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„Disziplinarrechtliche Konsequenzen“ bei „extremistischen Bestrebungen“? Berufsverbot gegen Rechte zielt (auch) auf die Linke – nun z.B. in Brandenburg
Dossier
„… Zurzeit wird viel darüber gesprochen und gestritten, ob ein neuer „Radikalenerlass“ eingeführt werden soll – nämlich gegen Rechte. Einen entsprechenden Beschluss haben die Innenminister und Innensenatoren am 18. Oktober 2019 gefasst. (…) Wir Betroffene des sog. „Radikalenerlasses“ vom 28. Januar 1972 lehnen solche Vorstöße ab, und zwar aus ganz konkreter persönlicher und politischer Erfahrung. Wir sind gebrannte Kinder: Wir haben nach 1972 erfahren, dass und wie solche Maßnahmen, die sich angeblich gegen rechts und links richten, sehr bald und dann fast ausschließlich gegen linke Kritiker der herrschenden Verhältnisse angewandt werden. Heute soll – so die Innenminister – geprüft werden, „inwiefern bei extremistischen Bestrebungen disziplinarrechtliche Konsequenzen bis zur Entziehung des Beamtenstatus ermöglicht werden können“. Wie vor Jahren von „Radikalen“, so sprechen die Minister heute ganz allgemein von „Extremisten“, statt von Nazis…“ Aus der Presseerklärung vom 30.10.2019 bei berufsverbote.de – siehe dazu einen weiteren Kommentar, den wir ebenfalls teilen, und erneute Bestrebungen:
- Fortgesetzte Gesinnungsschnüffelei: Erinnerungen an den »Radikalenerlass« werden wach. In Brandenburg wurde ein »Verfassungstreuecheck« verabschiedet
„… Die brandenburgische Landesregierung hat die großen Demonstrationen gegen rechts in diesem Frühjahr für ihre Zwecke genutzt: Nach fünf Jahren Anlauf ließ sie am 26. April 2024 endgültig einen »Verfassungstreuecheck« für Beamtinnen und Beamte vom Landtag verabschieden. Damit gibt es nun 52 Jahre nach dem ersten einen »Radikalenerlass 2.0« – und zwar in der verschärften Form eines Gesetzes. Der Potsdamer »Durchbruch« soll auch Vorreiter für andere Bundesländer werden. Am 20. März hatte die Koalition von CDU, Bündnis 90/Grünen und SPD in Sachsen bereits ein »Gesetz zur Verfassungstreue« durch den Landtag gebracht. Dort erfolgt jetzt bei Einstellungen in den Polizei- und Justizvollzugsdienst eine Prüfung per »Regelabfrage beim Verfassungsschutz«, ob die Betreffenden »auf dem Boden der Verfassung stehen«. (…) Bei früheren Betroffenen von »Radikalenerlass« und Berufsverbot weckt dies Erinnerungen. (…) Die Betroffenen kämpfen bis heute um Rehabilitierung und Entschädigung. In Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Berlin konnten von 2012 bis 2021 zumindest Beschlüsse erreicht werden, in denen die Landesparlamente die Betroffenen um »Entschuldigung« gebeten haben. (…) Die Vorgeschichte des neuen Brandenburger Gesetzes reicht von 1933 bis 1990. Auch das Potsdamer »Radikalengesetz« zielt auf »Extremisten« und angebliche »Verfassungsfeinde«, ein politischer Kampfbegriff, den es rechtlich nicht gibt. Erfunden wurde er in den 1930er Jahren von Kronjuristen der Nazis, die später wie Willi Geiger (…) zum Teil ihr Unheil noch am Bundesverfassungsgericht weiter treiben konnten. Die Grundlagen der Berufsverbote liegen im bundesdeutschen Beamtenrecht und der darin enthaltenen »Treuepflicht«. Danach darf im Staatsdienst nur beschäftigt werden, wer die sogenannte Gewährbieteklausel erfüllt, »jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten« – wobei die Beweislast bei den Beschäftigten liegt. Die Wurzeln der Formulierung sind braun und fast wörtlich aus dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 übernommen. Bei den Nazis mussten »Staatsdiener die Gewähr bieten, jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten«. Schon fünf Jahre nach der Befreiung vom Faschismus erging in der Bundesrepublik im September 1950 der »Adenauer-Erlass«, die Säuberung des öffentlichen Dienstes von Kommunistinnen und Kommunisten sowie Antifaschistinnen und Antifaschisten. (…) Der »Vater« des »Verfassungstreuechecks«, Innenminister Michael Stübgen (CDU), ist 2024 gleichzeitig Vorsitzender der Innenministerkonferenz. (…) Im März 2024 wurde der Entwurf kurzfristig durch einen »Ergänzungsantrag« mit drastischen Verschärfungen auch im Disziplinarrecht des Landes erweitert. (…) Danach können Bundesbehörden seit dem 1. April 2024 sämtliche Disziplinarmaßnahmen, einschließlich Zurückstufung, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und Aberkennung des Ruhegehalts, durch bloße »Disziplinarverfügung« vornehmen. Bisher musste der jeweilige »Dienstherr« Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht erheben und ein entsprechendes Urteil ergangen sein. (…) Die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verbände wie DGB, Beamtenbund, Richterbund und Städtetag hatten ihren Widerstand gegen den ursprünglichen »Verfassungstreuecheck« bei Einstellungen schon einige Zeit zuvor aufgegeben. Nun wurden sie zu den nachgeschobenen Verschärfungen im Landesdisziplinargesetz nicht einmal angehört und durften nur noch schriftlich Stellung nehmen. Am Tag vor der Landtagssitzung platzte den Gewerkschaften der Kragen. In einer Art Brandbrief teilten DGB, GEW, Verdi, GdP und DBB den Abgeordneten mit: »Die Gewerkschaften im DGB sowie DBB kritisieren scharf die Art und Weise des Einbringens dieser erheblichen Änderungen im Disziplinarrecht im sogenannten Omnibusverfahren (Huckepackgesetz). Mit der Zurückstufung bzw. Entfernung aus dem Beamtenverhältnis per Disziplinarverfügung wird der Schutz der Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten vor politisch geprägten Einflussnahmen auf ihr Handeln geschwächt. Eine Änderung des Disziplinarrechts sollte einem demokratisch geführten Verfahren unter Einbeziehung von Verwaltung und Gewerkschaften vorbehalten bleiben.« Die Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg sagte der Presse am 24. April: So »verkommt parlamentarische Partizipation zum Feigenblatt«. (…) Die offizielle Sprachregelung, gegen wen sich das neue »Radikalengesetz« und drohende Kopien in anderen Bundesländern richtet, lautet: »gegen Extremisten jeglicher Couleur« und »Verfassungsfeinde«. Stübgen, Strobl, Faeser und Co. lassen dabei keine Gelegenheit aus, davor zu warnen, sich »nur auf ›Rechtsextremisten‹ zu konzentrieren« und den »Linksextremismus zu unterschätzen«. (…) Betroffene des früheren »Radikalenerlasses« verweisen auf die damalige Praxis. Auch nach der zitierten Studie in Baden-Württemberg sei der Erlass zu über 95 Prozent gegen Linke angewandt worden. Heute seien Proteste gegen Aufrüstung und Kriege, gegen die Klimakatastrophe, den Abbau von Meinungsfreiheit, sozialen Rechten und Leistungen öffentlich längst mit dem Stempel »verfassungsfeindlich« und »gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet« versehen, so die Initiativen gegen Berufsverbote. (…) An der Universität Hamburg fand am 30. Mai 2024 im »Geomatikum« eine Veranstaltung mit 130 Teilnehmenden statt. (…) Benjamin Ruß und Luca S. berichteten im überfüllten Hörsaal über die aktuell in Bayern und Hessen gegen sie verhängten Berufsverbote. In die Debatte miteinbezogen wurden auch der Brandenburger »Verfassungstreuecheck« und drohende »Radikalengesetze« in weiteren Bundesländern.“ Artikel von Martin Hornung in der jungen Welt vom 8. Juni 2024 - Radikalenerlass 2.0? Brandenburg und Sachsen überprüfen Beamtinnen und Beamte wieder auf ihre Treue zum Grundgesetz. Das weckt ungute Erinnerungen.
