Berliner Radkuriere protestieren: „Hört auf, Essen zu bestellen!“

Dossier

J'ai (très) mal au travail. Ein 90minütiger Dokumentarfilm über die moderne Arbeitsorganisation und ihre GefahrenVon allen Seiten kommen sie angeradelt und lassen ihre quadratischen blauen oder orangenen Rucksäcke in den Schneematsch fallen. Darauf steht „Lieferando“ oder „Wolt“. Rund zehn Frauen und Männer, allesamt Fahrradkuriere bei Essens-Lieferdiensten, haben sich am Donnerstag auf der Kreuzberger Admiralbrücke versammelt, um gegen die Arbeitsbedingungen bei den derzeitigen Witterungsverhältnissen zu protestieren. Aus Infektionsschutzgründen ist die Kundgebung nur klein. „To cold to ride“, steht auf Pappschildern, die sie hochhalten. Und: „Stopp order food“. Tobias Schülke ist einer von ihnen. „Menschenunwürdig“ seien die derzeitigen Arbeitsbedingungen, sagt er. Die Forderungen der Protestierenden fasst er so zusammen: Lieferdienste wie Wolt und Lieferando müssten eine richtige Winterausrüstung zur Verfügung stellen. Jede FahrerIn müsse selbst entscheiden können, ob er oder sie bei diesen Bedingungen zur Arbeit erscheine. Auch einen Kältebonus müsse es geben. Von der Politik erwartet Schülke, dass „den Lieferdienstfirmen klare Vorschriften gemacht werden, die zum Beispiel die Arbeitszeiten bei diesen Witterungsbedingungen beschränken“. Manche seiner KollegInnen würden trotz Minusgraden „bis zu zehn Stunden am Tag“ fahren, erzählt Schülke. Viele könnten aus ihren regulären Jobs derzeit keine Einkünfte erzielen. Dazu komme, dass viele FahrerInnen kein Deutsch sprächen. „Da ist die Gefahr groß, nur aus der Angst heraus zu funktionieren.“… Artikel von Timm Kühn und Plutonia Plarre vom 11.2.2021 in der taz online externer Link („Lieferdienste erzielen bei Schnee und Lockdown Rekordumsätze. Deren FahrerInnen beklagen nun „menschenunwürdige Bedingungen““) und darin/dazu weiter:

  • Liefern bis zum Letzten. Das Liefergeschäft boomt, die Arbeitsbedingungen der Fahrradkuriere bleiben schlecht New
    “Das kalte Wetter der vergangenen Wochen machte den Fahrrad­kurieren von Lieferdiensten wie Lieferando, Wolt und Gorillas zu schaffen. Ein Unternehmen hingegen gehört jedenfalls zu den Gewinnern der Pandemie. (…) Die Schwierigkeiten seien für Fahrerinnen und Fahrer aller Unternehmen erheblich gewesen: Es sei zu kalt, die Straßen und Wege seien glatt gewesen, Gangschaltungen und Bremsen hätten nicht mehr zuverlässig funktioniert. Während der Fahrt seien Getränke in den Flaschen eingefroren, die Kleidung habe nicht warmgehalten. (…) Das Unternehmen Lieferando gehört zu den Gewinnern der Pandemiekrise, trotz der öffentlich bekannt gewordenen schlechten Arbeitsbedingungen. »Im dritten Quartal sind wir hier um 38 Prozent gewachsen. Monatlich vermitteln wir derzeit rund zehn Millionen Bestellungen an Restaurants in Deutschland«, sagte Katharina Hauke, die Geschäftsführerin von Lieferando Deutschland, im Dezember dem Tagesspiegel. Wolt und Gorillas nutzten die erhöhte Nachfrage nach Lebensmittellieferungen in der Pandemie, um ins Geschäft einzusteigen. Lieferando hat auch eine sogenannte kontaktlose Lieferung eingeführt, »um die Sicherheit aller Beteiligten zu erhöhen«: Die Bezahlung wird online abgewickelt, die Auslieferer klingeln, legen die Bestellung vor der Tür ab und warten mit Sicherheitsabstand, bis die Kunden sich die Ware ins Haus geholt haben. Aus Sicht der Arbeiterinnen und Arbeiter gestaltet sich aber längst nicht alles so sicher. Orry Mittenmayer, ehemaliger Rider und Mitbegründer der Kampagne »Liefern am Limit«, kritisiert schon seit Beginn des ersten Lockdowns die fehlenden Schutzmaßnahmen und fordert mit einer Online-Pe­tition: »Desinfektionsmittel, Schutzkleidung und bessere Arbeitsbedingungen für Lieferando-Fahrer!