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Situation in Altenheimen nicht nur in der Coronakrise: “Das könnte einen Flächenbrand geben”
Dossier
“… Die Stimmung ist schlecht und angespannt. Es gibt Zeichen der Überforderung von Kolleginnen und Kollegen, viele haben auch berechtigte Ängste. Diese Kollegen können nicht ins Homeoffice gehen und sind der Infektionsgefahr direkt ausgesetzt. Immer wieder erfahren wir davon, dass es an hygienischen Hilfsartikeln mangelt (…) Es belegt sich jetzt unsere lange Forderung, dass der Personalmangel in den Einrichtungen durch zusätzliche Kräfte aufgehoben werden muss. Die Uni Bremen ist erst kürzlich in einer Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass in Altenheimen und Senioreneinrichtungen mindestens 150.000 Pflegekräfte fehlen. Das kommt jetzt im Rahmen der Pandemie besonders zum Tragen…“ Aus dem Interview von Janne Kieselbach mit Rolf Höfert vom 20.03.2020 beim Spiegel online („Pflegeverbandschef über Situation in Altenheimen: „Das könnte einen Flächenbrand geben““). Siehe dazu:
- Nach Berlin nun in Schleswig-Holstein: Pfleger ruft in der Nacht verzweifelt die Feuerwehr – und wird vom Betreiber stb-care samt Hausverbot entlassen
- „So etwas habe ich noch nie erlebt“: Pfleger ruft verzweifelt die Feuerwehr – und wird entlassen
„Macht das jetzt Schule? Vor ein paar Tagen ein Pflege-Notfall in Berlin, diesmal in Schleswig-Holstein: Wieder muss die Feuerwehr kommen, um die Patienten zu versorgen. Gegen 2 Uhr am Mittwochmorgen sind die Rettungskräfte der Feuerwehr zu einem Seniorenheim in Bark im Kreis Segeberg (Schleswig-Holstein) gerufen worden. Pfleger Nico S. sollte sich als einziger Helfer um 45 zum Teil kranke Senioren kümmern. Dazu sah sich der 33-Jährige nicht fähig (…) Patienten hätten sich eingenässt und in ihren Exkrementen gelegen, weil keine benötigten Einlagen mehr im Haus waren. Der Pfleger gibt an, die Leitung über den Einlagen-Mangel informiert zu haben. Eine Reaktion sei nicht erfolgt. Der Pfleger sagte: „Ich bin seit 13 Jahren ausgebildeter Pfleger, aber so etwas habe ich noch nie erlebt.“ Auf den Stress reagierte er nach eigener Aussage selbst mit körperlichen Beschwerden und musste vom gerufenen Rettungsdienst in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Damit sei das Heim unbesetzt gewesen, berichtete ein Pressesprecher des Rettungsdienstes. Die Heimleitung sei nicht erreichbar gewesen. Daraufhin mobilisierte der Rettungsdienst das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und den Katastrophenschutz. (…)
Die stb-care Holding GmbH betreibt das Heim seit 1. März. Vonseiten des Betreibers hieß es: Die Pflegekraft der Zeitarbeitsfirma sei im Haus gewesen und habe dem Rettungsdienst auch angeboten, den Nachtdienst zu Ende zu führen. Dies hätten die Rettungskräfte aber nicht in Anspruch genommen. Eine Nacht-Betreuung durch eine einzelne Person sei der Pflegestufe der Bewohner entsprechend, so die Leitung.
Nach dem Vorfall in der Nacht ist Nico S. nun offenbar entlassen worden. Ihm sei Hausverbot erteilt worden, weil er nicht richtig reagiert habe, bestätigte die Pflegedienstleitung des Hauses. Der andere Pfleger habe sich bemerkbar gemacht. Nico S. konterte, die andere Person hätte das fehlende Material auch nicht ersetzen können…“ dpa-Meldung vom 24.04.2024 bei t-online - Zwischenfall in Pflegeheim in Bark: Behörden bleiben gelassen
„Eine Pflegekraft des Pflegeheims in Bark kam in der Nacht zu Mittwoch ins Krankenhaus – Rettungsdienst und Katastrophenschutz des DRK mussten deshalb bei der Betreuung der Menschen aushelfen. Heimleitung, Aufsichtsbehörde und Ministerium reagierten gelassen. (…)
Ministerium: „System hat funktioniert“
In erster Linie seien Pflegeheime verpflichtet, die Versorgung ihrer Bewohner sicherzustellen, teilte das Sozialministerium Schleswig-Holstein auf NDR Anfrage mit. In plötzlich und unerwartet auftretenden Notsituationen seien aber tatsächlich Gefahrenabwehrbehörden wie das DRK dafür zuständig, Pflegeheime zu unterstützen. „Dieses System hat nach aktuellem Kenntnisstand im vorliegenden Fall funktioniert“, sagte ein Ministeriumssprecher. (…)
Heimleitung: „Keine bedrohliche Lage“
Die Heimleitung hingegen zeigte sich am Mittwochmorgen im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein irritiert von dem Großeinsatz. Es sei in der Nacht noch eine zweite Fachkraft vor Ort gewesen – gesetzlich vorgeschrieben sei nur eine. Dies sei auch so mit der Wohnpflegeaufsicht des Kreises Segeberg vereinbart. Eine bedrohliche Lage habe es nicht gegeben. (…) RKISH-Sprecher Mandel sagte auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein, dass zwar tatsächlich eine weitere Pflegekraft angetroffen wurde, diese sich aber nach ihrem Spätdienst bis 22 Uhr in der Ruhezeit befunden habe. Deshalb habe sich der Rettungsdienst aus Fürsorgepflicht entschieden, die Pflegekraft nicht alleine zu lassen.
Heimaufsicht findet personelle Ausstattung angemessen
Die Heimaufsicht hat nach Angaben einer Sprecherin des Kreises Segeberg das Pflegeheim am Mittwoch besucht, um insbesondere die aktuelle personelle Situation und die Abläufe zu klären. Auf NDR Anfrage schreibt die Sprecherin: „Die personelle Ausstattung ist für die derzeitige Anzahl der Bewohnerinnen als angemessen anzusehen.“…“ Beitrag vom 24.04.2024 bei NDR
- „So etwas habe ich noch nie erlebt“: Pfleger ruft verzweifelt die Feuerwehr – und wird entlassen
- [Hamburger Sozialbehörde] Fachkräftequote in Pflegeheimen nicht absenken!
