass die Medien dabei aber eine zentrale Rolle gespielt haben, würde ich aus den Ergebnissen so ableiten. (…)Es wurde zu wenig darüber reflektiert, dass, wenn man Realität abbildet, auch Realität schafft. Dazu zählt das Versäumnis, alternative Ideen in den Diskurs einzubringen – sowohl vonseiten der demokratischen Parteien als auch vonseiten der Medien. Alle arbeiten sich viel zu sehr an der Frage ab: Was hat die AfD gesagt? Das hat auch in dem jetzigen Landtagswahlkampf wieder stattgefunden. (…) [Ich rate den Medienschaffenden:] Weg von der Fixierung auf die AfD. Weg von Zuspitzungen. (…) Ergebnis meiner Studie war auch, dass es große institutionelle Zwänge gibt, unter denen Medienschaffende leiden: Zeitdruck, Ressourcenknappheit, Überforderung. Alles muss immer schneller gehen, die Sorgfalt nimmt dadurch Schaden. Hinzu kommen die Risiken für Journalist*innen. Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich als objektive Berichterstatter verstehen, also alle politischen Meinungen berücksichtigen, wurden von der AfD als »Feind« markiert. Interviewpartner*innen berichten von Einschüchterungsversuchen und Angriffen. (…) Medien haben die Aufgabe, einen Diskurs zu ermöglichen, aber eben im demokratischen Spektrum. Davon abgesehen halten die meisten Medienschaffenden des ÖRR, mit denen ich gesprochen habe, eine ausgewogene Debatte über Inhalte und Gestaltung des ÖRR für absolut legitim. Das Problematische ist, wie der Diskurs vonseiten der AfD und anderen extremistischen Kräften betrieben wird. Stichwort Elite, Lügenpresse etc. Da geht es ja nicht um Inhalte, sondern der ÖRR wird als Ganzes delegitimiert. Die legitime Kritik wird überlagert von einer populistischen…“ - Kann sich die AfD für ihren Wahlerfolg auch bei ARD & ZDF bedanken? Sichtbarkeit bei Tagesschau, Heute & Co. steigt 2024 stark an – und eine Petition dagegen
- Kann sich die AfD für ihren Wahlerfolg auch bei ARD & ZDF bedanken? Sichtbarkeit bei Tagesschau, Heute & Co. steigt 2024 stark an
„Anlässlich der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen haben Roland Schatz und sein Media-Tenor-Team 7.665 Berichte über Parteien und Politiker im Zeitraum Januar bis August 2024 ausgewertet. Die Analysten kommen zu dem Schluss, dass ARD und ZDF der AfD eine fragwürdige Medienpräsenz bieten. „Wieso erhält die AfD bei ARD und ZDF in Sachen Medien-Sichtbarkeit (für Wahlkämpfer die Gold-Währung) Gesamtrang 3, obwohl sie weder im Land noch im Bund in der Regierungsverantwortung steht? Warum sind bei ZDF fünf AfD-Politiker, bei ARD vier unter den Top 15 seit Jan 2024?“. Diese Fragen stellte Media Tenor-Chef Roland Schatz in seiner aktuellen Analyse „Landtagswahlen 2024 – das Medienbild der im Landtag vertretenen Parteien“. (…) Die wichtigsten Ergebnisse der Media-Tenor-Analyse: – Die Medienpräsenz der AfD ist im Jahr 2024 in den TV-Nachrichten von ARD und ZDF stark angestiegen, im Deutschlandfunk war der Anstieg nicht ganz so intensiv. – In den ARD- und ZDF-Primetime Nachrichten „Tagesschau“ sowie „Tagesthemen“ bzw. „Heute“ sowie „Heute-Journal“ wurde die AfD 2024 intensiver berücksichtigt als die Grünen, die immerhin im Bund sowie in beiden Bundesländern bis zum Wahltag in der Regierungsverantwortung standen. – Deutlich weniger berücksichtigt waren die LINKE, die in Thüringen immerhin den Ministerpräsidenten stellt. – Die FDP wundert sich über die katastrophalen Resultate an den Wahlurnen in Sachsen und Thüringen, aber allein beim ZDF ist das Sichtbarkeits-Verhältnis zur AfD 1:5. – Von Januar bis April begannen die ARD und ZDF, über die AfD bevorzugt hinsichtlich ihrer sachpolitischen Konzepte zu informieren: Die Migrations-Vorschläge wurden insbesondere auf die Vorschläge hinsichtlich „Re-Migration“ thematisiert, die Verbindungen nach Russland und China deutlich hinterfragt – in der Folge gingen die Umfrage-Werte für die AfD auf Bundesebene deutlich nach unten. Mit dem Mai änderten ARD und ZDF diesen Fokus und berichteten verstärkt über Umfragen und die Werte stiegen wieder. – Das Attentat von Solingen hat noch eine Woche vor der Wahl gezeigt, wie zentral das Thema Kriminalität und Sicherheit in Deutschland ist. Dass bei diesem Thema parteipolitisch zunächst einmal die SPD im Vorteil ist, weil sie die Fachministerin stellt, liegt auf der Hand. Aber die FDP stellt mit Marco Buschmann den Justizminister – dennoch erhalten die Liberalen bei ARD und DLF teilweise noch nicht einmal die Hälfte, die beide Sender ausgerechnet der AfD widmen, obwohl diese weder im Land noch im Bund in der Verantwortung stehen. – Im Zusammenhang mit Themen rund um Zuwanderung, Asyl und Flüchtlingspolitik waren es seit Januar nicht die AfD und ihre Politiker und Politikerinnen, sondern die Unionsparteien, die von den Sendern hauptsächlich mit diesen Themen in Verbindung gebracht wurden. Besonders intensiv im DLF. Die Linke scheint zu diesem Thema keine Vorschläge unterbreitet zu haben, zumindest gab es kaum Sendezeit für sie…“ Beitrag von Marc Bartl vom 3. September 2024 bei kress - Petition an den Rundfunkrat und den Programmrat aller öffentlich-rechtlich Sender: Populismus raus aus dem öffentlichen Rundfunk
„Beinahe alle Talkshow-Formate von ZDF und ARD bedienen den Populismus, ohne ernsthaft die wahren Probleme im Land zu thematisieren und Lösungen zu diskutieren. Kurz nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen erklärte Frau Prien in der Sendung „Lanz“, dass an hohen Mieten die Migration Schuld sei. Das bedient die Narrative der rechten Populisten, ohne die eigentlichen Gründe für die Situation im Wohnungsbau zu nennen: – Wegfall von Sozialwohnungen – sehr geringe Neubauquote um nur einige zu nennen. Und so kann man aus den vergangenen Monaten viele Beispiele aufzählen. Sendungen, die Populisten dazu genutzt haben, Ihre einfachen Plattitüden zu verbreiten, die noch dazu oftmals keinem Faktencheck standhielten. Damit muss Schluss sein. Wir brauchen Diskussionsformate, die Probleme analysieren und sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden geben. (…) Wir müssen in unserem Land zu einer sachlichen, faktenbasierten Diskussionskultur zurückkommen. Weg von Populisten und vermeintlich einfachen Antworten…“ Petition gestartet am 5. September 2024 bei WeAct Campact – auch wenn der Rundfunkrat „der Freiheit der Berichterstattung“ für sich in Anspruch nehmen kann und auch bei der nicht verbotenen AfD dem Meinungspluralismus unterworfen ist, macht hier u.U. eine Petition gegen die Art der Berichterstattung Sinn, weil eine Petition auch zu diesem Pluralismus gehört und die Berichterstattung eben gegen diese Pluralismus verstößt. Statt Beitragsverweigerung, Kritik („Lügenpresse“) ist vom Demokratieprinzip her solch Einflussversuch durch „Bitten und Beschwerden“ (Petitionsrecht Art. 17 GG) auch sinnvoll.
