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Fußball-EM 2024: Kritik an potenziellen Überwachungs- und sicheren Polizeimaßnahmen
Dossier
„… In zehn deutschen Städten wird diesen Sommer die Fußball-Europameisterschaft der Männer ausgetragen – und wie bei allen großen Sportveranstaltungen werden Rufe nach verstärkten Sicherheitsmaßnahmen laut. Zuletzt hatte der kürzlich verübte islamistische Anschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau in ganz Europa die Aufmerksamkeit auf potenzielle Terrorgefahren gelenkt. Nach Angaben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sollen deutsche und französische Sicherheitsbehörden eng kooperieren : bei der EM sowie bei den Olympischen Spielen in Paris, die ebenfalls diesen Sommer stattfinden. So manchem geht dies aber offenbar nicht weit genug, vor allem konservative Politiker:innen fordern weiter erhöhte Sicherheitsvorkehrungen und mehr Überwachung. Daran regt sich nun Kritik…“ Beitrag von Lea Binsfeld vom 3. April 2024 bei Netzpolitik.org und mehr daraus/dazu:
- EM-Überwachungsmaßnahmen: Schwere Grundrechtseingriffe während der Euro 2024
„Die Bundesregierung hat auf eine umfangreiche parlamentarische Anfrage zu Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der vergangenen EM geantwortet. Es wird deutlich, wie schwerwiegend die Eingriffe in die Grundrechte waren. “Die umfassenden Grenzkontrollen wurden vor Turnierbeginn mehrfach sehr deutlich mit der Angst vor Fans begründet. Die nun vorliegenden Zahlen der Bundesregierung zeigen hingegen nachdrücklich, dass diese Maßnahme völlig übertrieben war. Bei über 1,6 Millionen kontrollierten Personen gab es gerade einmal in 0,005 Prozent der Fälle einen “Fan-Treffer”. Die mit den Grenzkontrollen unter anderem einhergehende massive Einschränkung der Reise- und Bewegungsfreiheit für alle Menschen ist wie von uns vorhergesagt nicht zu rechtfertigen. Die Angst vor Fans wurde ganz bewusst als Vorwand genutzt, um Grundrechtseinschränkungen durchzusetzen und die Öffentlichkeit somit angelogen. Hier braucht es dringend weitere Aufklärung, damit Fans zukünftig nicht erneut als Sündenböcke für solche realitätsfernen Maßnahmen herhalten müssen”, erklärt Linda Röttig Vorstandsmitglied im Dachverband der Fanhilfen e. V. Der Dachverband der Fanhilfen hat bereits vor dem EM-Auftakt an Politik und Uefa appelliert, die wachsende Repression gegen Fußballfans zurückzufahren. Die Grenzkontrollen waren nicht die einzigen Eingriffe in die freiheitlichen Grundrechte von Fußballfans in ganz Europa, die sehr tiefgreifend waren. So gab es eine eigens entwickelte Polizei-KI, um durch flächendeckende Drohnenüberwachung und Handydaten das Verhalten Fans in Echtzeit zu überwachen. “Aus der Antwort der Bundesregierung wird deutlich, dass die von der Uefa bereitgestellte EM-App ohne staatliche Kontrolle entwickelt wurde. Dies lässt bei uns die Alarmglocken klingeln, wurden doch über Apps Live-Tracking-Daten von Fans direkt an die Polizei weitergegeben. Es muss nun weiter aufgeklärt werden, auf welcher Grundlage die Landespolizeien den Zugriff auf diese Daten erhalten haben und wer dafür verantwortlich ist, dass Datenschutzstandards für die Nutzerinnen und Nutzer außer Kraft gesetzt wurden”, so Linda Röttig abschließend.“ Pressemitteilung des Dachverbandes der Fanhilfe e.V. vom 26. August 2024 zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage (Bundestags-Drucksache 20/12576) - Bilanz der EM zeigt erhebliches Maß an Repression und Hysterie
„Die Fußballeuropameisterschaft in Deutschland geht zu Ende und die Sicherheitsbehörden legen erste Zahlen zu den vergangenen Wochen vor. Deutlich zeigen sie, dass die Begründungen für die vermeintlich erforderlichen Maßnahmen wie zu erwarten nicht haltbar sind. (…) Laut Zahlen des Bundesinnenministeriums (BMI) kam es zwischen 7. Juni und 27. Juni lediglich zu 86 Einreiseverweigerungen gegen Fans. Zu den genauen Hintergründen und auf welcher Erkenntnisgrundlage dies erfolgte, dazu schweigt das BMI. Ebenso bleibt unerwähnt, wie viele Personen in dem genannten Zeitraum insgesamt kontrolliert und somit in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt wurden. Konkreter wird da die Bundespolizeidirektion Stuttgart, die im selben Zeitraum von