Die Corona-Pandemie hat den weltweiten Hunger wieder verstärkt – und nun der Ukraine-Krieg

Dossier

Fian: Food first! Menschen statt Konzerne„… Die Corona-Pandemie hat nach Angaben der Welthungerhilfe in vielen Krisenregionen zur Rückkehr von Hungersnöten geführt. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen müssten 690 Millionen Menschen weltweit hungern, erklärte die Präsidentin der Welthungerhilfe, Marlehn Thieme, bei der Vorstellung des Jahresberichtes externer Link am Mittwoch in Berlin. Das seien knapp neun Prozent der Weltbevölkerung oder etwa jeder elfte Mensch. Bei 155 Millionen Menschen sei der Hunger lebensbedrohlich. Laut dem Bericht ist der Hunger in Asien am stärksten verbreitet, 381 Millionen Menschen sind betroffen. Auf dem afrikanischen Kontinent sei die Hungersituation mit 250 Millionen Menschen ebenfalls alarmierend. Insbesondere in Ostafrika sei die Situation dramatisch, hier seien ein Fünftel der Bevölkerung unterernährt (19,1 Prozent). In Lateinamerika belaufe sich die Zahl auf 48 Millionen Menschen. (…) Besonders betroffen seien Tagelöhner und Beschäftigte im informellen Sektor wie der Landwirtschaft. Auch die Situation von Flüchtlingen im globalen Süden habe sich durch Corona verschärft, die Spannungen mit Einheimischen nähmen zu. (…) Dazu komme der Klimawandel, der die Existenzen von Familien unter anderem in Afrika gefährde…“ Meldung vom 1. Juli 2021 von und bei MiGAZIN externer Link, siehe dazu:

  • Lebensmittel: Was Patente auf Saatgut für unseren Warenkorb und die Preise bedeuten. Über Auswirkungen – und Auswege New
    „Für steigende Lebensmittelpreise gibt es unterschiedliche Gründe. Gerade in Zeiten der Klimakrise ist eine lokale Lebensmittelproduktion mit angepassten Sorten und fairen Preisen eine wichtige Voraussetzung für Ernährungssicherheit. Patente auf Saatgut stärken allerdings die Macht der Konzerne – sowohl bei der Preisgestaltung als auch, was die Vielfalt der angebotenen Sorten betrifft. Das Europäische Patentamt (EPA) wies kürzlich einen Einspruch gegen ein Patent von BASF auf buschig wachsende Wassermelonen (EP2814316) zurück. Der Einspruch wurde von der europäischen NGO „No Patents on Seeds!“ eingelegt, weil das Patent nicht erfinderisch und die Patentierung von konventionell gezüchteten Pflanzensorten verboten ist. (…) Ob eine Pflanze mit einer technischen Erfindung (patentierbar) und durch ein „im Wesentlichen biologisches Verfahren“ (nicht patentierbar) gewonnen wurde, ist im Einzelfall nicht leicht zu unterscheiden. Aus diesem Grund können Agrochemie-Konzerne wie Bayer, BASF, Syngenta und Corteva, aber auch traditionelle Züchtungshäuser wie Rijk Zwaan und KWS mit Hilfe ihrer Patentanwälte und des Europäischen Patentamts (EPA) das bestehende Patentierungsverbot immer wieder umgehen. So werden zum Beispiel in die Patentanmeldungen spezifische Formulierungen eingefügt, die den Einsatz gentechnischer Verfahren suggerieren, obwohl diese Verfahren in den meisten Fällen gar nicht angewandt wurden und für die Entwicklung der gewünschten Pflanzen auch nicht notwendig sind. In anderen Fällen beinhalten die Patentanmeldungen einen Anspruch auf ein Pflanzenmerkmal sowie einen bestimmten natürlich vorkommenden Genotyp. (…) In Österreich wurde im März eine Patentrechtsnovelle beschlossen, um diesbezüglich Abhilfe zu schaffen: „Patente werden nicht erteilt für Pflanzensorten oder Tierrassen sowie für im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren und die ausschließlich durch solche Verfahren gewonnenen Pflanzen oder Tiere sowie Teile von Pflanzen oder Tieren, die ausschließlich einem im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren entstammen, soweit sie zu Pflanzen oder Tieren regeneriert werden können“, heißt es in § 2, Absatz 2 des geänderten österreichischen Patentgesetzes (Stand: 27.09.2023). Ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren ist im Wesentlichen biologisch, wenn es vollständig auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung, Selektion, nicht zielgerichteter Mutagenese oder auf natürlichen, zufälligen Genveränderungen beruht. (…) Auch das Bündnis „No Patents on Seeds!“ fordert ein striktes Verbot für Patente auf Züchtungsprozesse, einschließlich Kreuzung oder Selektion sowie auf die Nutzung natürlich vorkommender oder zufällig erzeugter genetischer Variationen. Die globale Ernährungssouveränität dürfe nicht über exklusive Eigentumsansprüche kontrolliert und behindert werden. Die Organisation appelliert an das Europäische Patentamt sowie Regierungen, endlich wirksame Maßnahmen zu treffen…“ Beitrag von Susanne Aigner vom 28. September 2023 in Telepolis externer Link
  • Kampf um die Landwirtschaft: Der Hunger wächst
