- Automobilindustrie
- Bauindustrie und Handwerk
- Chemische Industrie
- Elektro- und Metall(-Zulieferer)
- Elektrotechnik
- Energiewirtschaft (und -politik)
- Fahrzeugbau (Vom Fahrrad, über Trecker bis zum Flugzeug)
- Gewerkschaften als Arbeitgeber
- Holz, Papier, Glas und Kunststoffe
- Landwirtschaft und Gartenbau
- Lebens- und Genussmittelindustrie
- Maschinen- und Anlagenbau
- Medien und Informationstechnik
- Rüstungsindustrie und -exporte
- Sonstige Branchen
- Stahl-Industrie
- Stoffe und Bekleidung
- Abfall/Umwelt/Ver-/Entsorgung
- Banken und Versicherungen
- Bildungs- und Erziehungseinrichtungen
- Call-Center
- Dienstleistungen allgemein/diverse
- Gastronomie und Hotelgewerbe
- Gesundheitswesen
- Kultur und/vs Freizeitwirtschaft
- Öffentlicher Dienst und Behörden
- Reinigungsgewerbe und Haushalt
- Sex-Arbeit
- Soziale Arbeit, Kirche und Wohlfahrts-/Sozialverbände
- Sportwirtschaft
- Transportwesen: (Öffentlicher) Personen (Nah)Verkehr
- Transportwesen: Bahn
- Transportwesen: Hafen, Schiffe und Werften
- Transportwesen: Luftverkehr
- Transportwesen: Post- und Paketdienste
- Transportwesen: Speditionen und Logistik
- Wachdienste und Sicherheitsgewerbe
Entlassung XL: Lehren aus der Schlecker-Pleite
Lehren aus der Schlecker-Pleite – von Christina Frank *
Das Ende der Drogeriemarktkette Schlecker ist eine der größten Unternehmenspleiten der letzten Jahre. Letzte Hoffnungen der Beschäftigten auf rettende staatliche Interventionen erwiesen sich als unbegründet – Wirtschaftsminister Rösler hatte den Schlecker-Frauen nicht mehr zu bieten, als die selbständige Suche nach »Anschlussverwendung« zu empfehlen. Christina Frank (ver.di Stuttgart) wertet die Konflikte um den Untergang von Schlecker aus. Dabei geht sie auch auf eine Idee ein, die inzwischen Früchte trägt: Kolleginnen in Stuttgart und Umgebung haben auch nach Anschlussverwendung für Filialen gesucht, die bis zuletzt hohe Umsätze gemacht haben. Im Bewusstsein, mit ihrer jahrelangen Erfahrung und dem direkten Kontakt zu den KundInnen ohnehin besser über nötige Veränderungen Bescheid zu wissen als die früheren Chefs, wollen 35 von ihnen die Läden in einem Genossenschaftsmodell weiterführen. Verhandlungen mit Ladenvermietern, Insolvenzverwaltern und wohlgesonnenen Bürgermeistern laufen.
Am 27. Juni schlossen die letzten Schlecker-Filialen. Für die Schlecker XL GmbH und für die 2006 in den Schlecker-Konzern integrierte »Ihr Platz«-Kette wird voraussichtlich Mitte August Schluss sein. Der Restpostenabverkauf und das destruktive Verhalten vieler Schnäppchenjäger haben vielen Verkäuferinnen nochmals ihre ganze Kraft abgefordert. Erst jetzt kommen langsam der Schock und die Gewissheit: 30000 Frauen gehen in die Arbeitslosigkeit. Europas einst größte Drogeriemarktkette ist Geschichte!
Aufgrund unzulänglicher Datenlage und einer verworrenen Politik sind alle Interessenten für eine Fortführung schließlich abgesprungen. Der Einzelhandelsmarkt ist hart umkämpft und liegt inzwischen in der Hand weniger marktbeherrschender Akteure, die sich gerne des Konkurrenten Schlecker entledigt haben. Die aufgelaufenen Schulden des Imperiums lagen mit ca. 800 Millionen Euro so hoch, dass der Weg der Fortführung jedem Investor, der entsprechende Rendite anstrebt und Gewinne machen möchte, zu anstrengend und zu steinig schien. Schließlich brachte es den Lieferanten und der Konkurrenz mehr ein, die Filialen zu zerschlagen als zu erhalten.