„Laut Medienberichten plant die Hamburger Sozialbehörde, die Fachkraftquote in Pflegeheimen zu senken. Hintergrund ist, dass die Einrichtungen eine Quote von 50% an Fach-Pflegekräften nachweisen müssen, um entsprechend Geld von den Pflegekassen zu erhalten. Können sie die Quote nicht erfüllen, müssen sie Kapazitäten abbauen und geraten u.U. in die roten Zahlen. Die Diakonie Hamburg äußerte sich in der Presse wohlwollend zu den Überlegungen der Sozialbehörde und bezeichnete es als einen Schritt in die richtige Richtung, dass Pflegeheime auch mit weniger Fachpersonal arbeiten dürften.Dem widerspricht Sandra Goldschmidt, Landesbezirksleiterin von ver.di Hamburg entschieden: „Wir lehnen diesen Vorstoß vehement ab. Schon jetzt ist die vorgeschriebene Quote nur 50 Prozent und real liegt sie bei 40 Prozent. Wenn Pflegeheimbetreiber wie die Diakonie Hamburg jetzt nicht genug Fachkräfte finden, mag das an den Arbeitsbedingungen z. B. auch am Lohn liegen – ich darf daran erinnern, dass sie in der Vergangenheit die Allgemeinverbindlichkeit (AVE) des Pflege -Tarifvertrags verhindert haben. Und Aufgabe der Sozialbehörde sollte sein, sich auf Ausbildung von Fachkräften zu konzentrieren, statt die Standards zu senken für diejenigen, die sich am schlechtesten wehren können: pflegebedürftige alte Menschen. Wenn Hamburg Stadt der guten Arbeit sein will, dann muss das auch für die Pflege gelten – sie muss hochwertig werden, nicht schlechter!““ Pressemitteilung vom 23.04.2024 beim ver.di-Landesbezirk Hamburg - Fehlendes Personal in einem Altenheim in Berlin sorgte für einen Polizeieinsatz: „Ein selbstgemachtes Problem“ „Fehlendes Personal in einem Altenheim sorgte für einen Polizeieinsatz. Gisela Neunhöffer von Verdi sieht das Land Berlin in der Verantwortung.
[taz: Frau Neunhöffer, vor einigen Tagen machte ein Notfall in Friedrichsfelde auf den Pflegenotstand aufmerksam. Wie sieht die Versorgung in Altenheimen in Berlin aus?]
Gisela Neunhöffer: Es fehlt bundesweit an Personal, auch in Berlin. Seit 2019 haben 28 stationäre Langzeitpflegeeinrichtungen geschlossen, nur 12 haben neu eröffnet. Laut einem bundesweiten Gutachten zur Personalbemessung von 2022 fehlen schon jetzt mindestens 20.000 Vollzeitstellen, bis 2030 mindestens 51.000. Würde man mit einem ausreichenden Personalschlüssel arbeiten, bräuchte es 186.000 Pflegekräfte mehr.
[Warum gibt es diesen Personalmangel in der Pflege?]
Der Fachkräftemangel in der Altenpflege ist ein selbstgemachtes Problem. Jahrzehntelang ignorierte die Politik die Hilferufe der Beschäftigten. Viele haben den Beruf verlassen und hinterlassen eine große Lücke. Ein großes Thema ist der Lohn. Zwar gibt es einen Mindestlohn, der auch kontinuierlich steigt, jedoch liegt der nach dreijähriger Ausbildung ab Mai 2024 bei lediglich 19,50 Euro. Besonders die Vergütung für Nachtschichten oder Wochenende ist laut Pflegekräften zu niedrig.
[In Friedrichsfelde rief eine Pflegerin am Ende ihrer Schicht die Polizei, da keine Fachkraft für die Übergabe zur Arbeit erschienen ist. Wie kann es zu so einem Notfall kommen?]
Es sind so wenig Arbeitskräfte wie möglich eingeplant. Das Problem ist, dass es keine verbindlich Personalbemessung gibt, die sagt, wie viele Personen pro Schicht arbeiten müssen. Es gibt lediglich allgemeine Vorgaben zur Zahl der insgesamt zu beschäftigenden Pflegekräfte, und die sind aus unserer Sicht deutlich zu gering. Und wenn nur eine Pflegefachkraft pro Dienst anwesend sein muss, ist das zu wenig. (…)In vielen Betrieben gibt es kein vernünftiges Ausfallmanagement. Schon bei der Dienstplanung muss klar sein, was passiert, wenn es keine Übergabe geben kann. In dem aktuellen Fall sollte eine Person einer Leiharbeitsfirma gerufen werden, doch das hatte nicht geklappt. Selbst wenn die Fachkraft kommt, kennt sie in den meisten Fällen das Haus nicht, was auch keine gute Lösung ist...“ Interview von Anastasia Zejneli vom 19.4.2024 in der taz online („Gewerkschaftlerin über Pflegenotstand: „Ein selbstgemachtes Problem““) - Vom individuellen und kollektiven Versagen: Wieder einmal ein Blick auf das würdelose Geschäft mit alten Menschen in Pflegeheimen
„Nicht schon wieder einer dieser Pflegeskandal-Berichte mit abstoßenden Bildern, mag der eine oder andere gedacht haben, als am 10. Februar 2022 eine neue Folge von „Team Wallraff – Reporter Undercover“ via RTL ausgestrahlt wurde: „Abgeschoben und vergessen: Das würdelose Geschäft mit alten Menschen in unseren Pflegeheimen“, so ist die Sendung überschrieben. Und folgt man beispielsweise dieser Beschreibung, dann ahnt man, dass genau diese Bilder geliefert werden: Vernachlässigte Bewohner, mangelnde Hygiene: Reporter decken schockierende Zustände in Pflegeheimen auf : Für eine neue Investigativ-Reportage war das „Team Wallraff“ in vier privatwirtschaftlich geführten Pflegeeinrichtungen undercover und hat dabei zahlreiche Missstände dokumentiert. Was die „Team Wallraff“-Reporter vor Ort erleben, wirkt erschreckend. Sie begegnen verängstigten, einsamen und vernachlässigten Heimbewohnern, die unter teils fragwürdigen Hygienebedingungen zu leiden haben. Und sie erleben überlastetes Pflegepersonal, Personalmangel und Führungskräfte, die aus dem Kostendruck der Konzerne keinen Hehl machen.