- Kann sich die AfD für ihren Wahlerfolg auch bei ARD & ZDF bedanken? Sichtbarkeit bei Tagesschau, Heute & Co. steigt 2024 stark an
- [Agenda-Setting und Issue Ownership] So haben Politik und Medien die AfD groß gemacht
„Es liegt auch an etablierten Medien und demokratischen Parteien, dass so viele inzwischen die AfD wählen. Doch es gibt einen Weg, aus der Dynamik auszubrechen. (…) Gründe, warum Menschen die AfD wählen, gibt es viele. Aber dass es überhaupt so weit kommen konnte, haben andere Parteien und die Medien zu verantworten, sagt die Politikwissenschaftlerin Teresa Völker. Ich habe mit ihr über ihre Forschung gesprochen. (…) „Die zentrale Erkenntnis unserer Forschung ist, dass die Themen und Ideen der extremen Rechten in Deutschland in den letzten 20 Jahren enorm an Sichtbarkeit und Legitimität gewonnen haben“, sagt Völker. Vor allem kritische Ereignisse und Krisen seien dabei wichtig gewesen: Terroranschläge, Gewalttaten wie die in Freiburg oder die sogenannte Flüchtlingskrise. (…) In Krisen-Momenten laufen Medien und andere Parteien der Themensetzung der AfD hinterher – und normalisieren so die Positionen der extremen Rechten. Ihre Untersuchung zeigt, dass Medien in Momenten wie nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz AfD-Politiker:innen nach ihrer Einschätzung der Lage befragen und ihre Positionen so in die breite Öffentlichkeit tragen. Gleichzeitig verhalten sich auch die anderen Parteien zu den Ideen. „Sie übernehmen die Themen der extremen Rechten oder reagieren darauf“, sagt Völker. Ihre Daten zeigen, dass die anderen Parteien den Erzählungen und Deutungen der AfD nacheifern oder ihnen zumindest besonders viel Aufmerksamkeit schenken. „Dahinter steckt oft die Annahme, dass, wenn man AfD-Themen aufgreift, deren Wähler zurückgewinnen könnte“, sagt Völker. Doch diese Strategie gehe nicht auf, im Gegenteil: „Diese Resonanz und Sichtbarkeit hilft der AfD“. (…) Das liegt an zwei Dynamiken: Agenda-Setting und Issue Ownership.
„Agenda-Setting“ bezeichnet den Versuch, ein Thema in der Öffentlichkeit zu platzieren. Rechtsextreme wissen: Um ihr eigenes Thema zu platzieren, sind Massenmedien nützlich, weil sie eine breite Öffentlichkeit erreichen und weil sich Rechtsextreme dort als harmlos präsentieren können. Im Anzug, scherzend, staatsmännisch und beschwichtigend. Wenn sie dort ihre Forderungen debattieren dürfen, verschafft ihnen das unter Zuschauer:innen Anerkennung. Nach dem Motto: Wenn sogar in der ARD debattiert wird, ob Ausländer krimineller als Deutsche sind, muss die Frage ja berechtigt sein. Nun könnte man einwenden: Solange sich Journalist:innen und andere Gäste kritisch mit den Inhalten und Positionen auseinandersetzen, ist das kein Problem. Aber Völker sagt: Selbst das hilft der AfD. Denn Parteien „gehören“ gewisse Themen. In der Politikwissenschaft spricht man von Issue Ownership: Bestimmte politische Themen oder Probleme werden in der Öffentlichkeit mit einer Partei assoziiert, die als besonders kompetent in der Lösung dieser Probleme gilt. Normalerweise, weil sie das Thema besonders früh für sich vereinnahmt hat. Bei den Grünen ist es der Klimaschutz, bei der AfD Migration, Sicherheit und die Gegnerschaft zur Klimaschutzpolitik. „Wenn jetzt jemand fragt: Wer kann sich am besten um Abschiebungen kümmern, dann denken die meisten Menschen an die AfD“, erklärt Teresa Völker. Weil sie diese Forderung seit Jahren stellt…“ Beitrag von Benjamin Hindrichs vom 16.08.2024 bei Krautreporter - „AfD ist keine normale Partei“: Hamburger Bündnis gegen Rechts und „Omas gegen Rechts“ protestierten vor den Toren des NDR gegen erneutes AfD-Sommerinterview
- „AfD ist keine normale Partei“: Proteste vor den Toren des NDR
„Der Norddeutsche Rundfunk und sein Umgang mit der AfD. Zum dritten Mal innerhalb weniger Monate steht der NDR im Kreuzfeuer der Kritik. Donnerstagmittag kam es vor der Einfahrt des Landesfunkhauses in Lokstedt zu einer Demo: Rund 70 Personen, darunter NDR-Mitarbeiter, Mitglieder des Hamburger Bündnisses gegen Rechts und der Gruppe „Omas gegen Rechts“, protestierten. (…) „NDR ist nicht verpflichtet, O-Töne von AfD-Politikern zu senden“
In einer Rede wies Kay Seligmann, Sprecher des Hamburger Bündnisses gegen Rechts, darauf hin, dass der NDR nach dem Medienstaatsvertrag zwar verpflichtet sei, über politische Entwicklungen zu berichten und in diesem Zusammenhang auch über die AfD und ihre Positionen. Nicht verpflichtet sei der Sender aber, O-Töne und Interviews mit AfD-Politikern zu publizieren. Das sei die freie Entscheidung des NDR. Angesichts der Gefahr, dass die AfD demnächst möglicherweise in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mitregieren könnte, sei es ein völlig falsches Signal, ein Interview mit Dirk Nockemann zu führen und einer „faschistischen Partei“ Gelegenheit zu geben, ihre Propaganda zu verbreiten. (…) Dazu äußerte sich auf der Demo Stephanie Steffen, die Verdi-Vorsitzende im NDR. „Es kann nicht sein, dass demokratische Parteien vom NDR in einem Ladenlokal interviewt werden, und dass dann die AfD zum selben Zweck auf das NDR-Betriebsgelände eingeladen wird.“ Stephanie Steffen fügte hinzu: „Auch mit dem Ort, an dem man ein Interview führt, kann man bewusst oder unbewusst eine Aussage machen. Ich halte deshalb den Weg, den der NDR in diesem Fall gewählt hat, für einen Fehler.“…“ Artikel von Olaf Wunder vom 15.08.24 in der Hamburger Mopo online - „Ca. 70 Pers. haben vor dem #NDR in Lokstedt gegen ein Interview mit #noAfD-HH-Chef Nockemann demonstriert. Dazu hatte das „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ #HBgR aufgerufen. Danke an alle beteiligten Organisationen und Antifaschist*innen! Keine große Bühne der AfD beim NDR!“ Tweet vom Hamburger Bündnis gegen Rechts vom 15. Aug. 2024 mit Foto
- Der NDR und die Sommerinterviews: Große Bühne für die AfD
„Auch der NDR hält an den jährlichen Sommerinterviews fest und lädt nun Hamburgs AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann ein. Protest ist angekündigt.
Umstritten ist es nun schon jedes Jahr aufs Neue, doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hält weiter stur daran fest: auch AfD-Politiker*innen bei den sogenannten Sommerinterviews eine Bühne zu bieten. Am Donnerstag aber kann der NDR Hamburg zumindest nicht wie geplant sein Interview mit dem Vorsitzenden der AfD-Bürgerschaftsfraktion, Dirk Nockemann, führen. Eigentlich wollte der NDR das Interview mit ihm, wohl um Nähe zu Bürger*innen darzustellen, in der Harburger Fußgängerzone führen. Doch nachdem das Hamburger Bündnis gegen Rechts (HbgR) seinen Protest gegen die Veranstaltung angekündigt hatte, verlegte der NDR das Interview mit Nockemann kurzerhand auf das abgeschirmte Funkhausgelände in Lokstedt. Die Kritik am NDR, die AfD wie die anderen demokratischen Parteien zu behandeln, bleibt dennoch bestehen. (….) Und so hatte der NDR Niedersachsen im Juni schon den niedersächsischen Vorsitzenden der AfD-Landtagsfraktion, Klaus Wichmann, zu Gast. Der nutzte das Forum, um sich im Vergleich zu Björn Höcke als moderat zu geben – ohne sich aber von ihm zu distanzieren. Über Höcke wolle er sich, so sagte er es im Interview, „weder positiv noch negativ äußern“. Ohne einen internen Parteikonflikt auszulösen, konnte Wichmann im Sommerinterview seine Botschaft, die AfD in Niedersachsen sei nicht extremistisch, an das große Publikum problemlos transportieren.
