Klasse Klima. Torsten Bewernitz begießt das »zarte Pflänzchen ökologischer Klassenpolitik«

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit„… Große Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung (wenn auch vermutlich keine Mehrheit) wissen sehr genau, dass sie die Arbeiter:innen der Welt auf ihrer Seite brauchen. Dennoch ist dieses Zusammendenken von Klimakrise und Klassenkampf offenbar mal wieder etwas Einfaches, das schwer zu machen ist. (…) Eine Demonstration, so groß sie sein mag und so oft sie sich selber auch »Streik« nennt, demonstriert eben nur etwas, in der Regel eine mögliche weitere Anwendung kollektiver Macht, ein »Wir können auch anders«. Wenn dieses andere – eine massenhafte Militanz in Betrieb und Gesellschaft – aber ausbleibt, ist die demonstrative Drohung auf Dauer wenig beeindruckend. (…) Naheliegend ist natürlich die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Sowohl die IG Metall wie auch ver.di haben in diesem Jahr Kooperations- bzw. gemeinsame Positionspapiere mit Fridays for Future (FFF) und anderen Organisationen veröffentlicht. (…) Papier ist aber bekanntlich geduldig – wie sieht es mit der Umsetzung der Zusammenarbeit aus? Agieren Klima- bzw. Klimagerechtigkeitsbewegung und Gewerkschaften respektive Arbeiter:innenbewegung real zusammen? (…) Wie wäre es denn damit, scheinen sich viele FFF-Aktivist:innen zu denken, erst einmal die Arbeiter:innen zu fragen, was sie denn produzieren wollen? Vielleicht fände man ja heraus, dass die unmittelbaren Produzent:innen dazu zwar keine perfekten Ideen haben, aber immerhin mehr und bessere als ihr Management – nur sind sie eben vielleicht nicht ganz so profitabel…“ Artikel von Torsten Bewernitz erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 12/2021:

Klasse Klima

Torsten Bewernitz begießt das »zarte Pflänzchen ökologischer Klassenpolitik«

Es ist ja heutzutage durchaus üblich, aus einem einzigen Tweet bei Twitter eine Schlagzeile, einen Artikel, gar eine Debatte aufzubauen. Zumal, wenn der oder die Twitternde eine gewisse Prominenz hat. Wie etwa Greta Thunberg. Diese hatte ihren Tweet, dass sie sich den Protesten im Rahmen der Klimakonferenz COP26 anschließt, damit garniert, dass sie insbesondere die in Glasgow streikenden Arbeiter:innen einlud, sich dem Protest anzu­schlie­ßen. Dem neuen deutschland etwa war das eine »Geste mit Sprengkraft« (nd, 28.10.2021).

Auch wenn etwa Sam Oht in seiner Broschüre »No Future for Fridays?« (Moers 2021) die Fokussierung auf Repräsen­tan­t:in­nen wie Thunberg und damit einhergehend die Delegierung des »Klimaschutz […] in den Verantwortungsbereich der vereinzelten Privatperson« (Oht 2021, S. 9), kritisiert, so ist dieser Tweet inhaltlich doch gar nicht so etwas Neues. Den »Gerechtigkeitsaspekt« hatte Greta Thunberg schon in ihren frühesten Reden parat (Thunberg 2019, S. 14). Das weiß auch Oht, wenn er Greta Thunberg bescheinigt, »etwas klüger« zu sein »als in der medialen Rezeption dargestellt« (Oht 2021, S. 32), und dass sie sich »gegen die Verkitschung und Rekuperation [Assimilierung in die Warenförmigkeit, Anm. TB] ihrer Inhalte zu wehren« wisse (ebd., S. 11). Große Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung (wenn auch vermutlich keine Mehrheit) wissen sehr genau, dass sie die Arbei­ter:innen der Welt auf ihrer Seite brauchen.

