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„Ein zutiefst entmenschlichender Akt“. Gemeinsame Veranstaltung „Prostitution ist keine ’normale‘ Arbeit von Frauen“ des Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg und LISA Hamburg am 3.2.2016
Das Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg organisiert seit 2005 regelmäßig monatliche Treffen, meistens mit konkreten Themen/Konflikten aus der Arbeitswelt. Und zwar nicht nur aus Bereichen mit noch teilweise akzeptablen Arbeitsbedingungen wie in Großbetrieben wie Daimler oder Airbus sondern auch aus der prekären Arbeitswelt: „Organisierung der Unorganisierbaren“, die Situation von ausländischen Hausangestellten, die Gefangenengewerkschaft (GG/BO). Oder eben aus dem Bereich der Prostitution, wo ca. 500 000 Frauen gezwungen sind tätig zu sein.
Am 3.2. organisierten wir ein Treffen zum Thema Prostitution – Sexarbeit: 137. Jour Fixe zusammen mit LISA, Feministische Landesarbeitsgemeinschaft der Partei „Die Linke“: Prostitution ist keine „normale“ Arbeit von Frauen! Damit wollten wir Stelllung beziehen gegen die Propagierung von Prostitution als Sexarbeit, als „normale“ Tätigkeit, was in den letzten Jahren auch in linken und Gewerkschaftskreisen üblich geworden sind. Für uns heißt Stärkung der Position der Prostituierten: Mithelfen beim Herauskommen aus der Prostituion. Hierzu der Bericht von Anita Friedetzky von der Veranstaltung:
„Ein zutiefst entmenschlichender Akt“.
Gemeinsame Veranstaltung „Prostitution ist keine ’normale‘ Arbeit von Frauen“ des Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg
und LISA Hamburg am 3.2.2016
„Wenn es die Prostitution nicht gäbe, würde ich heute nicht mehr leben“, sagt L., aber auch: „Und jetzt komme ich nicht mehr raus aus der Nummer!“ Bei der ARGE sei ihr, obwohl sie „aussteigen“ wolle, stattdessen das Angebot gemacht worden, doch als professionelle Prostituierte eigene Unternehmerin zu werden. Für sie sei Prostitution aber keine Arbeit wie jede andere, sie zu verbieten lehne sie jedoch ebenfalls ab. Die sozialen Umstände müssten so verändert werden, dass es keine Prostitution mehr gäbe.
L.s Ausführungen machen die ungeheure Spannbreite und auch Spannung der Diskussion deutlich, an der gut 80 Pro und Kontra-VertreterInnen teilnahmen.Es war die erste ihrer Art in Hamburg. Der sich im öffentlichen Diskurs immer mehr auch bei Linken und Gewerkschaftern verbreitenden These, bei „Sexarbeit“ handele es sich um eine Arbeit wie jede andere, sollte bewusst eine Position entgegengesetzt werden, die dies eindeutig verneint. Obwohl die Wogen dann erwartungsgemäß hochschlugen, fand die Diskussion dennoch in einer weitestgehend respektvollen Atmosphäre statt, in der jede/r nicht zuletzt durch die unaufgeregt resolute Moderation der HHer Lisa-Vorsitzenden, Hildegard Heinemann, zu Wort kommen und ausreden konnte.
Es hatte schon vor Beginn Zustimmung und Ablehnung im Internet gegeben. So reagierte z.B. Verdi HH (FB 13) beleidigt: Sie würden als Gewerkschaft viel für die Prostituierten tun und fühlten sich übergangen bei der Planung einer Veranstaltung zu diesem Thema. Anfang März gäbe es sogar einen Kongress zum Thema in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Zur Veranstaltung kam kein Vertreter bzw. Vertreterin von Verdi FB 13.
Dass bei dem geplanten Kongress keine prostitutionskritische Position vorgesehen sei, hatte eine Hochschulmitarbeiterin den Jour-Fix-GenossInnen „gesteckt“. StudentInnen würde in Vorlesungen durchaus mal empfohlen, ihre chronischen Geldsorgen doch durch „Sexarbeit“ zu bekämpfen. Auch würden ihnen Tips zur Steuervermeidung gegeben. Eine Veranstaltung, die „Sexarbeit“ in Frage stelle, sei deshalb längst überfällig.
Zu Beginn wurde Rachel Morans (RM) beeindruckendes Buch über ihre eigene Prostitutions- und Gewaltgeschichte in Irland von ihrem 15.Lebensjahr bis zu ihrem „Ausstieg“ von der jw-Autorin, Anja Röhl, in Auszügen vorgetragen. Scheinbar freiwillig und abgespalten vom eigenen Ich, so RM, hätte es sein müssen, um daran nicht völlig kaputt zu gehen. Und am „selbstbestimmtesten“ seien noch die Prostituierten auf dem Straßenstrich, weil sie da die „Freiheit“ hätten, einen Freier auch mal abzulehnen, während diejenigen im „Callservice“ den Sexkäufern mit Haut und Haaren ausgeliefert seien. Je mehr für sie bezahlt würde, desto hemmungsloser würde sich ihrer bedient und würden sie als Person und empfindender Körper ausgeschaltet.