NDR Hamburg weicht Kritik aus
Der NDR Hamburg geht in einer Erklärung, warum er das Sommerinterview mit Nockemann verlegt, nicht auf die zuvor geäußerte Kritik des HbgR ein. (…) Das Bündnis hatte den NDR aufgefordert, Nockemann wieder auszuladen und dabei explizit auf die mangelnde Distanz von Nockemann zu Rechtsextremisten verwiesen…“ Kolumne von Andreas Speit vom 15.08.24 in der taz online vor der Kundgebung des Hamburger Bündnisses gegen Rechts vor dem NDR anlässlich des Sommerinterviews mit AfD-Politiker Dirk Nockemann: heute, 12 Uhr, Hugh-Greene-Weg 1, Hamburg
- „AfD ist keine normale Partei“: Proteste vor den Toren des NDR
- Keine Kooperation: Positionspapier des DJV-Bundesvorstands zum Anwachsen des Rechtsextremismus in Deutschland
„Nach dem Ergebnis der Europawahl und mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sorgt sich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) um die Pressefreiheit. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass extreme und pressefeindliche politische Kräfte in den Bundesländern in Regierungsverantwortung kommen und ihre verfassungsfeindlichen Vorstellungen von Medienpolitik umsetzen. Der DJV positioniert sich gegen jegliche Angriffe auf die in unserer Demokratie grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit.
Die AfD und der Journalismus
Schon unter ihrem Gründungsvorsitzenden Bernd Lucke wurden bei der AfD Akkreditierungen bei Parteiveranstaltungen nach Gutsherrenart vorgenommen: Journalist*innen, die als „zu kritisch“ galten, wurden nicht zugelassen. Je radikaler und extremer die Partei wurde, desto feindlicher wurde ihr Umgang mit Berichterstattung. (…)
Schutz der Pressefreiheit
Der DJV benennt und kritisiert Angriffe auf die freie Berichterstattung und die Pressefreiheit, egal von wem sie begangen werden. Das machte bereits der DJV-Verbandstag 2018 in Dresden deutlich. Die AfD und andere radikale, extreme und verschwörungsideologische Kräfte haben durch Hass, Hetze und Häme ein gesellschaftliches Klima befördert, in dem Übergriffe auf Journalist*innen alltäglich geworden sind. Im Februar dieses Jahres hatte der DJV eine Neujustierung der Berichterstattung über die AfD gefordert. Berichterstattung muss kontinuierlich auf die extremistischen Absichten dieser Partei hinweisen. Bundesvorsitzender Mika Beuster: „Das muss wie ein unübersehbarer Warnhinweis wie auf Zigarettenschachteln in unseren Artikeln auftauchen.“ Offen rechtsextreme Positionen zu transportieren, ist nicht Aufgabe des Journalismus. Wenn eine Partei als gesichert rechtsextrem gilt, dürfe sie nicht wie andere demokratische Parteien in der Berichterstattung behandelt werden…“ DJV-Positionspapier vom 12. Juli 2024 (kein deeplink, bitte scrollen), siehe auch:- Keine Kooperation: Der DJV-Bundesvorstand hat sich in einem Positionspapier von extremistischen Parteien distanziert. Warum das wichtig ist
„Dass Deutschlands größte Journalistenorganisation nicht gemeinsame Sache mit extremistischen politischen Kräften macht oder machen kann, ist eigentlich selbstredend. Schon 2018 hat der DJV in seiner „Dresdner Erklärung“ politischem Extremismus eine klare Absage erteilt: „Der Deutsche Journalisten‐Verband lehnt alle Formen von politischem Extremismus gleich welcher Ausrichtung strikt ab. Journalistinnen und Journalisten im DJV treten in ihrem Beruf aktiv für die Demokratie und ihre Grundwerte, insbesondere für die Presse‐, Rundfunk‐ und Meinungsfreiheit, ein. Die Mitgliedschaft im DJV und Positionen, welche die Pressefreiheit bzw. die freie, ungehinderte Ausübung des Journalistenberufs einschränken wollen, sind miteinander nicht vereinbar.“ Fünfeinhalb Jahre später sieht die politische Wirklichkeit in diesem Land anders aus: Die AfD hat bei der Europawahl massiv zugelegt. Wahlumfragen deuten darauf hin, dass sie bei den Landtagswahlen im September in Thüringen, Sachsen und Brandenburg jeweils die stärkste politische Kraft werden könnte. Wie sich das BSW entwickelt, ob es auch den Extremisten zugeodnet werden muss, ist im Moment noch offen. Klar ist aber, dass sich der DJV als Verband klar positionieren muss. Und das hat er jetzt mit einem Positionspapier des Bundesvorstands getan. Unausgesprochen steht dahinter die Frage: Was wäre, wenn? Wenn die AfD in einem Bundesland den Ministerpräsidenten stellen könnte? Wenn sie die Möglichkeit bekäme, die Axt an die Pressefreiheit zu legen? Das Positionspapier stellt klar, dass der DJV als Verband keine politischen Gespräche mit Extremisten führen wird. Und das gilt auch nach dem Wahltag.“ Kommentar von Hendrik Zörner vom 17. Juli 2024 bei DJV - Etwas Schade, dass sich die Erklärung nicht auf rechten „Extremismus“ beschränkt, aber auch dass überhaupt der umstrittene und unbestimmte Begriff „Extremismus“ benutzt wird…
- Keine Kooperation: Der DJV-Bundesvorstand hat sich in einem Positionspapier von extremistischen Parteien distanziert. Warum das wichtig ist
- Boykottiert die Sommerinterviews! AfD in Sommerinterviews als Arbeitsverweigerung der zuständigen Redaktionen
- AfD in Sommerinterviews: Warum eigentlich?
„Die beiden AfD-Vorsitzenden waren an diesem Wochenende getrennt voneinander Gast in den Sommerinterviews von ARD und ZDF. Warum eigentlich? Die Partei wird beim Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft.
Vor einer Woche ein harmonischer Bundesparteitag, jetzt die obligatorischen Sommerinterviews der Öffentlich-Rechtlichen: Medial läuft es für die AfD im Moment ziemlich gut. Das kann man zumindest meinen, wenn man die Berichterstattung über die Partei und ihre Spitzen verfolgt: sachlich, kritisch, ohne Lobhudelei. Eben genauso wie im Fall der Spitzenkräfte anderer demokratischer Parteien, die vor Kamera und Mikrofon stehen. Dass es qualitative Unterschiede in diesen Interviews gibt, analysiert heute die FAZ in ihrem Vergleich der Interviews von ARD und ZDF mit Tino Chrupalla und Alice Weidel.
Warum eigentlich führen die beiden öffentlich-rechtlichen Sender Sommerinterviews mit den Spitzen einer Partei, die beim Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall gelistet ist? Eine Partei, die jetzt bereits in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen als gesichert rechtsextremistisch gilt? Die sich über riesige Einschaltquoten und die Möglichkeit freuen kann, zur Hauptsendezeit Millionen von Fernsehzuschauern ihr freundliches Bild zu präsentieren. Nur deshalb, weil die AfD im Bundestag vertreten ist?
Das ist ein sehr formales Argument, das aktuelle politische Entwicklungen wie eine rasante Rechtsdrift der AfD nicht berücksichtigt. Dann müssten die beiden Sender auch noch Interviews mit Weidel und Chrupalla führen, wenn ihre Partei bundesweit als gesichert rechtsextremistisch engestuft wäre. Dass es so kommen kann, ist zumindest nicht unwahrscheinlich.