Dennoch ist dieses Zusammendenken von Klimakrise und Klassenkampf offenbar mal wieder etwas Einfaches, das schwer zu machen ist. Hintergrund ist der nicht nur von Oht, sondern ausführlich auch von Simon Schaupp (in Sozial.Geschichte Offline 28/2021) konsta­tierte Fokus auf Konsumkritik, der sich insbesondere in der medialen und öffentlichen Betrachtungsweise niederschlägt, egal, wie oft Greta Thunberg Streikende zu den Klimapro­testen einlädt. Der dominante Nachhaltigkeitsdiskurs, so Schaupp, ist ein für die Klassenfrage blindes Eliteprojekt (Schaupp 2021, S. 43). Die moralinsaure Konsumethik vieler wohlsituierter »Ökos« erfüllt vor allem eine Distinktionsfunktion gegenüber den unteren Klassen. Die Lösungen für die Klimakrise werden in der Regel in einer individuellen Konsumethik, Appellen an die Unternehmen und einer Politik preisgesteuerter staatlicher Anreize, ggf. auch staatlicher Subventionen gesehen (ebd., S. 45). In dem »nachhaltigen Lebensstil« einer ökonomisch vordergründig weniger akut bedrohten Mittelschicht drücken sich »ökologie- und gesundheitsbezogene […] Ressentiments gegen die Unterschicht und gegen die Arbeiter:innen aus« (ebd., S. 47). Das wird nicht nur, wie Schaupp ausführt, als arrogante Überheblichkeit wahrgenommen, es ist oftmals auch einfach als Abgrenzung »von und nach unten«, gemeint. Und das wiederum erklärt die deutlich klassen- bzw. schicht­korrelierte Ablehnung der Grünen – zwar nicht ausschließlich, aber doch erheblich. AfD & Co schließen genau hier an.

Der ökologische Verzichtsdiskurs spielt – trotz seiner Berechtigung, gerade im globalen Sinne – aber letztlich auch Kapitalinteressen in die Hände: »Von den Lohnabhängigen eine Mäßigung in ihren materiellen Bedürfnissen zu fordern, ist […] nicht nur Anliegen der Konsumkritiker:innen, sondern auch ein Ansatzpunkt, um den Wert der Ware Arbeitskraft zu senken und dadurch die Profitrate zu erhöhen« (Oht 2021, S. 20). Und siehe da: »[d]ie Armen und Marginalisierten scheinen wenig Interesse zu haben, freiwillig noch mehr Verzicht zu üben, als ihnen ihre ökonomische Situation ohnehin schon aufzwingt« (ebd., S. 19). Dass für die Verhinderung irreversibler Umweltzerstörung auch die Frage imperialer Lebensweise (Wissen/Brand 2017) gestellt werden muss, sollte trotzdem das Kräfteverhältnis nicht zu Un­gun­sten der abhängig Beschäftigten verschieben.

Gerade deswegen aber wäre eine nachhaltige, also an der Produktionssphäre ansetzende, Bearbeitung der Klimakrise vor allem im Sinne der Lohnabhängigen – je abhängiger, umso mehr. Sie leiden global am meisten unter dieser Krise und die bislang debattierten Vorschläge belasten sie noch zusätzlich, ohne auch nur im Ansatz eine Lösung für diese Problematik aufzuzeigen. Und übrigens, das ist entscheidend, auch dann nicht, wenn global Millionen Menschen dafür auf die Straße gehen. Eine Demonstration, so groß sie sein mag und so oft sie sich selber auch »Streik« nennt, demonstriert eben nur etwas, in der Regel eine mögliche weitere Anwendung kollektiver Macht, ein »Wir können auch anders«. Wenn dieses andere – eine massenhafte Militanz in Betrieb und Gesellschaft – aber ausbleibt, ist die demonstrative Drohung auf Dauer wenig beeindruckend. In der jüngeren Geschichte hat das nur selten eine globale Massenbewegung so schnell verstanden wie zumindest ein signifikanter, wenn auch quantitativ nicht der bedeutendste Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung – auch wenn es mit der praktischen Umsetzung durchaus hapert.