Der Beitrag von „Team Wallraff“ bewegt sich zwischen der im wahrsten Sinne des Wortes unerträglichen bildgestützten Präsentation eines würdelosen Umgangs mit alten Menschen, die in den ausgewählten Pflegeheimen den dort arbeitenden Menschen und den Bedingungen vor Ort vollständig ausgeliefert sind – und es werden massive individuelle Pflegefehler und individuelles Fehlverhalten dokumentiert. Zugleich versucht man immer wieder, auf strukturelle Hintergründe zu verweisen, auf die Durchschlagskraft einer nach ihren Gesetzmäßigkeiten agierenden Profitorientierung eines Teils der Heimbetreiber.
Die im Wallraff-Beitrag vor dem Hintergrund der Träger der in der Reportage unter die Lupe genommenen Heime problematisierten Privat Equity-geführten Pflegeheimketten sind nur die Speerspitze eines außer Kontrolle geratenen renditeorientierten Geschäftsmodells, das betriebswirtschaftlich durchaus konsequent die alten Menschen behandeln muss wie Kühlschränke oder Waffen in „normalen“ produzierenden Unternehmen (vgl. hierzu den Beitrag Betriebswirtschaft schlägt Sorge um Senioren von Solveig Bach sowie die zahlreichen Beiträge speziell zu den Private-Equity-Unternehmen, die in diesem Blog veröffentlicht wurden).
Hingewiesen wurde auch auf die erschütternden Vorkommnisse im bayerischen Schliersee in den ersten Monaten der Corona-Pandemie. Auch deshalb, weil diejenige, die das damals an der Front erlebt und entsprechende Hilfemaßnahmen eingeleitet hat, die später ihren Job gekündigt hat und dann in ihrer Not ob des Nicht-Handelns zahlreicher politischer und administrativer Institutionen und Personen an die Medien gegangen ist, in der Wallraff-Sendung die Bilder aus den Pflegeheimen kommentiert und einordnet: Andrea Würtz. Mit ihr wurde dieses lesenswerte Interview über den Preis des Whistleblowings und die Verantwortung der Pflegekräfte veröffentlicht: Missstände in der Pflege: „Das sind Menschenrechtsverletzungen, die da stattgefunden haben“ . Ihre Rolle und das, was da im Frühjahr 2020 in Schliersee passiert ist, war am 21. Januar 2022 Thema einer großen Reportage von Rainer Stadler in der Süddeutschen Zeitung unter der schlichten Überschrift: Pflegebedürftig : »Abgemagerte Bewohner, verzweifeltes Personal, profitgierige Konzerne: Nicht erst seit Beginn der Pandemie herrscht in Deutschlands Altenheimen der Notstand. Über den Irrsinn im System.« (…) Nicht nur der Fall Schliersee hat ein erschreckendes Versagen beim staatlichen Schutzauftrag in Form der Heimaufsicht offenbart. (…)
In der Reportage des „Team Wallraff“ taucht nun aus diesen Tagen ein weiteres Heim an einem anderen Ort auf, bei dem es einen unmittelbaren Zusammenhang zu dem nach einer quälend langen Hängepartie nun endlich geschlossenen „Skandal-Heim“ in Schliersee gibt: Am 9. Februar 2022 veröffentlichen Claudia Gürkov und Melanie Marks diesen Beitrag: „Das war ein Gefängnis“: Massive Pflegemängel in Augsburger Heim . Und man kann es gar nicht glauben, das lesen zu müssen: »Vier Monate nach Schließung der Seniorenresidenz Schliersee belegen BR-Recherchen: Auch im Augsburger Heim des Trägers gibt es massive Pflegemängel. Wieder geht es um unversorgte Wunden, falsche Medikamente, zu wenig Essen und Trinken und um Gewalt.« (…)
Dabei geht es auch, aber eben nicht nur um die Frage, wie man die toxischen Effekte außer Kontrolle geratener Geschäftsmodelle einer renditeorientierten Ausgestaltung der Pflege und Betreuung in den Griff bekommen bzw. schlichtweg unterbinden kann, oder wie man endlich eine klare Verantwortlichkeit (vor Ort) für den Zustand der pflegerischen Versorgung hinbekommt, sondern angesichts der Verschränkung des individuellen und kollektiven Versagens, die ganzheitlich in den Blick genommen werden muss, sollte auch die individuelle Verantwortung derjenigen adressiert werden, die rund um die Uhr an jedem Tag eines Jahres am und mit den Bewohnern arbeiten müssen…“ Beitrag vom 12. Februar 2022 von und bei Stefan Sell - Arbeitsschutz: Trotz Corona-Ausbruch keine Kontrolle. Pflegeheime in Hessen wurden während der Corona-Pandemie kaum kontrolliert
„Die Arbeitsbedingungen in hessischen Pflegeheimen sind in den vergangenen Monaten kaum kontrolliert worden. Teilweise wurden selbst Pflegeheime mit massiven Corona-Ausbrüchen nicht geprüft, zeigen Recherchen von BuzzFeed News. (…) In ganz Deutschland gibt es Arbeitsschutz-Behörden, die auch für den Schutz von Pflegekräften in Altenheimen zuständig sind. Sie müssen etwa die Schutzausrüstung prüfen, ob wirksames Desinfektionsmittel vorhanden ist oder Schichtpläne entsprechend verändert wurden, um ausreichend Abstand zwischen den Pfleger:innen zu garantieren. Doch Recherchen von BuzzFeed News Deutschland zeigen, dass in den vergangenen Monaten fast keines der 850 hessischen Pflegeheime von den Arbeitsschutz-Behörden besucht worden ist. „Hessenweit wurden, zwischen August und Dezember 2020, 13 Pflegeheime begangen“, schreibt das Hessische Ministerium für Soziales und Integration auf Anfrage. Das sind weniger als zwei Prozent. Im Januar hat das Ministerium eine bis Ende April laufende, sogenannte Schwerpunktaktion Corona Pflege gestartet. Doch im Rahmen dieser Schwerpunktaktion haben die Behörden bis Mitte März noch kein einziges Pflegeheim persönlich aufgesucht. (…) „Das ist natürlich eine Katastrophe“, sagt Anette Hergl, die bei verdi in Frankfurt für die Altenpflege zuständig ist. „Es müssten eigentlich alle Pflegeheime eine Kontrolle und eine kontinuierliche Begleitung bekommen.“ Hergl kritisiert den Einsatz von Fragebögen. Die Unternehmen hätten oft kein Interesse an Arbeitsschutz, weil das zusätzliche Kosten verursache. Missstände decke man nicht mit Fragebögen auf. Die Kontrollen der Pflegeheime per Fragebogen durchzuführen, halten im Gespräch mit BuzzFeed News auch mehrere leitende Pflegekräfte für falsch. „Papier ist geduldig“, sagt eine Pflegeheimleiterin. „Da kann ich alles draufschreiben.“ Andere Leitungskräfte bezeichnen die Fragebogen-Aktion als lachhaft. (…) Die seltenen Kontrollen in hessischen Pflegeheimen folgen einem Trend: In den vergangenen gut zehn Jahren hat sich die Zahl der Arbeitsschutzkontrollen in ganz Deutschland insgesamt etwa halbiert…“ Artikel von Daniel Drepper vom 02.04.2021 bei BuzzFeed News Deutschland - Pflegeheime und Covid-19. Fragen über Fragen diesseits und jenseits der Hoffnung, mit den Impfungen wird alles vorbei sein