Die Sommerinterviews lassen am Ende Fragen offen – zu viele Fragen.“ Kommentar von Hendrik Zörner vom 8.07.2024 im DJV-Blog - Politik im Sommerloch: Boykottiert die Sommerinterviews!
„Man wünscht sich, einmal Mäuschen in den Köpfen von so manchem Redakteur und so mancher Redakteurin in den Redaktionen von ARD und ZDF zu sein. Einmal Mäuschen in den Köpfen von so manchem Redakteur und so mancher Redakteurin in den Redaktionen von ARD und ZDF: Vor allem zur Sommerzeit. Denn da stehen traditionell die Sommerinterviews mit den Spitzenkandidat:innen des bundespolitischen Politzirkus an und es wird genau hingeschaut, wer auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses im Berliner Regierungsviertel Platz nimmt. Und Jahr für Jahr rauchen in den Redaktionen die Köpfe ob der Frage, wie denn mit der rechtsextremen „Alternative für Deutschland“ umzugehen sei. Einmal Mäuschen in den Köpfen von so manchem Redakteur und so mancher Redakteurin in den Redaktionen von ARD und ZDF: Denn der vermeintliche Umgang mit der AfD in den Sommerinterviews ist im Grunde nichts anderes als Arbeitsverweigerung der zuständigen Redaktionen…“ Kommentar von Moritz Post vom 07.07.2024 in der FR online
- AfD in Sommerinterviews: Warum eigentlich?
- [Online-Webinar am 03.07.2024] Medien, AfD und die Grenzen des Sagbaren: Wie können Journalist*innen Normalisierungsstrategien der extremen Rechten erkennen und verantwortungsvoll über sie berichten?
„Ein Webinar für Journalist*innen und Wissenschaftler*innen am 3. Juli von 18 bis 19.30 Uhr. Referentin: Hannah Hecker, Universität Tübingen.
Seit Jahren wird im Journalismus über den richtigen Umgang mit der AfD diskutiert. Angesichts der Radikalisierung und des gleichzeitigen Popularitätsgewinns der Partei stellt sich diese Frage verschärft – vor allem auch im Vorfeld der Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die Sozialwissenschaftlerin Hannah Hecker forscht an der Universität Tübingen über den medialen Umgang mit der AfD in politischen Talkshows und den damit verbundenen Strategien rechter Akteure, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. In einem einführenden Vortrag zeigt sie Beispiele für Normalisierungsversuche der AfD auf und macht Vorschläge für einen verantwortungsvollen journalistischen Umgang mit diesen Strategien. Im Anschluss diskutiert sie mit den Teilnehmenden über deren Fragen und Beispiele aus dem journalistischen Arbeitsalltag. Die Veranstaltung wird gemeinsam organisiert vom Wissensnetzwerk Rechtsextremismusforschung (Wi-REX) und dem Institut für Journalistik an der TU Dortmund. Anmeldungen bitte an info@wi-rex.de. Hannah Hecker ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem DFG-Forschungsprojekt »Die Aushandlung von Sagbarkeitsgrenzen in politischen Diskursen. Eine Analyse parlamentarischer, massenmedialer und zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeiten« am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen.“ Ankündigung beim Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung des Online-Webinars am 03.07.2024 doch ohne Links in der Veranstaltungsübersicht (bitte dort erkundigen) - Über Rechtsextreme reden? Handlungsempfehlungen für den journalistischen Umgang mit rechtsextremen Parteien und die Berichterstattung über Rechtsextreme
„Der Rechtsextremismus wird immer mehr zur Bedrohung für die Demokratie als Ganzes. Rechtsextreme Parteien wie die AfD haben sich in den letzten Jahren immer weiter radikalisiert, gleichzeitig erleben wir eine gesellschaftliche Normalisierung rechtsextremer Positionen und Erzählungen. Parallel dazu müssen Medienschaffende einen Umgang damit finden, dass Rechtsextreme politische Ämter besetzen und darüber auch versuchen, den medialen Diskurs zu beeinflussen. Dies stellt die Berichterstattung immer wieder vor Herausforderungen. Der CeMAS-Policy-Brief „Über Rechtsextreme reden? Empfehlungen für die mediale Berichterstattung“ stellt Ansätze für den Umgang vor…“ Policy Brief von Pia Lamberty und Maheba Goedeke Tort vom 7. Mai 2024 bei CeMAS - [„Journalist*innen müssen stärker hinterfragen, welche Stimmen sie multiplizieren, wem sie Raum geben“] Plädoyer an die Presse – 10 Ideen gegen die Medienkrise
„Ein Ziel dieses Plädoyers ist es, dass sich Journalist*innen wieder stärker dieser Verantwortung bewusst werden – und dass dieses Bewusstsein zu einem konstruktiven Selbstbewusstsein wird. Denn es gibt kein Naturgesetz, das etablierte Medien verpflichtet, den rechten, demokratie- und wissenschaftsfeindlichen Narrativen hinterherzurennen. Sie können stattdessen andere, konstruktive und demokratische Narrative etablieren, sogar eigene Themen setzen – und so die Hoheit über den Diskurs zurückgewinnen. Allzu oft steht dem jedoch ein verrutschtes Verständnis von Objektivität und Demokratie im Weg. Journalist*innen müssen stärker hinterfragen, welche Stimmen sie multiplizieren, wem sie Raum geben. Denn zu oft ist es die laute Minderheit der Extremist*innen. Scheinbar unaufhaltsam bestimmen diese Leute, worüber wir reden, wann wir darüber reden und wie wir darüber reden. Medienschaffenden bleibt dann das ernüchternde Gefühl, man renne nur hinterher. Das ist das Ziel der Neuen Rechten, die strategisch und mit aller Vehemenz versucht, die Diskurshoheit an sich zu reißen…“ Aus dem Plädoyer mit „10 Ideen gegen die Medienkrise“ bei Volksverpetzer mit Unterstützung von djv u.a. - Sollte man die AfD in TV-Talkshows einladen? „Bitte nicht!“ Warum Caren Miosga die falsche Entscheidung trifft „Sie hatte es zu Beginn ihres neuen Formates angekündigt, nun unternimmt Caren Miosga den Versuch, mit einem AfD-Politiker in ihrer Sendung im Ersten zu sprechen. Für Sonntag, 21. April 2024, hat das Talkformat Tino Chrupalla, AfD-Bundessprecher und Fraktionsvorsitzender im Bundestag, als Gast angekündigt. Im „medium magazin“ 1/2024 kommentiert Tanjev Schultz in seiner Kolumne „einerseits…andererseits“ Miosgas Einstellung zur Frage, ob man die AfD in Talkshows einladen solle. (…) Wieder und wieder ist in Redaktionen über den Umgang mit der AfD diskutiert worden, und nun geht in diesem Wahljahr alles von vorne los. Die Chance, alte Fehler noch einmal zu begehen, möchte auch Caren Miosga ergreifen. Bitte nicht. Warum glauben Journalistinnen und Journalisten, sie müssen AfD-Leute einladen, da diese nun einmal so populär sind? Nichts müssen sie.
Natürlich haben die öffentlich-rechtlichen Medien den Auftrag, die Breite der Meinungen und Gruppen in der Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Doch das bedeutet nicht, dass diese Breite in jedes Format passt. Und es bedeutet keineswegs, wirklich allen Akteuren und jeder Ansicht, sei sie noch so abstrus oder gefährlich, Aufmerksamkeit zu schenken. Wo sich extremistische Entwicklungen nicht ignorieren lassen, sollten sie zwar zum Thema werden – nur eben nicht in Gesprächen mit den Extremisten selbst.
