[Kampf dem Zitierverbot nach § 353d] Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Arne Semsrott nach Veröffentlichung der Gerichtsbeschlüsse aus laufenden Verfahren

Dossier

Kampf dem Zitierverbot nach § 353d (Grafik von FragDenStaat - wir danken für die Freigabe!)„… Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den FragDenStaat-Chefredakteur Arne Semsrott wegen zweier Straftaten gemäß § 353d Nr. 3 StGB externer Link. Dabei geht es um die Veröffentlichungen von Beschlüssen aus den Strafverfahren gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ externer Link sowie gegen einen Journalisten des freien Radiosenders Radio Dreyeckland externer Link bei FragDenStaat im August. Die Veröffentlichung von amtlichen Dokumenten aus laufenden Strafverfahren ist eine Straftat. Dieses Verbot schränkt die Pressefreiheit unverhältnismäßig ein. Daher haben wir gestern dazu mit dem Strafverteidiger Lukas Theune und Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Stellungnahme bei der Staatsanwaltschaft externer Link eingereicht. Aus unserer Sicht ist die Strafnorm verfassungswidrig und verstößt gegen die Pressefreiheit…“  Beitrag von Hannah Vos und Vivian Kube vom 5. Dezember 2023 bei FragDenStaat externer Link („Staatsanwaltschaft ermittelt gegen FragDenStaat-Chefredakteur“) und Hintergründe:

  • Veröffentlichung von Gerichtsakten: Journalist und Aktivist Arne Semsrott auf dem Weg zum Bundesgerichtshof gegen § 353d vom Landgericht Berlin schuldig gesprochen New
    • Urteil im Verfahren gegen @arnesemsrot: Das Gericht spricht den FragDenStaat-Chefredakteur schuldig. Wenn es heißt, dass uralte Paragraphen wichtiger sind als die Pressefreiheit, heißt das für uns: Wir gehen in Revision vor dem Bundesgerichtshof und fordern weiter: #Adé353d!“ Tweet vom 18.10.24 von FragDenStaat.de externer Link
    • Veröffentlichung von Gerichtsakten: Journalist und Aktivist Arne Semsrott zu Geldstrafe verurteilt, die allerdings ausgesetzt wird
      „… Das Landgericht Berlin legte 20 Tagessätze zu je 50 Euro fest, die Semsrott aber nur zahlen müsste, wenn er innerhalb des nächsten Jahres erneut straffällig würde. Der Chefredakteur des Internetportals „Frag den Staat“ hatte eingeräumt, Beschlüsse des Amtsgerichts München zu einem laufenden Ermittlungsverfahren gegen Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ ins Netz gestellt zu haben, und zwar im Wissen, dass dies laut Gesetz verboten ist. Als Grund sagte Semsrott, es gehe ihm um die Klärung einer grundsätzlichen Rechtsfrage. Er kündigte an, Revision gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof einzulegen.“  (erste) Meldung vom 18.10.2024 im Deutschlandfunk externer Link
    • Arne Semsrott: Prozess wegen Dokumentenveröffentlichung begonnen
      Für den Journalisten und Aktivisten ist der Prozess nur ein Schritt auf dem Weg vor das Bundesverfassungsgericht (…) Dem angeklagten Journalisten geht es um eine grundsätzliche Klärung der Rechtsfrage. Darum ging er auch nicht auf das Angebot des Gerichts ein, das Verfahren gegen ihn einzustellen. Aus Sicht des Gerichts müsse jeweils im Einzelfall abgewogen werden und im vorliegenden Fall sei die Schuld gering, so der Vorsitzende Richter Bo Meyer. »Es liegt mir fern, Herrn Semsrott an den Pranger zu stellen«, betonte Oberstaatsanwalt Hild in seinem Plädoyer. Aber dieser habe gegen das Gesetz verstoßen und seine Argumentation überzeuge ihn nicht. »Es bleibt die Möglichkeit, auch ohne wörtliche Wiedergabe, sich kritisch mit der Sache auseinanderzusetzen.« Eine konkrete Gefährdung habe es durch die Veröffentlichung nicht gegeben und es handele sich nicht um »Sensationsjournalismus«. Hild beantragte darum eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 Euro.