Institutionelle Zusammenarbeit

Was folgt aus dieser Erkenntnis? Naheliegend ist natürlich die Zusammenarbeit mit den Ge­werk­schaften. Sowohl die IG Metall wie auch ver.di haben in diesem Jahr Kooperations- bzw. gemeinsame Positionspapiere mit Fridays for Future (FFF) und anderen Organisationen veröffentlicht. Die IG Metall hat sich dabei mit der »großen« Umweltlobby zusammengetan und bereits 2019 mit BUND und Nabu ein Positionspapier zur Mobilitätswende verfasst. BUND und IG Metall haben kürzlich (Oktober 2021) angesichts der Koalitionsverhandlungen noch einmal nachgelegt und einen Forderungskatalog an die zukünftige Regierung formuliert. Es folgte, gemeinsam auch mit der IG BCE, der Aktionstag »FAIRWandel« am 29. Oktober (siehe dazu den Beitrag von Ulrich Maaz in express 11/2021, S. 4). Die tageszeitung attes­tierte der IG Metall in Folge des aktuellen Papiers eine »Schraubermentalität« und fasst das Papier der Verbandsspitzen zusammen: »Mobilitätswende heißt für die Metaller und so auch für die Umweltschützer: Investieren, investieren und fördern, fördern« (taz, 25. Oktober 2021) – mit der Idee und Logik kapitalistischen Wachstums bricht dies nicht. In den Mit­glie­derzeitschriften und den virtuellen Netzwerken betont die IG Metall zwar immer wieder den Dialog mit FFF, aber so richtig wagt man sich nur selten zueinander.

ver.di, FFF und #unteilbar legten Mitte diesen Jahres ein gemeinsames Dialogpapier vor, das ein »Ausgangspunkt für weitere Gespräche und Aktivitäten sowie Eckpunkte der inhalt­lichen Zusammenarbeit« sein soll. Diese Eckpunkte bestehen – immerhin – im Ziel der Ver­hin­derung der Klimakatastrophe, der antirassistischen Solidarität und gleichberechtigten Teil­habe, der sozialen Sicherheit, Guter Arbeit sowie – oha! – einer dezidierten Umverteilungs­forderung.

Papier ist aber bekanntlich geduldig – wie sieht es mit der Umsetzung der Zusammenarbeit aus? Agieren Klima- bzw. Klimagerechtigkeitsbewegung und Gewerkschaften respektive Arbei­ter:innenbewegung real zusammen?

Das bislang erfolgreichste Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit von ver.di und FFF in der letztjährigen Tarifrunde im ÖPNV (siehe express 8-9/2020, 3-4/2021, 11/2021): »Beim ÖPNV ist das Gemeinsame offensichtlich: Gute Arbeitsbedingungen sind die Voraussetzung für einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der wiederum zentral ist für die Verkehrs­wende insgesamt. Als klar war, dass ver.di 2020 in die Tarifrunde gehen wird, lag das Projekt auf der Hand«, schreibt Aktivistin Rika Müller-Wahl (Luxemburg 1/2021). Die Zusammen­arbeit war auch deswegen naheliegend, weil sowohl die globalen Klimastreiks wie auch die Tarifkampagne von ver.di bundesweit angelegt sind: ver.di hatte frühzeitig das Patchwork an Tarifverträgen im ÖPNV aufgekündigt, um bundesweit in den Konflikt zu gehen. Es sollte also nicht nur ein gemeinsames Interesse einen, sondern auch die nicht unähnliche überregionale Kampagnenform – auch wenn das in der Realität manchmal nicht ganz so einfach war. In immerhin 32 Städten sind FFF und Streikende des ÖPNV aufeinander zu­gegangen und haben gemeinsame Aktionen durchgeführt, Umweltaktivist:innen haben auf Betriebsversammlungen gesprochen, es wurden bundesweite Zooms und Telefonaktionen durchgeführt. Wichtig dabei: Die Besinnung auf eine Klassenpolitik ist in erster Linie nicht ideologisch motiviert, es geht nicht darum, einen »Klassenkampf« oder einen »Anti­kapitalismus« in eine heterogene Bewegung zu mogeln, sondern darum, »die Macht­ressour­cen von FFF so [zu] erweitern […], dass wir schlagkräftiger werden« (climate.labour.turn 2021, S. 15). Und die Folgerung daraus lautet: »Die stärksten Machtressourcen gewinnt die Klimabewegung unserer Meinung nach also hinzu, wenn sie sich mit den Gewerkschaften als denjenigen Organisationen verbindet, in denen sich die Interessen der Lohnabhängigen bündeln können« (ebd., S. 22). Voraussetzung dafür wäre aber sicherlich zweierlei: zum einen, den Kontakt nicht mit den Gewerkschaftsspitzen, sondern mit der Mitgliederbasis zu suchen, und zum zweiten, dies auch zum globalen Projekt, vor allem in den Staaten der Peripherie, zu machen.

