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Demonstrationen gegen Dumpingpreise: Massive Unruhe im Transportgewerbe
„Mit einem traditonellen gewerkschaftlichen Blick auf den Transportsektor wird man nicht weit kommen, denn diese Branche funktioniert anders als andere Wirtschaftszweige. Am verwirrendsten mag dabei die Vermischung von Arbeiter- und Unternehmerinteressen sein. (…) Im Zuge der Corona-, bzw. der Wirtschaftskrise sind die Frachtpreise ins Bodenlose gefallen und es entstand eine Situation, die an die Dieseldemos der letzten Krise erinnert. Für viele kleine und mittlere Speditionen ist es eine Frage der Zeit, bis sie Insolvenz anmelden müssen und sie riefen zu Protestaktionen in Berlin. Es schlossen sich dem Aufruf auch selbstorganisierte angestellte Fahrer an. (…) Am 24.7. fand der nächste Protest in der Hauptstadt statt. Die Zahl der teilnehmenden Trucks war zwar etwas höher, blieb aber hinter den Erwartungen zurück. Weitaus negativer zu bewerten ist, daß die politische Stoßrichtung spürbar verlogengegangen ist. (…) Nicht mehr zu erklären ist ein Auftritt eines Redners des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) auf der Protestbühne. Es ist der Verband der Großspediteure, wie z.B. der Schenker AG, die mit ihren massiven Angeboten an Transporten zu Dumpingpreisen, erst die Situation geschaffen hat, gegen die jetzt protestiert wird. Verdi hat im Vorfeld Interesse an einer Teilnahme an der Kundgebung signalisiert, diese jedoch wieder zurückgezogen, als in sozialen Medien Forderungen noch französischen Kampfmaßnahmen aufkamen…“ Artikel von Karsten Weber vom 28.7.2020 und einige Hintergrundinformationen – wir danken! Neu dazu: Richtigstellung vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. und die Darstellung des Autors
Demonstrationen gegen Dumpingpreise: Massive Unruhe im Transportgewerbe
Mit einem traditonellen gewerkschaftlichen Blick auf den Transportsektor wird man nicht weit kommen, denn diese Branche funktioniert anders als andere Wirtschaftszweige. Am verwirrendsten mag dabei die Vermischung von Arbeiter- und Unternehmerinteressen sein. Der mit Abstand größte Teil der Transporte wird hierzulande von mittelständischen und Kleinspeditionen gefahren. Diese werden oftmals von selbstfahrenden Unternehmern betrieben. Unter dem wachsenden Preisdruck leiden viele inzwischen selbst unter prekären Arbeitsbedingungen. Die Trucker in den US-amerikanischen Häfen sind in ihrer Diskussion schon weiter. Sie sagen, sie sind unter dem Owner/Operator System nur auf dem Papier Unternehmer, de facto sind sie jedoch Arbeiter. Die Trucks gehören in den Banken und es werden die Frachten und Preise nicht unternehmerisch ausgehandelt, sie können nur die unverhandelbaren Transportverträge unterschreiben oder es bleiben lassen. Die großen Streiks der letzten Jahre in Kanada, Kolumbien, Brasilien und Rußland sind oft spontan und im Wesentlichen jenseits traditioneller gewerkschaftlicher Strukturen ausgebrochen. Soziale Medien spielten hier eine zentrale Rolle, teilweise hat man auf die Schnelle neue gewerkschaftsähnliche Strukturen aus dem Boden gestampft, in denen sowohl angestellte Fahrer, alsauch kleine und mittelständische Speditionen aktiv waren.
In Deutschland hat die ÖTV nach einem verlorenen Arbeitskampf in den 80ern massive Einbußen an Mitgliedern und Einfluß verzeichnen müssen. Verdi spielt heute in der Branche nur noch eine Nebenrolle.
Mit der Marktliberalisierung 1994 durch das Tarifaufhebungsgesetz war es vorbei mit kollektiv ausgehandelten Frachtpreisen und der Beginn des Unterbietungswettbewerbs. Auch die Spedtieure verließen ihre Verbände und witterten Goldgräberstimmung in der chaotischen und unkontrollierten Branche. Mit der Jahrtausendwende war der Preisverfall im Tranport nicht mehr zu übersehen und mit der Krise 2008 für viele nicht mehr hinzunehmen. Eine Spritpreiserhöhung brachte das Faß zum Überlaufen und es kam zu den Dieseldemos, einer spontanen Protestbewegung, die von selbstfahrenden Unternehmern ausgegangen ist, mit der sich auch Taxifahrer und Landwirte solidarisierten und auch angestellte Fahrer anschlossen. Mit einem Offenen Mikrophon hatte dieser Protest anfänglich eine basisdemokratische Struktur, doch dann überließ man einem pensionierten Autobahnpolizisten, der sich durch besondere Rede- und Organisationstalente hervorgetan hat, die Führung. Das war das Ende der Basisdemokratie, aus den Diskussionsforen wurden unliebsame Meinungen gelöscht und wer weiter zu widersprechen wagte, bekam Anwaltspost. Es war das Ende dieser Bewegung.