      Die Staatsanwaltschaft hatte den Fall wegen der besonderen Bedeutung der Rechtsfrage im Hinblick auf die Pressefreiheit beim Landgericht und nicht beim eigentlich zuständigen Amtsgericht erhoben. Das Urteil soll an diesem Freitag (18. Oktober) gesprochen werden, wie Richter Meyer sagte. Zuvor steht noch das Plädoyer der Verteidigung an.
      So oder so wird der Fall die Justiz wohl noch länger beschäftigen: Sollte das Landgericht den Fall nicht Karlsruhe vorlegen, sondern Semsrott verurteilen, will der Journalist alle Rechtsmittel ausschöpfen, um den Fall vor das höchste deutsche Gericht zu bringen
      .“ Meldung vom 16.10.2024 in ND online externer Link
    • Pressefreiheit: FragDenStaat-Chefredakteur steht am 16. Oktober vor Gericht
      Im letzten Jahr veröffentlichte Arne Semsrott Dokumente aus einem laufenden Gerichtsverfahren – und wurde dafür angeklagt. Jetzt wird sein Fall vor dem Berliner Landgericht verhandelt…“ Beitrag von Michelle Trimborn vom 10. Oktober 2024 bei FragDenStaat externer Link
  • Hauptverfahren gegen FragDenStaat-Chefredakteur Arne Semsrott eröffnet: Anklage wegen Berichterstattung über Gerichtsverfahren und gegen Pressefreiheit
    „Das Landgericht Berlin I hat die Anklage gegen Arne Semsrott, Chefredakteur von FragDenStaat, wegen der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und die mündliche Verhandlung für Herbst angesetzt. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Strafverteidiger Lukas Theune unterstützen den Journalisten und FragDenStaat im Strafverfahren. Semsrott hatte im August über die Ermittlungsmaßnahmen gegen die Letzte Generation berichtet. Im Zuge dessen hatte er mehrere relevante Gerichtsentscheidungen veröffentlicht und bewusst Strafanzeigen riskiert. Die Staatsanwaltschaft Berlin erhob daraufhin Anklage gegen ihn, wegen der besonderen Bedeutung des Falls sogar zum Landgericht. Kernpunkt der Verteidigung ist, dass die einschlägige Strafnorm (§ 353d Nr. 3 StGB) verfassungswidrig ist und die Pressefreiheit unzulässig einschränkt. Sie stellt ohne Ausnahme jede Veröffentlichung des Wortlauts von Dokumenten eines laufenden Strafverfahrens vor der mündlichen Verhandlung unter Strafe. (…) „Ich habe über ein Strafverfahren berichtet und komme dafür jetzt vor Gericht – das zeigt, wie dringend diese Strafnorm reformiert werden muss“, sagt der Angeklagte Arne Semsrott. „In laufenden Strafverfahren von öffentlichem Interesse wie zur Letzten Generation sind gerade die Formulierungen des Münchner Gerichts aufschlussreich: Sie zeigen, welche Schwerpunkte die Richter*innen bei der Strafverfolgung setzen und ob Grundrechte berücksichtigt wurden.“  Die Frage, inwieweit an den Beschlüssen von Gerichten ein öffentliches Interesse besteht, fällt in den Kernbereich journalistischer Arbeit. Die notwendige Abwägung wird an dieser Stelle durch das ausnahmslose strafbewehrte Veröffentlichungsverbot komplett verhindert. Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als auch zuletzt der Bundesgerichtshof (BGH) betonen, dass eine Abwägung mit der Pressefreiheit stets erforderlich sei und die Strafbarkeit kein Automatismus sein dürfe. Der BGH zog sogar die Verfassungsmäßigkeit der Norm konkret in Zweifel. Das Landgericht Berlin I hält die Norm dagegen auch unter Berücksichtigung der EGMR-Rechtsprechung für vereinbar mit der Pressefreiheit…“ Pressemitteilung vom 10. April 2024 von und bei Freiheitsrechte.org externer Link („Hauptverfahren gegen FragDenStaat-Chefredakteur Arne Semsrott eröffnet: Landgericht Berlin lässt Anklage wegen Berichterstattung über Gerichtsverfahren auf Grundlage von verfassungswidriger Strafnorm zu“)
  • Arne Semsrott von FragDenStaat angeklagt wegen Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten
    Letztes Jahr veröffentlichte die Transparenzplattform FragDenStaat Gerichtsdokumente, über die das ganze Land sprach. Die Staatsanwaltschaft ermittelte daraufhin und hat jetzt Anklage gegen Chefredakteur Arne Semsrott erhoben. Das war geplant: Die Aktivisten nutzen den Fall strategisch, um für die Pressefreiheit zu kämpfen.