Der Wert von 30000 Frauenarbeitsplätzen und die sozialen Auswirkungen der Pleite haben in der gsamten Fortführungsdiskussion nur am Rande eine Rolle gespielt. Für viele Politiker war der Verlust von Frauenarbeitsplätzen bei ihren Entscheidungen offenbar verschmerzbar. Besonders deutlich wurde dies bei der Diskussion um die Einrichtung einer Transfergesellschaft für die Frauen. Viele von den Betroffenen sind zwar – oft alleinerziehende – Hauptverdienerinnen und waren langjährig erfolgreich im Einzelhandel tätig, haben aber keine Ausbildung. Die politischen Entscheidungsträger haben die Frauen im Regen stehen lassen. Die Einrichtung bundesweiter Transfergesellschaften scheiterte aus parteipolitischem Kalkül. Das entbehrt jeder Moral und jeder Logik. Nachvollziehbar ist auch nicht, warum sich Bundesländer, die nicht von der FDP abhängig sind, dagegen sperrten, zumindest auf Länderebene Transfergesellschaften einzurichten und sich stattdessen hinter der radikalen Klientel-Partei FDP versteckt haben. Folge: Durch die provozierten Risiken einer Flut von Kündigungsschutzklagen durch die enttäuschten gekündigten Schlecker-Frauen wurde so dem Untergang der Firma Vorschub geleistet und ein Sanierungsprozess verunmöglicht.
Presseberichte offenbaren: Entgegen vollmundiger Versprechungen der Arbeitsagentur sieht es auf dem Arbeitsmarkt für die Frauen nicht rosig aus. Weil es für die Schlecker-Frauen keine adäquaten Beschäftigungsperspektiven im Einzelhandel gibt, müssen vollwertige Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden. Dazu sollte die Transfergesellschaft ein Instrument sein. Die von ver.di geforderte Schaffung einer Qualifizierungsgesellschaft mit Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit könnte dazu dienen. Mit zielgerichteter Fort- und Weiterbildung und arbeitsmarktpolitischer Betreuung könnte dies ein Erfolgsmodell werden, verzahnt mit aktiver Strukturpolitik auf dem Arbeitsmarkt. Denn eine politisch verantwortliche, vorausschauende Regulierung des Arbeitsmarktes, die ökonomische, soziale und ökologische Bedarfe berücksichtigt, erfordert aktive Strukturpolitik. Diese darf sich nicht in kurzsichtiger, staatlich subventionierter Ansiedlungspolitik erschöpfen und sich nicht weigern, die notwendigen gesetzlichen Grenzen zum Schutz der Arbeitnehmer und der Verbraucher wieder einzuziehen. Dazu würden regelmäßige Offenlegungspflichten von Konzernen unabhängig von der Rechtsform, regelmäßige Qualitätsprüfungen der Lebensmittel in Herstellung u.a. gehören. Politiker müssen wieder auf die Einhaltung von gesetzlichen Grenzen pochen oder diese schaffen – anders als zuletzt die Bundesarbeitsministerin, als sie die rechtswidrige Praxis der auch im Einzelhandel zunehmenden Zahl von »flexiblen«, intransparenten Verträgen zur Kenntnis nehmen musste und den Schluss zog, dass der Weg vor die Gerichte hier vollkommen ausreichend sei, um Gesetzeskonformität und Gerechtigkeit für die Betroffenen herzustellen.
Das Spiel der freien Marktkräfte fördert darüber hinaus lediglich Einzelhandelsangebote in den Zentren und lässt weite Teile des Hinterlands mit den Gütern des täglichen Bedarfs unterversorgt zurück. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ist dies eine gefährliche Standortpolitik zum Nachteil großer Teile der Bevölkerung.