« Ähnliche Forderungen stellt auch die Lieferando-Betriebsgruppe der Gewerkschaft FAU.“ Artikel von Lisa Bor vom 25.02.2021 in der Jungle Word externer Link
  • Gorillas streiken wild: Fahrradkuriere liefern im Schneechaos Lebensmittel nicht aus
    “Lebensmittel nach Hause geliefert bekommen, bereits zehn Minuten nach der Bestellung: Dieses Versprechen konnte das Berliner Start-up Gorillas dieser Tage offenbar nicht halten. Denn praktisch verließ vergangene Woche kaum eine Bestellung die Lagerhäuser. Die Rider genannten Lieferfahrer sprechen von Streik. (…) Am Montagmorgen der Vorwoche hätten die Kuriere bei Minusgraden und starkem Schneefall regulär zur Schicht erscheinen müssen. »Mit den acht Kollegen im Lagerhaus Checkpoint Charlie haben wir beschlossen, dass wir bei dem Wetter nicht ausliefern werden«, sagt Vernengo. Auch in Schöneberg sei so entschieden worden, man habe die Entscheidungen den anderen Kolleg*innen mitgeteilt. Am späten Vormittag stellte Gorillas die Arbeit für den Tag ein. Danach hätten die Angestellten eine Mail mit Sicherheitshinweisen erhalten, die zudem verkürzte Arbeitszeiten für die Restwoche in Aussicht stellte. Daraufhin habe man am Folgetag erneut gestreikt, diesmal in drei Lagerhäusern. »Am Dienstag hat das Unternehmen das nicht so gut aufgenommen. Dabei ging es uns nur um unsere Sicherheit«, erklärt Vernengo. Letztendlich habe Gorillas entschieden, die Woche nicht mehr zu öffnen. Bereits im Dezember habe das Unternehmen allen Kurieren Winterjacken versprochen. »Es gab einfach nicht genügend. Man hat uns immer wieder vertröstet und mittlerweile ist es Februar«, kritisiert Vernengo. Die Ausfahrer beklagen zudem Lohnunterschiede: Einige von ihnen verdienten 10,50 Euro, andere bis zu zwölf Euro pro Stunde. Weitere Probleme seien Verschleißschäden an den bereitgestellten Fahrrädern, verspätete Lohnauszahlungen sowie Überladung, insbesondere zu Stoßzeiten am Wochenende. Daher klagten viele Kolleg*innen über Rückenprobleme, sagt er. Auch Pausenzeiten hätte man erst erkämpfen müssen. Sebastian Riesner ist von solchen Vorwürfen nicht überrascht. Auch bei anderen Lieferdiensten habe es Probleme mit dem Wintereinbruch gegeben, sagt der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zu »nd«. Die Arbeitsbedingungen hätten zudem mit der Mentalität in Start-ups zu tun. »Man macht erst mal und schaut, ob sich jemand beschwert«, meint Riesner. »In der Regel weiß man aber, dass man es mit Leuten zu tun hat, die sich nicht wehren.« (…) Es gibt Überlegungen, einen Betriebsrat zu gründen, um Verbesserungen zu erreichen. Eine fluktuierende Belegschaft ist eine große Hürde, weiß Gewerkschafter Riesner…“ Artikel von Moritz Aschemeyer vom 16.02.2021 in Neues Deutschland online externer Link
  • #RidersOnTheStorm: Riders in Berlin fordern Mitbestimmung!