“Man kann das, was hier angesprochen wird, auch in den kalten, nackten Zahlen zum Ausdruck bringen. Beispiel Berlin: »Der in der Corona-Pandemie viel beschworene Schutz der vulnerablen Gruppen ist in Berlin offensichtlich nicht gelungen. In Alten- und Pflegeheimen der Stadt sind bislang 1.034 Bewohner an oder mit dem Coronavirus verstorben. Das sind fast 60 Prozent aller in Berlin seit Beginn der Pandemie registrierten Todesfälle. Fast 6.000 Bewohner und 2.622 Beschäftigte haben sich angesteckt. Damit findet fast die Hälfte des amtlich registrierten Infektionsgeschehens in den Pflegeheimen statt. Insgesamt leben etwa 30.000 Menschen in den Einrichtungen«, so Joachim Fahrun und Julian Würzer in ihrem Beitrag Berliner Pflegeheime sind die Hotspots der Pandemie . Die in diesem Artikel zitierten Zahlen stammen aus einem internen Lagebericht der Senatsgesundheitsverwaltung vom 14. Januar 2021. (….) Und die im folgenden zitierte Rekonstruktion der letzten Woche hat keinesfalls nur die Funktion einer Vergangenheitsbewältigung, weil ja jetzt alles anders wird durch die Impfungen. Allerdings kann man diesen Eindruck bekommen, dass viele hoffen, dass es so kommt, dass man dann die Heime „abhaken“ kann als problematische Baustelle. Nur – das wissen wir derzeit schlichtweg nicht. Was man derzeit sagen kann: Eine Impfung soll eine schwere Erkrankung bei den Geimpften verhindern, aber keiner kann uns zur Zeit versichern, dass die Geimpften auch nicht mehr ansteckend sein werden. Dazu fehlt die wissenschaftliche Evidenz. Das bedeutet aber, dass es sehr wohl noch lange Zeit so sein kann bzw. wird, dass die umfangreichen und personalintensiven Schutzmaßnahmen in den Heimen fortgeführt werden müssen. »Warum Soldaten Pflegeheime beim Schutz vor dem Virus unterstützen – und nicht Freiwillige, die nur darauf gewartet hatten, zu helfen. Eine Rekonstruktion« – darum geht es in dem Artikel Bis jemandem der Kragen platzte von Jasper von Altenbockum in der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Wir lernen hier so einiges über „Abläufe“, „Prozesse“ und vor allem, was so alles schief laufen kann. (…) Ach ja, der Glaube, der so oft enttäuschte, darf auch nicht fehlen: »Das Problem in den Heimen werde sich durch die Impfungen erledigen, hieß es in den Beratungen. Aber es dauere noch acht Wochen bis zur Immunisierung durch die Zweitimpfung«, berichtet Altenbockum in seinem Artikel über die Sichtweise der Verantwortlichen. Nein, wie gesagt, selbst nach der Zweitimpfung ist es eben nicht klar, dass sich das Problem in den Heimen „erledigt.“ Und das können und sollten die Verantwortlichen nicht nur wissen, das müssen sie berücksichtigen, wenn sie halbwegs professionell arbeiten würden…“ Beitrag von Stefan Sell vom 17.01.2021 auf seinem Blog Aktuelle Sozialpolitik - Die Kosten des Profits. In der Pandemie rächt sich die Ökonomisierung der Alten- und Pflegeheime
„… Im Spätherbst wurden an die Einrichtungen ausreichend FFP2-Masken ausgeliefert, die von allen Beschäftigten vor Ort getragen wurden. Die Einführung von Schnelltests verlief chaotisch und von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich. Es gab keine einheitlichen Konzepte und die Beschaffung war jedem Pflegeheim selbst überlassen. Diese Tests haben einen Nutzen. Ihr Einsatz ist dennoch eine Notmaßnahme, die sich für Laien besser anhört als sie ist. Nicht alle Infizierten werden durch so einen Test erkannt. Neben den Testeigenschaften ist die Ergebnissicherheit abhängig davon, wie er ausgeführt wird. Schnell wurde deutlich, dass Personal für die Durchführung fehlte – es sei denn, qualifiziertes Pflegepersonal wurde von der eigentlichen und schon tendenziell unterbesetzten Pflegearbeit abgezogen. Gerade an diesem Fachpersonal, das für die Ausführung gebraucht wird, besteht ein Mangel. (…) Trotz lange bekanntem Pflegenotstand hat selbst die Mehrarbeit in dieser Pandemie nicht zu Einstellungen geführt. Zudem ist der Druck auf die Pflegenden noch gewachsen. Niemand will dafür verantwortlich sein, eine Coronainfektion in eine Einrichtung zu tragen. Das ist eine enorme permanente Belastung. Kommt es zu Infektionen, so ist die Beanspruchung maximal. Demente Coronainfizierte unter Infektionsschutzmaßnahmen zu versorgen, zu pflegen, zu waschen usw. stellt einen enormen Aufwand da. Gut schützende FFP3-Masken sind nicht ausreichend vorhanden. Die Pflegenden riskieren ihr Wohlergehen und das ihres nahen sozialen Umfeldes. Es entstehen maximale Arbeitszeitbelastungen, wenn Kolleg*innen durch Infekte ausfallen. Und sie können auch nicht ohne Abstriche kurzfristig ersetzt werden, da sie über lange Zeit Beziehungen zu den Pflegenden aufgebaut haben. (…) Gleichzeitig sind die strukturellen Mängel in den Pflegeeinrichtungen der Ökonomisierung des Sektors geschuldet. Medizin und die ambulante wie stationäre Pflege sind daran ausgerichtet, hohe und sichere Profite abzuwerfen, ebenso die Labore, die durch Millionen Tests hohe Gewinne erwarten. Die ökonomischen Interessen müssen kenntlich gemacht werden. Widersprüche zum Infektionsschutz müssen benannt werden und dürfen diesem nicht im Wege stehen. Bisher setzen die Schutzmaßnahmen vornehmlich in der Sphäre der Reproduktion an, also im »Privatleben«. Ein konsequenterer Infektionsschutz bedarf aber auch der Eingriffe in Wirtschaftsabläufe und Produktion. Die medizinische wie pflegerische Versorgung ist eine soziale Aufgabe und kein Geschäftsfeld. Die Ökonomisierung der letzten Jahre hat dies überdeckt und die Versorgung verschlechtert. Das gilt es zu ändern.