„Nach Veröffentlichung im Brandenburger Amtsblatt kann der Radikalenerlass ab September nach über 52 Jahren wieder fröhliche Urständ feiern – und dies in verschärfter Form als Gesetz. Die SPD/CDU/Grüne-Koalitionsmehrheit in Brandenburg hat die großen Demonstrationen gegen rechts in diesem Frühjahr für ihre Zwecke genutzt: Nach fünf Jahren Anlauf ließ sie, passend zum bevorstehenden 75. Jahrestag des Grundgesetzes am 22. Mai, am 26. April 2024 einen sogenannten „Verfassungstreue-Check“ für Beamtinnen und Beamte endgültig verabschieden. Zuvor hatte die Koalition von CDU/Grüne/SPD in Sachsen am 20. März ein „Gesetz zur Verfassungstreue“ durch den Landtag gebracht. Dort erfolgt jetzt bei Einstellungen in den Polizei- und Justizvollzugsdienst eine Prüfung per „Regelabfrage beim Verfassungsschutz“, ob die Betreffenden „auf dem Boden der Verfassung stehen“. Bei früheren von Radikalenerlass und Berufsverbot Betroffenen weckt das Erinnerungen. (…) Die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verbände wie DGB, Beamtenbund, Richterbund, Städtetag hatten zur nachgeschobenen Verschärfung der Disziplinarordnung zuvor nur noch schriftlich Stellung nehmen dürfen. Am Tag vor der Landtagssitzung platzte den Gewerkschaften der Kragen. In einer gemeinsamen Stellungnahme teilten DGB, GEW, Verdi, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Deutsche Beamtenbund (DBB) am 23. April mit: „Die Gewerkschaften im DGB sowie DBB kritisieren scharf die Art und Weise des Einbringens dieser erheblichen Änderungen im Disziplinarrecht im sogenannten Omnibusverfahren (Huckepackgesetz). Mit der Zurückstufung bzw. Entfernung aus dem Beamtenverhältnis per Disziplinarverfügung wird der Schutz der Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten vor politisch geprägten Einflussnahmen auf ihr Handeln geschwächt. Eine Änderung des Disziplinarrechts sollte einem demokratisch geführten Verfahren unter Einbeziehung von Verwaltung und Gewerkschaften vorbehalten bleiben.“ Die Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg sagte der Presse am 24. April: So „verkommt parlamentarische Partizipation zum Feigenblatt“. (…) Es bleibt vor allem die Frage, gegen wen sich das alles tatsächlich richten soll. Die offizielle Sprachregelung ist klar: „Gegen Extremisten jeglicher Couleur“ und „Verfassungsfeinde“. Stübgen, Strobl und Co. lassen dabei bekanntlich keine Gelegenheit aus, davor zu warnen, sich „nur auf ‚Rechtsextremisten‘ zu konzentrieren“ und den „Linksextremismus zu unterschätzen“. (…) Betroffene des früheren Radikalenerlasses verweisen auch auf die Praxis der 1970er- und 1980er-Jahre: Er sei zu über 95 Prozent gegen Linke angewandt worden. Heute seien Proteste gegen Aufrüstung und Kriege, Klimakatastrophe, Abbau von Meinungsfreiheit sowie sozialen Rechten und Leistungen schnell mit dem Stempel „verfassungsfeindlich“ und „gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet“ versehen. Die Website berufsverbote.de stellt fest: „Niemand sollte sich von anlassbezogener Rhetorik täuschen lassen: Der Feind steht … für die Herrschenden und ihren Inlandsgeheimdienst immer links. Hier wird wieder ein Instrumentarium geschmiedet, das sich – wie damals – um Grundnormen des Arbeitsrechts einen Dreck schert, alle Aufarbeitungen und internationalen Verurteilungen und Abmahnungen ignoriert, und schneller, als wir schauen können, sich gegen ganz andere richten wird als die, gegen die heute die Menschen auf die Straße gehen.“ Artikel von Martin Hornung in Kontext: Wochenzeitschrift Ausgabe 683 vom 1. Mai 2024 - Neues Disziplinarrecht ab 1. April: Rassisten sollen raus aus dem Staatsdienst
„Richter mit AfD-Parteibüchern, Beamte auf Pegida-Demos, Polizisten in rechtsextremen Chats – die Liste von Staatsbediensteten, die rechtsextrem aufgefallen sind, wird immer länger. Ab sofort gilt ein strengeres Disziplinarrecht. Innenministerin Faeser fordert: Gesetz nutzen!
Verfassungsfeinde können mit Inkrafttreten einer Reform des Disziplinarrechts zum 1. April leichter aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden. Darauf wies das Bundesinnenministerium hin. „Das gilt es nun konsequent durchzusetzen. Denn wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser laut einer Mitteilung . „Wir lassen nicht zu, dass unser demokratischer Rechtsstaat von innen heraus von Extremisten angegriffen wird.“ Der Bundestag hatte die Reform des Bundesdisziplinargesetzes im November beschlossen. Disziplinarverfahren gegen Bundesbeamte sollen damit künftig einfacher und schneller möglich werden. So sollen Maßnahmen gegen Beamte und Richter künftig per sogenannter Disziplinarverfügung der zuständigen Behörde durchsetzbar sein – etwa die Entfernung aus dem Dienstverhältnis oder die Aberkennung des Ruhegehalts. Das soll den Behörden langwierige Disziplinarklagen vor Verwaltungsgerichten ersparen. Zudem ist vorgesehen, dass eine Verurteilung wegen Volksverhetzung bei einer Freiheitsstrafe ab sechs Monaten zum Verlust der Beamtenrechte führt. Mit dem neuen Gesetz wurden außerdem die Anforderungen zur Verfassungstreue für Beamte im einstweiligen Ruhestand verschärft. Politische Beamte müssen sich künftig während des Ruhestands anders als bisher durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen…“ Meldung vom 02.04.2024 im Migazin - Anti-AfD-Proteste sollen neuen „Radikalenerlass“ in Gesetzesform rechtfertigen
„Das Recherche-Netzwerk Correctiv (laut Wikipedia von diversen Unternehmens-Stiftungen und auch der öffentlichen Hand finanziert) machte Anfang 2024 eine Zusammenkunft von „hochrangigen AfD-Politikern, Neonazis und finanzstarken Unternehmern“ im November 2023 in einem Hotel bei Potsdam bekannt, bei dem „nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“ erörtert wurde. Seitdem gehen weitaus mehr Menschen als bei früheren Anti-AfD-Protesten in vielen Städten in berechtigter Empörung auf die Straße. (…) „Schulterschluss gegen Verfassungsfeinde“ überschrieb die Stuttgarter Zeitung vom 27.02.2024 ihren Bericht, wie im Beisein des Bundespräsidenten und der Chefs großer Industrieunternehmen „ein Bündnis gegen radikale und extremistische Kräfte“ verkündet wurde. In diesem Mainstream-Wind „Alle gegen rechts“ holen nun auch die Regierungsparteien in Brandenburg – SPD, CDU, GRÜNE – zum großen Schlag aus, um ihre Pläne eines „Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes des Berufsbeamtentums vor Verfassungsgegnern“ in drastisch verschärfter Form endlich durchzuziehen. (…) Tagesschau vom 08.03.2024 „Mehr als 4.000 Extremisten sind den Brandenburger Behörden bekannt, darunter Reichsbürger, Islamisten und Linksextremisten. Die größte Gruppe ist laut Verfassungsschutz die der Rechtsextremisten mit mehr als 2.000.“ Am 08.03.2024 war von den Regierungsparteien ein Änderungsentwurf zum brandenburgischen „Verfassungsschutz“-Gesetz nachgereicht worden. Es wird kaum noch ein Hehl daraus gemacht und niemand sollte sich von anlassbezogener Rhetorik täuschen lassen: Der Feind steht – wie schon beim „Radikalenerlass“ von 1972 – für die Herrschenden und ihren Inlandsgeheimdienst immer links. Hier wird wieder ein Instrumentarium geschmiedet, das sich – wie damals – um Grundnormen des Arbeitsrechts einen Dreck schert, alle Aufarbeitungen und internationalen Verurteilungen und Abmahnungen ignoriert, und schneller, als wir schauen können, gegen ganz andere richten wird als die, gegen die heute die Menschen auf die Straße gehen.“ Pressemitteilung vom 5. März 2024 von berufsverbote.de zu deren 5-seitigen Zusammenfassung und Analyse des Gesetzesvorhabens vom 18. März 2024- Siehe zum genannten Hintergrund unser Dossier: Proteste gegen die AfD nach der Correctiv-Recherche über rechte Deportationspläne: Ist Antifaschismus wieder „in“ oder wird er zum Feigenblatt der übrigen Parteien?
