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Pflege in Not: So wirkt sich der Fachkräftemangel in Kliniken und Heimen aus

Dossier

Internationaler Tag der Pflegenden am 12.05.2022: Schluss mit Ausreden - Mehr Personal! (ver.di)Gesundheitsminister Lauterbach plant wegen der Energiekrise und Inflation eine Milliardenhilfe für Krankenhäuser. Aber es mangelt auch an Personal. Wie sehr? Die Folgen des Pflegenotstands schonungslos erklärt. Während Krankenpfleger Adamah auf der Infektiologie der Uniklinik Essen seine Patientinnen und Patienten versorgt und betreut, legt er nebenbei unzählige Meter zurück, telefoniert, desinfiziert und wechselt ständig blaue Handschuhe. Der 27-Jährige mag seinen Job. Für viele andere hingegen ist der Pflegeberuf in Kliniken, Pflegeheimen und ambulanten Diensten unattraktiv. Warum genau? Wie groß ist der Fachkräftemangel wirklich? Und wie lässt er sich lösen?…“ Umfangreiche Reportage von Jörn Seidel vom 02.11.2022 beim WDR externer Link, siehe das Video dazu und weitere Informationen/Hintergründe:

  • Folgen von Fachkräftemangel v.a. im Gesundheitswesen: Personalnot hier führt zu Personalnot dort New
    47.436 – so viele Stellen sind im Gesundheitswesen nicht mit dem nötigen Personal besetzt. Laut einer Studie ist die Branche am stärksten vom Fachkräftemangel betroffen – was sich auf andere Wirtschaftszweige auswirkt. Das Gesundheitswesen ist die am stärksten vom Fachkräftemangel betroffene Branche in Deutschland. Rund 47.400 Stellen konnten im Jahresdurchschnitt 2023/2024 nicht mit passend qualifizierten Bewerbern besetzt werden. Das geht aus einer Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung externer Link (KOFA) des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor. Die meisten Engpässe gibt es demnach mit knapp 11.600 Stellen bei Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Bei zahnmedizinischen Fachangestellten sind es 7.350, in der Gesundheits- und Krankenpflege 7.100. (…)
    „Eine alternde Bevölkerung führt zu einem steigenden Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen. Dadurch wächst die Belastung auf die vorhandenen Fachkräfte“. Insbesondere sei dies der Fall, wenn offene Stellen im Gesundheitsbereich in großem Maße unbesetzt bleiben. Gleiches gelte auch für Fachkräfte in der Altenpflege, schreiben die Autoren. Ebenso wie fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten führten auch fehlende Pflegeangebote indirekt zu einer Verstärkung von Fachkräfteengpässen in anderen Berufen. Ein knappes Angebot an Dienstleistungen der Daseinsfürsorge müsse oft privat aufgefangen werden und zwinge Eltern und Pflegende, ihre Wochenarbeitszeiten zu reduzieren
    …“ Meldung vom 16.11.2024 in tagesschau.de externer Link („Folgen von Fachkräftemangel: Personalnot hier führt zu Personalnot dort“) auch zur Fachkräftelücke auf dem Bau
  • Barmer-Studie belegt zu hohe Belastung und innere Kündigung bei vielen Pflegekräften – da es an ihrer Arbeitshaltung liegen muss, soll eine »7Mind-App« die Resilienz steigern
    • Studie zu Arbeitsbelastung: Ein Drittel der jungen Pflegekräfte hat den Beruf satt
