Aufwachen und sich wehren. Aktive Mittagspause bei Jenoptik gegen die Wahl Kemmerichs mit AfD-Stimmen

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitDie erste Februarhälfte war (und ist zu Redaktionsschluss) geprägt von einem Ereignis: der Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten Thüringens mit den Stimmen der AfD-Fraktion im Landtag. Als »Dammbruch« ist dieses Ereignis zu Recht nicht nur bundesweit, sondern global thematisiert wurden. Und dieser Dammbruch ist und bleibt besorgniserregend, wirft er doch ein deutliches Licht auf die sozialpolitischen Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland und vor allem auf die Frage, wieviel blaubraun sich in schwarz und gelb wiederfindet. Bei aller Empörung über den Dammbruch bleibt aber auch die Erleichterung darüber, dass viele Menschen diese Besorgnis teilen und sie sehr direkt und manifest geäußert haben. Unter diesen Beispielen ist nicht nur uns, sondern vielen kritischen GewerkschafterInnen die aktive Mittagspause der KollegInnen von Jenoptik AG aufgefallen, obwohl sie kaum medial präsent war. Wir sprachen mit der Betriebsrätin Petra Zahradka, einer Beteiligten aus dem Betrieb…“ Interview erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 02/2020 mit Petra Zahradka, Mitglied im Ortsvorstand der IG Metall Jena-Saalfeld, Vorsitzende des Ortsfrauenausschusses der IGM und nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied.

Aufwachen und sich wehren

Aktive Mittagspause bei Jenoptik gegen die Wahl Kemmerichs mit AfD-Stimmen

Die erste Februarhälfte war (und ist zu Redaktionsschluss) geprägt von einem Ereignis: der Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten Thüringens mit den Stimmen der AfD-Fraktion im Landtag. Als »Dammbruch« ist dieses Ereignis zu Recht nicht nur bundesweit, sondern global thematisiert wurden. Und dieser Dammbruch ist und bleibt besorgniserregend, wirft er doch ein deutliches Licht auf die sozialpolitischen Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland und vor allem auf die Frage, wieviel blaubraun sich in schwarz und gelb wiederfindet. Bei aller Empörung über den Dammbruch bleibt aber auch die Erleichterung darüber, dass viele Menschen diese Besorgnis teilen und sie sehr direkt und manifest geäußert haben.
Unter diesen Beispielen ist nicht nur uns, sondern vielen kritischen GewerkschafterInnen die aktive Mittagspause der KollegInnen von Jenoptik AG aufgefallen, obwohl sie kaum medial präsent war. Wir sprachen mit der Betriebsrätin Petra Zahradka, einer Beteiligten aus dem Betrieb.

Wie war die Stimmung im Betrieb nach dem Ausgang der MP-Wahl? Gab es Diskussionen im Betrieb, auch persönliche Sorgen und einen Bezug zum Arbeitsalltag?

Am Mittwoch, den 5. Februar 2020, haben die MitarbeiterInnen mittags über verschiedene »Kanäle« die Ministerpräsidenten-Wahl verfolgt. Es herrschte Fassungslosigkeit und Unverständnis über die Art und Weise dieser Wahl und deren Ausgang.

Natürlich gab es leise und laute Diskussionen in den Abteilungen und in verschiedene Richtungen. Einige sagten, jetzt haben »die« (die sogenannten Volksparteien) ihre Quittung bekommen. Andere waren im schockartigen Zustand. Es fielen Bemerkungen wie »Das waren die demokratischen Wahlen in Thüringen«, mit sarkastischem Unterton.

Sätze wie diese haben mich persönlich beeindruckt: »Wissen denn unsere Politiker nicht, was Ihre Wähler in Thüringen sich wünschen?«, »Die CDU muss über Ihren eigenen Schatten springen und andere Wege gehen«, »Rot, Rot, Grün hat uns nicht in den Abgrund gestoßen, wie vor vier Jahren von einigen prophezeit«.

Äußerungen, ob diese Wahl sich auf unseren Alltag auswirken könnte, waren zu dieser Zeit kein Thema. Die Zeit wird zeigen, wie sich diese Wahl auswirken wird – auch betrieblich.

Am Abend war ich auf der Delegiertenversammlung der IG Metall, bis dahin ging in Thüringen und speziell in Jena alles rasend schnell, eine Nachricht jagte die nächste. Natürlich war am Abend die Ministerpräsidentenwahl das Thema Nummer Eins. Auf dem Heimweg bin ich in eine Demo mit 2.000 TeilnehmerInnen geraten, ich war mittendrin. Ich fand es erstaunlich, dass in so kurzer Zeit so viele Menschen, von jung bis alt, auf die Straße gegangen sind, vor dem Hintergrund, dass die Demokratie von einigen Parteien missbraucht worden ist.

Wie seid ihr auf die Idee mit der aktiven Mittagspause gekommen? Was habt ihr da konkret gemacht? War Arbeitszeit betroffen und wie hat die Unternehmensleitung reagiert?