- Brandenburg: Verfassungstreue angehender Beamten wird geprüft – kein Radikalenerlass – oder nur ein wenig
- Brandenburg: Verfassungstreue angehender Beamten wird geprüft
„Künftig sollen angehende Beamte vor der Aufnahme in den Staatsdienst auf ihre Verfassungstreue geprüft werden. Die Pläne der Koalition nehmen auch bereits Verbeamtete in den Blick. (…) Diese Massenüberprüfung öffentlich zugänglicher Quellen solle alle angehenden Beamten betreffen. Die Abfrage über mögliche Erkenntnisse des Verfassungsschutzes sei in dieser Form einmalig in Deutschland, ergänzte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Benjamin Raschke. Der Vorschlag der Koalition soll im April im Landtag beschlossen werden…“ Meldung vom 06.03.202 im Migazin - Kein Radikalenerlass – oder nur ein wenig: Koalitionsfraktionen SPD, CDU und Grüne verständigen sich auf »Maßnahmen gegen Extremismus«
„Wer in Brandenburg Beamter werden will, muss sich künftig eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz und eine Überprüfung durch diesen Geheimdienst gefallen lassen. Zu den Maßnahmen, auf die sich SPD, CDU und Grüne verständigt haben, gehört auch das Aufdecken von Finanzströmen in extremistischen Organisationen. Richter sind aber vom Verfassungstreue-Check ausgenommen. Eingriffe in Grundrechte und Radikalenerlasse sind nach Ansicht der oppositionellen Linken kaum geeignet, den Rechtsextremismus wirksam zurückzudrängen. »Mein Vertrauen in den Verfassungsschutz geht gegen null«, bekannte Linksfraktionschef Sebastian Walter am Dienstag. 18 zusätzliche Personalstellen für den Geheimdienst »kann man sich aus meiner Sicht sparen«. Wo immer bestürzende Dinge ans Tageslicht gelangten, habe es weniger mit dem Verfassungsschutz zu tun gehabt und mehr mit investigativ recherchierenden Journalisten. Könnte der ehemalige Bundestagsabgeordnete Norbert Müller (Linke) als Mitglied der Roten Hilfe nun noch als Lehrer in Brandenburg verbeamtet werden? Diese Frage beantwortete SPD-Fraktionschef Daniel Keller so: Er wolle Müller nichts unterstellen, doch nun seien ein systematisches Verfahren und eine Rechtsgrundlage der Überprüfung geschaffen worden. »Liegt etwas vor: Nein! Wenn nichts vorliegt: Ja.« Ob jemand Beamter werden könne, »macht sich an den Taten fest«. Wer den Rechtsstaat unterwandern wolle, habe mit »null Toleranz« zu rechnen, unterstrich Keller. Die neue Rechtslage sichere ab, dass Beamte, »die auf die Verfassung schwören, mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen«. Brandenburg gehe da durchaus andere Wege als andere Bundesländer. Die Situation sei noch nie so gefährlich gewesen wie heute, sagte CDU-Fraktionschef Jan Redmann. Er sprach von rund 4000 Extremisten in Brandenburg, von »Reichsbürgern, Selbstverwaltern, Linksextremisten und Islamisten«. Die weitaus größte Gefahr seien aber die mehr als 2000 Rechtsextremisten. Die neuen Bestimmungen seien nicht nur gegen Bewerber, sondern auch gegen Beamte und Wahlbeamte einsetzbar, wenn sie sich eines Verstoßes gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung schuldig machen. Die Kritik der Linken befremde ihn, sagte Redmann. »Wer es mit der Demokratie ernst meint, muss das Anliegen unterstützen.« Wenn Fraktionschef Walter das ablehne, dann weil seine Partei die Linksextremen zu ihren Anhängern zähle. (…) Von einem »Maßnahmenpaket, das bundesweit seinesgleichen sucht«, sprach Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke. Bürgerrechte bleiben ihm zufolge gewahrt, denn der Landtag überprüfe in Abständen die Wirkungen des Gesetzes und behalte sich Nachsteuerungen vor. Außerdem würden die von solchen Maßnahmen Betroffenen informiert, um sich gegebenenfalls dagegen zur Wehr setzen zu können.“ Artikel von Matthias Krauß vom 5. März 2024 in Neues Deutschland online
- Brandenburg: Verfassungstreue angehender Beamten wird geprüft
- 90 Jahre „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 – Berufsverbotsbetroffene warnen vor dem Fortleben einer unseligen Tradition und neuen Gefahren für die Demokratie
„Am 7. April 1933 erließen die Nazis das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs-beamtentums“. Von dort führte der Weg über den Adenauer-Erlass 1950, das KPD-Verbot 1956, den „Radikalenerlass“ 1972 bis zum aktuellen Faeser-Gesetzentwurf 2023 („Beschleunigung des Disziplinarrechts“). Alle haben gemeinsam, dass sie Mittel zum Zweck sind, politisch nicht genehme Personen (möglichst frühzeitig) aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen bzw. nicht einzustellen. Das von den Nazis erlassene Gesetz war das erste große Säuberungsgesetz, das die neuen Machthaber durchsetzten. Den Kern stellte § 4 dar, der besagte, dass Beamte nicht im Staatsdienst zu dulden seien, „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“.
Der „Radikalenerlass“ vom 28. Januar 1972 übernimmt diese Formulierung fast wörtlich: Beamter dürfe nur werden, „wer die Gewähr bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Er richtete sind offiziell „gegen rechte und linke Radikale“. Tatsächlich wurde er aber fast ausschließlich gegen Linke angewandt.
In dem „jederzeit Gewähr-Bieten“ steckt eine Gesinnungsprognose, die nicht auf belegbare Taten abhebt, sondern auf eine innere Haltung abzielt, aus der vielleicht irgendwann entsprechende Taten erwachsen könnten. Gleichzeitig wird damit eine Beweislastumkehr vorgenommen: Es sollen bereits „Zweifel“ des Dienstherrn ausreichen, ohne dass dieser einen Beweis für verfassungswidriges Handeln Handeln antreten muss. Beide Prinzipien sind mit einem demokratischen Rechtsstaat unvereinbar!
Nicht nur politisch, auch personell sind das Gesetz von 1933 und der „Radikalenerlass“ von 1972 eng miteinander verquickt (…)
Aktuell versucht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), über das Disziplinarrecht „Verfassungsfeinde deutlich schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst“ zu entfernen. Auch sie will damit ausdrücklich die Beweislastumkehrung erreichen. Die Uhr soll also wieder in die 1970er Jahre zurückgedreht werden. Bisher konnte nur ein Verwaltungsgericht die Entlassung aus dem Dienst verfügen, künftig soll dies der Dienstherr durch einfachen Verwaltungsakt vornehmen können. Ministerin Faeser spricht zwar von einem „Vorgehen gegen rechts“. Im Entwurf wird jedoch im Sinne der Hufeisentheorie (links = rechts) lediglich der Begriff „Extremisten“ verwendet. (…)
Der DGB hat sich in seiner Stellungnahme vom 8. Februar 2023 gegen die „Abschaffung der Disziplinarklage und deren Ersetzung durch die Disziplinarverfügung für sämtliche Disziplinarmaßnahmen“ ausgesprochen. Er sieht insgesamt die „Anforderungen an ein unparteiisches, die Fairness sicherndes Verfahren nicht gewährleistet und lehnt die Änderung (des Disziplinarrechts) entschieden ab“.