Auf Spuren(elemente)-Suche

Aber wie sieht es jenseits der klimatisch vielleicht weitgehend unbedenklichen oder sogar förderlichen Dienstleistungen aus? Vor allem das Thema »Kohle« hatte ja in der Ver­gangenheit eher für Differenzen, mancherorts gar für eine offene Feindschaft gesorgt. Der »Co-Management-Kurs« (ebd., S. 24) von IG Metall und IG BCE, aber auch ver.di in der Kohlefrage ebenso wie die militante Ablehnung vor allem von »Ende Gelände« waren nicht gerade eine gute Grundlage für eine Zusammenarbeit. Gerade vor diesem Hintergrund hatte sich 2017 die Initiative »Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Klimaschutz« gegrün­det. Auf Nachfrage schreibt Bea Sassermann von der Initiative, dass betriebliche Kontakte kaum zu finden sind und diese und ähnliche Initiativen sich momentan in einer schwachen Position befänden. Es engagieren sich, wie so oft, im Wesentlichen die Senior:innen, die kaum noch betriebliche Kontakte haben.

Das Thema Automobilindustrie wäre die zweite große Baustelle, und die Studie von Stefan Krull, Jörn Boewe und Johannes Schulten »E-Mobilität – ist das die Lösung?« spricht ja dafür, dass die dort Beschäftigten nicht so weit vom Thema entfernt sind, wie die mediale Öffentlichkeit oft suggeriert (siehe dazu Lars Hirsekorn in express 10/2020 und Stefan Krull in express 7-8/2021). Die Skepsis unter den Autobauer:innen bezieht sich der Studie zufolge auf die Fähigkeiten der Unternehmensführungen und der Bundesregierung, der Notwendigkeit entsprechend zu handeln. Aktivismus folgt daraus aber auch eher im Einzelfall. Auch die Aktivist:innen der ÖPNV-Kampagne bleiben daher skeptisch: »Offen bleibt in vielen Städten, wie die Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann«.

Dass die Münchener Kampagne »Klimaschutz und Klassenkampf«, in der die Belegschaft des Bosch-Werks gemeinsam mit Münchner Klimaaktivist:innen gegen die wahrscheinliche Verlagerung der Produktion nach Tschechien unter dem Deckmantel des Klimaschutzes kämpft, medial sehr stark beachtet wurde, ist dementsprechend zwar ein wichtiges Zeichen. Die Medienaufmerksamkeit ist aber eben auch ein Zeichen dafür, dass dieses Initiative bislang ziemlich ein­malig ist. Klima- wie Betriebsaktivist:innen mussten in den vergangenen Monaten so viele Interviews geben, dass ich mich, um den Aktivismus nicht weiter zu behin­dern, auf ein kurzes Telefonat beschränkt habe (analyse und kritik 674/2021; SoZ 10/2021; neues deutschland, 15. September 2021; unsere zeit, 24. September 2021). Laura von der Kampagne erzählt mir, dass sich viele Belegschaften mit der Bosch-Belegschaft solidarisiert haben. Sind ähnliche Initiativen entstanden? »Ein Organizing-Kollektiv versucht da was bei Daimler in Berlin« berichtet sie. Und: »Ende Gelände« hat sich wegen einer Werksschließung an sie gewendet. Julia Kaiser vom Autor:innen-Kollektiv climate.­labour.turn berichtet mir, dass FFF in Berlin nach wie vor mit der IG Metall-Jugend kooperiert, die RLS-Broschüre »Pronomen Busfahrerin« benennt eine Initiative gegen den Stellenabbau in der Automobilindustrie. Paul Heinzel, ebenfalls in der ÖPNV-Initiative engagiert, berichtet in der Luxemburg 1/2021 von einer Kooperation mit »Beschäftigten von Siemens Energy, denen ein Stellenabbau droht«.