    „… Null Hunger im Jahr 2030 – das wollte die Weltgemeinschaft erreichen, als sie ihre Ziele für eine nachhaltige Entwicklung verabschiedete. Doch das wird nichts. Im Gegenteil: Die Zahlen steigen. Offiziell sind gegenwärtig 735 Millionen Menschen weltweit betroffen, mehr als jede und jeder elfte. (…) Am stärksten unter Hunger leiden ausgerechnet Bevölkerungsgruppen, die auf dem Land leben. Internationale Investoren suchten insbesondere seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 nach sicheren Anlagemöglichkeiten. Weil Grund und Boden ein unvermehrbares Gut ist und damit als sichere Anlage erscheint, kauften sie riesige Landflächen. Darauf lassen sie nun vor allem profitable Energie- und Futterpflanzen sowie Obst, Gemüse und Blumen für den Export anbauen. Auch Fondsgesellschaften, Finanzspekulanten sowie chinesische Staatsfirmen haben massiv zum „Landgrabbing“ beigetragen. Für die ansässige Bevölkerung bedeutet dies, dass ihre Lebensgrundlagen zerstört werden. Nur wenige finden Arbeit auf den hochindustriell arbeitenden Plantagen. Weil sie keinen Platz mehr haben, um ihre Nahrung selbst anzubauen, ziehen immer mehr Menschen in die Städte und versuchen dort, sich irgendwie durchzuschlagen. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt, dass im Globalen Süden 70 Prozent der Menschen im sogenannten informellen Sektor arbeiten, also ohne Vertrag, geregelte Einkünfte und Arbeitszeiten. Formelle Stellen gibt es in vielen Ländern lediglich im öffentlichen Dienst und bei internationalen Großunternehmen. (…) Fast alle Konzernzentralen haben ihre Sitze im Globalen Norden – und so fließen die Gewinne dorthin. Dagegen verschwinden immer mehr örtliche Unternehmen, die dem Preisdruck der Giganten nicht standhalten können. Entsprechend gehen auch viele Arbeitsplätze verloren. (…) Bereits 2008 haben rund 400 Wissenschaftler_innen und Expert_innen den Weltagrarbericht erarbeitet. Sie kommen zu dem eindeutigen Ergebnis: Weiter wie bisher ist keine Option. Die immer wieder aufgetischte Argumentation, dass eine wachsende Menschheit ausschließlich mit einer industriellen Landwirtschaft ernährt werden kann, ist falsch. (…) Die Autor_innen des Weltagrarberichts plädieren für eine kleinteilige, vielfältige, regional angepasste Produktionsweise. Ähnliches fordert die IUL, die globale Gewerkschaft für Lebensmittel, Landwirtschaft, Hotels und mehr. Sie hat auch einen Leitfaden veröffentlicht, wie sich Gewerkschaften in ihrem jeweiligen Kontext für eine sozial-ökologische Transformation des Sektors einsetzen können…“ Beitrag von Annette Jensen vom 31. August 2023 beim DGB Bildungswerk externer Link aus NORD I SÜD news II/2023: Kampf um die Landwirtschaft
  • Das Geschäft mit dem Hunger: Der Reichtum der Milliardäre des Lebensmittel- und Agrarsektors hat in den letzten zwei Jahren um 45 Prozent zugenommen 
    „Die Welle der Preisanstiege bei Lebensmitteln hält an und die Hungersnöte nehmen zu. Die Medien beharren darauf, dass dies eine Folge des Ukraines-Krieges ist, doch das ist nur ein kleiner Teil des Problems. Zweifellos sind die Folgen der letzten beiden Pandemiejahre auch ein gewichtiger Faktor. Aber keine der beiden Entwicklungen ist der eigentliche Grund für die Lebensmittelkrise. Die Hauptursache liegt darin, dass die agroindustrielle Kette der Nahrungsmittelerzeugung – die einen Großteil der in Supermärkten und Einzelhandelsgeschäften verkauften Lebensmittel liefert – stark von einigen wenigen transnationalen Konzernen beherrscht wird, die nicht an der Ernährung interessiert sind, sondern am Profit. (…) Oxfam berichtet, dass der Reichtum der Milliardär:innen des Lebensmittel- und Agrarsektors in den letzten zwei Jahren um 45 Prozent gestiegen ist. Außerdem sind 62 Aktionäre dieses Sektors zur Gruppe der globalen Milliardäre hinzugekommen. Cargill, der weltweit größte Getreidehändler und drittgrößter Konzern bei der industriellen Tierhaltung, erzielte im Jahr 2021 Nettoeinkünfte in Höhe von fünf Milliarden Dollar, den größten Nettogewinn seiner gesamten Geschichte. Voraussichtlich wird Cargill auch 2022 wieder Rekordgewinne erzielen. Die Louis Dreyfus Company (LDC), ebenfalls unter den sieben weltgrößten Konzernen des Getreidehandels, hat ihre Gewinne im Jahr 2021 um 82 Prozent gesteigert. Auch Walmart, das umsatzstärkste Unternehmen und zugleich größter Supermarkt der Welt, verzeichnete 2021 außerordentliche Gewinne. Die Familie Walton, Hauptaktionärin des Konzerns, hat ihr Vermögen seit 2020 um 8,8 Milliarden Dollar erhöht. Der transnationale Konzern Nestlé, weltgrößtes Unternehmen bei der Verarbeitung von Lebensmitteln, hat mehr als 16 Milliarden Dollar verdient, weshalb sein Nettoeinkommen im Jahr 2021 um 38,2 Prozent höher war als im Vorjahr. Diesen Giganten des schlechten Essens noch zu unterstützen, wie es der mexikanische Präsident tat, stärkt die Position des Konzerns weiter, um solche irrsinnigen Gewinne zu erzielen, während die kleinbäuerlichen Produzenten miserablen Bedingungen ausgesetzt sind. Das agroindustrielle Nahrungsmittelsystem, das von transnationalen Oligopolen kontrolliert wird, ist die strukturelle Hauptursache für die Lebensmittelkrisen, für die Hungersnöte und auch für die Krise der Immunschwäche als Folge der Verbreitung von Junkfood und Essen mit schlechter Nährwertqualität. Aus dieser verhängnisvollen Spirale der Lebensmittel- und Gesundheitskrise auszubrechen, ebenso wie aus der Abhängigkeit von transnationalen Konzernen, ist dringend notwendig, gangbar und möglich. Es erfordert den Aufbau von Ernährungssouveränität, nicht im Sinne von Isolierung und Grenzschließung, sondern so, wie es La Vía Campesina vorschlägt: Unter Anerkennung der Rechte und mit realer Unterstützung der kleinbäuerlichen, nachhaltigen, agrarökologischen Produktion auf lokalen und nationalen Märkten, in solidarischen und sozial verantwortungsvollen Systemen, die verhindern, dass Konzerne etwas so Unverzichtbares kontrollieren und ihren Spekulationen unterwerfen, wie das Essen für uns alle.“ Beitrag von Silvia Ribeiro in der Übersetzung von Miou Sascha Hilgenböcker bei amerika21 am 23. August 2022 externer Link (Silvia Ribeiro ist eine uruguayisch-mexikanische Forscherin der Grupo de Acción sobre Erosión, Tecnología y Concentración (ETC))