Hier setzt der neue Gewerkschaftsvorschlag an, durch Schaffung von Genossenschaften viele ehemalige Schlecker-Standorte ortsnah weiterzuführen, gegebenenfalls mit an Kundenwünsche angepasstem Sortiment, in Verantwortung für die Lebensqualität im Hinterland und in den Randzonen der Städte. Inzwischen gibt es eine von ver.di erzwungene Arbeitsgruppe beim Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg unter Einbeziehung weiterer Ministerien und Institutionen wie der Arbeitsagentur und Bürgschaftsbanken. Von dort muss die Hilfe bei der Einrichtung dieser Genossenschaften kommen und – wieder einmal – von unten eingefordert werden.
In einer solchen alternativen Versorgungsstruktur liegt auch die Chance, dass weiten Teilen der KonsumentInnen durch eine öffentliche Diskussion über die Formen des Wirtschaftens endlich offenkundig wird, was derzeit auf dem Einzelhandelsmarkt aus schließlich im Interesse des Kapitals passiert und dass die weitere Konzentration der Einzelhandelsmacht in der Hand von wenigen den Interessen der KundInnen grundsätzlich entgegen steht.
Eine ehrenwerte Familie…
Bis zuletzt blieb die Rolle der Familie Schlecker dubios. Anton Schlecker war viele Jahre der Inbegriff des moralisch schlechten Unternehmers, eine Herausforderung für die Gewerkschaft. Der bad boy der Branche. Aus dem Bericht des Insolvenzverwalters anlässlich der Gläubigerversammlung am 6. Juni 2012 wird deutlich, dass die Geschäftsentwicklung bereits seit 2003 rückläufig war. Da keine Offenlegungspflicht für die Rechtsform E. K. (eingetragener Kaufmann, Anm. d. Red.) bestand, konnte dies bis zum 23. Januar 2012, dem Tag der Insolvenzerklärung, verschleiert werden, und dann war es zu spät, um wirksam gegensteuern zu können. Den Tatbestand der Insolvenzverschleppung gibt es beim E. K. nicht. Immerhin: Die Staatsanwaltschaft ermittelt wenigstens wegen Betrug, Steuerhinterziehung und Insolvenzdelikten wie Vermögensverschiebungen vor Zahlungsunfähigkeit.
Zuletzt war klar: Auch die Kinder des Unternehmers, anfangs Hoffnungsträger für die Beschäftigten, haben den Weg des Vaters als Unternehmer fortgesetzt. Sie haben ihr Vermögen zum einen aus der umstrittenen Leiharbeitsfirma Meniar auf Kosten der entlassenen und zu schlechteren Konditionen wieder eingestellten Schlecker-Frauen gemacht, zum anderen haben sie am Schluss mit überhöhten Logistik-Rechnungen wesentlich daran mitgewirkt, dass die Sanierung schleppend verlief. Gleichzeitig haben sie die Beschäftigten kritisiert, die – ohne dass irgendwelche Sicherheiten geboten waren – aus ihrer Sicht zu sehr am Flächentarif festgehalten hätten und nicht sofort auf 15 Prozent der Einkommen verzichtet hatten, um ihnen das Familienvermögen zu retten.
Die Kräfte des Marktes
Wie sieht die Perspektive für die Schlecker-Frauen aus? Von den 11000 bereits im Frühjahr Entlassenen sind laut Arbeitsagentur ca. 5000 in Arbeit oder Fördermaßnahmen vermittelt worden. Die Kosten dafür hat die Arbeitsagentur für den Zeitraum März bis Mai öffentlich mit mehr als 130 Mio. angegeben – zum Vergleich: Die Bürgschaft für eine Transfergesellschaft umfasste 70 Mio. Euro. Die Gewerkschaft ver.di hat erhoben, dass nur etwa 2500 Frauen in gleichwertige Arbeitsplätze vermittelt worden sind. Den derzeit 25000 offenen Stellen im Einzelhandel stehen insgesamt 360000 Arbeitssuchende gegenüber. Nun stoßen die arbeitslosen Schlecker-Frauen mit vergleichsweise schlechteren Sozialdaten hinzu. Die Tragödie nimmt ihren Lauf!