      „… Zu hohe Belastung, kaum Ausgleich: Fast ein Drittel der jungen Pflegekräfte will nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten und hat innerlich schon gekündigt. 28 Prozent der Fachkräfte im Alter von bis zu 29 Jahren dachten im vergangenen Jahr aufgrund von Stress und Druck darüber nach, den Job aufzugeben, wie aus einer aktuellen repräsentativen Pflegestudie der Krankenkasse Barmer und des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) hervorgeht. Das war der höchste Wert unter allen Altersgruppen. Analysiert wurden im Juni 2023 Ressourcen und Belastungen von rund tausend Pflegekräften in der ambulanten und stationären Versorgung. Bei den 40- bis 49-Jährigen erwogen demnach gut 18 Prozent zuletzt häufiger einen Berufswechsel. Das war der niedrigste Wert unter allen Befragten. »Pflegekräfte arbeiten häufig an der Belastungsgrenze und auch darüber hinaus«, erklärte Barmer-Vorstandschef Christoph Straub. Nötig seien deshalb wirksame Strategien zur Bewältigung des Alltagsdrucks, wozu neben besseren Arbeitsbedingungen Selbstfürsorge und eine verantwortungsvolle Führung gehörten. Die sogenannte innere Kündigung beschreibt eine Arbeitshaltung, bei der Betroffene sich innerlich von ihren Tätigkeiten, der Kollegenschaft und von der gesamten Organisation distanzieren. Die Leistungsfähigkeit sinkt dadurch stark. (…) Den Autoren der Studie zufolge ist eine solche Einstellung häufig direkt an eine geringe Arbeitszufriedenheit geknüpft. »Pflegekräfte benennen die mangelnde Zeit für pflegebedürftige Menschen, die hohen Belastungen und den fehlenden psychosozialen Ausgleich als große Herausforderungen«, heißt es in der Studie. Zudem sind den Ergebnissen zufolge fast zwei Drittel der Pflegekräfte oft oder immer körperlich erschöpft. Mehr als jede zweite Pflegekraft gibt zudem an, oft oder immer emotional erschöpft zu sein. Knapp die Hälfte kann nach eigenen Angaben selten oder nie regelmäßige Pausen im Arbeitsalltag einlegen.“ Meldung vom 31. Januar 2024 im  Spiegel online externer Link („Studie zu Arbeitsbelastung: Ein Drittel der jungen Pflegekräfte hat den Beruf satt“)
    • Eine Downloadmöglichkeit der 63-seitigen Pflegestudie 2.0 der Barmer und dem IFBG externer Link ist bei der Barmer zu finden. Siehe dazu aber auch:
    • Apps gegen Überlastung: Barmer-Studie belegt Ausbrennen der Pflegekräfte. Das Kernproblem Personalmangel wird aber nicht benannt
      „Pflegekräfte arbeiten regelmäßig unter höchster Belastung. Viele von ihnen denken deshalb oft an die Aufgabe ihres anstrengenden Berufes. Das belegt die nun veröffentlichte »Pflegestudie 2.0«, die die Krankenkasse Barmer gemeinsam mit dem Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung erarbeitet hat. (…) Insgesamt gingen hier die Antworten von bundesweit 1.010 Beschäftigten aus ambulanten wie stationären Pflegebereichen ein. Befragt wurden diese im Zeitraum vom 1. bis 30. Juni 2023. (…) Obwohl die Studie nicht repräsentativ sei, so die Barmer, ermögliche die Größe der Stichprobe doch sehr gut, aus den Befragungsergebnissen praxisrelevante Schlüsse für den Pflegebereich zu ziehen. Aus Sicht der Krankenkasse müssten Angebote zur Gesundheitsförderung und Stressabwehr bei den Pflegekräften so früh wie möglich beginnen. Deshalb lege die Barmer einen besonderen Fokus auf Angebote für Auszubildende in der Branche. Mit einem speziellen Programm würde der Nachwuchs unterstützt, Eigenverantwortung für die Gesundheit zu übernehmen. Da die Auszubildenden eher keinen Einfluss auf den Personaleinsatz und die Arbeitsbedingungen haben, hat die Krankenkasse daneben auch die Führungskräfte als weitere wichtige Zielgruppe identifiziert. »Unsere Angebote zielen hier auf die Beratung und Sensibilisierung der Führungskräfte im Hinblick auf die Möglichkeiten einer betrieblichen Gesundheitsförderung ab und wie sie selbst als Führungskraft Gesundheitsförderung mitgestalten können«, heißt es in den abschließenden Handlungsempfehlungen. Doch das Kernproblem, das vor allem aus erheblichem Personalmangel in der stationären wie der ambulanten Pflege besteht, wird hier nicht benannt. Eher erscheint die starke