Für uns als Betroffene des Radikalenerlasses von 1972 ist der 90. Jahrestag des Nazigesetzes Anlass, zum wiederholten Male darauf hinzuweisen, dass die damalige Berufsverbotspraxis allen Betroffenen gegenüber ein Unrecht war. Schon 1987 kam die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), eine Sonderkommission der UNO, zu dem Ergebnis, dass mit der Gesinnungsprognose gegen Grundnormen des internationalen Arbeitsrechtes verstoßen wurde. Und 1995 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Rechte auf Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit nicht verletzt werden dürften.“ Aus der Pressemitteilung vom 20.3.2023 vom Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte – demnächst auf deren Homepage - »Verfassungstreuecheck«: Gesinnungstest für öffentlichen Dienst. Die Potsdamer Kenia-Koalition plant eine neue Regelanfrage beim Verfassungsschutz für angehende Beamte
„Es ist schon ein bemerkenswertes Beispiel für Geschichtsvergessenheit: Brandenburgs Kenia-Koalition forciert die Einführung eines »Verfassungstreue-Checks« für zukünftige Lehrer, Polizisten, Richter und Staatsanwälte zu einem Zeitpunkt, wo sich zum 51. Mal die Verabschiedung des »Radikalenerlasses« in der BRD jährt. Während in Niedersachsen eine Landesbeauftragte die negativen Folgen des Erlasses analysiert und eine Rehabilitierung der Opfer auf den Weg gebracht wird und sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) bei den Opfern jenes Erlasses entschuldigt, brüstet sich Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) mit dem Aufguss eines »Extremistenbeschlusses« von 1972 für Brandenburg. Dabei waren die Auswirkungen des Erlasses, der treffend als ideologische Schleppnetzfahndung charakterisiert wurde, fatal. (…) Der »Radikalenerlass« und die auf ihm fußenden Berufsverbote beschädigten die Demokratie nachhaltig. Die Berufsverbotspraxis verstieß gegen Grundnormen des internationalen Arbeitsrechts. Zu diesem Ergebnis kam 1987 die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), eine Sonderorganisation der Uno. Ein zentraler Kritikpunkt war die in den Verfahren praktizierte Prognose der Verfassungstreue. Als Grundlage für die Ablehnung einer Bewerbung oder für eine Entlassung diente nicht etwa ein konkretes Fehlverhalten. Vielmehr wurde von legalen politischen Aktivitäten und der echten oder vermeintlichen Gesinnung des Kandidaten, abgeleitet aus nicht überprüfbaren Geheimdiensterkenntnissen, auf künftiges Fehlverhalten geschlossen. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das wenig zu tun. 1995 urteilte der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall einer aufgrund ihrer bloßen Mitgliedschaft in der DKP mit Berufsverbot belegten Lehrerin, dass ihr Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit verletzt wurde. (…) Wenn man die Äußerungen Stübgens zu den gewaltlosen Aktionen der Klimaaktivisten, die für ihn hart zu bestrafende »Extremisten« sind, oder zur Roten Hilfe liest, schwant einem nichts Gutes, die Auslegung des Gesetzes betreffend. Nach dem Brandenburger Entwurf sind Voraussetzungen für eine Nichteinstellung in den öffentlichen Dienst unter anderem die Teilnahme an »einschlägigen Veranstaltungen« oder die Zugehörigkeit zu »Beobachtungsobjekten« des Verfassungsschutzes. Danach könnte der Autor dieser Zeilen, der schon für die »junge Welt«, für »nd« und die »Marxistischen Blätter« geschrieben hat und Mitglied der VVN-BdA war – seine Urgroßmutter und sein Großvater wurden von den Nazis in Konzentrationslager verschleppt – wohl nicht im öffentlichen Dienst Brandenburgs arbeiten. (…) Für eine funktionierende Demokratie ist pauschales Misstrauen nicht angemessen. Erforderlich sind konkrete Einzelfallprüfungen und eine konsequente Anwendung des Dienstrechts, um zu verhindern, dass Neonazis sich in den Schulen, in der Justiz und in der Polizei einrichten. Zudem müssen die strukturellen Ursachen für einen Rechtsextremismus in Teilen der Polizei erkannt und ausgeräumt werden. Das wäre für den Innenminister ein lohnendes Projekt. Einen neuen »Radikalenerlass« braucht es nicht.“ Artikel von Volkmar Schöneburg vom 21. Februar 2023 in Neues Deutschland online - “Kampf gegen Rechts” als Vorwand um gegen linke Lehrer:innen vorzugehen
„Die Innenministerin Nancy Faeser kündigte am Samstag an, dass Beamt:innen, die gegen die Verfassung verstoßen, zukünftig per Verwaltungsakt aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden können. Das geschieht nach dem Auffliegen eines rechten Terrornetzwerks von Reichbürgern, die einen Staatsstreich geplant hatten. Aber werden diese Verschärfungen tatsächlich vor allem gegen Faschist:innen eingesetzt werden? (…) Im Gegensatz zu anderen verbeamteten Berufsgruppen könnte die Änderung besonders für Lehrkräfte eine Verschärfung darstellen. Während viele Beamt:innen nicht gezwungen sind, ihre politischen Ansichten täglich offenzulegen, spielt politische Bildung im Alltag von Lehrkräften eine besondere Rolle – egal welches Fach sie unterrichten. (…) Dabei ist der sogenannte „Beutelsbacher Konsens“, dessen Interpretation auf der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ basiert, der politische Leitfaden, nach dem Lehrkräfte ihr Handeln ausrichten müssen. Er soll einen Schutz der politischen Bildung vor politischer Instrumentalisierung bieten. Doch spielt dies natürlicherweise vor allem konservativen und rechten Positionen in die Hände. Denn der deutsche Staat, der die Funktion hat, die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu erhalten, wird zwar als ‚neutrale‘ Institution dargestellt, nutzt seinen Einfluss aber eben sehr wohl zur “politischen Instrumentalisierung” und der Durchsetzung bürgerlicher oder auch rückschrittlicher Ideen. Denn dies sind nun mal die Standpunkte, welche die kapitalistische Wirtschaftsordnung als Grundlage der deutschen Verfassung erhalten wollen. (…) Das zeigte sich bereits historisch an einer Welle von Berufsverboten, welche in den 70er Jahren im wesentlichen linke Menschen traf. Auch wenn es durch aus geschehen kann, dass einzelne Lehrer:innen mit offener Nazi-Gesinnung es in Zukunft schwerer haben werden, sollten wir damit rechnen, dass vor allem Beamt:innen, die linke und sozialistische Positionen vertreten, von der Repression betroffen sein werden und der „Kampf gegen Rechts“ mal wieder nur als Vorwand dient…“ Kommentar von Gillian Norman vom 12. Dezember 2022 bei Perspektive online - Radikalengesetz-Anhörung im Innenausschuss des Brandenburger Landtages: Druck auf „Verfassungstreue-Checker“ „Am 30. November fand im Innenausschuss des Landtags in Potsdam die zweite Anhörung von neun „Verfahrensbeteiligten“ zum sogenannten „Verfassungstreuecheck“-Gesetzentwurf mit Regelanfrage beim Inlandsgeheimdienst statt. Die geänderte Fassung war am 15. September in erster Lesung durch den Landtag gegangen und in den Ausschuss überwiesen worden. Die Anhörung ging über vier Stunden und war im Internet zu verfolgen. Die Vertretungen von Städte- und Gemeindetag, Landkreistag, Deutschem Beamtenbund (dbb/Tarifunion) hielten sich kurz und sahen keine grundsätzlichen Einwände, überraschend auch die Landesdatenschutzbeauftragte. Bedenken gab es von Seiten des Deutschen Richterbundes Brandenburg: Ein Gesetz mit Regelanfrage zur Überprüfung der Verfassungstreue bei Bewerbungen sei das „falsche Signal“, „Generalverdacht“ unangebracht. Die Behörden könnten sich in Vorbereitungsdienst und Probezeit ein Bild über die Eignung Beschäftigter machen. Rechtsanwalt Roland Hartwig, bis 2021 für die AfD Bundestagsabgeordneter, sprach sich aus Eigen- und Parteiinteresse gegen das Gesetz aus. (…) Benjamin Rusteberg, Lehrbeauftragter für öffentliches Recht an der Ruhr-Universität Bochum, war gegen eine Verabschiedung des Gesetzes. Er verwies auf die demokratieschädlichen Erfahrungen aus der Adenauerzeit und mit dem Radikalenerlass der 1970er/1980er Jahre, die im kollektiven Gedächtnis geblieben seien. Die Rolle des Verfassungsschutzes habe sich beim NSU-Skandal und dem Mord an Walter Lübcke gezeigt. Dass der Geheimdienst entscheide, was an „Erkenntnissen“ an die Einstellungsbehörden weitergegeben werde und die Deutungshoheit habe, wer als sogenannter „Verfassungsfeind“ gelte, sei nicht akzeptabel. Jerzy Montag, Rechtsanwalt, Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof und Mitglied der Grünen, erinnerte ebenfalls an die negativen Wirkungen des Radikalenerlasses. (…) Ob aber Abgeordnete von CDU, SPD und BVB/Freien Wählern von der angekündigten Zustimmung ihrer Parteien abrücken, ist fraglich. Während von einem Nein der Linken auszugehen sein dürfte, war dies der Stellungnahme der Grünen-Vertreterin Marie Schäffer erneut eher nicht zu entnehmen…“ Artikel von Martin Hornung in der UZ vom 9. Dezember 2022