In der analyse und kritik 672 liest man von Kontakten bzw. Kontaktversuchen zwischen Heidelberger und Mannheimer FFF-Aktivist:innen zu den Beschäftigten von Heidelberger Cement und dem Großkraftwerk Mannheim (GKM). Die Lage im GKM ist komplex: Es versorgt die Region von Speyer im Süden bis Weinheim im »Norden« mit Energie und Wärme und ist anteilig im Besitz von RWE, EnBW und den Mannheimer Stadtwerken MVV. Während letztere – in der Besitzminderheit – Interesse an einem Konversionsprozess zeigen, wollen die beiden Energieriesen das Kraftwerk offenbar einfach schließen. Im Sommer 2021 setzten sich ver.di, der Betriebsrat des GKM, FFF, Ende Gelände, die Initiative Mannheim Kohlefrei und Vertreter:innen des Stadtrats an einen Tisch. Das Ergebnis der Runde: Klima­bewegung, Gewerkschaft und Betriebsrat ziehen an einem Strang – theoretisch. Der Betriebsrat schwankt allerdings zwischen den Inte­ressen der Eigentümer und dieser Initiative; und ver.di gibt sich bedeckt angesichts eines bald zu führenden Konflikts um einen So­zialtarifvertrag. Auf der anderen Seite bemüht sich die lokale AfD darum, die Beschäftigten gegen die Klimabewegung auszuspielen (vgl. Kommunalinfo Mannheim, 21. Januar 2020).

Das neueste zarte Pflänzchen der Hoffnung: die Kampagne »RWE & Co enteignen«! Schon namentlich wird deutlich, dass sich die Kampagne an dem Erfolg der Berliner Kampag­ne »Deutsche Wohnen & Co enteignen!« (DWE) orientiert. Das scheint auf den ersten Blick ein sehr »klassisches« Klimaengagement gegen die Energieriesen zu sein, hat aber in seiner von Deutsche Wohnen & Co enteignen übernommenen popularen Orientierung einen ganz anderen Charakter als frühere Kampagnen gegen die Energieriesen und insbeson­dere die Kohle, denn die Sozialisierungsforderung soll die dort Arbeitenden ansprechen und nicht abschrecken (der Freitag 43/2021).

Und wie sieht es international aus? Bereits seit geraumer Zeit existiert das globale Bündnis Unions for Energy Democracy, die dem ­Aspekt der Klimagerechtigkeit schon im Namen einen weiteren wesentlichen Aspekt hinzufügen: den der Demokratisierung der Klimapolitik. Das bedeutet vor allem eine Demokratisierung in den Betrieben, die sich sehr mit dem Sozialisierungsaspekt verträgt. Das Stichwort dazu ist Konversion, also der demokratische Prozess der gemeinsamen Bestimmung, was denn zukünftig wie produziert werden soll. Das verweist erneut auf die E-Mobilitäts-Studie aus der Rosa Luxemburg Stiftung: Wie wäre es denn damit, scheinen sich viele FFF-Aktivist:innen zu denken, erst einmal die Arbeiter:innen zu fragen, was sie denn produzieren wollen? Vielleicht fände man ja heraus, dass die unmittelbaren Produzent:innen dazu zwar keine perfekten Ideen haben, aber immerhin mehr und bessere als ihr Management – nur sind sie eben vielleicht nicht ganz so profitabel. In eine ähnliche Richtung diskutierte Anfang 2020 auch der Kongress »Unions for Future«, den das Frankfurter Syndikat der FAU ausgerichtet hatte.