Der zweite Bevollmächtigte unserer IG Metall Geschäftsstelle Jena-Saalfeld, Christoph Ellinghaus, nahm nach dem Tag der Wahl morgens um acht Uhr Kontakt mit dem Konzernbetriebsrat von der Jenoptik auf und hat nach der Bereitschaft zu Aktionen gefragt. In einer Telefonkonferenz unter den Betriebsräten der Einzelbetriebe bejahten diese das mehrheitlich.

Per E-Mail ging der Aufruf  der IG Metall zur aktiven Mittagspause/Mahnwache dann an die Betriebsräte. Bis 11.45 Uhr  hatten wir Zeit, die KollegInnen anzusprechen und zu motivieren, an der Aktion teilzunehmen.

Rund 100 KollegInnen nahmen an der Mahnwache vor  dem Technologiezentrum der Jenoptik in Göschwitz teil. Wir nutzten unsere Mittagspause für die 15 Minuten dauernde Mahnwache. Christoph Ellinghaus sprach zu den KollgInnen. Die teilnehmenden MitarbeiteInnen wollten unbedingt zeigen, dass wir entsetzt über die Art und Weise dieser Ministerpräsidentenwahl und den Umgang mit der Demokratie sind.

Die Unternehmensleitung veröffentlichte einen Beitrag im Jenoptik-Intranet, in dem sie betonte, sich als Firma nicht zu »demokratischen politischen Prozessen« zu äußern. Sie betonte aber, dass Jenoptik für Vielfalt und Weltoffenheit stehe. Zu unserer Aktion schrieb sie: »Ausdruck des gesellschaftspolitischen Engagements von Jenoptikern war heute Mittag eine Mahnwache, zu der die Gewerkschaft IG Metall aufgerufen hatte«.

Habt ihr innerhalb des Betriebs auch Gegenwind bekommen? Gibt es Bestrebungen innerhalb der Belegschaft, die sich von rechts gegen die IG Metall wenden oder das Prinzip Einheitsgewerkschaft, also die gewerkschaftspolitische Neutralität in Fragen des Umgangs mit Parteien hochhalten?

Ja, nicht alle waren mit der Mahnwache einverstanden. Es gibt von einzelnen Personen Bestrebungen, die IG Metall in Misskredit zu bringen. Es werden falsche Behauptungen und Informationen in der Belegschaft gestreut, z.B. dass die IG Metall ein linksradikaler Verein sei und sogar eine Partei. Wir wehren uns natürlich verbal gegen solche Angriffe. Das heißt für uns aktive IG MetallerInnen, mit unseren KollegInnen immer in Kontakt zu bleiben, Diskussionen zu führen, Aufklärungsarbeit zu leisten, »echte« Informationen weiterzugeben und vor allem: den KollegInnen zuzuhören. Ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen.

Abschließend eine persönliche Einschätzung: Wie beurteilst du die thüringische Lage nach den Ereignissen? Könnt ihr euch bei ähnlicher Ausgangslage ähnliche oder weitergehende Aktionen im Betrieb vorstellen?

Thüringen scheint das vergessene Bundesland der Bundesrepublik zu sein. Wir haben die niedrigsten Löhne und z.T. eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, z.B. in Gera.

Viele Menschen wohnen im ländlichen Bereich. Wenn Sie Arbeit haben, müssen Sie meistens pendeln. Die Infrastruktur ist schlecht. Es gibt kaum große Industriestandorte und Firmen, sondern sehr viele kleine Firmen mit weniger als 200 Beschäftigten. Die »verlängerte Werkbank« der westdeutschen Bundesländer werden wir auch genannt, hauptsächlich für die Automobil­industrie, die seit drei Jahren durch Dieselskandal und E-Mobilität ins Wanken gekommen ist. Nach dreißig Jahren Mauerfall bestehen noch immer gravierende Unterschiede zwischen Ost und West. Die Hoffnung der Menschen in Thüringen auf Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen an die westlichen Bundesländer scheint in weite Ferne zu rücken. Das ist ein sehr guter Nährboden für rechtes Gedankengut.

Ich habe die Hoffnung, dass die Thüringer endlich aufwachen und sich wehren, ­ihrem Ärger Luft machen und wie 1989 friedlich, aber konsequent für »echte« Demokratie auf die Straße gehen. Wir müssen wieder lernen, uns zu wehren.

In der Tarifrunde 2018 haben wir IG MetallerInnen in Thüringen und speziell in Jena gezeigt, dass wir Aktionen auf der Straße und vor dem Werkstor hinbekommen. Ich wünsche mir mehr Mut, Stärke und Eigeninitiative von den KollegInnen.

Interview erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 02/2020

*  Petra Zahradka ist Mitglied im Ortsvorstand der IG Metall Jena-Saalfeld, Vorsitzende des Ortsfrauenausschusses der IGM und nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied.

express im Netz unter: www.express-afp.info externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=163476
nach oben