psychische Belastung der Beschäftigten als individuelles Problem, das mit Hilfe einer eigens für das betriebliche Gesundheitsmanagement konzipierten Variante der »7Mind-App« einen souveränen Umgang »mit alltäglichen und außergewöhnlichen Herausforderungen« bewältigt werden könne. Dieses Programm rücke »das Thema Achtsamkeit in den Fokus, denn eine gute Stressbewältigung spielt im Arbeitsalltag eine immer größere Rolle«. So könnten schließlich »gesunde und motivierte Mitarbeitende« die »Herausforderungen besser meistern«. Das hat dann doch sehr stark den Charakter, ein bedeutsames Problem mit einem Placebo bekämpfen zu wollen.“ Kommentar von Gudrun Giese in der jungen Welt vom 1. Februar 2024 externer Link
    • Siehe auch unser Dossier: Resilienz: Individuelle “Widerstandsfähigkeit für Mensch und Unternehmen” statt Gesundheitsschutz
  • Pflege in Deutschland: „Auf dem Weg von der Krise in die Katastrophe“
    „… Warum nicht auch ein großer Streik? Wenn es nicht anders geht, wenn anders die Versorgung der Millionen Menschen hierzulande nicht gesichert werden kann, die auf Pflege angewiesen sind. Da doch die Politik die aufziehende Katastrophe nicht zu erkennen scheint. Oder nicht erkennen will. Schon heute müssen vier von fünf Einrichtungen der Diakonie ihre Angebote einschränken. Mit rund 2500 Einrichtungen ist sie mit Abstand der größte Wohlfahrtsverband Deutschlands. Darauf hat die Diakonie jetzt hingewiesen, denn an diesem Freitag ist der Tag der Pflege. Auf dem Washingtonplatz in Berlin werden sie demonstrieren. Kein Streik, aber vielleicht ein Anfang. „Wir überlegen, ob wir mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen zum Erfolg kommen“, sagt Maria Loheide, im Vorstand der Diakonie für Sozialpolitik zuständig. (…) „Die seit Jahren zu knapp bemessenen Personalschlüssel in der Pflege“ nennt Maria Loheide als einen wesentlichen Grund. „Selbst wenn alle Mitarbeitenden an Bord sind, ist zu wenig Zeit für die Pflege des Einzelnen.“ Der demografische Wandel wird die Lage weiter verschärfen, binnen der nächsten zehn Jahre werden geschätzt eine halbe Million Pflegebedürftige hinzukommen. Pflegekräfte gehen derweil in Rente, benötigen selbst Pflege. „Das ist ein Teufelskreis, den Dienste und Einrichtungen nicht allein durchbrechen können“, sagt Loheide. Zumal die größte Gruppe derjenigen, die Menschen pflegen, die schwächste Lobby hat: die Angehörigen. Sie machen mehr als 80 Prozent aus. (…) Wilfried Wesemann ist Vorstand des evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege, er findet ohnehin, dass die verschiedenen Bereiche der Pflege stärker als eine Einheit gedacht werden müssten. „Wenn die ambulante Versorgung nicht mehr gewährleistet werden kann, müssen Menschen früher einen Heimplatz in Anspruch nehmen.“ (…) Mehr als 56 Prozent der befragten stationären Einrichtungen gaben an, dass sie während des zurückliegenden halben Jahres Betten nicht belegen konnten. Teils aus Eigeninitiative, teils auf Anordnung einer Behörde. In jedem Fall, weil eine qualitativ angemessene Pflege sonst nicht mehr zu gewährleisten gewesen wäre. (…) Rund drei bis sechs Monate dauert es derzeit im Durchschnitt, bis eine freie Stelle besetzt ist. Im ambulanten Bereich sind es sogar neun Monate bis ein Jahr. Ungelernte Mitarbeiter lassen sich zwar schneller finden, doch sie eignen sich bestenfalls für die Akutversorgung des Patienten Pflege. Der benötigt eine neue Therapie, von Grund auf überarbeitet und solide finanziert. Wesemann fordert: „Wir brauchen einen Pflegegipfel.