“ Artikel von Kai-Uwe Helmers vom 09.01.2021 im ND onine – Kai-Uwe Helmers ist seit 17 Jahren niedergelassener Arzt in Hamburg und betreut viele Menschen in Alten- und Pflegeheimen. Er gehört dem erweiterten Vorstand des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte an. - Pflegereport 2020: 26.000 fehlende Pflegekräfte durch überdurchschnittliche krankheitsbedingte Ausfälle – ver.di: BARMER-Pflegereport zeigt Folgen der Überlastung
- ver.di: BARMER-Pflegereport zeigt Folgen der Überlastung, aber auch Wege aus dem Teufelskreis – Fachkräftemangel darf nicht länger als Ausrede herhalten
„Anlässlich der Vorstellung des BARMER-Pflegereports am heutigen Dienstag (1.12.20) bekräftigt die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ihre Forderungen nach bedarfsgerechten Personalstandards und einer solidarischen Finanzierung in der Altenpflege. „Der BARMER-Pflegereport zeigt die dramatischen Folgen der Überlastung für die Beschäftigten in der Altenpflege. Sie sind weitaus häufiger und länger krank und müssen deutlich öfter vor dem gesetzlichen Rentenbeginn aus dem Beruf ausscheiden als Beschäftigte anderer Branchen“, erklärte Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheitswesen zuständig ist. Würden Krankschreibungen und Frühverrentungen auf das Durchschnittsniveau gesenkt, stünden laut BARMER-Pflegereport auf einen Schlag 26.000 zusätzliche Pflegekräfte zur Verfügung. „Das zeigt den Weg aus dem Teufelskreis: Bessere Arbeitsbedingungen führen zu mehr Pflegekräften, mehr Personal ermöglicht gute Arbeitsbedingungen“, so Bühler. „Der von Arbeitgebern beklagte Fachkräftemangel darf nicht länger als Ausrede herhalten.“ Die Gewerkschafterin verwies darauf, dass die Fehlzeiten bei Pflegehilfskräften besonders hoch sind, vor allem aufgrund psychischer und Muskel-Skelett-Erkrankungen. „Pflegehilfskräfte müssen allzu oft Tätigkeiten ausführen, für die sie nicht qualifiziert sind. Das setzt sie besonders unter Druck und macht krank.“ Um das zu ändern, müssten in den Pflegeheimen deutlich mehr und jederzeit genug Fachkräfte eingesetzt werden. Insgesamt sind in der Altenpflege laut Professor Heinz Rothgang, einem der Autoren des BARMER-Reports, rund 115.000 zusätzliche Stellen nötig. (…) Um genug Arbeitskräfte für die Altenpflege zu gewinnen und zu halten, sei neben guten Arbeitsbedingungen auch eine angemessene Bezahlung nötig, so Bühler weiter. Das lasse sich am besten verbindlich durch Tarifverträge regeln, denen sich viele Arbeitgeber jedoch noch immer verweigerten. Dem Lohndumping insbesondere kommerzieller Unternehmen müsse ein Riegel vorgeschoben werden. ver.di habe deshalb gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) einen Tarifvertrag über Mindestbedingungen vorgelegt, der vom Bundesarbeitsministerium auf die gesamte Altenpflege erstreckt werden soll…“ Pressemitteilung vom 01.12.2020 . Siehe: - 26.000 fehlende Pflegekräfte durch überdurchschnittliche krankheitsbedingte Ausfälle – Autorenteam des SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen erstellt Pflegereport 2020 im Auftrag der BARMER
Pressemitteilung vom 01.12.2020 bei SOCIUM zum Pflegereport 2020 und darin: „… Vielfach erhöhte Belastungen in der Pflege. Für Pflegekräfte wurden in vielen Bereichen erhöhte Belastungen festgestellt. Rund 92 Prozent der Altenpflegefachkräfte arbeiten häufig im Stehen (im Vergleich zu 47 Prozent in sonstigen Berufen) Häufiges Heben und Tragen von schweren Lasten wird von 76 Prozent der Altenpflegefachkräfte berichtet (gegenüber 15 Prozent in sonstigen Berufen). Deutlich häufiger ist zudem das Arbeiten in Zwangshaltungen (45 Prozent zu 11 Prozent). Von den Altenpflegefachkräften geben 52 Prozent an, häufig Vorschriften bezüglich der Mindestleistung oder der Zeit für bestimmte Arbeiten zu haben (im Vergleich zu 27 Prozent in den sonstigen Berufen). Häufig unter Termin- und Leistungsdruck stehen 63 Prozent (Vergleichsgruppe: 50 Prozent). Dass sie häufig sehr schnell arbeiten zu müssen, berichten 53 Prozent im Vergleich zu 39 Prozent der sonstigen Beschäftigten und 31 Prozent der Altenpflegefachkräfte geben an, häufig bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit zu gehen (16 Prozent bei den sonstigen Berufen). All dies wird von den Pflegekräften auch häufiger als belastend empfunden als von den Beschäftigten in sonstigen Berufen. (…) Für Altenpflegefachkräfte wurde ein Krankenstand von 7,2 Prozent ermittelt. Bei den entsprechenden Hilfskräften lag dieser sogar bei 8,7 Prozent. In den sonstigen Berufen wurde dagegen ein Krankenstand von 5,0 Prozent verzeichnet. Aus der Multiplikation der Differenz im Krankenstand mit der Zahl der beschäftigten Pflegekräfte resultiert die (Arbeitszeit, die überdurchschnittlich durch krankheitsbedingte Fehlzeiten am Arbeitsplatz verloren ging). Diese überdurchschnittlich verlorengegangene Arbeitszeit beläuft sich auf das Ausmaß der Arbeitszeit von gut 24.000 Pflegekräften im Jahr 2017...“ - Siehe zur Frage des Tarifvertrags unser Dossier Die einen wollen Tariflöhne in der Altenpflege, die anderen die Arbeitgeber genau davor bewahren
- ver.di: BARMER-Pflegereport zeigt Folgen der Überlastung, aber auch Wege aus dem Teufelskreis – Fachkräftemangel darf nicht länger als Ausrede herhalten
- Erneut wieder nur Pest oder Cholera? Ein albtraumhaftes Dilemma in Zeiten von Corona: Menschen in Pflegeheimen in der zweiten Welle