insgesamt 39.788 kontrollierten Personen spricht. In diesem Rahmen wurde lediglich 12 Fans die Einreise verweigert. Das sind 0,03 Prozent! “Wir erwarten eine Aufarbeitung dieser Sicherheitsmaßnahmen, die sich nicht mit der Auflistung von inhaltsleeren Zahlen erschöpfen kann. Vielmehr muss kritisch hinterfragt werden, was die teilweise erheblichen Einschränkungen der Grundrechte für die Sicherheit des Turniers gebracht haben. Und ebenso wichtig ist, ob diese Maßnahmen notwendig waren, um Konflikte von Fans zu verhindern. Bei Letzterem setzen wir mit Blick auf die vorliegenden Zahlen ein mehr als großes Fragezeichen.”, so Linda Röttig [Vorstandsmitglied beim Dachverband der Fanhilfen e. V.] abschließend.“ Pressemitteilung des Dachverbandes der Fanhilfen e.V. vom 12. Juli 2024 - Die für Eintrittskarten alternativlose Ticket-App der UEFA teilt Standortdaten der Nutzer mit Polizeibehörden
„Die für den Stadioneinlass notwendige Ticket-App der UEFA trackt die Nutzer und teilt den Standort mit Polizeibehörden. Die App-Stores erwähnen dies aber nicht. Für den Einlass in ein Stadion der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland benötigen Besucher zwingend eine digitale Eintrittskarte, die über die offizielle Ticket-App der UEFA bereitgestellt und verwaltet wird. Diese App verlangt Zugriff auf einige persönliche Daten. Nicht erwähnt wird in den App-Stores von Apple und Google, dass die App den Standort der Ticketbesitzer mit Polizeibehörden teilt. Das zeigt ein Bericht des Bayerischen Rundfunks über Risiko-Fans, der diesen Punkt allerdings nur nebenbei erwähnt (ab 0:52). Allerdings ist weder im Google Play Store noch im Apple App Store die Rede davon, dass die Ticket-App der UEFA Standortdaten teilt. Wer die App auf seinem Smartphone installiert, wird lediglich darüber informiert, dass persönliche Daten wie Name, E-Mail und Telefonnummer gesammelt und App-Aktivitäten geteilt werden, letzteres zu Analysezwecken. Von geteilten Standortdaten ist dort nichts zu finden, Anwender müssen bei der Installation der App aber den GPS-Zugriff erlauben. Eine Alternative zur Ticket-App der UEFA gibt es nicht, herkömmliche Eintrittskarten auf Papierbasis werden für diese Fußball-EM nicht mehr angeboten. Ein Ausdrucken des digitalen Tickets ist nicht möglich, die Smartphone-App unterbindet auch Screenshots des Tickets. Für den Einlass ins Stadion muss Bluetooth aktiviert sein, denn neben dem QR-Code auf dem Ticket wird laut UEFA „die Bluetooth-Technologie verwendet, um die Echtheit der mobilen Tickets während des Einlassverfahrens zu überprüfen“, schreibt Der Spiegel …“ Beitrag von Frank Schräer vom 5.7.24 in heise news („Ticket-App der UEFA teilt Standortdaten der Nutzer mit Polizeibehörden“) - Eure EM ist unser Albtraum. Olivier David über die Schattenseiten des laufenden Fußballturniers
„Ich bin Fußballfan. Und ich halte Großveranstaltungen wie die derzeit in Deutschland ausgetragene Europameisterschaft für die schlechteste aller Möglichkeiten, Fußball und Diversität zu feiern. Fanhilfen warnen schon seit Monaten davor, »dass die Polizei den Ligaalltag nutzt, um nicht nur Fans ganz bewusst einzuschüchtern, sondern auch um Einsatztaktiken und konkrete Aktionen für das Turnier zu erproben«. Und so kommt es nun: Egal, ob in der Hamburger Innenstadt, in der Streetworker*innen im Vorlauf der EM vermehrt beobachten, dass Wohnungslose Platzverweise erhalten, oder in Berlin, wo Sozialarbeiter über Räumungen von Wohnungslosencamps berichten – überall zeigt sich dasselbe Bild: Sicherheitsbehörden nutzen die Heim-EM, um unliebsame Personengruppen zu kriminalisieren und zu verdrängen. Der Staat nutzt die EM ebenfalls, um Grenzkontrollen durchzuführen. Dazu wird die Partnerschaft der französisch-deutschen Sicherheitsbehörden ausgeweitet. Gerade im Hinblick auf die Olympischen Spiele, die ab Ende Juli in Paris ausgetragen werden, erhoffen sich die beiden Länder, durch das Austauschen der neuesten technischen Hässlichkeiten den autoritären Umbau liberaler Demokratien voranzutreiben…“ Artikel von Olivier David vom 25.06.2024 in ND online - Markenrechte und Menschenrechte: Aktivist*innen testen das Demo-Verbot vor den Stadien aus. Siehe da: es ist doch erlaubt, im Uefa-Bannkreis zu demonstrieren.
