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»Post-Demokratie« – Gründe und Konsequenzen eines gescheiterten Arbeitskampfs
Artikel von Geert Naber*, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 08/2015
Vier Wochen wurde bei der Post gestreikt, dann war der Abschluss da: Es gibt geringe Lohnerhöhungen (400 Euro Einmalzahlung, 2 Prozent Lohnerhöhung 2016, 1,7 Prozent 2017) und einen Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bis 2019 – ein »umfassendes Sicherungspaket« feiert ver.di-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis den Abschluss. Ein zentrales Ziel des Streiks wurde jedoch nicht erreicht: die Abschaffung der unternehmenseigenen DHL Delivery GmbHs, in die das Unternehmen große Teile der Paketzustellung ausgelagert hat und in denen bereits 6 500 Postler zweiter Klasse und künftig auch alle Neueingestellten zu geringeren Löhnen das gleiche machen wie ihre KollegInnen. Nur für die rund 7 600 Altbeschäftigten soll weiteres Outsourcing und damit Lohnsenkung vorerst ausgeschlossen sein. Wieso hat ver.di sich mit diesem enttäuschenden Ergebnis zufriedengegeben? Geert Naber* blickt zurück.
Über den Arbeitskampf bei der Post wurde intensiv berichtet. Eine Nachricht, die auf besonders freudige Reaktionen bei den Streikenden stieß, stammte aus Hamburg. Dort hatten Studierendenvertretungen dafür gesorgt, dass der Bonner Konzern an den Hochschulen keine Streikbrecher anwerben durfte. Aber nicht immer agierte der akademische Nachwuchs solidarisch. Manche Studierende machten sich auf den Weg zu bestreikten Betriebstätten, fuhren an den Streikposten vorbei und boten der Post ihre Arbeitskraft an. Es zeigte sich also: Das studentische Milieu ist widersprüchlich. Längst nicht alle, die ihm angehören, sind »links« und »kritisch« eingestellt.
Postmodernes Streiken
Was für die Studierenden gilt, gilt erst recht für den Rest der Bevölkerung. Meinungsumfragen signalisierten, dass viele Leute den streikenden PostlerInnen die Daumen drückten. Daher konnte es nicht verwundern, dass zahlreiche Solidaritätsbekundungen in den Streikbüros eingingen. Allerdings spürte ver.di auch die Wirkmacht des neoliberalen und standortnationalistischen Zeitgeists. Die Poststreiks wurden des Öfteren als »Jammern auf hohem Niveau« abgestempelt. Bisweilen war auch zu vernehmen, beim Sortieren und Zustellen von Briefen/Paketen handele es sich um »Einfachtätigkeiten«, bei denen sich die Beschäftigten nun mal mit geringen Löhnen zufrieden geben müssten. Außerdem kam das »Hauptsache Arbeit«-Argument zum Einsatz: »Ein Job bei DHL Delivery ist kein Honigschlecken, aber besser als gar kein Job.«
Solche Einstellungen gibt es auch in der Postbelegschaft. Gerade unter jüngeren KollegInnen scheint eine Gewöhnung an Prekarisierung um sich zu greifen. Es wird versucht, sich auf eigene Faust in den »postmodernen« Arbeitswelten durchzuwurschteln. Gewerkschaftliches Engagement gilt als unnütz und Streikbrechen als Chance, lukrative Überstunden zu machen und bei den Vorgesetzten zu punkten. Das half der Postspitze, die Streikfolgen einzudämmen. Und es schwächte die gewerkschaftliche Verhandlungsposition.
Einer zerrissenen Belegschaft stand eine Konzernführung gegenüber, die sich gut auf den Arbeitskampf vorbereitet hatte und »Klassenkampf von oben« betrieb. Die Gewerkschaften sahen sich einer ungewöhnlich aggressiven Rhetorik ausgesetzt. Sie führte vor Augen: Der einst sozialpartnerschaftliche »Gelbe Riese« nimmt immer weniger Rücksicht auf gewerkschaftliche Belange. Dass ver.di in den Tarifauseinandersetzungen so wenig durchsetzen konnte, hatte sicherlich auch damit zu tun.