    Es war eine Aktion mit Ansage und der jetzige Schritt kommt nicht überraschend. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat gegen Arne Semsrott, der als Chefredakteur bei FragDenStaat arbeitet, wegen der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen Anklage beim Landgericht Berlin erhoben. (…)
    Dass die Staatsanwaltschaft Arne Semsrott nun anklagt, zeige die reale Gefahr, die Journalist*innen bei der Berichterstattung über Strafverfahren drohten, kritisiert Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. „Dabei ist schlicht egal, wie groß das öffentliche Interesse an den Gerichtsbeschlüssen ist und ob überhaupt Nachteile für das Strafverfahren oder die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten drohen“, so Lück weiter. Bei journalistischen Veröffentlichungen und vor allem von Originaldokumenten, die nicht veröffentlicht werden dürfen, gibt es immer eine Abwägung, ob das öffentliche Interesse die Veröffentlichung rechtfertigt. Doch das ausnahmslose strafbewehrte Veröffentlichungsverbot bei den Gerichtsakten verhindert diese Abwägung schon im Keim. (…) Die GFF hat deswegen zusammen mit weiteren Organisationen kürzlich beim Bundesministerium der Justiz (BMJ) eine Stellungnahme zum Reformbedarf im Strafgesetzbuch eingereicht, in der sie die Abschaffung dieser Strafnorm fordern
    .“ Beitrag von Markus Reuter vom 20.02.2024 in Netzpolitik externer Link
  • Warum es in manchen Fällen wichtig ist Gerichten in die Akten zu gucken
    Am 22. August hat Arne Semsrott von Frag den Staat die Gerichtsbeschlüsse zu den Durchsuchungen und der Telefon-Überwachung der „Letzten Generation“ veröffentlicht. Am gleichen Tag veröffentlichte er auch den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe das Verfahren gegen RDL Redakteur Fabian, wegen einer Meldung über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Verbot der Internetplattform Indymedia Linksunten, nicht zu eröffnen. Nun sieht sich Arne Semsrott aufgrund dieser beiden Veröffentlichungenen selber mit einer Anklage konfrontiert. Der Paragraph 353d des Strafgesetzbuches verbietet die Veröffentlichung der Anklageschrift oder anderer amtlicher Dokumente eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert wurden. Um über das Thema zu sprechen, sind wir jetzt mit Arne Semsrott verbunden. Arne erzählt uns erst mal wer frag den Staat ist.“ Interview vom 6. Dezember 2023 beim Radio Dreyeckland externer Link Audio Datei
  • Pressefreiheit in Gefahr: FragDenStaat im Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft
    Die Transparenzplattform FragDenStaat ging durch die Publikation von Gerichtsdokumenten aus laufenden Verfahren bewusst ein juristisches Wagnis ein. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin gegen Projektleiter Arne Semsrott – der bereits zum Gegenschlag ansetzt. (…) Kritik an der Strafnorm besteht schon seit vielen Jahren. Den in Absatz 3 geregelten Untertatbestand hält etwa das Fachmedium „Verfassungsblog“ für besonders problematisch. Der Abschnitt setzt Medienschaffende und Pressevertreter:innen einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung aus, wenn sie vorzeitig Dokumente aus Strafverfahren offenlegen.
    Dieses Risiko nahm Arne Semsrott bei der Veröffentlichung der Beschlüsse bewusst in Kauf – schon allein, weil laut FragDenStaat ein derartiges Veröffentlichungsverbot „in Bezug auf die freie Berichterstattung der Presse jedoch verfassungswidrig“ sei und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung externer Link argumentiert Semsrott, dass durch die strikte Anwendung von § 353d Journalist:innen nicht so frei berichten können, „wie das für unsere Demokratie gut wäre“. Ähnlich sehen dies die Autor:innen vom Verfassungsblog: Die Entfernung dieser Norm aus dem Strafgesetzbuch sei gerechtfertigt, da sie sowohl verfassungs- als auch völkerrechtswidrig sei. Diese Argumentation dürfte nun einem juristischen Stresstest ausgesetzt werden…“ Beitrag von Zeynep Yirmibesoglu vom 05.12.2023 in Netzpolitik externer Link

Siehe zu den Hintergründen:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=216807
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