[Automatenbestücker] Arbeitsstreit wegen Überstunden: Kampf gegen Tabak-Konzern

ver.di: Überstunden sind kein Hobby“Wenn Manfred Fischer (Name geändert) seine Überstunden abbummeln würde, hätte er fünf Monate am Stück frei. Diese 800 Überstunden hat der Angestellte im Einzelhandel innerhalb von nur zwei Jahren angesammelt. Aber sein Arbeitgeber, die Tobaccoland Automatengesellschaft, erkennt die Überstunden nicht an. Deshalb hat Fischer den Konzern nun vor dem Arbeitsgericht verklagt externer Link. Das Brisante: Tobaccoland hat seine Mitarbeiter wegen der Coronapandemie von März bis Mai in Kurzarbeit geschickt. Aber Kurzarbeit und Überstunden schließen sich arbeitsrechtlich aus, wer für sein Unternehmen Kurzarbeitergeld vom Bund bekommen will, muss versichern, dass in seinem Betrieb weniger Arbeit anfällt als sonst. (…) Fischers Job ist es, täglich mehrere Zigarettenautomaten anzufahren, das Geld herauszuholen und die Ware nachzufüllen. Für 15 Euro die Stunde. Er hat also kein Büro, sondern sitzt von morgens bis abends im Auto. Dass seine Arbeitszeit beginnt, wenn er ins Auto einsteigt, hat der Europäische Gerichtshof 2015 entschieden: Die Fahrten, die Arbeitnehmer*innen ohne festen Arbeitsplatz zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages zurücklegen, stellen Arbeitszeit dar. (…) „Das ist nicht wahr“, sagt Fischer. Die Touren, die ein Fahrer in einer Woche fahren muss, werden vom Teamleiter zugeteilt. Eine Tour, bei der weniger als 70.000 Euro aus den Automaten geholt werden, interessiere die Arbeitgeber nicht, sagt Fischer. Das bedeutet: Mindestens zehn Stunden Arbeitszeit am Tag, und wenn ein Automat kaputt ist, auch mal locker 14 oder 15 Stunden. Bezahlt werden aber viel weniger. (…) Der Konzern will seinen unbequemen Mitarbeiter schon lange loswerden. Zwei Abfindungen hat Fischer schon ausgeschlagen. (…) Am 30. November erreichte ihn dann die Kündigung, der Grund: betriebsbedingt. Der Konzern stecke angeblich in einer wirtschaftlichen Notlage…“ Artikel von Katharina Schipkowski vom 10.12.2020 in der taz online externer Link, siehe dazu:

  • »Marktführer« vor Kadi: Arbeitsgerichtsprozess gegen Tobaccoland. Insider spricht von falschen Stundenzetteln und Klima der Angst unter Beschäftigten New
    “… Nach Angaben des Unternehmens auf seiner Homepage ist Tobaccoland »Marktführer im Verkauf von Markenzigaretten aus Automaten« und beschäftigt rund 850 Mitarbeiter in vier Regionalzentren und zwölf regionalen Stützpunkten. »Zigaretten gehören nicht in die Hände von Minderjährigen. Tobaccoland ist sich seiner sozialen Verantwortung hier bewusst«, heißt es auf der Website – für die eigenen Mitarbeiter scheint der zweite Satz eher nicht zu gelten. Vor dem Arbeitsgericht Elmshorn wurde am 8. Dezember eine Klage gegen Tobaccoland verhandelt, bei der es um Praktiken des Unternehmens vor allem bei der Abrechnung der Arbeitszeit gehen soll, die von Insidern als zumindest fragwürdig bezeichnet werden. Ein Mitarbeiter, der für das Regionalzentrum Quickborn nördlich von Hamburg als Fahrer und Automatenbeschicker arbeitet, hatte die Klage eingereicht. Er will erreichen, dass die Firma rund 12.000 Euro nachzahlt für knapp 800 Überstunden, die er in zwei Jahren unbezahlt geleistet hat. Ferner geht es um die Rücknahme von zwei Abmahnungen, deren Berechtigung der Kläger bestreitet. (…) Mit Beginn der Coronakrise sei die Lage für die Fahrer eher noch schlimmer geworden. Von März bis Ende August und erneut Anfang November habe die Firma Kurzarbeit angemeldet. Seitdem dürften er und seine Kollegen nur 25 Stunden in der Woche arbeiten, kämen aber oft auf mehr Stunden. Das sei deshalb brisant, weil ein Unternehmen während der Kurzarbeit erklären müsse, dass im Betrieb weniger Arbeit anfalle als sonst. Von den Vorgesetzten würden sie aber genötigt, so der Fahrer, Zettel mit falschen Angaben zur Arbeitszeit zu unterschreiben: »Hat man zum Beispiel an einem Tag sieben Stunden gearbeitet, soll man fünf aufschreiben.« Offenbar hat Tobaccoland in der Krise bisher mehr Umsatz gemacht als zuvor…“ Artikel von Kristian Stemmler in der jungen Welt vom 15.12.2020 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=183290
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