- Brandenburgische Landesregierung bringt „Verfassungstreue-Check“ und neue Regelanfrage auf den Weg – Radikalenerlass-Betroffene protestieren gegen erneute Aushebelung der Grundrechte
„Die rot-schwarz-grüne Landesregierung in Potsdam hat am 30. August mit den Stimmen aller Ministerien die Wiedereinführung der Regelanfrage beim „Verfassungsschutz“ beschlossen. In den kommenden Wochen soll der Gesetzentwurf im Landtag abgestimmt werden. Damit drohen ein Dammbruch und eine neue Welle von Berufsverboten wie in der Folge des Radikalenerlasses von 1972. In der BRD kam es damals offiziell zu 3,5 Millionen Regelanfragen beim „Verfassungsschutz“, mindestens 11.000 Verfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, über 1.250 Ablehnungen von Bewerberinnen und Bewerbern sowie 265 Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst. Betroffen waren fast ausschließlich Linke, gegen Rechte wurde der Radikalenerlass faktisch nicht angewendet. Dass die Berufsverbote-Politik der Demokratie schweren Schaden zugefügt und zu Einschüchterung und Duckmäusertum insbesondere bei kritischen jungen Menschen geführt hat, ist heute unstrittig. Wir sind empört, dass die Landesregierung Brandenburg ausgerechnet im 50. Jahr nach der Verabschiedung des Radikalenerlasses erneut zu Einschüchterung und politischer Verfolgung greifen will. Ausdrücklich nimmt sie in ihrer juristischen Begründung Bezug auf die umstrittene „Gewährbieteklausel“ in den deutschen Beamtengesetzen. Sie ist dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ der Nazis von 1933 entnommen. Darin hieß es, aus dem Staatsdienst sei fernzuhalten, wer „nicht Gewähr bietet, jederzeit rückhaltlos einzutreten für den nationalen Staat.“ In den Beamtengesetzen der BRD wurde der „nationale Staat“ durch die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ ersetzt. Die Beweislastumkehr und die vorzunehmende „Gesinnungsprognose“ sind geblieben.
Auch die Landesregierung schreibt in der Begründung ihres Gesetzesvorhabens wörtlich: „Der Nachweis einer verfassungsfeindlichen Betätigung ist nicht erforderlich. Bei der Prüfung dieser Gewähr handelt es sich um eine einzelfallbezogene Prognose, bei der der einstellenden Behörde ein Beurteilungsspielraum zusteht.“
Die Regierungskoalition schämt sich nicht, zur Begründung den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1975 zu zitieren, der maßgeblich vom ehemaligen SA-Rottenführer, NS-Juristen und späteren Verfassungsrichter Willi Geiger formuliert wurde. Darin heißt es in unverkennbarer Diktion: „Die Treuepflicht fordert mithin mehr als nur eine formal korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung.“…“ Pressemitteilung vom 1.9.2022 vom Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte - Deckmantel für Berufsverbote: Brandenburg: Innenminister und Cottbuser Oberbürgermeister legen neues »Strategiepapier« vor
„Zivile Initiativen an den Geheimdienst anbinden und Anwärter in den Behörden routinemäßig durchleuchten: Brandenburgs Regierung hat ihre neuesten Vorstöße unter dem Deckmantel des Kampfes gegen rechts präsentiert. Innenminister Michael Stübgen (CDU) will demnach Initiativen nicht nur miteinander vernetzen helfen. Auch der Verfassungsschutz soll sie künftig mit »Informationen« versorgen, wie Stübgen am Freitag im RBB-Inforadio sagte. »Wir müssen einen gesellschaftlichen Widerstand verstärken gegen diese wachsende extremistische Szene«, erklärte der CDU-Politiker. Später stellten Stübgen und der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (ebenfalls CDU) gemeinsam ihr Konzept im Kampf gegen »Rechtsextremismus« vor. Darin ist ein »Verfassungstreuecheck« für Beamte in Brandenburg vorgesehen. Dieser soll in der kommenden Woche im Kabinett der Regierung von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen beraten werden. Mit dem Gesetz soll der Inlandsgeheimdienst vor Einstellung eines Beamten durch das Land künftig prüfen, ob es Zweifel am Eintreten des Anwärters für die »freiheitliche demokratische Grundordnung« gibt – womit Erinnerungen an die berüchtigte Berufsverbotepraxis der BRD und Westberlins wach werden. Das Konzept wurde in Zusammenarbeit mit Polizei, Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz und der Stadt Cottbus erarbeitet. Der »Verfassungstreuecheck« muss dann auch noch im Potsdamer Landtag beraten werden. Laut Stübgen besteht er aus zwei Punkten. Einmal werden Menschen vor ihrer Beamtenlaufbahn überprüft. Überprüfungen sollen aber auch bei bestimmten Auffälligkeiten stattfinden können. In der Vergangenheit hatte es in Brandenburg Fälle extrem rechter Umtriebe unter Beamten gegeben. Laut Stübgen seien es einmal ein Richter und einmal ein Lehrer gewesen, aber auch unter Polizisten habe es solche Fälle gegeben. »Wir gehen in dieser Frage rigoros vor«, behauptete der Innenminister. Doch nicht alle Koalitionspartner scheinen bei dem Vorhaben pauschal an Bord zu sein. So hatte sich zum Beispiel Grünen-Landeschefin Julia Schmidt grundsätzlich skeptisch gegenüber dem Instrument gezeigt, aber auch offen für eine Beratung darüber.“ Meldung in der Jungen Welt vom 2. Juli 2022 - [Brandenburg ist Vorreiter] Ein neuer Radikalenerlass?
„Berufsverbot AfD-Rechtsaußen Jens Maier als Richter, Björn Höcke als Lehrer: Soll der Staat beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor er jemanden verbeamtet? Am weitesten sind die Pläne dazu in Brandenburg. Doch gerade alte Linke warnen
Soll ein AfD-Politiker, noch dazu vom äußersten rechten Rand der Partei, weiter als Richter arbeiten dürfen? Und sollen Rechtsradikale wie Björn Höcke Lehrer werden und bleiben dürfen? Wie können rechte Netzwerke bei der Polizei verhindert werden? Diese Fragen beschäftigen Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen. Der CDU-Politiker möchte verhindern, dass Reichsbürger, Neonazis und andere Rechtsextreme überhaupt in den Staatsdienst kommen können. Helfen soll ein sogenannter Verfassungstreue-Check: Bei Beamtenanwärtern soll in Zukunft die jeweilige Dienststelle beim Verfassungsschutz nachfragen, ob der Bewerber auffällig geworden ist. Eine solche Regelanfrage gibt es in einigen Bundesländern bereits für Polizisten und Richter. Stübgens Plan geht aber über bisherige Regelungen hinaus: Es sei seine persönliche Überzeugung, dass nicht etwa nur Polizisten überprüft werden sollen, sondern alle potenziellen Beamten, explizit auch Lehrer, sagt er im Gespräch mit dem ARD-Magazin Panorama. Eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz für Beamtenanwärter – gab es das nicht schon einmal in der Bundesrepublik? (…)
50 Jahre nach dem Radikalenerlass beginnt langsam die Aufarbeitung: Als erstes Bundesland hat Niedersachsen 2016 eine Landesbeauftragte eingesetzt. Der Landtag stellte fest, „dass politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen“. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Was eigentlich längst zu den Akten gelegt wurde, soll nun wiederkommen.
