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Enteignet die Schleckers! Privateigentum, kriminelle Energien, klasse Justiz
„Im Januar 2012 meldete Schlecker Insolvenz für seine Drogeriekette an. Ca. 27.000 Beschäftigte erhielten danach die Kündigung. Nach Angaben der Bundesagentur soll die Hälfte inzwischen wieder einen Arbeitsplatz haben. Ver.di bezweifelt diese Zahlen und weist zusätzlich darauf hin, dass Minijobs und prekäre Löhne und Gehälter oft die einzige, deutlich schlechtere Möglichkeit für eine neue Erwerbsquelle waren. Am 27. November 2017 verkündete das Landgericht Stuttgart die Urteile gegen den Unternehmensgründer Anton Schlecker und seine Kinder Lars und Meike. (…) Und dafür zwei Jahre Haft auf Bewährung?! Für einen Wiederholungstäter? Für einen notorischen Serientäter, der in den 1980ern und 90ern Tausende Menschen um Gehälter und Rentenansprüche betrogen hat? Dadurch auch die Träger der Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen! Ebenso die Gesellschaft und ihren Staat um Lohnsteuereinnahmen! Für einen Kaufmann, der 27.000 Beschäftigte mit ihren Angehörigen durch sein »Arschlochmanagement« (taz) um die Arbeitsplätze und Einkommen gebracht hat! Der Teile der Unternehmensgewinne, d.h. seines Profits, rechtzeitig (?) und großen Teils legal, was ein eigener Skandal ist, seiner Ehefrau, den zwei Kindern und vier Enkelkindern vermacht und damit allen Gläubigern entzogen hat! Nicht nur Lieferanten haben noch Forderungen – insgesamt rund eine Milliarde Euro –, auch alle zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags Beschäftigten haben noch Gehaltsansprüche, nicht zu vergessen die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung. Die Beschäftigten erhielten von der Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld für die Dauer ihrer Kündigungsfrist; das sind 60-66 Prozent ihres Gehaltes; die Differenz zu 100 Prozent sind nun Forderungen an den Insolvenzverwalter…“ Artikel von Anton Kobel, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit: Ausgabe 12/2017:
Enteignet die Schleckers!
Privateigentum, kriminelle Energien, klasse Justiz – von Anton Kobel*
»Hinter jedem großen Vermögen
steht ein Verbrechen.«
(Zeitlos von Honoré de Balzac, 1799-1850)
Im Januar 2012 meldete Schlecker Insolvenz für seine Drogeriekette an. Ca. 27.000 Beschäftigte erhielten danach die Kündigung. Nach Angaben der Bundesagentur soll die Hälfte inzwischen wieder einen Arbeitsplatz haben. Ver.di bezweifelt diese Zahlen und weist zusätzlich darauf hin, dass Minijobs und prekäre Löhne und Gehälter oft die einzige, deutlich schlechtere Möglichkeit für eine neue Erwerbsquelle waren.
Am 27. November 2017 verkündete das Landgericht Stuttgart die Urteile gegen den Unternehmensgründer Anton Schlecker und seine Kinder Lars und Meike. Er war wegen vorsätzlichem Bankrott, Sohn und Tochter wegen Beihilfe zum Bankrott angeklagt. A.S. erhielt zwei Jahre Gefängnis auf Bewährung sowie eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 150 Euro, also 54.000 Euro (!); Lars S. muss zwei Jahre und neun Monate, Meike S. zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis wegen Insolvenzverschleppung, Untreue, Bankrott und Beihilfe zum Bankrott. A.S. akzeptierte das Urteil, Meike S. und Lars S. gehen in Revision. Die Anklage gegen Christa Schlecker, die Ehefrau von A.S., wurde bereits im Mai 2017 gegen die Zahlung von 60.000 Euro fallen gelassen.
Der Schlecker-Konzern entstand aus einer 1975 gegründeten Drogerie. 1994 waren es rund 5.000 Filialen, vorwiegend in Deutschland, Österreich, Holland, Frankreich und Spanien. Die Presse ernannte A.S. zum »Drogeriekönig«, der 2007 in 13 Ländern ca. 50.000 Beschäftigte in 14.000 Filialen für sich arbeiten ließ. Spätestens seit 2004 wurde die Expansions- und Geschäftspolitik des Konzerns kritisch beobachtet und kommentiert.
