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Linke Helfer der Sexindustrie? Debatte der Forderungen nach einem Sexkaufverbot
Dossier
„… Die Position »Sexarbeit ist Arbeit« legitimiert sexuelle Ausbeutung und schadet prostituierten Frauen. »Sexarbeit ist Arbeit«, auf diese Gleichung haben derzeit viele linke und feministische Menschen ihr Verhältnis zur Prostitution gebracht. Ob Putzen oder Prostitution – im Kapitalismus könne es sowieso keine optimale Form des Gelderwerbs geben. Was fehle, sei die vollständige Anerkennung als Beruf, dies würde die Stigmatisierung der Betroffenen beenden. Die Stigmatisierung ist in der Tat ein Unrecht. Doch der Elefant im Raum, den bei dieser Argumentation niemand zu sehen scheint, ist die der Prostitution innewohnende Gewalt. Prostitution ist nicht nur eine Sache des Gelderwerbs im Kapitalismus, sie spielt sich vor allem im Feld einer patriarchal bestimmten Sexualität ab…“ Ein Diskussionsbeitrag von Gunhild Mewes in ak – analyse & kritik Nr. 616 vom 24. Mai 2016
, eine Erwiderung hierauf und die weitere Debatte:
- Der ver.di-Bundesfrauenrat und weitere Frauenorganisationen: Sexarbeit ist Arbeit! Gemeinsam gegen Kriminalisierung und für bessere Arbeitsbedingungen
„Der ver.di-Bundesfrauenrat setzt sich entschieden für die Verbesserung der Arbeitsrechte und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden ein.
Die rechtliche Lage von Sexarbeitenden in Deutschland ist widersprüchlich. Zwar wurde die Prostitution 2002 mit dem Prostitutionsgesetz als Beruf anerkannt, doch mit dem Prostituiertenschutzgesetz von 2017 wurden neue bürokratische Hürden geschaffen. Konkret kritisieren Sexarbeitende, dass das Prostituiertenschutzgesetz in der Praxis die Arbeitsbedingungen eher verschlechtert habe. Die verpflichtende Anmeldung schreckt viele Sexarbeitende ab, da sie Angst vor Diskriminierung und Datenschutzverletzungen wie einer potenziellen Weitergabe sensibler Daten haben. Stattdessen arbeiten viele im informellen Sektor, was sie anfälliger für Ausbeutung und Gewalt macht. Ohne Anmeldung ist es ihnen nicht möglich, in einer legalen Prostitutionsstätte zu arbeiten. Der Zugang zu sicheren Arbeitsplätzen ist ihnen somit verwehrt.
Der ver.di-Bundesfrauenrat lehnt die Kriminalisierung von selbstbestimmter Sexarbeit ab und fordert verbesserte soziale Absicherung, arbeitsrechtliche Unterstützung und gesundheitliche Versorgung für Sexarbeitende. Ein Verbot des Sexkaufs würde genau das Gegenteil bewirken: Sexarbeit würde wieder in den Untergrund gedrängt, Stigmatisierung und Abhängigkeit würden verstärkt und die Risiken für Gewalt und Ausbeutung würden steigen. Ein Verbot des Sexkaufs – wie es in einigen Ländern unter dem sogenannten „Nordischen Modell“ umgesetzt wurde – würde die Situation für Sexarbeitende erheblich verschlechtern. Statt Schutz würde es sie in rechtliche Grauzonen drängen, ihre wirtschaftliche Existenz gefährden und sie stärkerer Gewalt und Ausbeutung aussetzen. (…)
Im Gegensatz dazu lehnen wir als Frauen in ver.di Zwangsprostitution und Menschenhandel entschieden ab! Wir erwarten, dass Menschenhandel zum Zwecke der Arbeits- und sexuellen Ausbeutung effektiver als bislang bekämpft wird. Hierfür müssen die für die Kontrollen zuständigen Behörden endlich angemessen personell ausgestattet werden!“ Meldung vom 18.03.2025 der ver.di-Frauenund dort auch:
- ver.di-Bundesfrauenrat zu Sexarbeit (03/2025)
: Sexarbeit ist Arbeit – für eine selbstbestimmte Erwerbsarbeit
- djb zum Sexkaufverbot (02/2025)
: Der Deutsche Juristinnenbund e. V. (djb) spricht sich gegen Forderungen nach einem Sexkaufverbot aus.
- Deutscher Frauenrat zu Prostitution (09/2024)
: Stellungnahme zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“
- und weitere Positionierungen. Siehe dazu auch:
- Jetzt auch Bundesfrauenrat der Gewerkschaft ver.di gegen ein Sexkaufverbot!
„Die Liste namhafter zivilgesellschaftlicher Organisationen, die gegen das von der CDU/CSU geforderte Sexkaufverbot ihre Stimme erheben, wird länger. In einer jüngst veröffentlichten Stellungnahmeergreift der Bundesfrauenrat von ver.di klar Position für Sexarbeiter*innen. Damit stellt er sich dezidiert gegen das von der CDU/CSU geforderte Sexkaufverbot und tritt stattdessen für verbesserte Arbeitsrechte und Arbeitsbedingungen in der Sexarbeits-Branche ein. (…) Doña Carmen e.V. begrüßt die ver.di-Stellungnahme ausdrücklich. Sie reiht sich damit ein in die Liste der nachfolgenden Organisationen, die allesamt klar gegen das Sexkaufverbot Partei ergriffen haben…“ Pressemitteilung vom 20. März 2025 von Doña Carmen e.V.