Muss man denn nicht mit allen Menschen reden können? Ja, schon. Allerdings nicht in jeder Situation und in jedem Setting. Ein Gefängnisseelsorger spricht mit grausamsten Gewalttätern, ein Strafverteidiger mit übelsten Terroristen. Journalistinnen und Journalisten haben ebenfalls oft gute Gründe, in einer Recherche mit finsteren Typen zu reden, mit Diktatoren, Mafiabossen oder Neonazis. Aber in der Regel nicht live vor einem Millionenpublikum. (…)
Björn Höcke in eine Talkshow einzuladen, ist im besten Fall naiv, im schlimmsten Fall bündlerisch oder zynisch. Offenbar hat Caren Miosga das auch nicht vor. Wer zu „krass“ rechtsextrem sei, den wolle sie nicht in ihrer Sendung haben; wohl aber – zum Beispiel – einen AfD-Bürgermeister aus Sachsen-Anhalt, den sie demnach für gemäßigt hält. Anders gesagt: Miosga traut ihrem eigenen Argument nicht. Denn es ist ja nicht der Bürgermeister, der in den Wahlumfragen zur Landtagswahl in Thüringen vorne liegt, es ist der Spitzenkandidat Björn Höcke mit seiner von ihm geprägten Partei. Wie würde das konkret aussehen in der Sendung? Würde dort ruhig und sachlich mit dem Bürgermeister diskutiert, erschiene dieser als vielleicht streitbarer, letztlich aber erträglicher Politiker – und die AfD würde viel harmloser wirken, als sie ist. Diese Art der Normalisierung wäre ganz nach dem Geschmack der Extremisten, die sich ja als vermeintlich „bürgerliche“ Kraft und als „Grundgesetz-Partei“ ausgeben. Würde der Bürgermeister hingegen hartnäckig zu den Widersprüchen zwischen dieser Fassade und den realen Absichten sowie der völkischen Rhetorik von Höcke und anderen aus der AfD befragt, ergäbe sich der übliche Entlarvungskrampf: Die Journalistin strampelt sich ab, der AfD-Gast weicht aus, leugnet, verharmlost oder treibt die Runde mit eigenen Provokationen vor sich her. Niemand wird dadurch schlau. Wenn es einigermaßen gelingt, einen AfD-Politiker in Widersprüche zu verwickeln, wie unlängst Sandra Maischberger im Gespräch mit Tino Chrupalla, bleibt die Wahrnehmung der AfD-Anhänger dennoch eine völlig andere. Auf Social-Media-Plattformen feiern sie jede kleine Bockigkeit und jede scheinbar schlagfertige Antwort ihrer Leute als einen kolossalen Sieg über die angebliche „Lügenpresse“. Es stimmt, die AfD benötigt ARD und ZDF nicht, sie setzt auf andere Kanäle. Warum aber sollten ARD und ZDF ihr den Gefallen tun, noch zusätzliches Futter für die Propaganda zu produzieren? (…)
Manchmal ist zu hören, es wirke schwach, der AfD auszuweichen, sich ihren Positionen und Protagonisten nicht zu stellen. Das wirke so, als traue man den eigenen Argumenten nicht. Das ist falsch. Man traut den eigenen Argumenten so sehr, dass es nicht nötig ist, die Zeit mit der AfD zu verschwenden. Mit einer Partei, deren Leute tricksen und täuschen. Mit einer Partei, die Redaktionen aus eigener Urteilskraft als extremistisch einstufen können, ohne dafür den Verfassungsschutz vorschieben zu müssen. Caren Miosga sieht das ja wohl ähnlich, wenn sie vor Lügnern warnt, denen in einer Livesendung nicht beizukommen sei. Wenn deshalb Führungsfiguren der AfD als Gäste für sie nicht infrage kommen: Warum sieht Miosga es als ihre Aufgabe an, unbedingt Personen aus der Partei zu finden, die angeblich besser geeignet sind und mit denen es sich zu diskutieren lohnt? (...)
Die Öffentlich-Rechtlichen sind dafür da, die demokratische Debatte zu fördern. Sie sind nicht dafür da, denen eine Stimme zu geben, die sich um die Grundregeln demokratischer Debatten nicht scheren. Mit AfD-Leuten reden, mit ihnen diskutieren? Ja, das muss sein, in der U-Bahn, während einer Bürgerversammlung oder auf einer Familienfeier. Auch Caren Miosga kann das in ihrem Umfeld gerne tun. Aber lieber nicht in ihrer Talkshow.“ Kommentar von Tanjev Schultz vom 19. April 2024 im „medium magazin“ - Der Deutsche Journalisten-Verband fordert die Medien dazu auf, ihre Berichterstattung über die sogenannte Alternative für Deutschland neu zu justieren
„Anlass sind die einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge fortgeschrittenen Überlegungen im Bundesamt für Verfassungsschutz, die gesamte AfD als „gesichert extremistische Bestrebung“ einzustufen. Das ist eine deutliche Verschärfung der bisherigen Eingruppierung als Verdachtsfall des Rechtsextremismus. „Wenn das zur offiziellen Position des Verfassungsschutzes wird, können wir Journalistinnen und Journalisten die AfD nicht mehr als eine Partei von mehreren beschreiben“, sagt DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster. Vielmehr müsse in der Berichterstattung kontinuierlich auf die extremistischen Absichten dieser Partei hingewiesen werden. Beuster: „Das muss wie ein unübersehbarer Warnhinweis wie auf Zigarettenschachteln in unseren Artikeln auftauchen.“
Aus einer schärferen Einstufung der AfD ergeben sich aus Sicht des DJV-Vorsitzenden auch Konsequenzen für den Schutz von Medienschaffenden, die über Veranstaltungen der Partei berichten wollen: „Die Polizei muss noch stärker als bisher ihr Augenmerk darauf richten, dass Journalistinnen und Journalisten gefahrlos und ungehindert ihrem Berichterstattungsauftrag nachkommen können.“ Die feindselige Haltung von AfD-Anhängern zur Pressefreiheit stelle seit Bestehen der Partei ein Risiko für Medienvertreter dar. Berichterstatter, die bedrängt, beschimpft oder angegriffen würden, sollten sich an ihren DJV-Landesverband wenden.“ Pressemitteilung vom 27.02.2024 („AfD: Berichterstattung neu justieren“) - Sozialpsychologin nimmt Medien im Umgang mit AfD in die Pflicht, nicht über jedes Stöckchen zu springen
„Die Sozialpsychologin Pia Lamberty nimmt beim Umgang mit der AfD die Medien in die Pflicht, nicht über jedes Stöckchen zu springen. „Rechtsextreme auf Covern bieten keinen journalistischen Mehrwert, normalisieren aber rechtsextreme Akteure“, sagte sie dem Nachrichtenportal Watson. „Generell wird aus meiner Sicht der AfD noch zu häufig eine Plattform geboten, die sie dann auch gezielt für sich nutzen. Politiker der AfD schaffen es leider auch immer wieder, Themen auf die mediale Agenda zu bringen, die dann plötzlich breit diskutiert werden.“ (…) Zu spät, einen Strategiewechsel anzustreben, ist es aus Sicht der Expertin auch in Deutschland noch nicht. „Rechtsextremismus wird vermutlich nicht so schnell verschwinden“, sagte sie dazu und fuhr fort: „Letztendlich sollten sich gerade alle gesellschaftlichen Akteure fragen: Inwiefern begünstigt unser Verhalten den Rechtsextremismus und was können wir besser machen?“ Laut Lamberty gibt es viele kleine Dinge, die Medien im Umgang mit der AfD besser machen könnten: „Man kann sich überlegen, wie man Bilder verwenden kann, ohne beispielsweise rechtsextreme Bildsprache zu reproduzieren oder der Person ein Podium zu geben“, sagte sie. Wichtig sei es, einen Fokus auf jene zu legen, die von den Plänen der AfD besonders betroffen sind.“ Meldung vom 18. Februar 2024 der dts Nachrichtenagentur bei Oldenburger Onlinezeitung („Sozialpsychologin nimmt Medien im Umgang mit AfD in die Pflicht“) - „Wie Wackelpudding an die Wand nageln“ – eine kleine Auswahl zum großen Problem…
- AfD-Chef Chrupalla zerstört Markus Lanz … zumindest wird die AfD es so feiern
„Die Lanz-Sendung vom 6.2.2024 war wieder mal ein Paradebeispiel, warum die Medien endlich begreifen müssen, dass sie enormen Schaden anrichten, wenn sie immer noch AfD-Rechtsextremisten in ihre Sendungen einladen, um ihnen eine große Bühne zu bieten, für deren gefährliche Desinformation und Selbstverharmlosung. Selbst wenn man sich um Differenzierung und um Fakten bemüht, wie das Lanz durchaus tat, prallt das an der Schamlosigkeit der Rechtsextremisten ab. Chrupalla und seine rechtsextreme AfD danken Lanz für den Abend. (…) Es ist völlig egal, ob man Chrupalla „stellen“ kann oder „zerstören“, der hat bereits dadurch gewonnen, dass er eingeladen wurde. (…)
STUDIE: RECHTSEXTREME EINLADEN MACHT RECHTSEXTREME STÄRKER
Wir haben vor einer Weile bereits über eine Studie geschrieben , die sich genau mit diesem Thema beschäftigt. Fazit: Interviews und Auftritte rechtsextremer Akteure im Fernsehen führen dazu, dass ihre Ansichten und Statements eine höhere Zustimmung in der Bevölkerung erzielen. Die „Entzauberung“ rassistischer, rechtsextremer und falscher Statements, welche durch solche Auftritte angestrebt werden soll, findet also überhaupt nicht statt. Im Gegenteil . (…) Es geht ja nicht darum, die AfD und ihre Behauptungen tot zu schweigen, im Gegenteil. Das kann man doch problemlos machen, ohne sie einzuladen. Man muss über die AfD und ihre Themen reden, aber im richtigen Kontext, ohne die Möglichkeit, dass sie sich hinter Floskeln und Codewörtern versteckt. Man kann sie sogar vorher Interviewen, und dann in der Sendung über die relevanten Ausschnitte reden, aber deren Aussagen gut vorbereitet, gefaktencheckt einordnen und einen Experten kommentieren lassen. Was hindert uns daran?