“ Bundeskanzler Olaf Scholz hat ein solches Treffen zugesagt, eine Konferenz mit Vertretern aller an der Pflege Beteiligten, von den Angehörigen bis zu den Heimen. Da war der SPD-Politiker allerdings noch nicht Bundeskanzler, wollte Regierungschef erst noch werden. „Unser Eindruck ist“, sagt Wesemann, „dass die Politik die Situation nicht als so bedrohlich einschätzt, wie sie tatsächlich ist.“ Bei der Diakonie hoffen sie immer noch, dass sie nicht erst streiken müssen, damit sich etwas ändert. Denn, so hat es Maria Loheide formuliert: „Wir befinden uns auf dem Weg von der Krise in die Katastrophe.“ Analyse von Christian Schwager vom 10. Mai 2023 in der Berliner Zeitung online externer Link, siehe dazu:

    • Umfrage von Diakonie und DEVAP: Vier von fünf Pflegeeinrichtungen müssen Angebote einschränken – 89 Prozent der Pflegedienste mussten bereits neue Pflegekunden ablehnen
      „… Die Versorgungssicherheit in der Langzeitpflege ist akut gefährdet. Mehr als Zweidrittel der Pflegeeinrichtungen und ambulanten Dienste in der Diakonie (76 Prozent) mussten in den vergangenen sechs Monaten bereits Leistungen auf Grund von Personalmangel sowie wegen kurz- und langfristigen Erkrankungen von Mitarbeitenden einschränken. In der stationären Pflege konnten 72 Prozent der Träger Leistungen nicht erbringen. Dies betrifft vor allem die Neubelegung freier Betten. Die Versorgungssituation in der ambulanten Pflege ist noch prekärer: 89 Prozent der Dienste mussten in den letzten sechs Monaten Neukundinnen ablehnen und 29 Prozent konnten im selben Zeitraum Leistungen von Bestandskunden nicht aufstocken. Als Hauptgrund wird auch hier fehlendes Pflegepersonal genannt. Das geht aus einer Umfrage des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege e.V. (DEVAP) und der Diakonie Deutschland unter mehr als 600 ihrer Pflegeeinrichtungen und ambulanten Dienste in ganz Deutschland hervor. „Die Zahlen zeigen es: Wir sind bereits mitten in einer akuten Pflegekrise. Nötig ist ein radikales Umdenken in der Politik, wenn wir die Pflege vor dem Kollaps bewahren wollen. Wir brauchen eine gemeinsame gesellschaftliche und politische Anstrengung, um das Pflegesystem zu heilen. Die Pflegeversicherung braucht eine gesicherte Finanzierung, damit sie die pflegebedürftigen Menschen, die pflegenden Angehörigen und die Pflegedienste und -einrichtungen entlasten und handlungsfähig machen kann. Sonst steuern wir von der akuten Krise in die Katastrophe, in der Pflegebedürftige nicht mehr professionell versorgt und pflegende Angehörige unterstützt werden können“, sagt Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie Deutschland. (…) „Wir fordern neben einer grundlegenden Reform der Pflege gemeinsam mit vielen anderen Akteurinnen und Akteuren einen Pflegegipfel, bei dem wir einen Masterplan für die Zukunft der Pflege entwickeln. Die klugen Ideen und Konzepte sind da, um die Katastrophe abzuwenden und endlich gesamtgesellschaftlich die Pflege zu sichern“, so die Verbände.“ Gemeinsame Pressemitteilung von Diakonie Deutschland und Deutscher Evangelischer Verband für Altenarbeit und Pflege e.V. vom 9. Mai 2023 externer Link
  • Kollegen dringend gesucht! Wie Pfleger unter dem Personalmangel leiden
    Adamah ist Pfleger aus Leidenschaft. Wir haben ihn eine Schicht lang in der Uniklinik Essen begleitet. Zwischen Tabletts abräumen und Bettpfannen säubern, erlebt er Ausnahmezustände: einen Patienten, der Desinfektionsmittel trinkt, um an Alkohol zu gelangen, und ein schnurloses Telefon, das niemals still steht.“ Video der WDR-Reportage vom 02.11.2022 externer Link

Siehe Hintergründe im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=205861
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