    “Berliner Lieferdienstfahrer* innen („Rider“), erleben gerade heftige Tage. Zur Corona Pandemie kam in der letzten Woche ein Kälteeinbruch und Schneesturm hinzu. Bei Glatteis, Minusgraden, Wind und Schnee sitzen unsere Kolleg* innen bis zu Zehn Stunden täglich auf dem Rad, um für Unternehmen wie Wolt oder Lieferando Essen auszuliefern. Die Risiken die dabei momentan entstehen sind nicht zumutbar! Die sogenannten Arbeitgeber*innen scheinen daran bisher nicht interessiert zu sein. Wie schon zu Beginn der Corona-Krise geben sich die Unternehmen als kaltschnäuzige Krisengewinner*innen externer Link, die nicht einmal nachfragen, was Arbeiterinnen zu ihren mehr als lückenhaften Arbeits- und Gesundheitsschutzkonzepten sagen. Die „Kontaktlose Lieferung“ ist nicht kontaktlos. Fahrerinnen bekommen nur schwer Zugang zu sanitären Einrichtungen. Schutzmasken werden gar nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung gestellt. Ebenso fehlen angemessene Winterkleidung und Winterreifen für die Fahrräder. In den Betrieben bleibt ein solches Vorgehen nicht folgenlos. Rider von mehreren Lieferdiensten haben selbstorganisierte Gruppen aufgebaut, in denen Mitglieder von Betriebsgruppen der FAU Berlin aktiv beteiligt sind. Die Rider vernetzen sich immer mehr. Hierbei werden sie von der FAU Berlin solidarisch unterstützt. Die Betriebsgruppe Lieferando der FAU Berlin externer Link hat gemeinsam mit Ridern des Lieferdienstes Wolt die folgenden Forderungen aufgestellt: (…) Zur Durchsetzung der Forderungen sind unsere Kolleg* innen und Genoss* innen auch auf die Öffentlichkeit, nicht zuletzt aber auf die Solidarität der Kund*innen angewiesen. Im stressigen Arbeitsalltag ist Essensbestellung oft eine einfache Lösung. Wenn ihr die Rider in diesen Tagen unterstützen wollt, könnt ihr das schon durch ein bis zweimal selbst Kochen tun. Wenn ihr bestellen wollt, dann am besten bei Lieferdiensten, in denen Rider selbstbestimmt entscheiden können, ob es für sie sicher ist zu liefern oder nicht. Zum Beispiel bei berliner Lieferdienstkollektiven (kolyma2.de externer Link or foodfairies.de externer Link)…“ Meldung der FAU Berlin vom 16.02.2021 externer Link
  • [Video] Rider protestieren gegen eisige Bedingungen 
    Im Februar wurden Fahrradkuriere in Berlin gezwungen Essen zuzustellen- trotz eisiger Temperaturen von bis zu -16 Grad. Am 11.02.2021 protestierten Fahrer_innen von Lieferando und Wolt gegen diese eisigen und gefährlichen Bedingungen, um Aufmerksamkeit dafür zu erzeugen, wie riskant es ist, bei diesen Temperaturen auf der Straße zu sein. In dieser Woche wurde ein Fahrradkurier in Madrid bei einem Verkehrunfall von einem Auto getötet. Vor ein paar Wochen passierte dasselbe in Frankfurt. Die Fahrer_innen fordern, dass die Zustelldienste ihre Sicherheit ernst nehmen und Schichten abgesagt werden, – ohne Lohnabzüge oder andere negative Konsequenzen für die Rider.“ Video von und bei labournet.tv externer Link (engl. mit dt. ut  | 3 min  |  2021)
  • Aus dem Artikel von Timm Kühn und Plutonia Plarre vom 11.2.2021 in der taz online externer Link: „… „Uns geht es darum, ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Lieferdienste Menschen auf die Straße zwingen“, sagt Schülke. Gleichzeitig werde öffentlich kommuniziert, dass jede FahrerIn freiwillig unterwegs sei. Tatsächlich schreibt Wolt im Blog des Konzerns, niemand müsse sich bei Verspätungen oder dem Fernbleiben von der Arbeit aus Sicherheitsbedenken Gedanken machen. Schülke hat in der Kommunikation mit Wolt andere Erfahrungen gemacht: „Da heißt es zum Beispiel, wenn Ihr nicht fahren wollt, dann lauft doch stattdessen. Wie kann man jemanden anbieten, für 10 Stunden bei Minusgraden durch den Schnee zu laufen?“, fragt er wütend. Als er Bedenken bekundete, habe er ein blaues Smilyherz aufs Handy und einen aufbauenden Spruch erhalten. Das sei, so Schülke, „absurd“: „Ich bin Arbeitnehmer und damit weisungsgebunden. Da sind die Nettigkeiten doch völlig egal.“ Bisher bestünde aber nur eine Telegram-Gruppe, in der die FahrerInnen zudem anonym blieben. „Man weiß ja nie, ob der Arbeitgeber mithört“, sagt Schülke, der nur mit Klarnamen auftritt, da er sich bereits öffentlich ausgesprochen habe. Er ist dennoch besorgt: „Beim letzten großen Aufstand der FahrerInnen haben ja alle, die namentlich bekannt geworden sind, ihre Arbeit verloren“, sagt er…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=186365
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