- ver.di-Bundesfrauenrat zu Sexarbeit (03/2025)
- Doña Carmen: Wer hat Angst vor dem Sexkaufverbot? Aufregung um ‚Sexkaufverbot‘ soll vom aktuellen Skandal des Prostituiertenschutzgesetzes ablenken
„Was bedeuten die von Zeit zu Zeit aufflammenden und von interessierter Seite immer wieder angeheizten Debatten um das so genannte „Sexkaufverbot“? Ist in Deutschland demnächst mit einer strafrechtlichen Umerziehung von Männern zu rechnen, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen? Steht das ‚Schwedische Modell‘ vor der Tür? Und wäre es überhaupt ein ‚Modell‘ für Deutschland?…“ Diese Fragen beantwortet die Doña Carmen e.V. mit einem 32-seitigen Statement vom Oktober 2019- siehe zur Debatte über Sexkaufverbot stellvertretend ein Interview beim Spiegel online vom 14.7.2019
- siehe zur Debatte über Sexkaufverbot stellvertretend ein Interview beim Spiegel online vom 14.7.2019
- Verschärfung des Prostitutionsrechts: Sexarbeit „nur noch im Wald“
„… Widerstand gegen Pläne aus der SPD: Oppositionspolitikerinnen, Expertinnen und Sexarbeiterinnen sprechen sich gegen ein Sexkaufverbot aus. Sie reagieren damit auf einen Bericht der taz, in dem hochrangige Sozialdemokratinnen das sogenannte nordische Modell gefordert haben. Unter anderem forderte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, Maria Noichl, den Kauf von Sex vollständig zu verbieten und Freier zu bestrafen. „Für SexarbeiterInnen wäre die Einführung des nordischen Modells eine Katastrophe“, sagt Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Sie selbst habe in Schweden mehrere Gespräche zur Auswertung des dort geltenden nordischen Modells geführt. Es verhindere Prostitution nicht, sondern verlagere sie in den illegalen Raum. „Betroffene finden noch weniger Schutz als zuvor und werden stigmatisiert.“ (…) Die Historikerin Sonja Dolinsek, die zu Prostitutionspolitik forscht, sagt, mit Einführung des nordischen Modells müssten „alle Bordelle in Deutschland geschlossen werden“. Was mit den Sexarbeiterinnen passierte, wäre unklar. „Sie könnten nur noch in Einzelwohnungen, im Wald oder auf der Straße arbeiten – das trägt auf keinen Fall zur Sicherheit bei.“ Zudem würde überhaupt nicht mehr bekannt, unter welchen Bedingungen gearbeitet würde. „Es hat sich bisher jenseits unserer Vorstellungskraft bewegt, was innerhalb der SPD im Gespräch ist“, sagt Johanna Weber vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. Das nordische Modell werde von Sexarbeiterinnen weltweit abgelehnt…“ Artikel von Patricia Hecht vom 22. Juni 2019 bei der taz online - Schluss mit dem konservativ-feministischen Kontrollfetisch: Die Situation von Sexarbeiter_innen verbessert man nicht durch mehr Repression.
„… Linke Helfer der Sexindustrie? Ein Verständnis von Sexarbeit als »normaler Arbeit« legitimiere sexuelle Ausbeutung und schade »prostituierten Frauen«, schrieb Gunhild Mewes in ak 616 und machte sich für ein Sexkaufverbot wie in Schweden stark. Der Artikel stieß auf heftigen Widerspruch (…): Die Argumentation blende die Zusammenhänge von Sex-, Arbeits- und Migrationspolitiken aus, sie spare sich eine Kritik kapitalistischer Arbeit und falle Sexarbeiter_innen, die für eine Verbesserung ihrer Situation kämpfen, in den Rücken – so die Kritiker_innen. Jenny Künkel antwortet nun aus einer queerfeministisch-marxistischen Perspektive“ und betont u.a.: „… Natürlich ist im Sexgewerbe nicht alles prima. Denn Sexarbeit wird seit Jahrhunderten stigmatisiert. Es ist daher – sowie aufgrund geringer formaler Zugangsbarrieren – auch ein Auffangbecken für extrem Prekarisierte. In vielen Rechtsbereichen wird das Gewerbe gesondert behandelt oder ausgegrenzt (so im Gewerberecht) und vor allem polizeilich reguliert. Die Arbeitsbedingungen in Teilbereichen sind entsprechend sehr schlecht. Das ist auch ein Ergebnis des Einflusses, den Abolitionist_innen und Moralist_innen auf die Debatte über Sexarbeit nehmen. Für eine offene Diskussion über Arbeitsbedingungen im Sexgewerbe wären etliche Vorbedingungen nötig: Es bräuchte eine verstärkte (Selbst-)Organisierung der Arbeiter_innen, auch und gerade der Migrant_innen, und ein gesellschaftliches Klima, in dem die Stimmen von Sexarbeitsaktivist_innen ernst genommen werden, statt sie, wie es der herrschende Mediendiskurs regelmäßig tut, als »untypisch« für Armutsprostitution abzuwerten…“ Eine Replik von Jenny Künkel in ak – analyse & kritik vom 21. Juni 2016auf den Artikel »Linke Helfer der Sexindustrie« von Gunhild Mewes in ak 616
Siehe u.a. auch unser Dossier: Schwesigs Prostituiertenkontrollgesetz tritt Grundrechte mit Füßen