  • Ukraine-Krieg: Zeit für eine Abrüstung des Hungers
    Der Ukrainekrieg und die Blockade der Häfen führt zu einer Ernährungskrise in Nahost und Afrika. Doch die Verantwortung dafür liegt bei Weltbank, IWF, bei den G7 und den Getreidespekulanten (…) Die Recherche „The Hunger Profiteers“ der Organisation Lighthouse Reports beschreibt, wie zu Beginn des Ukraine-Krieges Banken ihren Anlegern empfahlen, in Agrarfonds zu investieren und auf steigende Lebensmittelpreise zu wetten. In der ersten Märzwoche flossen 4,5 Milliarden Dollar in solche Fonds. Konzerne wie Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus, die den globalen Getreidehandel dominieren, tätigen selbst spekulative Geschäfte. „Niemand weiß, wie viel sie in ihren Lagern horten“, sagt Herre. Auch das hat Einfluss auf die Preise. Laut dem Bericht „Profiting from Pain“ externer Link von Oxfam sind die Gewinne der Agrarhändler in den letzten Jahren extrem gestiegen: Cargill fuhr 2021 mit fünf Milliarden Dollar den größten Nettogewinn der Firmengeschichte ein. Befeuert wurde die Finanzialisierung der Landwirtschaft durch Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) und die Strukturanpassungen in den 1980er und 90er Jahren. (…) Die neoliberale Entwicklungshilfe setzt dies fort. Finanziert von Agrarindustrie, Regierungen, der UN und Stiftungen sind Public Private Partnerships entstanden, die Kleinbäuerinnen und -bauern in globale Wertschöpfungsketten einbinden und mit Agrochemie die Produktivität steigern sollen. (…) Die G7 – jene Länder, deren Konzerne das Geschäft mit dem Hunger betreiben – haben jüngst ein Bündnis für Ernährungssicherheit gegründet. Das wird die Probleme nicht lösen. Was wirklich helfen würde: eine Wende zur lokalen Produktion statt chemieintensiver Landwirtschaft, die Stärkung von Kleinbauern, Regulierung von Konzernen und der Ausstieg aus der Produktion von Energiepflanzen und Fleisch. Hunger wäre am Ende keine Waffe mehr.“ Artikel von Kathrin Hartmann vom 29.07.2022 im Freitag online externer Link (Ausgabe 30/2022)
  • Unfaire Agrarexporte: Hunger aufgrund ungerechter Weizen-Verteilung
    Klimakrise, Corona, Inflation und Kriege führen zu immer mehr Hungersnöten. Experten fordern reiche Staaten auf, deutlich mehr Geld in die Nothilfe zu stecken. Angeprangert wird auch die Art, wie Weizen weltweit verteilt wird. Allein in Deutschland landeten 60 Prozent des angebauten Weizens als Tierfutter im Trog. (…) Der russische Präsident Wladimir Putin „nutzt Weizen als Kriegswaffe. Das stimmt“, fügte Pruin hinzu. Doch wenn man bei diesem Bild bleibe, müsse man auch dafür sorgen, „dass diese Waffe stumpf wird“. Dafür müsse mehr Weizen auf den Markt kommen. „Und das ist möglich.“ Der Agrarexperte des Hilfswerks, Francisco Mari, kritisierte zugleich Versuche der „Agrarlobby“, die Hungerkrise zu nutzen, um stillgelegte ökologische Flächen wieder bebauen zu können. Schon jetzt gäbe es genügend Fläche für Weizen, wenn weniger verfüttert oder für Biokraftstoff verwendet würde. (…) Das von Deutschland initiierte Bündnis für globale Ernährungssicherheit externer Link, über das Informationen über die Bedarfe ausgetauscht und die Versorgung von Hungernden rund um den Globus koordiniert werden soll, zeigt nach Ansicht des Hilfswerks bislang noch nicht die erhoffte Wirkung…“ Meldung vom 27.07.2022 im Migazin externer Link, siehe auch:

    • Brot für die Welt fordert Umdenken bei Hungerbekämpfung
      Um die weltweite Hungerkrise zu entschärfen, fordert Brot für die Welt bei seiner Jahrespressekonferenz, dass die Nothilfe deutlich aufgestockt wird. „Um Millionen Menschen vor dem Verhungern zu retten, müssen die reichen Industrieländer sofort mehr Geld für die Nothilfe bereitstellen“, sagt Präsidentin Dagmar Pruin bei der Vorstellung des Jahresberichts. Das sei zur akuten Linderung der größten Not dringend geboten. Kurzfristige Maßnahmen reichten aber nicht aus, um den Hunger in der Welt dauerhaft zu überwinden. „Die politischen Entscheidungsträger müssen auch die dahinterliegenden Ursachen entschlossen angehen und in der Agrarpolitik auf allen Ebenen umsteuern. Die Antwort auf wiederkehrende Hungerkrisen muss ein anderes weltweites Ernährungssystem sein, das die armen Länder aus der Abhängigkeit befreit.“ Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe die Hungerkrise nicht hervorgebracht, aber verschärft…“ die PM vom 27.07.2022 externer Link
  • Der Kornkrieg: Welthunger als Waffe 
    „… Die »Tagesschau« meldet: »Bundesaussenministerin Annalena Baerbock hat Russland vorgeworfen, den Hunger in der Welt ›ganz bewusst als Kriegswaffe‹ einzusetzen. Russland ›nimmt die ganze Welt als Geisel‹, sagte Baerbock zu Beginn einer internationalen Ernährungskonferenz in Berlin. Baerbock kritisierte, Russland versuche die Schuld an den explodierenden Nahrungsmittelpreisen ›anderen in die Schuhe zu schieben‹, doch das seien ›Fake News‹. (…) Ähnlich äusserte sich US-Aussenminister Antony Blinken ( ). Russland lasse ›zielgerichtet Lebensmittelpreise explodieren ( ), um ganze Länder zu destabilisieren‹. (…) Antony Blinken und Annalena Baerbock sorgen sich also öffentlich um die Hungernden. Man könnte denken, dass sie als wichtige Regierungsmitglieder der mächtigsten Wirtschaftsnationen auf der Welt reichlich Gelegenheit gehabt hätten, auf dieses Thema zu kommen und gegebenenfalls etwas zu unternehmen. Denn Menschen, die verhungern und unter den Folgen von Unterernährung leiden, gibt es natürlich nicht erst seit