“Wir sind mittendrin in der zweiten Corona-Welle. Und erneut schlägt die Entwicklung voll durch auf die Pflegeheime. (…) Aber das Sterben und der Tod finden in der Pandemie ihren grausigen Höhepunkt in den Orten, wo die Verletzlichsten konzentriert sind. In den Pflegeheimen. Auch (wieder) bei uns in Deutschland. »Mehrere Pflegeeinrichtungen in Bayern melden Corona-Ausbrüche. In einem Heim in Berching sterben vier Senioren«, so dieser Artikel: Das Virus ist zurück in den Heimen . »Mit den steigenden Corona-Infektionszahlen in Niedersachsen nimmt nun auch die Zahl der Erkrankten in den Alten- und Pflegeheimen wieder deutlich zu,« so diese Meldung: Mehr als 80 Pflegeheime melden Corona-Infektionen . »Trotz ausgeklügelter Vorsichtsmaßnahmen verbreitet sich das Virus in Frankfurter und Bad Vilbeler Seniorenzentren«, berichtet Patrick Eickhoff unter der Überschrift Corona in Frankfurt und Bad Vilbel: Massiver Ausbruch in zwei Pflegeheimen . »Rund 700.000 Menschen, die älter als 70 sind, werden in deutschen Heimen betreut. Sie sind von Covid-19 besonders bedroht. Können sie besser geschützt werden als im Frühjahr?« fragen sich Hannes Heine und Sinan Reçber: Corona-Neuinfektionen unter Senioren steigen drastisch . »Nach einem Corona-Ausbruch in einem Pflegeheim im Landkreis Tübingen sind inzwischen sieben Bewohner gestorben … Auch 13 Angestellte des Heims waren positiv auf das Virus getestet worden. Davon seien mittlerweile vier wieder im Dienst, hieß es«, so diese Meldung: Corona-Infektion in Altenheim – mittlerweile sieben Todesfälle . Man könnte diese Liste bereits jetzt (wieder) mit zahlreichen weiteren Pressestimmen füttern. Aber unweigerlich kommt sie angesichts der Entwicklungen wieder zurück auf die Tagesordnung: Die Frage nach der Abschottung der Einrichtungen, den Besuchsverboten und den Kontaktbeschränkungen. Das, was viele Menschen sowohl in wie auch außerhalb der Heime in der ersten Corona-Welle so bitterlich, oft auch traumatisch erleben mussten. Nicht mehr rein können und dürfen und hilflos darauf hoffen und vertrauen müssen, dass es den Angehörigen schon gut gehen wird, dass man sich soweit es geht um sie kümmern und sie umsorgen wird. Und das sei hier in aller Deutlichkeit angemerkt: Wir müssen extrem dankbar sein, dass sich so viele Menschen in der Pflege im wahrsten Sinne des Wortes aufopfern, in Gefahr bringen und ausharren, um die schwächsten Glieder in einer langen Lebenskette, die am Ende wieder wie am Anfang wird, zu schützen und zu versorgen. Und bevor man vorschnell den Stab bricht, sollte jeder darüber nachdenken, was es in diesen Zeiten und vor dem Hintergrund der Fehlstellungen im bestehenden System, die schon lange vor Corona manifest waren, bedeuten würde, wenn er oder sie Verantwortung hätte für die Bewohner wie für die Beschäftigten in einer Senioreneinrichtung. Was soll man vor Ort machen, wenn ein massenhafter Corona-Ausbruch in einem Heim mit möglicherweise vielen Toten ein bedrohlich nah über einem schwebendes Damoklesschwert darstellt? Hinzu kommt das Problem, dass der schon lange vor Corona existente Pflegekräftemangel (nicht nur) durch Infektionen und krankheitsbedingte Ausfälle beim eigenen, auf dem Zahnfleisch gehenden Personal, enorme Lücken reißt oder reißen kann, sondern zugleich müssen im Gefolge der Auflagen im Kontext der Pandemie zahlreiche Zusatzaufgaben übernommen oder irgendwie mit lebendem Personal hinterlegt werden. Das gilt selbst und gerade für gut gemeinte oder als gut verkaufte „Hilfsmaßnahmen“ wie die Schnelltests für die Besucher einer Einrichtung. (…) Die BAGSO berichtet über das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten : »Die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen in Pflegeheimen im Rahmen der Corona-Pandemie verstoßen in weiten Teilen gegen das Grundgesetz. Das ist das Ergebnis eines Rechtsgutachtens … Dem Gutachten zufolge müssen die negativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung viel stärker in den Blick genommen werden. Das Leiden von Demenzkranken unter einer für sie nicht begreifbaren Isolation sei dabei besonders zu berücksichtigen. Eine niemals zu rechtfertigende Verletzung der Menschenwürde liege in jedem Fall vor, wo Menschen aufgrund von Besuchsverboten einsam sterben müssen.« Wenn man in dem Gutachten liest, dass die Ermessens- und Beurteilungsspielräume für Behörden, Heimträger und Heimleitungen auf ein Minimum reduziert werden müssen, dann verweist das auf eine Perspektive, die hier bei aller Sympathie und bei allem Verständnis für die, die vor Ort Entscheidungen treffen müssen (und von denen sich viele ein oder auch zwei Beine ausreißen, um die ihnen anvertrauten Menschen auch in diesen Ausnahmezeiten so zu versorgen, wie es nach allen Kriterien der pflegerischen Ethik erforderlich ist), davon ausgeht, dass es keinen Zustand geben darf, in dem ein Heim (wieder) faktisch zur einer „black box“ wird. Aber leider wurde der Sommer dieses Jahres nicht genutzt, um all die Dinge, die nun zum Ausbruch kommen, zu strukturieren und durch ein gemeinsam (auch von außen und nicht nur von innen) verantwortetes Handeln wenigstens zu ordentlichen Zwischen- oder Übergangslösungen zu kommen. Diese Kritik bezieht sich hier ausdrücklich nicht auf die vielen Beispiele guter Praxis vor Ort, in denen versucht wird, mit den zahlreichen Anforderungen der Ausnahmesituation umzugehen, sondern gemeint ist der Anspruch, dass man flächendeckend verbindliche Regelungen und Strukturen schafft, auf die sich die Menschen verlassen können…“ Beitrag von Stefan Sell vom 12.11.2020 bei Aktuelle Sozialpolitik - Kontrollverlust in Pflegeheimen: Welche Folgen hat die mangelnde Aufsicht für die Bewohner?