Während Millionen auf die Straße gehen, darf die AfD im Prime TV hetzen
Während schon die vierte Woche Millionen Menschen gegen die rechtsextreme AfD und die Normalisierung des Rechtsextremismus auf die Straße gehen, machen die Öffentlich-Rechtlichen diese ganze Anstrengung zunichte, wenn sie immer und immer wieder diesen Rechtsextremisten eine Bühne bieten. (…) Nein, natürlich hat Chrupalla nicht Lanz zerstört. Aber Lanz auch nicht Chrupalla. Und auch Maischberger die Woche zuvor nicht. Das ist ja das Problem. Chrupalla und seine Partei zerstören aber mit jedem Auftritt immer weiter unsere Grundlage eines gemeinsamen Konsenses, der für die Demokratie unabdingbar ist. Wir sägen selbst an den Ästen, auf denen wir sitzen. Es wird endlich Zeit, dass wir damit aufhören.“ Analyse von Thomas Laschyk vom 7.2.2024 bei Volksverpetzer - Chrupalla bei Lanz: Wie Wackelpudding an die Wand nageln
„„Reden mit Rechten“ scheint in diesen Tagen das Motto der Talkshows zu sein. Erneut wird bei Lanz einem Vertreter der AfD die Bühne geschenkt. (…) Schon in diesen ersten Momenten der Talkrunde von Markus zeigte sich paradigmatisch, wie schwierig, um nicht zu sagen unmöglich, vielleicht auch sinnlos es ist, sich mit einem Politiker wie Tino Chrupalla auseinanderzusetzen. In über Jahre verfeinerter Gewandtheit, drehte der AfD-Vertreter konkrete Fragen um, wich aus, wollte mal dieses nicht gesagt haben oder behauptete, dass jenes aber eigentlich ganz anders gemeint gewesen sei. (…) Sich auf Positionen festzulegen und diese dann auch konsequent vertreten, das fiel nicht nur Chrupalla bei Markus Lanz im ZDF schwer – das ist die Spezialität der AfD bei öffentlichen Auftritten. Als würde man versuchen, Wackelpudding an die Wand zu nageln. So wirkte der Umgang mit Chrupalla bei Lanz. Der Rechtsaußen, wich aus, verweigerte sich, drehte und wendete sich…“ Kommentar von Michael Meyns vom 07.02.2024 in der Frankfurter Rundschau online und ein anderes Beispiel: - (Unbefriedigende) Antwort von »Maischberger«
„Auf meine Mail an die Redaktion der ARD-Sendung »Maischberger« (https://sascha-kersken.de/2024/01/23/auch-die-ard-braucht-feedback-zu-ihrem-naziproblem/ ) habe ich nach über zwei Wochen wider Erwarten doch noch eine Antwort erhalten. Da sie gemäß dem folgenden Absatz nicht an mich persönlich erfolgte, sondern auf alle derartigen Mails eingeht, erlaube ich mir, sie im Folgenden zu zitieren und zu kommentieren. (…) Dass Leute es nach dem allgemeinen Bekanntwerden der Deportations- (und, wenn wir ehrlich sind, letztlich wieder Vernichtungs-) Pläne der AfD nicht ertragen, den Chef-Deporteur (und, wenn wir ehrlich sind, letztlich wieder -Vernichter) auf dem gemütlichen Talkshow-Sofa zu sehen, erkennen sie immerhin noch an:
„Gerade im Hinblick auf die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in der jüngsten Zeit haben uns viele unserer Zuschauerinnen und Zuschauer Unverständnis und auch Bestürzung zur Einladung von Herrn Chrupalla entgegengebracht.“
Die nachfolgende Behauptung halte ich dagegen für äußerst unglaubwürdig:
„Bitte seien Sie versichert, dass wir die Einladung von Herrn Chrupalla, wie alle Gästeeinladungen, sehr gründlich und in langen Diskussionen in der Redaktion abgewogen haben.“
Schon im nächsten Absatz geht das Ganze in hufeisenförmige Äquidistanz über, die glaubwürdiger ist – und völlig verantwortungslos. »Zuschauerinnen und Zuschauer, die auf diesen Demonstrationen […] ihre Sorgen […] zum Ausdruck bringen« und »Zuschauer […], die ihre Fragen an unsere Gesellschaft gerade bei der AfD aufgehoben sehen« – szenetypisch offenbar (fast) nur Männer und/oder mit Verzicht auf (selbst binäre) Gendermarkierung – sind für »Maischberger« offenbar gleichermaßen ernstzunehmende Gruppen, und keine von ihnen scheint für sie eine Gefahr für die liberale, rechtsstaatliche Demokratie darzustellen, ohne die eine Sendung wie die ihre gar nicht stattfinden könnte. Zuletzt wird es praktisch noch als Tugend gepriesen, dass »alle anderen, die sich weder der einen noch der anderen Gruppe zugehörig fühlen, aber sich ein Meinungsbild machen wollen« sich aufgrund der »Neutralität« der Sendung frei für die Freiheit oder für eine Nazidiktatur entscheiden können (was im zweiten Fall vermutlich die letzte freie Entscheidung ihres Lebens wäre). (…) Zum Schluss werden alle Kritiker*innen noch pauschal mit Einzelnen in einen Topf geworfen, die der Redaktion Unflätigkeiten bis Drohungen geschickt haben. Dabei ist davon auszugehen, dass diese ganz überwiegend aus rechten Kreisen kamen, die fanden, dass ihr Oberbonze dort »unfair« behandelt worden sei. Ein weiterer Grund, warum Talkshows keine Nazis einladen sollten…“ Beitrag vom 8.2.2024 von und bei Sascha Kersken - Nur eine kleine Auswahl zum großen Problem…
- AfD-Chef Chrupalla zerstört Markus Lanz … zumindest wird die AfD es so feiern
- „Medien reden mit Rechten“ hat nicht funktioniert – Petition „Keine Bühne für Nazi-Propaganda im ÖRR“
- „Medien reden mit Rechten“ hat nicht funktioniert
„Seit den Veröffentlichungen zu Massenabschiebungsplänen der AfD fragen sich Journalisten mal wieder, wie sie mit der Partei umgehen sollen. Unser Kolumnist findet, dass große Medien sich lang genug zu offen gegenüber Rechten gezeigt haben. (…)Es ließen sich zahllose weitere Beispiele aus großen Medien finden – Magazin-Cover, die mit dem Grusel vor den Rechten spielen und diese zugleich normalisieren. Talkshows, die gern mit der Aufregung kalkulieren, die AfD-Leute bei ihren Auftritten verbreiten, weil das Quote verspricht und damit die weitere Beauftragung der Produktionsfirma durch die Öffentlich-Rechtlichen. Interviews, in denen AfD-Politiker politisch gestellt oder entzaubert werden sollten, auch wenn die sich auf kein vernünftiges Gespräch einlassen, sondern einfach ihre Schlagworte wieder und wieder ins Mikrofon kloppen – das würde in Beiträgen, die Auskünfte von der Partei einordnen und kontextualisieren, nicht passieren. (…) „Mit Rechten reden“ hieß ein Buch von 2017. Das war zwar gar nicht, was es vorzugeben schien, sondern ziemlich unverständlich und albern, aber der Slogan prägte den medialen Geist dieser Zeit. Und prägt bis heute. Wohin dieses Verständnis, diese Normalisierung dann geführt hat – dafür hat sich nie wieder jemand interessiert, dafür war dann niemand verantwortlich. Selbstkritik ist nicht die größte Stärke von Medien. Sie wäre aber angebracht, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen – aus der unreflektierten Angstlust im Umgang mit einer demokratiegefährdenden Partei bis heute. Insofern betrifft der Weckruf, der von der Correctiv-Recherche ausgeht, auch den Journalismus.“ Kolumne von Matthias Dell vom 24.01.2024 im Deutschlandfunk - [Petition] Keine Bühne für Nazi-Propaganda im ÖRR