Beginn des Ukraine-Kriegs. (…) Russland ist inzwischen mit einem Anteil von 19 Prozent der grösste Weizenexporteur auf dem Weltmarkt. Das Land hat Ende März seine Exporte mit Hinweis auf die westlichen Sanktionen eingestellt. Baerbock hat das als »Fake News« bezeichnet. Und tatsächlich sind die Getreidelieferungen selbst von den Sanktionen der EU nicht betroffen. Allerdings fallen die Versicherungen für solche Transporte, das Einlaufen und Warten russischer Schiffe in ausländischen Häfen sowie die finanzielle Abwicklung unter die Sanktionen. Im Klartext heisst das: Russland dürfte liefern, kann aber nicht mit Sicherheit Geld dafür erwarten und müsste zudem befürchten, dass seine Schiffe beschlagnahmt werden. (…) Die Ukraine hat in den letzten Jahren einen Teil des Weltweizenmarkts bestückt (2021: 8,5 Prozent). Allerdings werden die ukrainischen Lieferungen in ihrer Bedeutung für die Welternährung momentan stark übertrieben. Stellt man die Überlegungen oben in Rechnung, geht es um etwa zehn Millionen Tonnen Weizen (oder etwas mehr). Daran soll sich die Frage der aktuellen Hungerkatastrophe entscheiden? Das darf bezweifelt werden. (…) Halten wir fest: Die zitierten Vorwürfe westlicher Politiker an Russland sind sachlich unwahr. Bezüglich der russischen Exporte unterschlagen sie die Wirkung der westlichen Sanktionen, während sie in bezug auf die ukrainischen die in Frage stehenden Weizenmengen und ihre Bedeutung nach oben aufblasen. Für die Blockade im Schwarzen Meer weisen sie die Verantwortung einseitig einer Kriegspartei zu. Die Bedeutung der Finanzspekulation an ihren (!) Börsen lassen sie schlicht ganz weg. Und eine weitere, naheliegende Frage kommt in der gesamten öffentlichen Debatte gar nicht vor: die Frage danach, warum in dieser Welt eigentlich so viele Menschen an Hunger und Mangelernährung leiden.“ Beitrag von Renate Dillmann vom 19. Juli 2022 beim untergrund-blättle externer Link (Teil 1)
  • Wir stehen kurz vor einer globalen Nahrungsmittelkrise: Durch Spekulation an der Börse treiben Investoren die Weizenpreise in die Höhe – und machen großes Geschäft 
    „… Auch wenn wir es immer wieder hören: Nicht alle werden ärmer. Mineralölkonzerne und die Rüstungsindustrie machen gerade offensichtlich hohe Profite. Doch auch Investoren, die seit Kriegsbeginn auf steigende Weizenpreise gewettet haben, fahren fette Gewinne ein. Die Rechnung dafür zahlen Menschen in Entwicklungsländern, die nicht mehr satt werden. Der Börsenpreis für Weizen ist seit Beginn des Krieges durch die Decke gegangen und befindet sich bis heute auf Rekordniveau. Seit Ausbruch des Krieges ist der Weizenpreis um fast 50 Prozent angestiegen, zwischenzeitlich sogar um 70 Prozent. Das hat Folgen. Etliche Länder sind von Weizenimporten abhängig. (…) »Weizenpreis: Stärkster Preissprung seit 13 Jahren« – das titelte auch Börse-Online kurz nach Kriegsbeginn, der an der Börse vor allem als Investment-Chance aufgefasst wurde. Allein in der ersten Märzwoche 2022 sind 4,5 Milliarden Dollar in Fonds geflossen, die mit Agrarrohstoffen handeln – so viel, wie sonst in einem ganzen Monat. Die drohenden Engpässe in der Ukraine haben das schnelle Geld auf den Plan gerufen. Das niederländische Recherchenetzwerk Lighthouse Reports hat sich die zwei größten Agrarfonds, den Teucrium Weizenfonds und den Invesco DB Agriculture Fonds, genauer angesehen. Während die Fonds im Jahr 2021 von Anlegern noch 197 Millionen Dollar einsammelten, waren es in den ersten vier Monaten 2022 bereits 1,2 Milliarden Dollar. (…) Das Internationale Expertenpanel für Nachhaltige Lebensmittelsysteme (IPES-Food) hat im Mai einen Report dazu herausgegeben, der davor warnt, dass innerhalb der kommenden fünfzehn Jahre eine dritte Hungerkrise droht. IPES-Expertin Jennifer Clapp sagt unmissverständlich: »Es gibt Hinweise darauf, dass sich Finanzspekulanten auf Rohstoffinvestitionen stürzen und auf steigende Lebensmittelpreise setzen, was die ärmsten Menschen der Welt noch tiefer in den Hunger treibt. Die Regierungen haben es versäumt, exzessive Spekulationen einzudämmen und die Transparenz der Lebensmittelvorräte und Rohstoffmärkte zu gewährleisten – hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden.« (…) Es braucht hier harte Regeln. Das Problem löst man außerdem auch nicht mit einer Steuer auf Börsenumsätze, der sogenannten Finanztransaktionsteuer. Denn Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen gehört verboten, nicht besteuert. (…) Um die Nahrungsmittelkrise zu lösen, sind von Außen- über Entwicklungs- bis hin zur Finanz- und Wirtschaftspolitik alle Ebenen gefragt. Denn nur mit einem umfassenden fortschrittlichen Anspruch können die zugrunde liegenden Probleme angegangen werden.“ Beitrag von Maurice Höfgen und Lukas Scholle vom 9. Juni 2022 bei Jacobin externer Link
  • [Appell und Petition an die EU] Schützt die Natur, nicht die Profite! Die Agrargiganten nutzen den Krieg in der Ukraine, um ein Gesetz zum Schutz der Natur zu verhindern 
    Eine Nahrungsmittelproduktion, die die Erde nicht zerstört, ist die einzige Möglichkeit, die gesunde Ernährung zu gewährleisten, die wir jetzt und für künftige Generationen brauchen. Geben Sie dem Druck der Agrargiganten nicht nach. Verpflichten Sie sich, Ihre Pläne für ein ehrgeiziges „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“ zu veröffentlichen, um Lebensräume wie Wälder, Feuchtgebiete und Flüsse wiederherzustellen und zu beleben und wildlebende Tiere wie Bienen und Vögel zu schützen.