„Die Qualität von Pflegeeinrichtungen in Deutschland wird seit Mitte März infolge der Corona-Pandemie kaum noch kontrolliert. (…) Das Bundesgesundheitsministerium hat regelmäßige Qualitätsprüfungen in Pflegeheimen bis Ende September ausgesetzt. Anlassbezogene Prüfungen aufgrund von Beschwerden sind davon ausgenommen. Allerdings konnten Angehörige zeitweise wegen der Besuchsverbote nicht mehr in die Heime und somit auch nicht auf Mängel aufmerksam machen. In der Folge ging die Zahl der anlassbezogenen Kontrollen stark zurück – sowohl bei den MDK als auch bei den Heimaufsichten. Das hat eine Abfrage von REPORT MAINZ bei den Kontrollbehörden ergeben. So gab es seit Mitte März lediglich 51 anlassbezogene Prüfungen bei allen medizinischen Diensten in ganz Deutschland. Das sind 56 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum der drei Vorjahre. Eine ähnliche Tendenz gab es auch bei den Heimaufsichten. (…) O-Ton, Stefan Sell, Hochschule Koblenz: „Die Ergebnisse sind, gelinde gesagt, dramatisch vor dem Hintergrund, dass wir in den vergangenen Wochen und Monaten in vielen Pflegeheimen einen quasi rechtsfreien Raum hatten. Denn es gab keinen, der geschaut hat, was mit den verletzlichsten Gliedern hier in unserer Gesellschaft, den Menschen in den Pflegeheimen, passiert ist. (…) Wenn man Einrichtungen vollständig vom Netz nimmt, keinen mehr reinlässt, dann muss sichergestellt werden, dass es eine intensive Betreuung und Begleitung durch staatliche Aufsichtsbehörden gibt. Das darf nicht wieder passieren, dass Heime machen können, was sie wollen.“…“ Bericht von Anna-Teresa Kiefer und Gottlob Schober vom 18. August 2020 bei Report Mainz (Videolänge: 6:50 Min.) - [Reportagen der Solidarität – Report #18] Sascha L. arbeitet in einem Pflegeheim im Wedding
„Ich möchte gerne berichten, welche Erfahrungen ich als angestellter Musiktherapeut in einem privat geführtem Pflegeheim am Standort Wedding machen konnte. Kurz zusammengefasst erlebte ich das Heim schon auf Grund seiner Größe (6 Etagen a 40 Betten bzw. 25 Betten auf zwei Etagen) als über ambitioniert. Dadurch ergaben sich einige strukturelle und personelle Probleme. Trotz der vielen Räume gab es für das Pflegepersonal kaum Möglichkeiten sich in den Pausen in einem Separee zurückzuziehen. Der Pfleger/innen Officebereich war in dem Tagesraum und Speisesaal integriert. Lediglich ein offener Tresen trennte die beiden Bereiche. Die Fluktuation in allen Arbeitsbereichen war sehr groß. Die Heimleitung wechselte in einem Zeitraum von 8 Jahren vier Mal. Mitarbeiter, denen wegen fahrlässigem Handeln in der Pflege gekündigt wurde, wurden auf Grund des Personalmangels ein halbes Jahr später wieder eingestellt, oder gar nicht erst gekündigt. Geringschätzung der aufopfernden Pflegearbeit war an der Tagesordnung. Der Betriebsrat wurde durch Stimmungsmache seitens der Heimleitung und Pflegedienstleitung psychisch mürbe gemacht. Leider wurde es verpasst gegen das offensichtliche Mobbing rechtlich vorzugehen. Die Heimleitung sprach sich offen dafür aus, dass ein Betriebsrat nicht erwünscht sei. (…) Die Bereiche KZP/IP bleiben in diesem Haus derzeit geschlossen. Man kann nur hoffen, dass sie nicht mehr geöffnet werden. Meiner Meinung nach wird dieses Unternehmen von einer Familie geführt, die weniger ein Ansinnen hat, mit ihrem Pflegeheim einen Ort zu schaffen, wo es den Bewohnern und Angestellten gut geht, wo eine angemessene Pflege gewährleistet wird. Vielmehr ist es wohl ein Spekulationsobjekt, dass sich nach eigenen Angaben der Heimleitung bislang nicht rentiert. Da fragt man sich, wo ist das ganze viele Geld hin? Ist das wirklich mit einem angeblichem Missmanagement und schwierigem Standort ausreichend zu erklären? Was ich mir wünschen würde? Das Heim sollte geschlossen werden. Gegen die Familie sollte wegen Missachtung ihres Pflegeauftrags ermittelt werden.“ Reportagen der Solidarität – Report #18 vom 09.08.2020 bei Hände weg vom Wedding! - 40 Minuten mehr am Tag: Pflegeheime brauchen mehr Personal, um die Menschen würdig zu versorgen – das bestätigt ein Gutachten. Doch die Umsetzung verzögert sich
„… [Der Bremer Pflegeökonom Heinz] Rothgang hat im Auftrag der Pflegekassen, Sozialhilfeträger und Berufsverbände und im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit eine umfassende Studie zum Personalmehrbedarf in Pflegeheimen erstellt. Laut dem Pflegestärkungsgesetz II sollte dieses „wissenschaftlich fundierte Verfahren“ zur „einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs“ in Heimen bis zum 30. Juni 2020 „entwickelt und erprobt“ sein. Doch davon kann nicht die Rede sein. Ein Zwischenbericht der Studie wurde bereits vor Monaten vorgestellt, doch der Abschlussbericht kreist noch durch die Abstimmungen mit Kassen, Sozialhilfeträgern und Branchenverbänden. Das Gutachten werde derzeit noch „beraten“, sagt eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums. Einen konkreten Zeitplan könne man nicht übermitteln. (…) Doch jede Verbesserung, um den Pflegeberuf auch für Jüngere attraktiv zu machen, wird nicht ohne höhere Kosten möglich sein. Ob diese Kosten dann von den Pflegebedürftigen