RMs Schilderungen wurden von der linken Gewerkschafterin und Lisa-HH-Frau, Anita Friedetzky, im Namen der Vorbereitungsgruppe mit statistischem Material unterlegt. Es hieße immer wieder, die Prostituierten übten ihren „Beruf“ freiwillig aus. Bei mehr als 90% der Prostituierten könne davon jedoch keine Rede sein, oftmals würden sie „aus den Slums dieser Welt, bei uns überwiegend aus Osteuropa, hergeschickt oder mit falschen Versprechungen hergelockt“. 80 bis 90% würden denn auch sofort aus der Prostitution aussteigen, wenn sie es könnten. Laut einer UN-Studie wurden 2/3 aller Frauen in der Prostitution schon von einem, bzw. mehreren Freiern vergewaltigt. Ebenfalls drei von vier Frauen geben an, mit einer Waffe bedroht worden zu sein. Dieselbe Zahl konsumiere Drogen, um die „Arbeit“ überhaupt ertragen zu können. Und: Die Mehrheit der Prostituierten sei schon als Kind sexuell missbraucht worden. Und: Ja, Sex sei eine Ware: „Die patriarchalkapitalistische Gesellschaft verdinglicht alles, auch den Körper der Frau“, aber dieser sei eben keine Ware wie jede andere auch. Sexualität und Intimsphäre spielten eine große Rolle bei der Herausbildung der eigenen Identität. Prostituierte versuchten z.B. Körperzonen wie ihre Brüste oder Lippen als „unverkäuflich“ zu verhandeln, um das Gefühl von Selbstbestimmtheit zu haben . Die Abspaltungspraxis (Das, was da gerade passiert, hat mit mir als Person gar nichts zu tun) führe jedoch, wie RM es richtig beschreibe, zu bleibenden psychischen Schäden (ähnlich denen bei Vergewaltigungsopfern). Bei der Prostitution handele es sich deshalb „nicht nur um einen Akt der Entfremdung, sondern um einen zutiefst entmenschlichenden Akt“.
Menschenhandel, Prostitution und Sexindustrie seien inzwischen derart prosperierende „Wirtschaftszweige“, dass sie auf der Hitliste des großen Geldmachens direkt hinter Waffenhandel auf Platz zwei stünden – noch vor dem Drogenhandel. Die dahinter steckende ebenso gewaltige wie gewalttätige Maffia habe ein enormes Interesse daran, dass ihr Handel und Handeln mit einer entsprechenden Gesetzgebung öffentlich legitimiert würde. Und wenn die Betroffenen sich dann noch in Gewerkschaften organisieren würden, sei zudem der demokratische Anschein gewahrt. Es ginge nicht darum, die Prostitution zu verbieten.“Nicht die Prostituierten, sondern die Frauenhändler, Zuhälter, BordellbetreiberInnen und die sog.“Sexkäufer“ müssten gesellschaftlich geächtet, bzw. zur Verantwortung gezogen werden.“ Das „Schwedische Modell“, das gleichzeitig den Prostituierten ein „Aussteigerprogramm“ anbiete, sei deshalb zumindest diskussionswürdig.
Statt sich mit RM und diesen Thesen auseinanderzusetzen, behauptete eine U., RM sei gar keine Prostituierte gewesen. Dies könne eine, die auf demselben Straßenstrich gearbeitet hätte, wie Rachel es von sich behauptete, eidesstattlich bezeugen. Und mit Frauen, die zur Prostitution gezwungen seien, wollten sie, die daran Spaß fänden, sich als selbstbestimmt und „auf Augenhöhe mit den Freiern“ empfänden, nichts zu tun haben. Kindesmissbrauch, Menschenhandel und Zwangsprostitution seien, so eine weitere Verfechterin von Sexarbeit, kriminelle Delikte und müssten als solche verfolgt werden. Das habe mit Prostitution nichts zu tun.
Bezeichnenderweise hatten sich zwei Männer als Erste zu Wort gemeldet und sich als glückliche (ehemalige) „Mietmänner“ geoutet, für die Prostitution nicht nur Beruf sondern Berufung gewesen, bzw. immer noch sei. Der eine ein „alternativer Bordellbesitzer“ aus Bremen, der andere ein „linker Gewerkschafter“. Die Veranstaltung sei „paternalistisch und stalinistisch“. Solange Monogamie als Ursache allen Übels nicht aufgehoben werde, müsse es Prostitution weiterhin geben.
Die weiblichen Postituierten bestanden auf ihrem „sexuellen Selbstbestimmungsrecht“. Sie wollten nicht „als Opfer klein gemacht“ werden. Andererseits betonten insbesondere Behördenvertreterinnen und ein HAW-Dozent, die Prostituierten „stark machen“ zu müssen, was aber nicht ginge, wenn Prostitution nicht als normale Arbeit anerkannt sei. Den Prostituierten müssten zu ihrem Schutz Arbeitnehmerinnenrechte wie allen anderen auch zuerkannt werden.
In der Tat, so die VeranstalterInnen, ginge es darum, „die Prostituierten selbst stark zu machen“, hierin sei mensch sich einig, „aber worauf hin?!“ Das Ziel könne und dürfe nicht die Stärkung von Sexindustrie und Entmenschlichung sein. Den Prostituierten müssten echte Alternativen aufgezeigt werden. „Ihr müsst euch fragen, ob ihr das wirklich wollt, dass in Zukunft allen Frauen, die eine schlechte oder gar keine Ausbildung haben, stattdessen angeboten wird, doch als Prostituierte zu arbeiten, weil das ein ganz normaler Beruf sei!“
Dies sei nicht das Ende einer Diskussion, sondern erst ihr Beginn. Die Lösung des komplexen Problems insbesondere der Rolle, die gewerkschaftliche Organisierung dabei spielen könnte/sollte dürfe aber auf keinen Fall der Sexlobby überlassen werden.