    Bäuerliche Familienbetriebe tun uns einen großen Gefallen. In ganz Europa stellen sie mit ihrer Art Landwirtschaft zu betreiben die zerstörerischen Methoden der Agrargiganten in Frage. Durch den Anbau verschiedener Kulturpflanzen, die Pflege des Bodens und die Anpflanzung von mehr Bäumen erzeugen die Kleinbauern und Bäuerinnen gesündere Lebensmittel und leben im Einklang mit der Natur. Sie brauchen aber unsere Hilfe. Die EU wollte ein neues Gesetz ankündigen, das ihre Art, Lebensmittel anzubauen, ohne die Natur zu zerstören, schützen würde.
    Doch die Agrarlobby hat hart gekämpft, um es zu verhindern, und den Krieg in der Ukraine als Vorwand benutzt. Mit knapper werdendem Weizen und Mais, plädierten sie für eine Kehrtwendung des neuen Gesetzes. All das, um ihre Milliardengewinne zu schützen und um an das Land heranzukommen, das dieses Gesetz bewahren soll, wie Wälder und Feuchtgebiete. Dieses Gesetz wurde nun auf Eis gelegt. Und wenn die EU-Kommission keinen öffentlichen Protest erlebt, werden die Chancen, dass dieses Gesetz wieder auf die Tagesordnung kommt, mit jedem Tag geringer…“ Appell und Petition von We Move Europe externer Link
  • Im Krieg siegt der Hunger: „Der Krieg gegen die Ukraine zeigt einmal mehr, wie verwundbar das globale Ernährungssystem ist“
    Krieg und Hunger gehen schon immer Hand in Hand. Mehr denn je sind die Folgen des Krieges nicht nur in der Nähe der Kampfgebiete zu spüren. Der Krieg gegen die Ukraine zeigt einmal mehr, wie verwundbar das globale Ernährungssystem ist.
    Der Ukraine-Krieg hätte zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können: Rund 800 Millionen Menschen hatten 2021 mit weniger als 1.800 Kalorien am Tag nicht genug zu essen. An akut lebensbedrohlichem Hunger litten laut dem Welternährungsprogramm (WFP) rund 193 Millionen Menschen. Das waren fast 40 Millionen mehr als im vorigen Rekordjahr 2020, und voraussichtlich werden weitere 50 Millionen im Laufe des Jahres durch Folgen des Krieges gegen die Ukraine Hunger erleiden. Das WFP schlüsselte die Ursachen für den lebensbedrohlichen Hunger so auf: Wetterextreme zogen den Hunger von über 23 Millionen Menschen weltweit nach sich, Wirtschaftskrisen taten dies bei über 30 Millionen Menschen. Verursacher Nummer Eins für extremen Hunger sind mit 139 Millionen Betroffenen Kriege und Konflikte. In vielen Kriegen wird Hunger als Waffe eingesetzt – so nun auch in der Ukraine. Die Folgen sind global spürbar. Hinzu kommt: Das Horn von Afrika ist seit dem Frühjahr 2022 mit der schlimmsten Trockenheit seit 40 Jahren konfrontiert. Mehr als 15 Millionen Menschen in Äthiopien, Kenia und Somalia kämpfen nach UN-Angaben mit Nahrungsmittelknappheit. Dann begann der Krieg. Er entzog dem Weltmarkt unter anderem praktisch die komplette ukrainische und russische Exportproduktion von Weizen (zusammen 26 Prozent des Welthandels, also jeden vierten Sack Weizen), Sonnenblumenöl (allein Ukraine 51 Prozent) sowie Dünger (allein Russland 15 Prozent). (…) In welchem Ausmaß diese Umstände die globale Hungerkrise genau verschärfen, muss sich noch zeigen. Absehbar ist schon jetzt, welch katastrophale Folgen die Verschränkung von Krieg, Klimakrise, Agrarindustrie und spekulativem Lebensmittelmarkt hat. Der industrielle Agrarsektor ist dabei selbst ein Treiber des Klimawandels…“ Artikel von Christian Jakob in iz3w 391 externer Link (Krieg gegen die Ukraine)
  • Sipri zu Hunger, Krieg und Klimakrise: Warum internationale Kooperation wichtiger denn je ist 
    „… Während in Deutschland diskutiert wird, ob es moralisch verwerflich ist, sich im Fall des Ukraine-Krieges eine Verhandlungslösung zu wünschen, betont das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit für die Lösung gravierender Menschheitsprobleme. „Wir stehen vor einem planetaren Notfall“, erklärte das Institut anlässlich der Vorstellung seines Reports „Umwelt des Friedens: Sicherheit in einer neuen Ära der Gefahren“ externer Link an diesem Montag: „Eine komplizierte Umweltkrise und ein sich verdunkelnder Sicherheitshorizont verstärken sich gegenseitig auf gefährliche Weise.“ Der aktuelle Report solle das Verständnis für diesen Zusammenhang schärfen. Die Prozesse und Institutionen zur Bewältigung beider Krisen hätten sich bisher als unzureichend erwiesen, so das Fazit. (…) Der Klimawandel sei ein „Risikomultiplikator“ für neue und bereits bestehende Konfliktherde. Als eines von mehreren Beispielen wird im Sipri-Bericht die Sahel-Region genannt, wo der Verlust von Lebensgrundlagen für Bauern und Hirten die Bereitschaft erhöhe, sich einer Miliz anzuschließen. In Lateinamerika hätten Ernteausfälle Korruption und Gewalt sowie den Migrationsdruck in Richtung USA verstärkt. (…) Nicht zufällig werde dieser Report kurz vor dem 50. Jahrestag der UN-Umweltkonferenz im Juni 1972 veröffentlicht, sagte Sipri-Direktor Dan Smith bei der Präsentation. Die heutige Herausforderung sei, „dass wir internationale Kooperation mehr denn je brauchen“, so Smith. „Wir wissen genug, um jetzt zu handeln“, sagte er auch mit Blick auf den jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC. Dieses „Wir“ steht allerdings für eine Menschheitsfamilie, in der es real große Hierarchien gibt. Nicht nur innerhalb einer Gesellschaft zwischen Wirtschaftselite, politischer Klasse und Lohnabhängigen. Der heute schon stärker vom Klimawandel betroffene Globale Süden hat insgesamt weniger zu melden, das zeigt auch die westliche Wahrnehmung von Konflikten und Umweltproblemen