Nach einem heftigen Arbeitskampf, der »Schleckerkampagne« der damaligen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), wurden infolge eines im März 1995 abgeschlossenen Tarifvertrages erstmals Betriebsräte gewählt. Sie waren über ihren Gesamtbetriebsrat und Wirtschaftsausschuss mit die heftigsten Kritiker der Firmenpolitik. Für Schlecker, einen der übelsten Gewerkschafts- und Betriebsratsgegner im Einzelhandel, und seine Manager waren dies reine Störversuche. Seit den 1980er Jahren waren alle Versuche der gewerkschaftlichen Organisierung, oft durch brutale Methoden der Unterdrückung, gescheitert. Erst durch einen unkonventionellen, mehrmonatigen Arbeitskampf ohne Streik, aber mit HBV als Teil einer sozialen Bewegung konnten menschlichere Arbeitsbedingungen in den Filialen, Anerkennung von Betriebsratswahlen sowie Einhaltung der Tarifverträge des Einzelhandels durchgesetzt werden. Gegen Schleckers »Arschlochmanagement in Reinform« (taz, 28. November 2017) war in diesem Wirtschaftssystem kein Kraut gewachsen. Er zeigte sich immun gegen Beratungsversuche durch Betriebsräte und Gewerkschaften. Der Insolvenzantrag im Januar 2012 war offensichtlich eine logische, wenn auch von A.S. und seiner Familie eigennützig geplante Folge.
Und dafür zwei Jahre Haft auf Bewährung?!
Für einen Wiederholungstäter? Für einen notorischen Serientäter, der in den 1980ern und 90ern Tausende Menschen um Gehälter und Rentenansprüche betrogen hat? Dadurch auch die Träger der Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen! Ebenso die Gesellschaft und ihren Staat um Lohnsteuereinnahmen! Für einen Kaufmann, der 27.000 Beschäftigte mit ihren Angehörigen durch sein »Arschlochmanagement« (taz) um die Arbeitsplätze und Einkommen gebracht hat! Der Teile der Unternehmensgewinne, d.h. seines Profits, rechtzeitig (?) und großen Teils legal, was ein eigener Skandal ist, seiner Ehefrau, den zwei Kindern und vier Enkelkindern vermacht und damit allen Gläubigern entzogen hat! Nicht nur Lieferanten haben noch Forderungen – insgesamt rund eine Milliarde Euro –, auch alle zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags Beschäftigten haben noch Gehaltsansprüche, nicht zu vergessen die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung. Die Beschäftigten erhielten von der Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld für die Dauer ihrer Kündigungsfrist; das sind 60-66 Prozent ihres Gehaltes; die Differenz zu 100 Prozent sind nun Forderungen an den Insolvenzverwalter.
Alles ohne kriminelle
Energien eines Serien- und Wiederholungstäters?
Das Verhalten von A.S. und seinen Managern spricht dazu eine deutliche Sprache. Hier einige Beispiele:
- Im August 1994 verblutete bei einem Überfall in einer Kölner Schlecker-Filiale die allein anwesende Kollegin nach Messerstichen. Hilfe konnte nicht sofort geholt werden, da es in keiner Schlecker-Filiale Telefone gab – aus Gründen der Sparsamkeit und der Produktivität.
- Dies war der Auftakt für die am 2. November 1994 von HBV Mannheim/Heidelberg begonnene Schlecker-Kampagne. Die HBV deckte die schikanösen und frauenfeindlichen Arbeitsbedingungen sowie »Lohnbetrug als Teil der Unternehmenskultur« auf und forderte als Teil einer sozialen Bewegung mit großer gesellschaftlicher Unterstützung von Schlecker u.a. einen Tarifvertrag zur Wahl von Betriebsräten sowie Telefone für die Filialen. Im März 1995 wurde der Vertrag nach heftigen Auseinandersetzungen unterschrieben. Schlecker hatte z.B. Wahlvorstandsmitglieder gekündigt und HBV-Veranstaltungen gestört. (Der Arbeitskampf ist dokumentiert in der Broschüre »Die Schlecker-Kampagne 1994-1995 – Gewerkschaft als soziale Bewegung«. (S. nebenstehende Anzeige)
- Der massenhafte Lohnbetrug führte am 27. April 1998 durch das Amtsgericht Stuttgart zu einem Strafbefehl wegen »gemeinschaftlichen Betruges in 610 Fällen«. Anton Schlecker erhielt eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung sowie eine Geldstrafe von 1,5 Millionen DM, seine Ehefrau Christa Schlecker ebenfalls zehn Monate auf Bewährung sowie 500.000 DM Geldstrafe. Ein Manager kam mit sechs Monaten Freiheitsstrafe sowie 100.000 DM Geldstrafe, zwei weitere Manager kamen mit 37.500 DM bzw. 7.500 DM davon.
- Zur Verdeutlichung der persönlichen Ausmaße dieses Lohnbetruges: Allein in der Region Mannheim/Heidelberg hat die HBV im Dezember 1995 für 54 Schlecker-Beschäftigte rückwirkend für zwei Jahre 379.000 DM gefordert. Durchschnittlich wurde jede Beschäftigte um 332 DM im Monat betrogen; der Spitzenbetrag lag bei monatlich 966 DM.
- Trotz des Tarifvertrages vom März 1994 behinderten Führungskräfte bei Schlecker noch jahrelang regelmäßig die Wahlen von Betriebsräten. Die Strafanzeigen nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz schafften es dann nur in die Ablage der Staatsanwälte.
- Die kriminelle Energie von A.S. brachte ihm 2007 eine Geldstrafe von 450.000 Euro wegen Urkundenfälschung ein.