„Wir fordern den ÖRR auf, die Vertreter*innen der AfD vollständig aus ihren Sendungen zu verbannen! Wir wollen diese Leute nicht mehr sehen. Wir fordern einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der frei ist von jeder Form von Nazi-Propaganda. ARD, ZDF etc. dürfen den Funktionär*innen der AfD keine Bühne mehr geben. Hass und Hetze, Lügen und Fake News haben im ÖRR nichts zu suchen. Wenn es auf Grund des „Vielfaltsgebotes“ unumgänglich sein sollte, auch über AfD-Positionen berichten zu müssen, dann ist es die Aufgabe einer politisch verantwortlichen Berichterstattung, Falschbehauptungen sofort richtigzustellen, die Aussagen der AfD und ihrer braunen Netzwerke zu demaskieren und in Klartext offen zu legen, was sie sind: Menschenverachtend und Demokratie-zerstörend…“ Petition bei campact von KlimaGerecht Leben an Kai Gniffke, Intendant SWR und ARD-Vorsitzender & Norbert Himmler, Intendant ZDF – siehe zum aktuellen Anlass beispielhaft: - den Post von „wenig Worte“ vom 6.2.24 auf bsky :
„Seit 3 Wochen Millionen gegen AfD auf der Straße. Reaktion des ÖRR nur in dieser Zeit (Auszug):
23.01.24
Baumann im ZDF Morgenmagazin
23.01.24
Chrupalla bei #Maischberger
04.02.24
Chrupalla im DLF Interview der Woche
05.02.24
Leif-Erik Holm bei #hartaberfair
06.02.24
Chrupalla bei #Lanz„
- „Medien reden mit Rechten“ hat nicht funktioniert
- Müssen öffentlich-rechtliche Medien „neutral“ oder antifaschistisch sein?
- Müssen ARD und ZDF „neutral“ sein?
„Was bedeutet „neutral“? Es wird manche überraschen, aber das steht so nirgends. Wir bekommen immer wieder Publikumspost, in der uns eine Hörerin oder ein Zuschauer vorwirft, wir würden unsere Neutralitätspflicht verletzen – wenn etwa ein journalistischer Beitrag über gesellschaftlich strittiges Thema einen bestimmten Tenor hat oder zu einem Ergebnis kommt, das manchen nicht gefällt. Dann heißt es, wir seien nicht „neutral“. Liest man sich aber die juristischen Grundlagen für die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch, dann taucht das Wort „neutral“ gar nicht auf. Aus guten Gründen, weil das Wort „neutral“ auch ein wenig nebulös ist. Die „Neutralität“ der Schweiz meint etwas anderes als die „Neutralität“ des Schiedsrichters. (…)
Pflicht zur Unabhängigkeit und Überparteilichkeit der Berichterstattung
Und diese Begriffe sagen ja eigentlich viel klarer, worum es geht. Wenn wir es aufdröseln, fordert der Auftrag somit also zunächst Unabhängigkeit und Überparteilichkeit. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll nicht abhängig sein vom Staat, von einer Regierung, von Parteien oder anderer Interessengruppen. Niemand soll durch großzügige Spenden oder umgekehrt politischer Einflussnahme die Berichterstattung beeinflussen dürfen. Einfacher gesagt: Der Auftrag fordert nicht Neutralität, sondern zunächst vor allem Unabhängigkeit der Berichterstattung. (…)Und es steht ja nicht nur „ausgewogen“ da, sondern auch „angemessen“. Mit anderen Worten: Nicht jede Auffassung muss im gleichen Maße abgebildet werden. Die Einzelmeinung eines politischen Hinterbänklers verdient deshalb nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie die einer Ministerin oder eines Fraktionschefs der Opposition, die ja als Teil einer Regierung sprechen oder eben die Haltung ihrer Partei wiedergeben. Und genauso ist es „angemessen“, dass Positionen, die sich auf Fakten und auf Wissenschaft stützen, im Programm berücksichtigt werden und eine unbelegte Verschwörungserzählung gar nicht. Das mag, je nach Sichtweise, nicht „neutral“ sein, aber es ist wahrheitsgetreu, sachlich, objektiv, und es ist trotzdem ausgewogen und angemessen.“ Beitrag von Gábor Paál vom 20.1.2024 im SWR - „Öffentlich-rechtliche Medien müssen antifaschistisch sein“
„Für Jüdinnen und andere Minderheiten in Deutschland ist antifaschistischer Kampf alternativlos, meint Marina Weisband. Er sei aber auch grundlegend für die Verteidigung der Demokratie – und damit Teil des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Medien.
Zwischen der anfänglichen Auslassung der Anti-AfD-Proteste durch die „Tagesschau“ und dem Interview am Montag eben dort ausgerechnet mit Alice Weidel stellte sich mir die Frage: wie antifaschistisch müssen Medien eigentlich sein? Diese Frage ist nicht trivial. Denn Antifaschismus ist keine neutrale Position. Es ist eine Haltung. Eine politische Haltung sogar. Es ist aber gleichzeitig der Schutz und die Verteidigung der Demokratie – also eigentlich Teil des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Medien und aller deutschen Bürgerinnen und Bürger. Mehr noch. Das Nichteinnehmen dieser politischen Haltung könnte man in sich als demokratiefeindlich begreifen. Denn unsere Demokratie ist ja gemäß unserer Verfassung eine wehrhafte. Was bedeutet Wehrhaftigkeit, wenn ich Inhalte herstelle, die Millionen von Menschen sehen und hören? Einerseits könnte man sagen: ich bleibe neutral und das bedeutet, ich gebe allen Parteien eine Stimme, die nicht verboten sind. Andererseits ist da diese Partei, aus der mehrere Landesverbände als gesichert rechtsextrem gelten, die rassistische Parolen verbreitet und verfassungswidrige Massendeportationen plant – übrigens nicht nur im geheimen Hotel, sondern auch offen am Rednerpult. Dass sie nicht verboten ist, mag mit demokratietheoretischen Argumenten, mit politischer Zaghaftigkeit zu tun haben oder mit juristischen Fallstricken – aber ändert das wirklich etwas an dem, was die AfD vorhat, wenn sie an die Macht kommt? Was wir alle wissen? Was ihre Abgeordneten selbst sagen?…“ Kolumne von Marina Weisband vom 17.01.2024 im Deutschlandfunk
- Müssen ARD und ZDF „neutral“ sein?