Auch die Transnational Social Strike-Plattform wendet sich nach der COP26-Konferenz in Glasgow dem Thema zu und will klimaspezifische Arbeitskämpfe, vor allem in Osteuropa, in ihren Fokus rücken. Isabella Consolati berichtet mir in einem Gespräch dazu von dem Florentiner Fall des Automobilzulieferers GKN (siehe auch die Berichterstattung auf labournet.de), die unter dem Vorwand des Klimawandels das Werk Campi Bisenzio ge­schlossen und 450 Arbeiter:innen per Mail entlassen hat – die Parallelen zum Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze bei Bosch München sind offensichtlich.

Einfach, aber schwer zu machen?

Warum aber ist dieses Pflänzchen so zart und klein? Das führt uns zum Beginn dieses Beitrags zurück: die oft völlig unterschiedlichen Milieus, aus denen Arbeiter:innen und Kli­maaktivist:innen sich jeweils zusammensetzen. Das Miteinander-Sprechen kostet, so Julia Kaiser und Aron Schröter von den Students for Future (Leipzig und Hannover), oftmals beidseitige Überwindung. Aber: »ganz viele FFF-Aktivist:innen sind diese auf eine breite gesellschaftliche Masse und nicht auf radikale Minderheiten ausgerichtete politische Arbeit total gewöhnt: Sie trauen sich, auf Menschen zuzugehen und von ihrem Anliegen zu erzählen, sie wissen, dass wir aus unserer linken Bubble rausmüssen« (express 11/2021). Und folgerichtig berichtet Laura Meschede dann auch in der analyse und kritik: »Schwierig finde ich sie gar nicht so sehr. Als in der Zeitung stand, dass das Werk geschlossen werden soll, sind wir da hingegangen, haben die Leute angesprochen und gefragt« (ak 674).

Sicher, FFF-Aktivist:innen liegt ein popularer Politikmodus näher als zahlreichen altein­gesessenen Politgruppen, die in ihren Freiräumen hausen. Ganz so einfach ist das aber doch nicht, denn oft genug sprechen betriebliche und akademische Linke noch verschiedene Sprachen – die in der Broschüre »Mein Pronomen ist Busfahrerin« benannte »Pronomen­runde« ist davon ebenso Ausdruck wie die zahlreichen Debatten um eine gendergerechte Schreibweise, die nicht gleichzeitig auch materielle Veränderungen zentral anstreben.

Die Klimabewegung entdeckt ein altes Or­ganisationsprinzip wieder: das gemeinsame Inte­resse. Das ist jedoch noch nicht das spezifisch Neue an der Form, wie sich Klassen- und Klimapolitik miteinander verbinden, denn dieses gemeinsame Interesse ließe sich ja durchaus auch aus einer Konsu­men­t:in­nen-Ethik heraus oder mit staatsbürgerlicher Argumentation formulieren. Nein, vielmehr sind es zwei wesentliche Erkenntnisse, die das Aufeinander-Zugehen ermöglicht haben und weiterhin ermöglichen:

1.) Zum einen ist in Kreisen von FFF schnell deutlich geworden, dass noch so große Demonstrationen weder Kapital noch Staat davon überzeugen, auch nur irgendetwas zu ändern. Wir müssen uns das mal vor Augen führen: Auch wenn die Klimastreiks nur in sehr geringem Maße Streiks in einem originären Sinne sind, so macht doch der einfache Umstand, dass global Millionen von Menschen dem Schild eines schwedischen Mädchens folgen, den quantitativ erfolgreichsten Streikaufruf ever. Dass eine solche große Symbolik die politischen Akteure kaum zum Handeln motiviert, sagt einiges über den Zustand der Demokratie – Staat und Wirtschaft handeln nur unter äußerstem Zwang gegen die kapitalistische Verwertungs­maschinerie.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung braucht also einen Hebel, eine Handlungsmacht und findet diese in der Arbeit. »Das sind letztlich die Leute, die die größte Möglichkeit haben, zu beeinflussen, was in ihren Werken hergestellt wird. Nicht mit den Beschäftigten zu kämpfen, wäre widersinnig«, erklärt Laura Blinz in der UZ. Und Laura Meschede erläutert in der analyse und kritik: »Die Klasse ist nicht nur aus moralischen Gründen wichtig, sondern vor allem aus strategischen: Der Kampf gegen den Klimawandel ist untrennbar mit der Frage verknüpft, was wir produzieren – und wie. Und Demonstrationen allein können in dieser Frage keinen Druck erzeugen. Bei Fridays For Future hat die Politik gezeigt: Hunderttausend Menschen auf der Straße können einfach ignoriert werden. Das ist bei Streiks anders« (ak 674).