„Es geht also doch. Auch im unmittelbaren Umkreis von den EM-Stadien in Deutschland kann demonstriert werden. Rund zehn Studentinnen und Studenten, die dem Arbeitskreis kritischer Juristeninnen in Freiburg und Heidelberg angehören, hatten am Sonntag in Stuttgart die Probe aufs Exempel gemacht. Sie standen vor der Partie zwischen Schottland und Ungarn direkt am Eingang des Sicherheitsbereichs, etwa 100 Meter vom Stadion entfernt, mit Pappschildern und verteilten Flugblätter auf englisch und deutsch. Grund der Aktion war ein Demonstrationsverbot der Uefa, das der Verband den Gastgeberstädten vor der EM vermeintlich vertraglich auferlegt hatte. Recht versteckt im Kapitel über „Verhinderung von Ambush Marketing“ , das die exklusiven Uefa-Sponsoren vor trittbrettfahrender Konkurrenz schützen soll, wird in den Verträgen von „clean zones“ im Fünfhundert-Meter-Umkreis der Stadien gesprochen. Und dort sind eben nicht nur die falschen Limonadenaufkleber unerwünscht, sondern auch ausdrücklich politische und religiöse Demonstranten. Ist die Uefa mittlerweile der Überzeugung, dass diese ebenfalls die Reinheit des Events, das allen Regeln der Kommerzkunst gehorchen soll , beschmutzen?
„Fuck Uefa“, hätte so mancher schottische Anhänger, die am Demonstrationsort besonders zahlreich vorbeiströmten, ausgerufen, nachdem sie etwas mehr über das Anliegen dieses auffälligen Grüppchen, das so gar nicht in die von der Uefa gebrandete Umgebung passte, wussten. „Die Kernbotschaft haben sie verstanden. Ob alle den genauen Hintergrund begriffen haben, kann ich nicht sagen“, erzählt Felix Frank, einer der Initiatoren der Demonstration. Die Uefa-Auflagen seien in jedem Fall verfassungswidrig…“ Artikel von Johannes Kopp vom 25.6.2024 in der taz online - Die EM 2024: Staatstrojaner, „clean zones“ und Polizeigewalt – „Die UEFA macht ausschließlich ihre privatwirtschaftlichen Interessen geltend“
- Die EM 2024: Von Sommermärchen, Staatstrojanern und Polizeigewalt
„Die Europameisterschaft 2024 findet hier in Deutschland statt. Das ganze Land ist in Aufruhr. Die Einen können es nicht mehr abwarten, für die Anderen könnte es gar nicht schnell genug vorbei sein. Manche hoffen auf ein weiteres Sommermärchen und andere können mit den grölenden Fußballfanatikern so gar nichts anfangen. Aber das ist ja bekanntermaßen Geschmackssache. Was allerdings niemand ignorieren kann, sind die nie dagewesenen Sicherheitsmaßnahmen, die im Rahmen der EM geplant sind. Das reicht von polizeilichen Repressionen, über strittige Überwachungsmaßnahmen, bis hin zu unverhältnismäßigen Verträgen der UEFA mit den Host-Citys. Wir haben uns in einem Beitrag näher mit erwähnten Restriktionen auseinandergesetzt und einige der Schattenseiten der UEFA Euro 2024 beleuchtet. Im Beitrag kommen unter anderem der Gesamtprojektleiter der EM 2024 in Leipzig zu Wort, der Dachverband der Fanhilfen, aber auch der Polizeipräsident von Leipzig.“ Beitrag vom 14. Juni 2024 im Radio Corax - Kritik von Jurastudierenden an geplanten „clean zones“ von an der EM teilnehmenden Städten: „Die UEFA macht ausschließlich ihre privatwirtschaftlichen Interessen geltend“
„In einer Pressemitteilung kritisiert der akj Freiburg und der Arbeitskreis kritischer Jurist*innen die instransparenten Vereinbarung an der Europameisterschaft im Männerfußball teilnehmender Städten und der UEFA. In so genannten „clean zones“ dürfen keine religiösen und/oder politischen Versammlungen stattfinden, sollten diese Vereinbarungen durchgesetzt werden. Die Jurastudierenden sehen das als verfassungswidrig an und wollen beim Spiel Schottland gegen Ungarn vor dem Neckarstadion in Stuttgart, gegen die UEFA demonstrieren.“ Im Interview von und bei Radio Dreyeckland vom 17. Juni 2024 erklärt Paul Nachtwey die Hintergründe (Audiolänge: 14:01 Min.)