In der Fahrerwelt pflegt man das Einzelkämpfertum, es mangelt an einer Kampfestradition und an Debatten über kollektive Maßnahmen zur Verteidigung der Arbeitsbedingungen. Es bildeten sich verschiedenen Fahrerselbstorganisationen, die über mehrere Jahre Protestaktionen im ganzen Land auf die Beine stellten, die oftmals im Netz mit Shitstorms bedacht wurden, weil sie nicht an französische Arbeitskämpfe heranreichten. Als sich diese Fahrerorganisationen noch untereinander zerstritten, war es wieder vorbei mit den Protesten.
Im Zuge der Corona-, bzw. der Wirtschaftskrise sind die Frachtpreise ins Bodenlose gefallen und es entstand eine Situation, die an die Dieseldemos der letzten Krise erinnert. Für viele kleine und mittlere Speditionen ist es eine Frage der Zeit, bis sie Insolvenz anmelden müssen und sie riefen zu Protestaktionen in Berlin. Es schlossen sich dem Aufruf auch selbstorganisierte angestellte Fahrer an. Am 19.6. fand ein beeindruckender LKW Konvoi über die Straße des 17 Juni bis zum Brandenburger Tor statt. Der Ort ist eine Magnet für Proteste aller Art und die Irrungen und Wirrungen dieser Tage. Es waren Landwirte mit ihren Traktoren dort, die seit Tagen den Reichstag belagerten und auf Schildern und T-Shirts beklagten Einzelne die Verschwörung der Merkelregierung, den Genderwahn, man gab Gates keine Chance oder bekannte sich zu den Fridays for Hubraum.
Die LKW-Kundgebung ist aus keiner Organisationsstruktur hervorgegangen, sondern aus facebookdiskussionen, die zu einer lockere Zusammenarbeit einzelner Speditionen, einem Kleinspediteursverband und einem Fahrerverband geführt haben. Verdi gehörte nicht dazu. Dieser zusammengewürfelte Haufen brachte eine vielversprechende Kundgebung mit vernünftigen Forderungen zustande. Man forderte das Ende der neoliberalen Politik mit einer Wiedereinführung fester Frachtpreise und es wurde vorgeschlagen, das Sozialdumping durch einen grenzüberschreitenden Kampf für europaweit würdige und gleiche Arbeitsbedingungen im Transport. Ein Brandbrief wurde allen Fraktionen des Bundestags übergeben. Ein Video von Kilometerfresser TV dokumentiert den Protestkonvoi und Teile der Kundgebung: https://youtu.be/zwa7cNi0TXE
Es ist ein Beispiel für die fehlende politische Erfahrung der Fahrer, daß der Redebeitrag eines (Klein-)Unternehmerverbands weitaus fortschrittlicher war, als der des Fahrerverbands. Camion Pro hat Kontakte zu osteuropäischen Fahrern verschiedener Länder geknüpft und wirbt für den Schulterschluß im Grenzüberschreitenden Kampf gegen das Sozialdumping, ebenfalls dokumentiert bei Kilometerfresser TV: https://youtu.be/DFCwfhaxtDg
Mit dem Brandbrief stellte man der Bundesregierung ein zweiwöchiges Ultimatum. Als der Termin reaktionslos verstrich, sah man sich gezwungen mit einer erneuten Kundgebung zu reagieren. Am 24.7. fand der nächste Protest in der Hauptstadt statt. Die Zahl der teilnehmenden Trucks war zwar etwas höher, blieb aber hinter den Erwartungen zurück. Weitaus negativer zu bewerten ist, daß die politische Stoßrichtung spürbar verlogengegangen ist. Man ließ sich beeindrucken von hochrangigen Politikern, wie dem sozialdemokratischen EU Politker Ismail Ertug aus dem Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr und dem Versprechen, man werde sich darum kümmern. Nicht mehr zu erklären ist ein Auftritt eines Redners des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) auf der Protestbühne. Es ist der Verband der Großspediteure, wie z.B. der Schenker AG, die mit ihren massiven Angeboten an Transporten zu Dumpingpreisen, erst die Situation geschaffen hat, gegen die jetzt protestiert wird.