in unterschiedlichen Teilen der Welt. In Somalia hätten Dürren bereits einen nationalen Notstand ausgelöst, sagte die Friedensaktivistin Ilwad Elman auf der Sipri-Pressekonferenz. Weltweit gebe es heute mehr bewaffnete Konflikte sowie vertriebene und geflüchtete Menschen als vor einem Jahrzehnt. Während vor allem auf den Krieg in der Ukraine geschaut werde, sei die Sicherheitslage in Afghanistan, in Syrien, im Jemen, im Tschad oder in Somalia nicht besser, gab Elman zu bedenken. Sipri stellt auch die weltweit auf 2,113 Billionen Dollar gestiegenen Rüstungsausgaben den eher bescheidenen Bemühungen zur Begrenzung des menschengemachten Klimawandels gegenüber…“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 23. Mai 2022 bei Telepolis externer Link („Krieg und Klimakrise: Warum internationale Kooperation wichtiger denn je ist“)
  • Erst Krise, dann Katastrophe: Oxfam-Bericht sieht über 250 Millionen Menschen armutsgefährdet 
    „… Mehr als eine Viertelmilliarde Menschen könnten im Jahr 2022 in extreme Armut abrutschen. Gründe dafür sind die COVID-19-Krise, die zunehmende globale Ungleichheit und Preissteigerungen bei Lebensmitteln, die durch den Krieg in der Ukraine noch verstärkt werden. Das ist das Ergebnis der Studie „First Crisis, Then Catastrophe“, die die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam vor der Frühjahrstagung von Weltbank und IWF und dem G20-Finanzministertreffen in Washington vorstellt. Sie prognostiziert, dass bis Ende dieses Jahres 860 Millionen Menschen in extremer Armut leben könnten – und damit weniger als 1,90 Dollar pro Tag zur Verfügung haben. Oxfam fordert von der Bundesregierung, die von der Corona-, Klima- und Ukraine-Krise massiv betroffenen einkommensschwachen Länder nun entschieden durch höhere Leistungen für Entwicklungszusammenarbeit zu unterstützen. Auf internationaler Ebene muss sie sich für Schuldenerlässe, eine höhere Besteuerung von Vermögen und übermäßigen Gewinnen sowie die Gründung eines Globalen Fonds für soziale Sicherung einsetzen. (…) Oxfams Bericht weist darauf hin, dass eine Reihe von Regierungen kurz vor der Zahlungsunfähigkeit steht und gezwungen ist, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen. Die ärmsten Länder der Welt müssen in diesem Jahr Schulden in Höhe von 43 Milliarden Dollar zurückzahlen. Dieses Geld fehlt zum Beispiel bei Lebensmittelimporten. Menschen, die in Armut leben, sind von diesen Schocks am stärksten betroffen. Steigende Lebensmittelkosten machen in wohlhabenden Ländern 17 Prozent der Verbraucherausgaben aus, in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara jedoch bis zu 40 Prozent. Selbst innerhalb der reichen Volkswirtschaften verschärft die Inflation die Ungleichheit: In den USA geben die ärmsten 20 Prozent der Familien 27 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus, während die reichsten 20 Prozent nur 7 Prozent ausgeben. „Die Weltgemeinschaft hat die Mittel, um alle Menschen aus Armut und Hunger zu befreien. Was fehlt, ist der politische Wille. Es ist ein fatales Signal, dass ausgerechnet Deutschland im Jahr der eigenen G7-Präsidentschaft den Entwicklungsetat im Bundeshaushalt 2022 drastisch kürzt. Die Bundesregierung sollte diese Entscheidung revidieren und die Mittel in den kommenden Jahren entschieden erhöhen, um so Bildung, Gesundheit und Ernährungssouveränität in einkommensschwachen Ländern und einen Globalen Fonds für soziale Sicherung zu finanzieren“, fordert Hauschild. Zudem dringt Oxfam auf Vermögenssteuern, um die Krisen sozial gerecht abzufedern – so auch in Deutschland. Obwohl sich die Kosten auftürmen, haben es die Regierungen – mit wenigen Ausnahmen – versäumt, die Steuern für die Reichsten zu erhöhen. Argentinien hat eine einmalige Sonderabgabe, die so genannte „Millionärssteuer“, eingeführt, die rund 2,4 Milliarden Dollar zur Finanzierung der Coronapandemiebekämpfung eingebracht hat. Weiter sollten die G20, IWF und Weltbank auf alle Schuldenrückzahlungen von Ländern mit einem kritischen Verschuldungsniveau verzichten. Ein Schuldenerlass würde allein im Jahr 2022 mehr als 30 Milliarden Dollar für 33 Länder freisetzen, die sich bereits in einer Notlage befinden oder bei denen ein hohes Risiko besteht, dass sie in Schwierigkeiten geraten.“ Oxfam-Pressemitteilung vom 12. April 2022 externer Link
  • Krieg und Hunger: Ukraine-Krieg: Russlands Überfall und die westlichen Sanktionen führen zu Zunahme von Hunger und Unterernährung weltweit 
    „… Russlands Invasion in die Ukraine und die vom Westen verhängten Sanktionen führen zu einer globalen Zunahme von Hunger und Unterernährung. Russland und die Ukraine gehören zu den wichtigsten Getreideproduzenten weltweit; Russland und Belarus liegen bei der Düngemittelproduktion, die für die Agrarwirtschaft von höchster Bedeutung ist, global weit vorn. Moskau hat weitgehende Exportbeschränkungen für Getreide verhängt, um die Ernährung der Bevölkerung trotz sanktionsbedingt ausfallender Nahrungsmittelimporte zu sichern. Der Getreideexport der Ukraine ist durch den russischen Überfall zum Erliegen gekommen. Auch Düngemittel liefert Russland nicht mehr ins Ausland, da Transport und Bezahlung aufgrund der Sanktionen nicht wie gehabt abgewickelt werden können. Schon jetzt steigen in Ostafrika die Getreidepreise dramatisch; Beobachter warnen vor Hungersnöten. In der arabischen Welt kommt der Preisanstieg zu bereits bestehenden politischen und sozialen Spannungen hinzu; Warnungen vor Hungerrevolten