- Die EM 2024: Von Sommermärchen, Staatstrojanern und Polizeigewalt
- Polizeifestspiel EM und Staatsfeind Fan: Die Fußballeuropameisterschaft in Deutschland beginnt. Einsatzkräfte haben im Vorfeld des Turniers fleißig geübt
„… Gespielt wird also. Fußball. Vielleicht ansehnlich, unterhaltsam, torreich. Nur, gewissermaßen auf dem »Nebenplatz«. Denn Überwacher und Strafer halten die Arenen und alles drumherum besetzt. Eine wirklich wahre Drohkulisse. Steile These? Zu steil? Keineswegs.
Hysteriker am Werk
Einer unter Dauerstrom ist UEFA-Präsident Aleksander Čeferin. »Mehr und mehr Gewalt. Mehr und mehr Aggression. Die Weltlage ist nicht ideal«, sagte er wenige Tage vor dem EM-Auftakt gegenüber dpa. Eine wollte dem slowenischen Verbandsfunktionär in nichts nachstehen. Richtig, die Ressortchefin des Bundesinnenministeriums (BMI), Nancy Faeser (SPD): »Die Sicherheitslage ist angespannt.« Oberste Priorität habe sie und nur sie. Eine Spruchformel, monatelang wiederholt. Aber, konkrete Hinweise auf geplante Anschläge im Turnierverlauf gibt es: keine. Dennoch sei man für alles Fiktive gewappnet, der Einsatz »maximal«, so das Kabinettsmitglied der Ampel. Ferner würde die Bundespolizei an allen deutschen Grenzen, Flughäfen, Bahnstationen kontrollieren. Koordiniert wird das alles im »International Police Cooperation Center« (IPCC) in Neuss in Nordrhein-Westfalen (NRW). Das sicherheitspolitische Lagezentrum ist die »Herzkammer« während der EM. Polizisten aus den Ländern, des Bundes sowie ausländische Kollegen, etwa aus Teilnehmer-, Anrainer- und Transitstaaten, verkehren dort. Ferner »Spezialisten« von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und der Cybersicherheitsbehörde BSI. Ein Megaaufgebot der staatlichen Repressionsapparate.