- Rechte haben kein Recht auf Sendezeit. In Luxemburg und Südbelgien bieten die Medien Extremist:innen kein Forum – und konnten einen Rechtsruck damit bislang verhindern
„… Immer weniger Distanz auch in den Medien. Alle Jahre wieder wird der Menschenfeind Höcke vom MDR zum lauschigen Sommerinterview geladen; diesmal schockte er mit dem Nazi-Wort „Gleichschaltung“ und forderte die Ausgrenzung von Schulkindern mit Behinderungen. Im Juni 2023 starrt Alice Weidel vom Cover des Stern. Auf die Frage „Verteidigen oder kritisieren Sie jetzt die Rechtsextremen in Ihrer Partei?“ antwortet die Fraktionsvorsitzende: „Rechtsextreme? Die habe ich jetzt noch nicht entdecken können bei uns.“ „Ihr Ernst?“, quengeln die Interviewer. Und wagen die letzte Frage: „Frau Weidel, wollen Sie selbst Kanzlerin werden?“
Während sich das Publikum in True-Crime-Manier aus sicherer Distanz gruselt, empören sich Teile der Medienwelt – kurz zumindest. Wird die Partei durch solche Auftritte aufgewertet, verharmlost und normalisiert? Oder ist es gerade mutig, sich der Bedrohung zu stellen, statt sie zu stigmatisieren und ignorieren? Kritik wird totgeschlagen mit immer gleichen Argumenten wie „Wir müssen die Vielfalt und politische Chancengleichheit wahren“ (Öffentlich-Rechtliche) und „Wir müssen ja mit allen reden“ (Stern). Müssen wir? Nur weil eine Partei demokratisch gewählt ist, heißt das nicht, dass sie demokratische Inhalte vertritt. „Nein, so sollten wir Medien nicht mit der AfD umgehen“, kritisierte etwa die Spiegel-Redakteurin Ann-Katrin Müller besagtes Stern-Interview. „Sie ist keine normale Partei, sondern eine, die in großen Teilen rechtsextrem ist. Sie will die Demokratie maßgeblich verändern, da haben nicht nur Parteien und Zivilgesellschaft eine Verantwortung, sondern auch wir Medien.“
Social Media mitdenken
Diese Verantwortung schlägt sich nieder in Form und Wirkung. Form, weil Redaktionen frei entscheiden können, mit wem sie ein Gespräch führen und wie sie dieses anschließend für die Öffentlichkeit aufbereiten, und Wirkung, weil Massenmedien in Wechselwirkung stehen mit anderen Kanälen. Ein Interview, das clever aufgebaut ist und so die menschenfeindlichen Ideologien der Funktionär:innen, die inhaltliche Inkompetenz der Partei oder Lügen (Wissenschaftsfeindlichkeit) entblößt, ist dann nicht mehr viel Wert, wenn keine:r weiß, ob – und vor allem wie – diese Formate AfD-Sympathisant:innen erreichen. Auf Social Media schrumpfen die Diskussionen auf eine Schlagzeile zusammen. Was bei den Menschen hängen bleibt: AfD-Klimaleugner darf mit Klimaforscher diskutieren, wie etwa bei Markus Lanz im Mai 2023, als Steffen Kotré auf Mojib Latif traf. Das ist eine Form von Legitimierung, die nur Massenmedien als traditionelle Schleusenwärter von relevanten Informationen leisten können. (…)
Redaktionen befeuern diesen Mechanismus mit „False Balance“, wenn sie etwa den Konsens von 99 Prozent der Virolog:innen oder Klimaforscher:innen wiederholt der 1-Prozent-Meinung gegenüberstellen oder rechtsextreme Ansichten von Minderheiten zu Wort kommen lassen. Sichtbarkeit normalisiert. Journalist:innen überschätzen sich maßlos, wenn sie glauben, die „False Balance“ im Gespräch ausbalancieren zu können. (…)
Ein Blick ins Ausland zeigt: Es geht auch anders. Medienschaffende können sich durchaus als Hüter:innen dieser Grenzen verstehen – und den Rechtsruck damit verhindern. Untersucht hat das die Politikwissenschaftlerin Léonie de Jonge in ihrem 2021 veröffentlichten Buch The Success and Failure of Right-Wing Populist Parties in the Benelux Countries. Dass es Rechtspopulist:innen bislang nicht ins Parlament Walloniens und Luxemburgs* geschafft haben, in Flandern dagegen zweitstärkste und in den Niederlanden stärkste Kraft sind, liegt de Jonge zufolge nicht etwa daran, dass die Menschen dort finanziell abgesicherter, gebildeter oder weniger rassistisch wären. Tatsächlich war die Arbeitslosenrate 2020 in Wallonien doppelt so hoch wie in Flandern; die Einstellungen gegenüber Immigrant:innen unterscheiden sich kaum, so auch das Vertrauen in die Demokratie und politische Institutionen. Der Erfolg radikal rechter Parteien liegt, nach de Jonges Analyse, hauptsächlich daran, wie offen die Gatekeeper einer Demokratie mit ihnen umgehen. Demnach tragen die Medien und etablierten Parteien in Frankreich eine erhebliche Mitschuld am Aufstieg des Front National und in den Niederlanden an Wilders’ PVV.In Wallonien dagegen haben schon in den 1990er-Jahren alle Rundfunkanstalten einen Pakt geschlossen, den „cordon sanitaire médiatique“: Menschen, die rassistischen, demokratiefeindlichen Gruppen nahestehen, bekommen keine Plattform; Einladungen zu Live-Interviews und Talkshows sind tabu. Nach rechtlichen Streitigkeiten urteilte der Belgische Staatsrat 1999: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe das Recht, undemokratischen Parteien den Zugang zu verwehren. Auch kommerzielle Sender und die meisten Printmedien in Wallonien halten die Prinzipien hoch. Das heißt nicht, dass wallonische Journalist:innen nie mit Rechtsextremen reden. Es heißt, dass sie nur dann zitiert werden, wenn die Zitate kontextualisiert werden und antidemokratische Inhalte als solche einordbar sind. Reden von rechtsradikalen Politiker:innen etwa werden nicht direkt übertragen, sondern von Reporter:innen zusammengefasst. In der Luxemburger Presse besteht zwar keine formelle Absprache, wohl aber ein informeller Konsens gegen das Abbilden rassistischer und übertrieben nationalistischer Stimmen. (…)
In Deutschland ist es für eine Kursänderung noch nicht zu spät – für einen „cordon sanitaire médiatique“ allerdings schon. Dieser wirkt nur, bevor sich eine starke rechte Bewegung ins politische System gefressen hat…“ Beitrag von Miriam Petzold vom 2. Januar 2024 in Good Impact - Im Zwiespalt: Die Medien und die AfD
„Die AfD hat ein gespaltenes Verhältnis zur Pressefreiheit und zu den Medien. Berichten sie nicht in ihrem Sinne, sind es Lügner. Journalist*innen hingegen stehen vor der Herausforderung: Wie umgehen mit einer demokratisch gewählten Partei, die sich des rechten Populismus bedient, um ihre nationalistische und rassistische Programmatik unters Volk zu bringen? Eine längst überfällige Debatte!...“ Dossier von 2019 bei der dju-Zeitung mmm
Siehe auch unser Dossier: Immer mehr (v.a. rechte und polizeiliche) Übergriffe auf JournalistInnen