Brandenburgs Innenminister Stübgen hält nichts von Vergleichen seiner Pläne mit dem Radikalenerlass. „Ganz entscheidend ist, dass es damals Erlasse waren. Es war kein Gesetz – und genau diesen Fehler will ich nicht machen“. Außerdem gebe es heute viel genauere und strengere Bestimmungen, was ein Verfassungsschutz dürfe und was nicht. Ein Gesetzesentwurf liegt zwar noch nicht vor, doch darin enthalten soll auf jeden Fall die Regelanfrage beim Verfassungsschutz sein, sagt Stübgen in Panorama. Das heißt: Formal soll es dieses Mal ein Gesetz geben, inhaltlich aber wäre das Herzstück damals wie heute die Regelanfrage.
Brandenburg ist Vorreiter in der Sache, steht aber nicht alleine da. Auch auf Bundesebene wolle man laut Koalitionsvertrag dafür sorgen, „dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können“. Zudem soll durch Sicherheitsüberprüfungen die „Resilienz der Sicherheitsbehörden gegen demokratiefeindliche Einflüsse“ gestärkt werden. Konkreter wird es bereits in Sachsen: Das sächsische Innenministerium möchte laut seinem kürzlich veröffentlichten „Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus“ die Möglichkeiten eruieren, bei Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst die Verfassungstreue zu überprüfen. (…)
Von links ist zu der Möglichkeit eines neuen Radikalenerlasses bislang wenig zu hören, von einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag abgesehen. Zwar gab es rund um den 50. Jahrestag einige Berichterstattung, der Bezug zu aktuellen Debatten wurde aber, wenn überhaupt, nur am Rande hergestellt. Wer möchte schon jemanden wie Björn Höcke als Lehrer oder den AfD-Rechtsaußen Jens Maier als Richter haben? Dieser Frage steht eine andere gegenüber: Wird ein falsches Prinzip richtig, wenn es die Richtigen trifft? Cornelia Booß-Ziegling und Matthias Wietzer sind klar gegen jede Form eines neuen Radikalenerlasses, auch wenn sie nicht wollen, dass jemand wie Höcke Geschichtsunterricht gibt. Gegen rechts müsse politisch gekämpft und die bestehenden Möglichkeiten wie das Strafrecht und Disziplinarverfahren voll ausgeschöpft werden. Ihre Ablehnung der Regelanfrage begründet sich aus einer grundlegenden Ablehnung des Verfassungsschutzes…“ Artikel von Sebastian Friedrichs am 05.05.2022 in Der Freitag online - Der Geist von 1972: Das Land Brandenburg plant einen »Verfassungstreuecheck« mit Regelanfrage beim Inlandsgeheimdienst. Jetzt liegt ein überarbeiteter Gesetzentwurf vor
„Knapp drei Monate war es verdächtig still um die berüchtigten Gesetzespläne. Intern leitete Innenminister Michael Stübgen (CDU) in Potsdam den Landtagsparteien und »Verfahrensbeteiligten« am 24. Januar 2022, vier Tage vor dem 50. Jahrestag des »Radikalenerlasses«, einen zweiten, überarbeiteten Entwurf zum geplanten brandenburgischen »Radikalen-« bzw. »Extremistengesetz« zu. Der Vorwand: die Notwendigkeit »eines konsequenten Vorgehens gegen den Rechtsextremismus«. Wird das Gesetz verabschiedet, könnte es zum Vorreiter für andere Länder und den Bund werden und wie in der Vergangenheit tatsächlich zur »Säuberung« des öffentlichen Dienstes von Linken und anderen fortschrittlichen Menschen angewandt werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund Berlin-Brandenburg veröffentlichte das laut Parlamentsdokumentation »nichtöffentliche« Dokument am 25. März 2022 auf seiner Internetseite – zusammen mit einer Stellungnahme. Die nächsten Sitzungen des Landtags finden zwischen dem 18. und 20. Mai sowie dem 22. und 24. Juni statt. (…) Im wesentlichen erschöpfen sich die jetzigen Änderungen im Gesetzentwurf in Umformulierungen, Textverschiebungen und -umstellungen. Bereits die Namensänderung des Gesetzes ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten: »Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Beamtenschaft in Brandenburg vor Verfassungsgegnern« soll es nun heißen. Demnach wolle die Regierung keine Kritiker und Gegner verfolgen und aus dem Staatsdienst fernhalten oder entfernen, sondern möchte mit dem Gesetz lediglich »ihre Beamten schützen«. Ins Auge springen Formulierungen wie »die Regelanfrage (sei) wirksam im Gesamtkomplex des Kampfes gegen Rechtsextremismus«. Oder gleich zu Beginn des Entwurfs: Man ziele mit dem Gesetz auf »konsequentes Vorgehen gegen Rechtsextremismus«. Schon fünf Zeilen weiter wird indes wieder zur üblichen Formulierung »extremistische Tendenzen« im öffentlichen Dienst übergegangen. Um das heiße Eisen Regelanfrage nicht gleich aufzufahren, heißt es nun zu Beginn: »Zur Feststellung (…) der Berufungsvoraussetzungen hat die Einstellungsbehörde alle ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen.« Danach folgt: »Dabei hat sie (…) auch eine Anfrage bei der Verfassungsschutzbehörde (…) zu veranlassen.« Der Geheimdienst soll dann unter Anwendung des »Verfassungsschutzinformationssystems Nadis« tätig werden. In der Begründung des ersten Entwurfs noch enthaltene Hinweise und Bezüge zum »Radikalenerlass von 1972« und damals »behaupteten Berufsverboten« wurden entfernt. Begriffe wie »Linksextremismus« oder »links« werden tunlichst vermieden. Statt dessen gibt es längere Ausführungen zu »Verschwörungstheoretikern«, »Querdenkern«, »Reichsbürgern«: Die »Regelanfrage (sei) erforderlich, um die Beamtenschaft vor dem unerkannten Eindringen von Verfassungsskeptikern und -feinden zu schützen«. Datenschutz und »informelle Selbstbestimmung« seien selbstverständlich gewährleistet. Nicht weniger verlogen die neu aufgenommene Behauptung, es gehe nicht darum, »jegliche politische Äußerung zu bewerten«; »Kritik«, »politische Betätigung« seien »ausdrücklich zu begrüßen«. Die Klarstellung folgt im Nebensatz: »sofern dies unter Beachtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (fdGO) erfolgt«. (…) Mit der Unterüberschrift »Regelanfrage beim Verfassungsschutz kritisch zu sehen« hat der DGB Berlin-Brandenburg eine fünfseitige Stellungnahme veröffentlicht. Zutreffend stellt er fest: »Bei bekanntwerdenden verfassungsfeindlichen Aktivitäten einzelner Beschäftigter (…) stehen dem Dienstherrn die ausreichenden Möglichkeiten des Disziplinarrechts (…) zur Verfügung.« Die Regelanfrage sieht der DGB als »Neuauflage einer umstrittenen Praxis«: »Im Ergebnis würde dieses Verfahren dazu führen, dass der Verfassungsschutz über die Einstellung von Beamtinnen und Beamten entscheidet, was rechtswidrig wäre.« Es sei daher in Frage gestellt, ob das Gesetz »verfassungsgemäß« sei, und »davon auszugehen, dass die Regelungsinhalte verfassungsrechtlich überprüft« würden. »Besonders kritisch« sieht der DGB die »mit der Regelanfrage beim Verfassungsschutz verbundenen massiven Eingriffe in die informelle Selbstbestimmung und datenschutzrechtlichen Regelungen«…“ Artikel von Martin Hornung in der Jungen Welt vom 4. Mai 2022- Siehe den Wortlaut des Gesetzentwurfes (Bearbeitungsstand 21.1.2022) und Stellungnahme des DGB Berlin-Brandenburg