EM-Spiele finden an zehn Standorten statt. Allein rund die Hälfte an vier im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW: Düsseldorf, Köln, Dortmund, Gelsenkirchen. »Gefühlt ist es eigentlich eine EM in NRW«, meinte der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens. Nicht von ungefähr legt sich Herbert Reul (CDU) voll ins Zeug: »Sportliche Großveranstaltungen kennt die Polizei im Fußballland Nordrhein-Westfalen wie die eigene Westentasche«, so der Innenminister flapsig. Von Sicherheitskonzepten bis zur Kräfteverteilung. Die Planung für das Turnier habe schon vor vier Jahren begonnen. Zahlreiche Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, Spezialeinsatzkommandos samt Hunderten Statisten inszenierten Großübungen vor und in Stadien. Action pur. Bloß, wohin mit Delinquenten, Rüpeln in Fanklamotten? Wegstecken, ohne Komfort. Das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in NRW hat da was: metallene Sammelzellen. 15 an der Zahl. Überbleibsel von der »Sommermärchen-WM 2006«. Das reicht aber nicht. 16 weitere wurden angeschafft. Die sind mit den bestehenden kombinierbar. Wie praktisch. Mobile Miniknäste halt. (…)
Zum Vorlauf der EM gehört auch das, gewissermaßen als monatelanger Testlauf: Polizeigewalt. Einsatzkräfte provozieren, schikanieren, eskalieren. Vor dem Anpfiff, während des Spiels, nach dem Abpfiff. Spieltag für Spieltag. Kurzum, sie sind ein Sicherheitsrisiko. Allemal für Fans. Alles nur Gerede? Eine Art Verschwörungserzählung? Mitnichten. Es ist belegt. Der Dachverband der Fanhilfen veröffentlichte unlängst seinen Saisonbericht 2023/24. Darin dokumentieren die Fanhelfer 24 Fälle von Polizeigewalt rund um den Fußballsport in der zurückliegenden Spielzeit der ersten vier Ligen dieses Landes. Exemplarisch, akribisch, detailliert. (…)
Die Arbeitsgemeinschaft Fananwälte sekundiert: »Wenn Philipp Lahm als Organisationschef des DFB davon spricht, dass mit der EM wieder vermehrt westliche Werte wie Freiheitsrechte vermittelt werden sollen, lässt dies viele Fans ratlos zurück.« Denn eingeschränkte Grundrechte erleben Fans seit langem. Bei der Meinungsfreiheit, bei der Freizügigkeit. Grundgesetzlich Garantiertes aus Artikel 5 und 11 ist nicht immer garantiert. Und wenn dann die Innenministerin Faeser Fans stets in einem Atemzug mit Terrorabwehr nenne, sei »sämtliche Verhältnismäßigkeit verloren«. Die AG Fananwälte nimmt politisch Verantwortliche in die Pflicht, versprochene Reformen im Umgang mit Fußballfans umzusetzen. Mehr noch, die EM dürfe keine Gelegenheit bieten für Rechtsverletzungen und Grundrechtseinschränkungen. Behörden müssten zu rechtsstaatlichem Handeln zurückkehren. Ohne Wenn und Aber. (…)
In der DGS sollen auch (möglicherweise) gewalttätige Fans aus dem Ausland gespeichert werden, berichtete Sportschau.de. Die Datenverwalterin ZIS dazu auf Anfrage: »Sofern die rechtlichen Voraussetzungen in den übersendenden Teilnehmerstaaten zur Übermittlung personenbezogener Daten potentieller Fußballstörer vorliegen, ist eine temporäre Nutzung dieser Störerdaten aus Anlass der UEFA EM 2024 in Deutschland durch die ZIS beabsichtigt.« Dabei werden übermittelte Daten innerhalb von 24 Stunden in die DGS eingepflegt. Das lasse befürchten, bemerkte Hahn, »dass Bundes- und Landesbehörden Rechtsstaatlichkeit und Datenschutz in den kommenden Wochen mit Verweis auf ihre Sicherheitskonzepte nur noch als nachrangig betrachten«. Zumal völlig unklar ist, wie Behörden von Teilnehmerländern »Störerdaten« ermitteln, erfassen und bewerten. (…)