Verdi hat im Vorfeld Interesse an einer Teilnahme an der Kundgebung signalisiert, diese jedoch wieder zurückgezogen, als in sozialen Medien Forderungen noch französischen Kampfmaßnahmen aufkamen. Es heißt, ein weiterer Grund sei gewesen, die AfD habe ihre Solidarität bekundet.
Artikel von Karsten Weber vom 28.7.2020 – wir danken!
Siehe zu den Demos:
- Am 19. Juni:
- Am 24. Juli:
- Die Ankündigung der Demonstration für faire Preise in der Logistik am 24.07.2020 in Berlin bei Camion Pro sowie auf der Aktionsseite der Initiative „Geiz war geil“ – dort auch Videos beider Demos und Hintergründe
- https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2020/07/lkw-korsos-berlin-protest-dumpingloehne-frachtpreise.html
Siehe im LabourNet Germany auch das Dossier: Transportarbeitergewerkschaft ETF mahnt: Mehr Schutz für Lkw-Fahrer in der Corona-Krise
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Richtigstellung vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. und die Darstellung des Autors
Zu dem Absatz im Artikel von Karsten Weber vom 28.7.2020:
„Nicht mehr zu erklären ist ein Auftritt eines Redners des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) auf der Protestbühne. Es ist der Verband der Großspediteure, wie z.B. der Schenker AG, die mit ihren massiven Angeboten an Transporten zu Dumpingpreisen, erst die Situation geschaffen hat, gegen die jetzt protestiert wird.“
erklärt der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. über dessen Leiter Öffentlichkeitsarbeit und Wirtschaftsbeobachtung in einer e-mail an die Redaktion:
„Es ist nur logisch, dass der Auftritt eines BGL-Redners auf der Protestbühne nicht zu erklären ist – es war nämlich überhaupt niemand vom BGL auf der Demo, geschweige denn auf der Protestbühne. Wir bitten daher um Richtigstellung bzw. Löschung des Satzes. Auch die verbandspolitische Verortung des BGL als „Verband der Großspediteure“ ist unzutreffend. Das Gegenteil ist richtig, wie Sie z.B. beigefügter Pressemitteilung des BGL Süd entnehmen können: Wir selbst haben (nicht nur) diesen gierigen Großspediteur aus Osnabrück über massiven medialen Druck in die Knie gezwungen – auch daran, dass die Schenker AG keine Dumpingpreis-Angebote mehr auf Frachtenbörsen veröffentlicht, waren wir nicht ganz unbeteiligt.“
Die angesprochene Pressemitteilung kann bei der Redaktion bezogen werden. Siehe dazu auch die Darstellung des Autors:
„Ich war bei der Protestkundgebung am 19.6. vor Ort und wußte, daß der BGL im Vorfeld dieser Veranstaltung auf Distanz gegangen ist. In Gesprächen mit Protestteilnehmern und Veranstaltern nahm ich eine für mich schwer verständliche Offenheit dem BGL gegenüber wahr. Bereits am Tag des Protests ging der BGL mit dem Youtube Video „BGL live von der Lkw-Demo in Berlin“ an die Öffentlichkeit und es erklärte der Leiter der BGL-Hauptstadtrepräsentanz Jens Pawlowski unweit der Rednerbühne: „…der BGL… teilt aber in weiten Teilen die Forderungen, die hier heute platziert werden…“. Als am Tag des 2. Protests der rbb unter der Überschrift „Lastwagenfahrer demonstrieren gegen Dumpingpreise“ berichtete, „Branchenvertreter kritisieren vor allem Dumpingpreise osteuropäischer Fuhrunternehmer. Der Sprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr BGL, Dirk Engelhardt, plädierte im rbb-Inforadio für mehr Kontrollen.“, habe ich daraus geschlossen, die Veranstalter hätten den BGL mit ins Boot geholt. Ich habe jetzt noch einmal nachgefragt und von einem der Veranstalter erfahren, der BGL sei weder mit auf der Bühne gewesen, noch von ihnen gezielt eingeladen worden. Ich hielt es für notwendig, die teilweise ungeklärte Haltung dem BGL gegenüber zu kritisieren, doch ist mir auch die korrekte Widergabe des Geschehens wichtig. Ich hatte aus den mir zugänglichen Informationen den Schluß gezogen, der BGL sei offizieller Teilnehmer des Protests, was ein bedauerlicher Fehlschluß war.“ Karsten Weber am 30.7.2020