- 2017 beschuldigte ihn die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, seit 2009 Vermögen beiseite geschafft zu haben. Das Landgericht beschränkte sich dann in seinem Urteil auf den Zeitpunkt Februar 2011.
Obwohl die bis 2007 geschilderten Vergehen inzwischen alle juristisch verjährt sind, kann ich nicht begreifen, dass diese jahrelangen kriminellen Taten nicht ausreichen sollten, um aus dem Handeln des Herrn Schlecker »Gewinnsucht« als Motivation abzuleiten. »Nur dies hätte den Richtern überhaupt die Möglichkeit gegeben, hier einen besonders schweren Fall des Delikts anzunehmen, was den Strafrahmen deutlich verschärft hätte.« (FAZ, 27. November 2017) Oder soll dies nur »gemeine«, also übliche Profitgier eines Unternehmers und seiner Nächsten sein? Auch dass der Firmengründer mit 73 Jahren eine »gute Sozialprognose« habe (Zeit online, 28. November 2017) verführt angesichts dieses Lebenslaufes bestenfalls zum Lachen. Vielleicht hat die Staatsanwaltschaft eine andere Sicht und geht in Revision, so die zwischenzeitliche Hoffnung vieler ehemaliger Schlecker-Frauen und mancher ZeitgenossInnen. Doch diese Hoffnung hat getrogen. Am 4. Dezember 2017 teilte die Staatsanwaltschaft mit, nicht in Revision zu gehen. Das Urteil entspreche in etwa ihren Erwartungen, zumal die Geldstrafe mit 54.000 Euro für A.S. einem weiteren Jahr Gefängnis entspreche – zusätzlich zu den zwei Jahren auf Bewährung. Dass A.S. mittellos ist und diese 54.000 Euro von seinen Angehörigen aufgebracht werden, spielt dabei keine Rolle. Auch in der Mitte der Gesellschaft sprechen viele von Freikauf.
»Möge eine Gesellschaft, die sich einzig auf die Macht des Geldes stützt, erzittern, wenn sie die Ohnmacht der Justiz gegenüber den Verflechtungen eines Systems erkennt, das den Erfolg, der alle Mittel heiligt, zum Gott erhebt.«
(Gottlos von Honoré de Balzac)
Enteignet die Schleckers!
»Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.«
(Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz)
Dass A.S. und seine Nächsten diese Verpflichtung des Eigentums ernst genommen hätten und ihr Gebrauch dieses Eigentums gar dem Wohle der Allgemeinheit gedient hätte, kann wohl niemand ernsthaft behaupten. Während die Schlecker-Beschäftigten beim Gehalt bis hin zur Rente sowie die Gesellschaft und die Sozialversicherungen betrogen und kein Schadenersatz geleistet wurden, sind die Ehefrau und Kinder in der Lage, zusammen mit A.S. das Leben von Millionären zu führen. Es sei denn, die gegen sie noch ausstehenden Prozesse am Landesgericht Linz/Österreich und beim Landgericht Zwickau vermasseln diese Perspektive noch.
Das sorgenfreie Leben hat ihnen auch die bundesdeutsche »klasse« Justiz ermöglicht. So enthielt der 1998 ergangene Strafbefehl wegen Lohnbetrugs keinerlei Verpflichtung für die Straftäter, den um Teile ihres Lohnes und damit auch ihrer Rente betrogenen Beschäftigten den Schaden zu ersetzen. Auf eine diesbezügliche Anfrage der Gewerkschaft HBV Mannheim/Heidelberg teilte die Staatsanwaltschaft Stuttgart im April 1998 mit, auf eine solche Verpflichtung verzichtet zu haben, »um dieses ohnehin schwierige Strafverfahren nicht mit noch weiteren problematischen arbeitsrechtlichen Rechtsfragen zu überfrachten«. Verzicht für viele, Vermögenszuwachs für wenige dank Arbeitserleichterung für die Justiz!
Frustrierend ist das letzte Urteil offenbar auch für einzelne Juristen: »Es gibt eine Zwei-Klassen-Täterschaft«, so der frühere Oberstaatsanwalt für Wirtschaftskriminalität in Stuttgart, Hans Richter, der den Prozess gegen Schlecker jahrelang vorbereitet hat (Spiegel Online, 28. November 2017). Auch die FAZ stützt diesen Eindruck, wenn sie den NRW-Justizminister Peter Biesenbach mit den Worten zitiert: »Mehr als 1.200 Gefangene waren im Herbst allein in NRW wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe in Haft – der Großteil von ihnen wegen Schwarzfahrens.« (FAZ, 29. November 2017)
* anton kobel hat 1994 als HBV-Geschäftsführer in Mannheim/Heidelberg die Schlecker-Kampagne konzipiert und geleitet. Zu der Kampagne haben HBV und express-Redaktion 2001 eine umfangreiche Broschüre und Dokumentation des Arbeitskampfs herausgegeben, die über die express-Redaktion bezogen werden kann.