Summa summarum: Die Fußballeuropameisterschaft der Männer ist ein Spektakel innenpolitischer Hardliner und frenetischer Repressionsfans. Der Bundessheriff der berufsständischen Vereinigung »Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG)«, Rainer Wendt, hatte vor einem dreiviertel Jahr die Marschroute ausgegeben: »Auffällige Fußballchaoten müssen mit Präventivhaft rechnen.« Appelle und Sozialarbeit via Fanprojekten seien bei »Fußballkriminellen« nutzlos, sekundierte Wendts Korpskollege, der Hamburger DPolG-Vizechef Klemens Burzlaff. Aussagen als Drohungen. Oder: Fußball ist Begleitprogramm des Polizeifestspiels EM.“ Artikel von Oliver Rast in der jungen Welt vom 14.06.2024 (Teil 4 der Serie und Schluss) – siehe die früheren im jw- Dossier Staatsfeind Fußballfan - Fußballfans sorgen sich um ihre Sicherheit – und die Bürgerrechte: Mit der EM geht ein Aufrüsten der Polizei und eine Ausweitung fragwürdiger Überwachungsmaßnahmen in Deutschland einher
„… Das bekannte Punktesammeln der Politik in der gesellschaftlichen Sympathietabelle läuft schon eine Weile. So war Scholz in bester Kanzlermanier in der Kabine der DFB-Elf, von Toren und Siegen der deutschen Nationalelf will er im Verlauf des Turniers profitieren. Und von der EM erhofft er sich nicht weniger, als dass sie »die Stimmung verändert, bei uns im Land, aber auch bei all den anderen Ländern, die teilnehmen«. Solch sommermärchenhafte Gedanken kommen nicht jedem. Mit »großer Besorgnis« blickt der Dachverband Fanhilfen auf das Turnier – und die Zeit danach. Die Vorsitzende Linda Röttig berichtete jüngst in einer Medienrunde von einer »Eskalationsspirale der Polizei« in der vergangenen Saison, ihre Liste mit »massiven Eingriffen in die Freiheits- und Bürgerrechte« ist lang. Als Rechtfertigung unverhältnismäßiger Einsätze sei von den Behörden oft die anstehende EM angeführt worden. (…) Darüber, ob der Zutritt zu einzelnen Plätzen, ganzen Städten oder Ländern verwehrt wird, entscheiden Einträge in polizeilichen Datenbanken. Die »Datei Gewalttäter Sport« wurde schon mehrfach von verschiedenen Verwaltungsgerichten für »rechtswidrig« erklärt. Es gibt sie immer noch. Wie leicht man dort landen kann, weiß Linkspolitikerin Christiane Schneider. »Es reicht, mit einer Person, die mal auffällig geworden ist, an einer Frittenbude zu stehen«, erklärte die ehemalige Vizepräsidenten der Hamburgischen Bürgerschaft einmal im Gespräch mit »nd«. (…) Die Sicherheitslage hat sich in den Jahren verändert. Innenministerin Nancy Faeser spricht von einer »abstrakt sehr hohen Gefährdung«. Als »Bedrohung« nannte die SPD-Politikerin mit Blick auf die EM »islamistischen Terror, Hooligans und andere Gewalttäter und Cyberangriffe.« Worte wie diese von der Fanhilfe, die »zunehmende Repressionen und pauschale Grundrechtseingriffe unter dem Deckmantel der Terrorgefahr« beklagt, hört man ebenso seit Jahren, keineswegs nur aus dem Fußball. (…) »Es ist nur folgerichtig, dass die Zeitenwende auch innenpolitisch gesetzgeberische Maßnahmen für unsere Sicherheitsdienste nach sich zieht«, sagte Dirk Wiese Anfang April. Damit warb der SPD-Fraktionsvize für die Vorratsdatenspeicherung, die nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs seit September 2022 ausgesetzt ist. Bei der Europameisterschaft geht man schon weiter: Mittels einer sogenannten »Polizei-KI«, die beispielsweise Handydaten in Echtzeit auswertet. In einer derartigen »Rundumüberwachung, die auch nach der EM dann natürlich so bleiben soll«, erkennt Nikolaos Gazeas vom Deutschen Anwaltverein einen »Überwachungsstaat unter dem Deckmantel des Terrorschutzes«. Artikel von Alexander Ludewig vom 13. Juni 2024 in Neues Deutschland online - Großeinsatz der Polizei: Sichere Innenverteidigung – Die EM als Stresstest der »Inneren Sicherheit«
„Am 10. Juni nimmt das »International Police Cooperation Center« (IPCC) in Neuss (Nordrhein-Westfalen) seine Arbeit auf. Das IPCC dient als zentrales Lagezentrum nicht nur von 400 Vertretern der deutschen Polizeibehörden (und des Verfassungsschutzes), sondern auch etwa 200 Verbindungsbeamten aus den Teilnehmerstaaten. Doch die Verbindungsbeamten sitzen nicht nur in der umgebauten Aula der Neusser Polizeiakademie, sie werden auch unterwegs sein. Als szenekundige Beamte, die »ihre« Leute am besten kennen und »Gefährderansprachen« selbst vornehmen können. Und als Datenlieferanten der »Datei