Gab es weitere Gründe für den schlechten Tarifabschluss? Im Standortdiskurs ist oft zu hören: Die industriellen Kernbranchen sind nur konkurrenzfähig, wenn sie auf einen Transport- und Logistiksektor mit niedrigem Lohnniveau zurückgreifen können. Auch im Gewerkschaftslager ist diese Einschätzung anzutreffen. Sie könnte zum unbefriedigenden Abschluss des Poststreiks beigetragen haben.
Diskussionsbedarf
Der Ausgang des Poststreiks birgt eine große Gefahr: Zahlreiche PostlerInnen resignieren und fahren ihr (gewerkschafts-) politisches Engagement herunter. Hierdurch verschieben sich die politischen Kräfteverhältnisse weiter zu Gunsten der ökonomisch Mächtigen. Die Entdemokratisierung der Demokratie – thematisiert in sozialwissenschaftlichen Analysen zur »Postdemokratie« – schreitet voran.
Für kritische Gewerkschaftsmitglieder sollte es selbstverständlich sein, gegen postdemokratische Trends anzugehen. Aber ist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft noch die geeignete Plattform dafür? Unter linken KollegInnen ist die Enttäuschung über ver.di so groß, dass mitunter über einen Wechsel zur konkurrierenden DPVKOM nachgedacht wird. Um die Organisations- und Konfliktfähigkeit dieser Beamtenbundgewerkschaft ist es allerdings auch nicht zum Besten bestellt. Mit anderen Worten: Die Mitgliedschaft in der DPVKOM ist keine echte Alternative zum Engagement in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft.
Damit dieses Engagement Früchte trägt, müssen sich die linken PostlerInnen besser regional und bundesweit vernetzen. Und sie müssen bald damit beginnen, den Streik sorgfältig auszuwerten und zu debattieren. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf einige Fragen, die der Freiburger Kollege Werner Siebler in einem Diskussionspapier aufgeworfen hat: Wie kann die innergewerkschaftliche Demokratie verbessert werden? Warum hat ver.di beim Poststreik 2015 auf Urabstimmungen verzichtet? Wie kann der Widerstand in internationalen Konzernen besser koordiniert werden? Was muss in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit verändert werden, damit die GewerkschafterInnen besser auf solche Auseinandersetzungen vorbereitet sind?
Diskussionsbedarf besteht auch, was den »Klassenkampf von oben« angeht. Was sind die Hintergründe für den Managementkurs bei der Deutschen Post? Die ver.di-Spitze neigt zu einer oberflächlich-psychologisierenden Erklärung, indem sie die »nackte Gier« der Konzernführung für das Ende der »heilen Postwelt« verantwortlich macht. Die Erklärungen der Gewerkschaftslinken vermögen aber ebenfalls nicht zu überzeugen. Hier ist es beliebt, auf das »angloamerikanische Finanzkapital« zu zeigen, insbesondere auf den Postaktionär »BlackRock«. Dieser Investmentfonds gilt als Hauptverantwortlicher für den »Klassenkampf von oben«. Aber sähe die aktuelle Postwelt ohne BlackRock tatsächlich sympathischer aus? Das ist zu bezweifeln, denn in der Brief- und Paketbranche herrscht der »ganz normale« Kapitalismus. Und der ruht bekanntlich auf dem systemischen Imperativ der Profitmaximierung. Dieses Profitmaximierungsprinzip entspringt nicht der Gier einzelner Konzernlenker und/oder Investmentfonds, sondern wird durch die kapitalistische Konkurrenz aufgezwungen. Nur wenn sich der Postkonzern am Kampf um die höchsten Profite beteiligt, kann er in der nationalen und internationalen Konkurrenz mithalten. Das macht den zukünftigen Widerstand gegen die Lohnsenkungsstrategien des Gelben Riesen so schwierig, aber auch so wichtig. So wichtig für das Durchkreuzen und Untergraben der sozial und psychisch destruktiven Eigendynamiken kapitalistischen Wirtschaftens.
Geert Naber arbeitet bei der Deutschen Post und ist ver.di-Mitglied.