… aber Schuld ist immer die Gewerkschaft
Als Vermittlungshemmnis gelten – auch innerhalb der Arbeitsagentur – die guten Verdienstmöglichkeiten bei Schlecker. »Zahlte Schlecker zu hohe Löhne?«, fragte Anfang Juni die Stuttgarter Zeitung. Gemeint ist damit, dass die Beschäftigten bei Schlecker durch ihre Betriebsräte in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft über langwierige Konflikte und Auseinandersetzungen eine tarifliche Bezahlung durchgesetzt hatten. Schlecker war ein Beispiel für erfolgreiche gewerkschaftliche Organisationspolitik, wo sich der Kampf für die Frauen gelohnt hat. Auf dem Einzelhandelsmarkt fallen mehr und mehr rechtliche Grenzen, und Arbeitsverträge werden zunehmend in rechtlichen Grauzonen geschlossen. In diesem Umfeld wurde der Schlecker-Konzern viele Jahre daran gehindert, der Konkurrenz durch Lohndrückerei und fortschreitende Prekarisierung der Arbeitsbedingungen die Gewinne abzujagen. Dass Tarifbindung zum Standortnachteil herunter definiert wird, weil Rossmann, Müller und selbst dm als Konkurrenten bis zu 20 Prozent unter dem Tarifniveau zahlen, anstatt diese dafür zu kritisieren, ist verkehrte Welt. Tarifniveau als Vermittlungshemmnis und als schwerer Nachteil – was für ein Zynismus! Angesichts eines durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens von 42500 Euro für 2011 im Großraum Stuttgart liegt das Tarifniveau des Einzelhandels mit ca. 30000 Euro noch weit unterhalb dieser Grenze. Die Angebote des Einzelhandels für die arbeitslosen Schlecker-Frauen liegen in der Regel nochmal um ein Drittel darunter.
Welche Lehren ziehen wir daraus? Der Fall Schlecker zeigt, dass gewerkschaftliche Politik sich nicht nur in konsequenter Tarifpolitik erschöpfen darf. Gewerkschaften sind gefordert, von der Politik auch die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen zu verlangen, die solche Arbeitsmarktopfer künftig verhindern. Sie sind gefordert, alternative solidarische Politik- und Wirtschaftsentwürfe durch Kampagnen in die Köpfe der BürgerInnen zu bringen, auch um die weitere Geiselnahme der KonsumentInnen zu verhindern. Gewerkschaften sind gefordert, Politiker in die Zwickmühle zu bringen, dass sie entweder Gesetze zum Wohle der Mehrheit der Menschen im Lande machen müssen, oder dass ihnen die Klientel-Maske vom Gesicht fällt, wenn sie sich ausschließlich um die Kapitalinteressen einzelner mächtiger Einzelhändler kümmern wollen.
Spendenaufruf: Solidarität mit den Schlecker-Frauen
Helfen Sie den Beschäftigten, die unverschuldet in Not geraten:
Mehr als 25000 Schlecker-Beschäftigte verlieren in Deutschland durch die bisher größte Insolvenz in Deutschland ihren Arbeitsplatz. Viele stehen nun buchstäblich vor dem Nichts und brauchen dringend Hilfe. Schnell und unbürokratisch!
Die Paul-Schobel-Caritas-Stiftung »Arbeit und Solidarität« hat daher in Zusammenarbeit mit ver.di den bundesweiten Stiftungsfonds »Schlecker-Frauen« eingerichtet.
Das Spendenkonto lautet 6402003, BLZ 750 903 00 (Liga Bank).
Spenden sind auch online möglich: http://www.paul-schobel-stiftung.de
Bis 200 Euro gilt Ihr Kontoauszug als Zuwendungsbestätigung. Bei Spenden über 200 Euro erhalten Sie automatisch eine Zuwendungsbestätigung.
* Christina Frank ist Einzelhandelssekretärin bei ver.di in Stuttgart.
Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 8/12 express im Netz unter: www.express-afp.info , archiv.labournet.de/express