Gewalttäter Sport«, in der derzeit etwa 5500 Fußballfans wegen Gewaltbezügen gespeichert sind. Jedenfalls in dieser Zeit wird sie so zu einer europäischen Fandatei. (…) Weiteres gemeinsames Thema aller Innenbehörden waren auch der Einsatz von Drohnen und die Drohnenabwehr. Drohnen sind mittlerweile ein Standardmittel, um in komplexen Lagen Überblicksaufnahmen herzustellen. Um die Drohnenüberwachung reibungslos durchführen zu können, werden ebenso standardmäßig Flugverbotszonen für jegliche Luftfahrzeuge, also auch private Drohnen, verhängt. Damit soll der Luftraum für die polizeilichen Drohnen freigehalten und die Gefahr durch herabstürzende oder außer Kontrolle geratene Drohnen für die Zuschauer*innen unterbunden werden. (…) Der Einsatz von Polizei und Sicherheitsunternehmen, umfassende Flugverbote über Stadien und Fanmeilen und vieles andere mehr geht dabei nicht allein auf gängige polizeiliche Schutzkonzepte für Großveranstaltungen zurück. Die UEFA als Ausrichterin will schon aus rein kommerziellen Gründen eine sichere EM, und sie will die Bilder davon kontrollieren. Jedes Detail dieses milliardenschweren Ereignisses – gerechnet wird mit 2,4 Milliarden Einnahmen durch Werbepartner, Tickets und Fernsehrechte – wird haarklein durch die UEFA vorgegeben. (…) Niemand soll die EM für eigene Werbezwecke nutzen dürfen, der nicht selbst Sponsor der UEFA ist. Innerhalb des »security perimeters« etwa 500 Meter um die Stadien herum dürfen dann nur deren Produkte verkauft oder beworben werden. Das gilt selbst für politische und religiöse Versammlungen. So heißt es in den TR: »Die zuständigen Behörden müssen alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Ambush Marketing zu verhindern. Dazu gehört die Verhinderung von politischen und/oder religiösen Demonstrationen.« Die UEFA hat sich zusichern lassen, dass Polizei und Justiz in den kommenden vier Wochen auf die Durchsetzung dieser Regeln verpflichtet sind.“ Artikel von Dirk Burczyk vom 9. Juni 2024 in Neues Deutschland online - EM 2024: Steilvorlage für die Polizeidatei „Gewalttäter Sport“. Das Bundesinnenministerium wappnet sich gegen „alle denkbaren Gefahren“
„… Die Fußballeuropameisterschaft der Männer naht. Am 14. Juni, und damit in genau vier Wochen, wird die UEFA EURO 2024 in München eröffnet. Das Finale findet einen Monat später in Berlin statt. In der Bundeshauptstadt wird bereits der Kunstrasen für das Public Viewing ausgerollt. 2,5 Millionen Besucher:innen erwartet der Berliner Senat zum Fußballfest. Auch das Bundesinnenministerium wappnet sich „mit maximalem Einsatz aller Sicherheitsbehörden gegenüber allen denkbaren Gefahren“ für die Großveranstaltung. Im Fokus stehen laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser unter anderem islamistischer Terror, Hooligans und andere Gewalttäter. Bereits im März hatte die Ministerin angekündigt, dass es während des Turniers an allen deutschen Grenzen vorübergehende Grenzkontrollen geben werde. Dabei wird laut Bundesregierung auch die Datei „Gewalttäter Sport“ (DGS) zum Einsatz kommen – und damit eine Renaissance erleben. (…) Die DSG besteht seit mittlerweile 30 Jahren. 1994 führte die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) die Verbunddatei ein, auf die grundsätzlich alle Polizist:innen des Bundes und der Länder zugreifen können. Die Speicherfrist der Daten beträgt in der Regel fünf Jahre. In der DGS sind, anders als es der Name vermuten lässt, nicht nur verurteilte Gewalttäter:innen gespeichert. Vielmehr genügt bereits ein Ermittlungsverfahren, um erfasst zu werden. So kesselte die Polizei im Jahr 2017 mehrere hundert Fans des FC Schalke 04 vor einem Bundesliga-Spiel ein. 681 von ihnen wurden danach in der DGS gespeichert – unter anderem wegen einer vermeintlichen „konspirativen Anreise“. (…) Laut dem Dachverband der Fanhilfen, einem Zusammenschluss von juristischen Beratungsstellen für Fußballfans, führe die Datei „oftmals zu ungerechtfertigten Stadionverboten