und einem Umschlag in politische Aufstände werden laut. (…) Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze warnt ausdrücklich vor Hungersnöten im globalen Süden, die zu „Brotaufständen“ führen könnten wie „vor elf Jahren im arabischen Raum“. Dies könne eine „neue Welle der Instabilität“ nach sich ziehen. Schulze fordert deshalb mehr Geld für die deutsche Entwicklungshilfe, die laut den bisherigen Plannungen in diesem Jahr um 12,6 Prozent gekürzt werden soll. Die „Herausforderungen“ würden nicht kleiner, sondern größer, klagt Schulze, da vor dem Krieg Russland und die Ukraine rund 30 Prozent aller Weizen- und 20 Prozent aller Maisexporte auf sich vereinigt hätten. Russlands Überfall hat bereits den Export von rund zehn Millionen Tonnen Weizen und acht Millionen Tonnen Mais blockiert, die in den Häfen der Ukraine lagern; es handelt sich um rund 25 Prozent der ukrainischen Jahresproduktion. Überdies ist nicht klar, wie die Frühjahrsaussaat in der Kriegsregion bewerkstelligt werden soll, falls der Krieg nicht bald beendet wird. Damit würde die drohende Hungerkrise in weiten Teilen des globalen Südens zu einem längerfristigen Problem – dies umso mehr, als die aktuellen Hilfsmaßnahmen für die Ukraine dazu führen, dass die Spenden für Hungergebiete im globalen Süden rasch schrumpfen. Bei einer im März in Genf abgehaltenen UN-Geberkonferenz für den Jemen kamen beispielsweise nur 1,3 Milliarden Euro zusammen – nur 30 Prozent des tatsächlich vorhandenen Bedarfs. Die Nothilfe für die Ukraine könne auf „auf Kosten afrikanischer Länder gehen“, heißt es in Berichten, die etwa Mittelkürzungen von rund 70 Prozent für die Sahelzone vermelden. (…) Parallel haben die vier Staaten des südamerikanischen Staatenbundes Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay), Chile und Bolivien eine Kampagne gestartet, Düngemittellieferungen wegen ihrer hohen Bedeutung für die globale Nahrungsmittelproduktion grundsätzlich von den Sanktionen auszunehmen…“ Bericht vom 29. März 2022 von und bei German-Foreign-Policy.com externer Link
  • [Oxfam] Ostafrika: Bis zu 28 Millionen Menschen von extremem Hunger bedroht – Steigende Getreide- und Rohstoffpreise verstärken bestehenden Hunger 
    „… Bereits jetzt haben in den Ländern Ostafrikas 21 Millionen Menschen mit schwerem Hunger zu kämpfen – inmitten von Konflikten, Überschwemmungen und der schlimmsten Dürre seit 40 Jahren. Um sie zu unterstützen, ist es notwendig, massiv internationale humanitäre Hilfe zu mobilisieren. Trotz des alarmierenden Bedarfs ist die humanitäre Hilfe völlig unterfinanziert. Nur drei Prozent der insgesamt sechs Milliarden US-Dollar, die die Vereinten Nationen 2022 für die humanitäre Hilfe in Äthiopien, Somalia und dem Südsudan aufbringen müssen, sind bisher finanziert worden. Der Hilfsbedarf Kenias ist bisher nur zu elf Prozent gedeckt. Gabriela Bucher, Vorstandsvorsitzende von Oxfam International, kommentiert: „Ostafrika steht vor einer zutiefst alarmierenden Hungerkrise. Gebiete in Äthiopien, Kenia, Somalia, Südsudan und darüber hinaus erleben eine Katastrophe. Selbst wenn die Regenfälle noch in diesem Monat einsetzen, wird sich die Situation nicht komplett entspannen. Die internationale Gemeinschaft muss jetzt dringend handeln. “ Bucher weiter: „Die Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf das globale Nahrungsmittelsystem werden rund um den Globus zu spüren sein, aber gerade die ärmsten und schwächsten Menschen werden am stärksten und schnellsten betroffen sein. Die steigenden Lebensmittelpreise sind ein harter Schlag für Millionen von Menschen, die bereits unter mehreren Krisen leiden, wenn die internationale Hilfe nicht deutlich und vor allem schnell erhöht wird.“ Der mit der Krise zusammenhängende Anstieg der weltweiten Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise untergräbt bereits jetzt die Möglichkeiten der hoch verschuldeten afrikanischen Regierungen, den Hunger ihrer Bevölkerungen zu bekämpfen. Die Länder Ostafrikas importieren bis zu 90 Prozent ihres Weizens aus der Ukraine und Russland. Da sich die Störungen auf den weltweiten Handel mit Getreide, Öl, Transportmitteln und Düngemitteln auswirken, beginnen die Lebensmittelpreise in die Höhe zu schnellen. In der vergangenen Woche erreichten sie ein Allzeithoch. In Somalia waren die Preise für Grundnahrungsmittel mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr. (…) Gabriela Bucher appelliert: „Ostafrika kann nicht warten. Die durch Klimaveränderungen und COVID-19 verursachte Hungerkrise verschärft sich von Tag zu Tag. Oxfam appelliert an alle Geber, die Finanzierungslücke des humanitären Appells der Vereinten Nationen dringend zu schließen. Wir rufen die Regierungen insbesondere der Getreide exportierenden Länder auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um geeignete Alternativen zu den Lieferungen der Ukraine in einkommensschwache, von Nahrungsmittelimporten abhängige Länder zu finden.“…“ OXFAM-Pressemitteilung vom 22. März 2022 externer Link
  • Hungerrevolten ante portas: Die Welternährungsorganisation vermeldet besorgniserregendes Niveau des Lebensmittelpreisindexes 