- Für den 20. Mai 2022 laden in Berlin drei Ortsvereinigungen der VVN-BdA zu einer Veranstaltung im Schöneberger Rathaus ein: »Antifaschismus und Berufsverbote – damals (1972) und heute. Droht uns ein neuer Radikalenerlass oder brauchen wir ihn gegen rechts?« Siehe Infos
- Debatte über Berufsverbote für Rechte: Der Staat und seine Radikalen
„50 Jahre Radikalenerlass und Extremisten im Staatsdienst: Berufsverbote sind auch fragwürdig, wenn sie sich gegen rechts richten. (…) Wie umgehen mit Lehrern, Polizisten oder Richtern, die diesen Staat ablehnen – die seine Existenz leugnen oder einen Teil der Bevölkerung am liebsten an die Wand stellen würden? Vor 50 Jahren haben die Regierungschefs der Länder zusammen mit dem damaligen SPD-Kanzler Willy Brandt mit dem Extremistenbeschluss reagiert, gemeinhin Radikalenerlass genannt: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, sollte gewährleisten, „dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Dafür habe er sich „aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes“ einzusetzen. Um das sicherzustellen, richteten die Behörden eine sogenannte Regelanfrage an den Verfassungsschutz. (…) Der Radikalenerlass führte faktisch zu einem Berufsverbot für Hunderte von Menschen, die Lehrer, Sozialarbeiter, Lokführer oder auch „bloß“ Briefträger werden wollten. Opfer wurden fast ausschließlich Linke, wie Jutta Rübke festgestellt hat, die die Folgen des Erlasses im Auftrag des Niedersächsischen Landtages aufgearbeitet hat. „Wir wissen von drei Berufsverboten aufgrund rechtsextremer Aktivitäten“, sagte sie der taz in einem Interview. Das Ungleichgewicht sei „der hysterischen Angst vor dem Kommunismus geschuldet“ gewesen. Auch ein Forschungsprojekt der Universität Heidelberg zum Radikalenerlass in Baden-Württemberg stellte fest, dass Linke weitaus häufiger überprüft wurden als Rechte. Das Gleiche gilt für Hamburg, wie Alexander Jaeger in ihrer Dissertation „Auf der Suche nach ‚Verfassungsfeinden‘“ 2019 feststellte. (…) Angesichts der sich häufenden Anschläge von Rechtsextremisten und der Etablierung der AfD in den Parlamenten ist der Debatten-Fokus nach rechts gerutscht. Ins Auge springende Fälle betreffen etwa die Inkompatibilität der Amtsausübung als Polizist mit dem Denken selbst erklärter Reichsbürger. So hat etwa das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im April entschieden, dass die Entlassung einer Polizistin aus dem Beamtenverhältnis rechtens war. (…) Der Berliner Senat ist mit seinem im vergangenen Jahr verkündeten 11-Punkte-Plan gegen Extremismus in der Polizei noch weiter gegangen. Bei Bewerbern für den Polizeidienst sollte der Verfassungsschutz gefragt werden, ob etwas gegen sie vorliege. Das sollte nach zehn oder 15 Jahren oder bei Beförderungen wiederholt werden. Das sieht ganz nach einer Regelanfrage aus. Eine Parallele zum Radikalenerlass von 1972 wollte der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) auf Nachfrage der taz trotzdem nicht sehen. Angesichts der Praxis der Vergangenheit ist Antifaschist Csaszkóczy skeptisch. In der taz warnte er davor, „einen neuen Radikalenerlass zu etablieren, der sich – selbstverständlich – gegen rechts wie links“ richten soll. Auf eine Regelanfrage wäre der Verfassungsschutz seiner Einschätzung nach nicht angewiesen: Er sei personell und logistisch so aufgestellt, dass er sie kaum noch benötigen dürfte. Überdies würden die bestehenden Regeln mit Blick auf immer wieder öffentlich bekannt gewordene Neonazis in Polizei, Bundeswehr und Justiz so gut wie nie angewandt. „Von einem Berufsverbotsverfahren gegen den Gymnasiallehrer Björn Höcke ist bislang nichts bekannt“, schreibt Csaszkóczy…“ Artikel von Gernot Knödler vom 26.12.21 in der taz online – Michael hat zur Geschichte seines Berufsverbots eine “eigene” Rubrik im LabourNet-Archiv, siehe auch einige aktuelle Berichte zu ihm in unserer Rubrik zu Berufsverboten, v.a. das Dossier “Michael Csaszkóczy gegen Verfassungsschutz vor Gericht: Klage gegen Bespitzelung” - Berufsverbotsbetroffene warnen vor neuem Radikalenerlass: Ampelkoalition kündigt „Entfernung von Verfassungsfeinden aus dem Öffentlichen Dienst“ an
„Wir, Betroffene der Berufsverbotspolitik in der Folge des Radikalenerlasses von 1972, haben mit Entsetzen zur Kenntnis genommen, dass im Koalitionsvertrag der neuen Ampelkoalition Passagen enthalten sind, die eine Wiederbelebung eben dieser Berufsverbotepolitik befürchten lassen.
So heißt es gleich zu Beginn des Koalitionspapiers wörtlich: „Um die Integrität des Öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können.“ Und später wird unter der Rubrik ‚Innere Sicherheit‘ präzisiert: „Die in anderen Bereichen bewährte Sicherheitsüberprüfung von Bewerberinnen und Bewerbern weiten wir aus und stärken so die Resilienz der Sicherheitsbehörden gegen demokratiefeindliche Einflüsse.“
Es wird ehrlicherweise nicht einmal der Versuch unternommen, diese Maßnahme mit den tatsächlich bedrohlichen rechten Unterwanderungsversuchen von Polizei und Bundeswehr zu begründen. Stattdessen werden in plumpster extremismustheoretischer Manier „Rechtsextremismus, Islamismus, Verschwörungsideologien und Linksextremismus“ gleichgesetzt.
Den Nachrichtendiensten – damit auch dem sogenannten „Verfassungsschutz“ spricht die neue Regierung allen rechten Skandalen zum Trotz ihr vollstes Vertrauen aus. Aus eigener bitterer Erfahrung wissen wir, dass eine solche Politik allein den Rechten in die Hände spielt.
Im Januar 2022 jährt sich der unter Bundeskanzler Willy Brandt verabschiedete Radikalenerlass. Er hat nicht nur Tausende von Linken diffamiert, ausgegrenzt und ihre Lebensperspektiven zerstört, sondern vor allem die gerade erst im Wachsen begriffene demokratische Kultur dieses Landes schwer beschädigt. Rechte blieben von der damaligen Hexenjagd so gut wie vollständig verschont.
Wir sind fassungslos und schockiert, dass die neue Bundesregierung nicht nur weiter die Augen vor diesem jahrzehntelangen staatlichen Unrecht verschließt, sondern sich anschickt, dieselben Fehler zu wiederholen.
Wie damals wird der rechtlich völlig unbestimmte Begriff „Verfassungsfeind“ verwendet. Ausgerechnet der tief in die rechte Szene verstrickte Inlandsgeheimdienst soll vorschlagen dürfen, wer als „Verfassungsfeind“ angesehen und entsprechend behandelt werden soll. Dies kommt einem Suizid der Demokratie und des Rechtsstaates gleich.
