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Keine Rituale: Warnstreiks in Krankenhäusern
Artikel von Daniel Behruzi aus junge Welt vom 20.04.2016 – wir danken!
Viel wird in den nächsten Tagen wieder von »unnötigen Ritualen« die Rede sein. Das ist stets der Begriff, mit dem Gewerkschaftsaktionen in Tarifrunden diffamiert werden. Dabei bleibt den Beschäftigten bei Bund und Kommunen gar nichts anderes übrig, als auf die Straße zu gehen. Denn das erste »Angebot« der öffentlichen Arbeitgeber wäre für die rund 2,14 Millionen Beschäftigten in diesem Jahr sogar ein Reallohnverlust – trotz der historisch niedrigen Inflation.
Insbesondere in den Krankenhäusern werden die ver.di-Aktionen in dieser und der kommenden Woche nichts mit langweiligen Ritualen zu tun haben. Ganz im Gegenteil: Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt findet hier eine kleine Revolution gewerkschaftlicher Kampfformen statt. Die Warnstreiks haben nicht mehr nur symbolischen Charakter und die Funktion, der Presse schöne Bilder zu liefern. Vielmehr zielt die Gewerkschaft darauf ab, die Krankenhausleitungen ökonomisch zu treffen.
Als Vorbild dient das Berliner Uniklinikum Charité: Hier hat es ver.di bei Arbeitskämpfen mehrfach geschafft, etliche Betten und ganze Stationen zu schließen. Und das geht so: Dem Klinikmanagement werden Notdienstvereinbarungen angeboten, die ganz anders sind als in der Vergangenheit. Bislang war es üblich, dass die Gewerkschaft eine Notbesetzung wie an Feiertagen oder nachts garantiert. Angesichts der extrem ausgedünnten Personaldecke hatte das jedoch meist zur Folge, dass sich auf den Normalstationen kaum noch jemand am Ausstand beteiligen konnte. Teilweise war die geforderte Notdienstbesetzung sogar besser als die im Klinikalltag.
Daraus hat ver.di Konsequenzen gezogen. Nun bietet die Gewerkschaft den Kliniken nur noch an, rechtzeitig mitzuteilen, wie viele Beschäftigte in welchen Bereichen ihre Arbeit niederlegen wollen. Das Management erhält die Gelegenheit und trägt die Verantwortung, die entsprechende Zahl an Betten nicht neu zu besetzen oder Patienten zu verlegen. Wenn alle Pflegekräfte einer Station ihr Streikrecht wahrnehmen wollen, heißt das: Die Station muss geschlossen werden.
Das hat gleich mehrere positive Effekte. Wo keine Patienten mehr sind, kann niemand zu Schaden kommen. Der moralische Druck, der Pflegekräfte in der Vergangenheit oftmals vom Streik abhielt, fällt weg. Und diese Aktionsform wirkt sich unmittelbar auf die betriebswirtschaftliche Bilanz des betreffenden Krankenhauses aus. In den Kliniken ist ver.di also in der Lage, ökonomischen Druck zu erzeugen. Daran krankt es in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes oft – beispielsweise in Kitas.
Es ist ein paradoxer Effekt der Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Die Krankenhäuser können Gewinne erwirtschaften. Wenn sie Verluste machen, ist ihre Existenz bedroht. Das gibt den Gewerkschaften die Möglichkeit, per Streik für Einnahmeausfälle zu sorgen – und so die Kompromissbereitschaft der Arbeitgeber zu erhöhen. Im Krankenhaus brechen gewerkschaftlich neue Zeiten an.
- Siehe dazu: Auch im Krankenhaus: VERSCHAFFEN WIR UNS RESPEKT
„… In den kommenden Wochen finden Proteste und Aktionen zur Durchsetzung der Forderungen zur diesjährigen Tarifrunde statt. Wir machen mit. Und wenn es sein muss, gibt’s auch Streik in den Krankenhäusern. Damit zeigen wir: Wir haben es satt. Wir lassen uns nicht mehr erpressen. Wir verschaffen uns Respekt!“ Flugblatt zur Tarifrunde 2016 des FB 3
- Siehe zum Hintergrund unser Dossier: Tarifrunde Bund und Kommunen 2016
- Siehe dazu auch: Vivantes » Dossier: Kampagne “Zusammenstehen” und TVöD-Runde 2016
- wir danken auch ver.di, endlich strategisch zu berücksichtigen, wem weh getan werden soll und wem nicht…