    „Die Warnung steht im Raum: Der Lebensmittelindex der Welternährungsorganisation FAO hat ein Niveau erreicht wie seit 2011 nicht mehr – dem Jahr des Arabischen Frühlings. Der Index erfasst die monatlichen Veränderungen der internationalen Preise für häufig gehandelte Nahrungsmittel. Ob pflanzliche Öle, Getreide, Milch oder Fleisch – die Preise sind weiter im Anstieg begriffen. Einzig der Zuckerpreisindex verzeichnete einen Rückgang, vermeldete die FAO am 3. Februar. Insgesamt verzeichnete der Lebensmittelindex ein Plus von sage und schreibe 28,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Steigende Nahrungsmittelpreise bergen immer sozialen Sprengstoff. 2008 machten die Hungerrevolten von Haiti bis Ägypten Schlagzeilen. In 40 Ländern des Globalen Südens kam es damals zu »Food Riots«, die Dutzende Menschen das Leben kosteten. Sie hatten gegen steigende Grundnahrungsmittelpreise demonstriert. (…) Eine IWF-Studie aus dem Jahr 2011 untersuchte den Zusammenhang zwischen der Inflation der Lebensmittelpreise und regierungsfeindlichen Demonstrationen in 120 Ländern zwischen 1970 und 2007. Demnach führte ein Anstieg der Lebensmittelpreise um zehn Prozent zu einer Zunahme von 100 Prozent bei regierungsfeindlichen Protesten. Dabei handelte es sich um Länder mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen, in denen Lebensmittel einen hohen Anteil an den privaten Ausgaben ausmachen. Kurz: Brotaufstände, die auch am Beginn der jüngsten sudanesischen Revolution standen, die 2019 zum Sturz des Langzeitherrschers Omar al-Baschir führte. Zuvor hatte die Regierung die Zuschüsse für Weizen und Benzin gekürzt, was dazu führte, dass sich der Brotpreis verdreifachte. Viele Sudanesen gaben fast die Hälfte ihres Gehalts für Brot aus. Die Lage der Welternährung ist ernst, der neue Lebensmittelpreisindex der FAO nur ein Indiz mehr. Schon im November 2021 vermeldete die FAO, dass ungefähr drei Milliarden Menschen, fast 40 Prozent der Weltbevölkerung, sich eine gesunde Ernährung nicht leisten können. Eine weitere Milliarde Menschen könnten sich ihnen anschließen, sollten weitere unvorhersehbare Ereignisse Einkommen reduzieren, so die FAO. (…) Worüber die FAO bei ihren Verkündungen der Lebensmittelindizes regelmäßig schweigt: Die Agrarlobby hat kein Interesse an einer Reform – weder im Norden noch im Süden. Solange sie sich weiter durchsetzt, geht der Hunger in der Welt weiter und, so die Kraft reicht, die Hungerrevolten.“ Artikel von Martin Ling vom 4. Februar 2022 in neues Deutschland online externer Link
  • Welthungerindex 2021: Jeder zehnte Mensch auf der Erde hungert – „Wir sind dramatisch vom Kurs auf Zero Hunger abgekommen“ 
    Die Welt sei weit vom Ziel entfernt, bis zum Jahr 2030 den Hunger zu besiegen, warnt die Welthungerhilfe. Kriege, Corona und der Klimawandel verschlimmerten die Situation. Nichts zu tun, sei „Mord“, sagt Entwicklungsminister Müller. Die Welthungerhilfe hat vor einer Zunahme von Hungersnöten gewarnt. „Die Welt ist bei der Hungerbekämpfung vom Kurs abgekommen und entfernt sich immer weiter vom verbindlichen Ziel, den Hunger bis 2030 zu besiegen“, heißt es im Welthungerindex 2021. Aktuell hungerten etwa 811 Millionen Menschen weltweit, das ist fast ein Zehntel der Weltbevölkerung. Und 41 Millionen stünden kurz vor einer Hungersnot. Besonders dramatisch sei die Lage in Somalia, Jemen, Afghanistan, Madagaskar und dem Südsudan. Der am Donnerstag veröffentlichte Welthungerindex externer Link untersucht die Ernährungslage in 128 Ländern und beklagt „die deutlichen Rückschritte bei der Hungerbekämpfung“…“ Artikel vom 14. Oktober 2021 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link, siehe auch:
  • „Hunger bekämpfen wir nicht mit Gentechnik“
    „Jeder dritte Mensch auf der Welt weiß nicht, ob sie oder er am nächsten Tag ausreichend zu essen hat. Das sind ungefähr 2,4 Milliarden Menschen, die in mittlerer oder schwerer Ernährungsunsicherheit leben. (…) Immer mehr Menschen haben keinen oder keinen ausreichenden Zugang zu Land, Saatgut und Wasser. Gleichzeitig haben immer mehr Menschen, die nicht ausreichend Lebensmittel selbst produzieren können, immer weniger Geld. Sie können es sich schlichtweg nicht leisten, genügend Essen zu kaufen. Die Lockdowns während Corona haben diese Problem noch einmal deutlich verschärft. Sie bedeuteten: Keine Arbeit, kein Geld, kein Essen. (…)Das heißt, dass Menschen über Monate hinweg nicht ausreichend zu essen haben. Wenn man das runter rechnet, leidet aktuell jeder neunte Mensch Hunger. (…) Zusätzlich sind Programme wie das Welternährungsprogramm chronisch unterfinanziert, das heißt sie können nicht ausreichend Lebensmittel bereitstellen für die Hungernden. Auch anderen UN-Programmen, die sich mit dem Aufbau von landwirtschaftlichen Systemen beschäftigen, fehlt das Geld. Außerdem wird Hunger wieder aktiver als Kriegsmittel eingesetzt. Das sieht man jetzt aktuell in Äthiopien und schon länger im Jemen und anderen bewaffneten Konflikten. (…) Kann man durch Gentechnik den Hunger auf der Welt bekämpfen? Nein, Gentechnik hat bisher keinerlei Beitrag zur Reduzierung von Hunger geleistet. Wir müssen die strukturellen Ursachen von Hunger angehen und uns nicht in einem technischen Diskurs verlieren. Das Hungerargument sollte und soll wieder eine Technik, in diesem Fall Gentechnik, durchsetzen, doch so wird aus meiner Sicht Aufmerksamkeit und Energie in falsche Bahnen gelenkt. Nur wenn wir uns auf die sozialen Ursachen des Hungers fokussieren, kommen wir zu langfristigen Lösungsansätzen. Das können wir nicht über private Agrarkonzerne mit ihrer Technik tun, sondern über öffentliche Institutionen – nationale und internationale…“ Interview mit Stig Tanzmann im Blog bei Brot für Welt vom 14. Oktober 2021 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=191452
nach oben