Damit ist die Klimagerechtigkeitsbewegung seit Entstehen der neuen sozialen Bewe­gungen (und deren Abgrenzungen von der ›alten‹ Arbeiter:innenbewegung) nach 1968 vielleicht die erste Massenbewegung, die die arbeitende Klasse wieder versucht zu adres­sieren – nun unter den Bedingungen von Neoliberalismus, Postfordismus und der drastischen Bedeutungszunahme des Dienstleistungssektors – und die fragmentierten Kämpfe als übergreifende, gemeinsame Pro­blemstellungen zu interpretieren.

Zum zweiten ist es die Entdeckung der Methode des Organizings, die momentan Schule macht: naheliegend, weil eben auch gewerkschaftsnah, war das in der gemeinsamen ÖPNV-Bewegung, naheliegend ist dies auch in der beginnenden »RWE & Co enteignen!«-Kam­pagne, weil es bereits bei DWE funktioniert hat. Naheliegend ist es aber vor allem auch deswegen, weil es eine dezidierte Methode sein kann, um die verständliche Sprechhemmung zwischen verschiedenen Milieus und (Sub-)Kulturen zu überwinden. Dazu gehört von klimaaktivistischer Seite das Verständnis für den Alltag. »Ende des Monats, Ende der Welt: derselbe Kampf«, so hatten die Gilets Jaunes diesen Zusammenhang bereits in Frankreich for­muliert.

Mühsam ernährt sich also letztlich das Eichhörnchen, aber es kommt eben doch durch den Winter: »Das fängt gerade an, sich zu ändern, aber auch nur durch Kontakte zu Einzel­personen, die sich selber im Betrieb und auch in der eigenen Gruppe als Einzelkämpfer sehen. Aber das wird sich ändern«, schließt Bea Sassermann vorsichtig-optimistisch ihre Mail zum Thema. Dazu bedarf es aber noch etwas Weiterem: »Wir können die Welt nicht ändern, indem wir uns an die Regeln halten« (Thunberg, S. 29). Eben: Klüger, als die mediale Rezeption sie darstellt – und klüger vielleicht auch als die Teile der Klimabewegung, die zukünftig Ampel-Ministerien beraten und für die eine Klassenorientierung das Schreiben von Positionspapieren mit Gewerkschaftsspitzen bedeutet.

Artikel von Torsten Bewernitz erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 12/2021

Literatur:

  • Climate.Labour.Turn (Autor:innenkollektiv): »›Mein Pronomen ist Busfahrerin‹. Die gemeinsame Kampagne von FFF und Ver.di zur Tarifrunde im öffentlichen Nahverkehr 2020«, RLS, Berlin 2021. Download unter www.rosalux.de externer Link
  • Heinzel, Paul/Müller-Vahl, Rika: »Pronomen Busfahrerin. Fridays for Future goes Arbeitskampf«, in: Luxemburg 1/2021. S. 6-9
  • Oht, Sam: »No Future for Fridays. Über das drohende Scheitern der Klimabewegung«, Syndikat A, Moers 2021.
  • Schaupp, Simon: »Jenseits der Austeritätsökologie: Einführung in eine Umweltpolitik von unten«, in: So­zial.Geschichte Offline, Nr. 28/2020. S. 43-68. Online: https://duepublico2.uni-due.de/receive/duepublico_mods_00073595 externer Link
  • Thunberg, Greta: »Ich will, dass ihr in Panik geratet! Meine Reden zum Klimaschutz«, Fischer, Frankfurt am Main 2019.

express im Netz und Bezug unter: www.express-afp.info externer Link

Email: express-afp@online.de

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=196055
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