Anlässlich des 50. Jahrestages des Radikalenerlasses fordern wir nicht nur die Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen, wir wenden uns auch entschieden dagegen, erneut die Prüfung politischer Gesinnungen anstatt konkreter Handlungen zur Einstellungsvoraussetzung im Öffentlichen Dienst zu machen. Grundgesetz und Strafrecht würden schon heute vollkommen ausreichen, rechte Netzwerke in Polizei, Militär und Justiz zu bekämpfen. Bedauerlicherweise wird davon nur sehr selten Gebrauch gemacht. Der Kampf gegen rechte Demokratiefeinde bleibt in erster Linie eine gesellschaftliche Aufgabe.“ Pressemitteilung der Initiative „50 Jahre Radikalenerlass“ vom 26.11.2021 (per e-mail) zu Aussagen aus dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition – die Zitate aus dem Entwurf des Koalitionsvertrages entstammen den Unterkapiteln „Verwaltungsmodernisierung“, „Bundespolizeien“ und „Kampf gegen Extremismus“. Siehe dazu:- Extremismus der Mitte von oben
„Ampel-Koalition kündigt schnellere „Entfernung von Verfassungsfeinden aus dem Öffentlichen Dienst“ an. Betroffene des „Radikalenerlasses“ von 1972 bekommen Déjà-vus. Kurz vor dem 50. Jahrestag des „Radikalenerlasses“ von 1972 planen die „Ampel“-Parteien eine Art Neuauflage: „Um die Integrität des Öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können“, heißt es im Unterkapitel „Verwaltungsmodernisierung“ im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. In der Rubrik „Innere Sicherheit“ heißt es: „Die in anderen Bereichen bewährte Sicherheitsüberprüfung von Bewerberinnen und Bewerbern weiten wir aus und stärken so die Resilienz der Sicherheitsbehörden gegen demokratiefeindliche Einflüsse.“ Was heißt das konkret? In den letzten Jahren sind vor allem Fälle bekannt geworden, in denen extreme Rechte bei Polizei und Bundeswehr Zugang zu Waffen und sensiblen Daten politischer Gegner erlangen konnten – insoweit würden es auch Linke und Linksliberale begrüßen, sollte da in Zukunft genauer hingeschaut werden. Linke, die in der Vergangenheit als Lehrer erfolgreich gegen Berufsverbote geklagt haben, bezweifeln aber, dass dies die hauptsächliche Intention ist…“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 27. November 2021 bei Telepolis - Siehe auch das Dossier Der 50. Jahrestag des Radikalenerlasses steht bevor – die Zeit ist reif, mehr Demokratie zu wagen!
- Extremismus der Mitte von oben
- Gedankenspiele in Brandenburg über eine Neuauflage des „Radikalenerlasses“
„Der brandenburgische Innenminister Michael Stübgen (CDU) will vor jeder Beamteneinstellung und -beförderung die Verfassungstreue prüfen lassen. Dazu rbb: „Konkret prüft die Landesregierung, ob und in welcher Form beim Verfassungsschutz differenziert und strukturiert abgefragt werden kann“. Ausgerechnet 50 Jahre nach der Verabschiedung des berüchtigten „Radikalenerlasses“ wird also über eine Wiederbelebung dieser Praxis laut nachgedacht – diesmal angeblich aus Sorge vor rechter Unterwanderung. Aber wir wissen aus eigener Erfahrung: Die Einschränkung von Grundrechten und die Etablierung von Gesinnungsschnüffelei dienen nicht der Demokratie, sie fügen ihr schweren Schaden zu. Solche Maßnahmen des Staates richten sich damals wie heute in erster Linie gegen eine kritische linke Opposition. Der Kampf gegen Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze war damals und ist heute eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ausgerechnet an den sogenannten „Verfassungsschutz“ zu delegieren, kommt einem Suizid der Demokratie gleich. Dieser Geheimdienst brachte das erste NPD-Verbotsverfahren zum Scheitern, weil der neonazistischen Partei aufgrund ihrer Durchsetzung mit „V-Leuten“ „mangelnde Staatsferne“ attestiert werden musste. Auch die jetzt angekündigte „Überwachung“ der AfD durch den „Verfassungsschutz“ wird absehbar nur zu einer noch stärkeren personellen und finanziellen Beteiligung des Staates an dieser Partei führen…“ Presseerklärung des Arbeitsausschusses der Initiativengegen Berufsverbote und für die Verteidigung demokratischer Rechte vom 05.03.2021 - Berufsverbot gegen Rechte zielt auf die Linke
„“Zurzeit wird viel darüber gesprochen und gestritten, ob ein neuer „Radikalenerlass“ eingeführt werden soll – nämlich gegen Rechte. Einen entsprechenden Beschluss haben die Innenminister und Innensenatoren am 18. Oktober 2019 gefasst. Offiziell gemeint sind hier wohl vor allem Mitglieder des sog. „Flügels“ der AfD, also der Gruppierung um den thüringischen AfD-Vorsitzenden Höcke ….” (Klaus Lipps, Sprecher der “Initiativgruppe 40 Jahre Radikalenerlass”) Aber auch gegen AfD-Sprecher Meuthen, AfD-Gründer Lucke gibt es Forderungen nach Berufsverbot, auch aus den Reihen der Linken. Dass damit schon in der Wortwahl der Innenminister: “bei extremistischen Bestrebungen disziplinarrechtliche Konsequenzen bis zur Entziehung des Beamtenstatus” auch und besonders die Linke ins Fadenkreuz genommen wird, macht ein Blick in die jüngere Geschichte der “Extremismus-Bekämpfung” deutlich (…) Solche Maßnahmen zielen auf “Regime-Change”, “Decapitation” in der Linken. Sie sind auch Vorbereitungen zum Organisationsverbot, wenn ein solches dann überhaupt noch notwendig sein sollte. Eine Linke, die unter dem Damoklesschwert ihres Verbotes alles mitmacht, braucht man nicht zu verbieten. Und die Linke weiß, dass das KPD-Verbot immer noch gilt…“ Beitrag vom 30. Oktober 2019 von und bei Hartmut Barth-Engelbart mit einer kleinen Auswahl von weiteren Artikeln zum Berufsverbot - „Disziplinarrechtliche Konsequenzen“ bei „extremistischen Bestrebungen“? Berufsverbot gegen Rechte zielt auf die Linke
„Aus aktuellem Anlass übergab am 30.10.2019 Klaus Lipps als Sprecher der „Initiativgruppe 40 Jahre Radikalenerlass“ und des „Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte“ die folgende Erklärung der Presse: Zurzeit wird viel darüber gesprochen und gestritten, ob ein neuer „Radikalenerlass“ eingeführt werden soll – nämlich gegen Rechte. Einen entsprechenden Beschluss haben die Innenminister und Innensenatoren am 18. Oktober 2019 gefasst. Offiziell gemeint sind hier wohl vor allem Mitglieder des sog. „Flügels“ der AfD, also der Gruppierung um den thüringischen AfD-Vorsitzenden Höcke. Wir Betroffene des sog. „Radikalenerlasses“ vom 28. Januar 1972 lehnen solche Vorstöße ab, und zwar aus ganz konkreter persönlicher und politischer Erfahrung. Wir sind gebrannte Kinder: Wir haben nach 1972 erfahren, dass und wie solche Maßnahmen, die sich angeblich gegen rechts und links richten, sehr bald und dann fast ausschließlich gegen linke Kritiker der herrschenden Verhältnisse angewandt werden. Heute soll – so die Innenminister – geprüft werden, „inwiefern bei extremistischen Bestrebungen disziplinarrechtliche Konsequenzen bis zur Entziehung des Beamtenstatus ermöglicht werden können“. Wie vor Jahren von „Radikalen“, so sprechen die Minister heute ganz allgemein von „Extremisten“, statt von Nazis…“ Presseerklärung vom 30.10.2019 bei berufsverbote.de
Siehe dazu auch aus 2018: Rote Hilfe kündigt Widerstand an: Innenministerien beraten über neuen Radikalenerlass und von 2016: Bayern führt für Richter wieder einen Radikalenerlass ein: “Extremisten wissen nun, dass sie sich nicht zu bewerben brauchen” sowie aktuell das Dossier: Der 50. Jahrestag des Radikalenerlasses steht bevor – die Zeit ist reif, mehr Demokratie zu wagen!