und einem permanenten Verdacht der Polizei“. Auch erfahren Betroffene meist nicht, wenn sie in der Datensammlung landen. Die Ampel-Koalition wollte dem intransparenten wie willkürlichen Verfahren ein Ende setzen. In ihrem Koalitionsvertrag hatte sie vereinbart, die DGS „in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Löschfristen, Transparenz und Datenschutz“ zu reformieren. Davon ist nun aber keine Rede mehr. Stattdessen soll die Datei anlässlich der Europameisterschaft zum Großeinsatz kommen und offenbar erheblich aufgebläht werden – mit Hilfe von Personendaten aus anderen EU-Staaten, wie eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten André Hahn ergab. Hahn ist stellvertretender Vorsitzender und sportpolitischer Sprecher der Linkspartei im Bundestag. (…) Die bald anlässlich der EM importierten Daten sollen laut BMI innerhalb von 24 Stunden in der DGS gespeichert werden – eine äußerst knappe Frist, um sie gewissenhaft zu prüfen. Damit aber wird wohl nicht nur der Umfang der Datei rasant zunehmen, sondern auch ihre Auswirkung auf Polizeientscheidungen an den deutschen Grenzen. André Hahn kritisiert das Vorgehen des Ministeriums. Er befürchtet, „dass Bundes- und Landesbehörden Rechtsstaatlichkeit und Datenschutz in den kommenden Wochen mit Verweis auf ihre Sicherheitskonzepte nur noch als nachrangig betrachten.“ Beitrag von Daniel Leisegang vom 17. Mai 2024 bei Netzpolitik.org - EM 2024: Geplante Repression gegen Fußballfans aufhalten
„Unter dem Deckmantel angeblicher Terrorgefahren planen aktuell die Bundesregierung, Innenministerien und Polizei bisher noch nicht dagewesene Überwachungsmaßnahmen gegen Fußballfans. Anlässlich des heute stattfindenden Europäischen Polizeikongresses in Berlin fordert der Dachverband der Fanhilfen ein Einschreiten der Turnierdirektion, um einen Spießrutenlauf für Fußballfans bei der EM 2024 zu verhindern…“ Pressemitteilung vom 16 April 2024 des Dachverbands der Fanhilfen - Siehe weiter im Beitrag von Lea Binsfeld vom 3. April 2024 bei Netzpolitik.org : „… Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt in einer Pressemeldung vor einem übermäßigen Ausbau staatlicher Überwachung unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung. Konkret hebt er drei problematische Überwachungstechnologien hervor, die nun auf keinen Fall etabliert oder weiter ausgeweitet werden dürften.
Staatstrojaner, biometrische Überwachung, Vorratsdatenspeicherung
Kritisch sieht der DAV den Einsatz von Staatstrojanern. Der heimliche Zugriff auf persönliche Geräte sei bereits heute sowohl für Strafverfolgungsbehörden als auch für Nachrichtendienste möglich. Er bleibe aber ein massiver Eingriff in die Grundrechte und sollte nicht zur Standard-Maßnahme mutieren. Rechtsanwalt Dr. Nikolaos Gazeas ist Mitglied des DAV-Ausschusses Gefahrenabwehrrecht und kritisiert: „Der Staat nutzt Sicherheitslücken, die er eigentlich schließen sollte – und lässt damit sehenden Auges ein Einfallstor für Kriminelle offen“. Auch biometrische Videoüberwachung betrachtet der DAV als schweren Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Die Hürden, solche Eingriffe zu rechtfertigen, seien zu Recht hoch, sagt Gazeas. Inwieweit biometrische Gesichtserkennung in Deutschland zukünftig erlaubt sein wird, steht gerade auf der Kippe. In der europäischen KI-Verordnung wurde sie nicht konsequent verboten. Datenschützer:innen fordern deswegen, dass diese Form der Überwachung auf Bundesebene gänzlich untersagt werden soll. (…) Als drittes Problem macht der DAV die anlasslose Vorratsdatenspeicherung aus. Seit Jahren warne der Verein davor, legitime Interessen wie Kinderschutz oder Terrorismusbekämpfung zur unverhältnismäßigen Einschränkung von Grundrechten zu instrumentalisieren. Die massenhafte Speicherung von Kommunikationsdaten sei ein starker Eingriff in die Grundrechte. So urteilte auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in vergangenen Entscheidungen zu dem Thema…“