und ihren Familien getragen werden müssen und damit das Pflegerisiko zum individuellen biografischen Risiko wird oder ob man die Versichertengemeinschaft oder die Steuerzahler damit belastet, das ist die politische Frage. Görres erinnert sich noch an die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als die Grauen Panther mit rotbefleckten Bettlaken gegen die Zustände in Pflegeheimen protestierten, in denen es damals noch Acht-Bett-Zimmer gab. Die „Abschiebung“ ins Heim galt damals als eine Art Höchststrafe. Heute sollen die stationären Einrichtungen akzeptierte Alternativen sein zur familiären Versorgung, die die Töchter und Schwiegertöchter wegen der eigenen Berufstätigkeit nicht mehr leisten können und wollen. „Da gibt es auch kein Zurück mehr“, sagt Görres.“ Artikel von Barbara Dribbusch vom 3. August 2020 in der taz online - Corona in Altenheimen: Die Brennpunkte der Pandemie
„In Seniorenheimen wütet das Virus besonders heftig. Bis zu 20 Prozent der Bewohner sterben nach der Infektion. Der Mangel an Personal und Material wird offenbar. Und es beginnen die Schuldzuweisungen. (…) Es ist nicht auszuschließen, dass in einzelnen Heimen Fehler gemacht wurden. Aber auf Nachfrage von SZ, NDR und WDR berichten Heimleitungen allerorts, dass sie überfordert seien. Es fehle an Personal, Schutzmaterial und vor allem an Corona-Tests. Viele Heime fühlen sich von Behörden und Politik geradezu vergessen. Während Pfleger selbst erkranken und ausfallen, versucht man, die verschärften Hygienevorschriften umzusetzen. Das Personal bemüht sich, Infizierte von Nicht-Infizierten zu trennen, schließt Gemeinschaftsräume und liefert den Bewohnern Essen ins Zimmer. Strenge Kontaktverbote bedeuten, dass viele alte Menschen gerade alleine sterben müssen. „Die Corona-Krise legt gnadenlos offen, was im deutschen Gesundheitswesen grundsätzlich schiefläuft“, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. (…) Flächendeckende Tests in Heimen seien nicht vorgesehen, und wenn es Tests gebe, komme das Ergebnis oft viel zu spät. Manche Mitarbeiter hätten zwei bis drei Wochen auf ihr Ergebnis gewartet. Dabei sei ein schnelles Testen der Pflegerinnen und Pfleger besonders wichtig, denn sie seien die Einzigen, die das Virus noch in die Einrichtungen tragen könnten. (…) Anerkennung gibt es allerdings nicht überall. Im hessischen Niederaula haben sich Altenpflegerinnen verzweifelt an den Landrat gewandt. Sie würden wie „Aussätzige“ behandelt, schreiben sie. Sie würden aus Geschäften verwiesen, dürften nicht tanken. Richtiges Mobbing also…“ Artikel von Lena Kampf, Sebastian Pittelkow, Nicolas Richter und Katja Riedel vom 22. April 2020 in der Süddeutschen Zeitung online - Zur Situation in den Heimen: Beschäftigte und Bewohner*innen werden rücksichtslos gefährdet
„Die Meldung vom 2. April, dass sich mittlerweile mehr als 2.300 Pfleger*innen und Ärzt*innen in den Krankenhäusern, trotz der scheinbar streng durchgeführten Schutzmaßnahmen in den Kliniken, mit dem Corona-Virus infiziert haben, erschreckt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt müssten alle Alarmglocken läuten, denn in den Alten-, Pflege- und Behindertenheimen sind Schutzmaßnahmen der Mitarbeiter*innen überwiegend die Ausnahme gewesen, obwohl dort die Kontakte noch persönlicher sind als in Kliniken. Die Handhabung der Schutzregelungen ist in den meisten Heimen mit „fahrlässig“ noch freundlich umschrieben. So Krisenstäbe vorhanden sind, reagieren diese erst mit weitergehenden und vorsorgenden Maßnahmen nach aufgetretenen Akutfällen oder mit Tagen Verspätung. Prävention sieht anders aus, wie man nicht erst seit den Vorfällen in Würzburg oder Wolfsburg weiß. Erst als mehrere Bewohner*innen kurz nacheinander verstarben, wurden die Schutz- und Quarantäneregelungen erhöht und den erforderlichen Umständen angepasst. Aber auch sonst sieht es an anderen Orten nicht besser aus, denn täglich hält das Virus in immer mehr Betreuungseinrichtungen Einzug, da bis zur ersten ernst auftretenden Situation wie gewohnt weitergearbeitet wird. (…) In den verschiedenen Wohnheimen gibt es zwar nicht wie in den seit Jahrzehnten herunter gewirtschafteten Krankenhäusern ein Fallpauschalen-(DRG)-System, jedoch wurden diese analog in den sogenannten Pflegesatzverhandlungen mit den Kostenträgern/Kommunen über Jahre mit viel zu niedrigen Pflege- und Betreuungssätzen abgespeist. Die Folge war, dass in einer so geschaffenen Konkurrenzsituation, die Heime ebenfalls anfingen intern zu knapsen. Das geschieht nicht nur, wie bei vielen privatisierten Trägern über die Gehälter, sondern überall: bei Reinigung/Hauswirtschaft, Verpflegung (Essensgelder), Kleidergelder, Wäscher- und Nähereien und Inkontinenzmaterial (die zugestandenen monatlichen Regelsätze reichen oft nur für eine dicke bis zwei dünne Windeln am Tag, der Rest muss aus eigener Tasche zugeschossen werden!) Das und der allerorts stattgefundene Abbau von Vorratshaltungen für Krisenzeiten (dadurch konnten einmalig für eine begrenzte Zeit Ausgaben „gespart“ werden und, ähnlich der just-in-time-Logik der Betriebswirtschaftler und Logistiker, Räume anders verwendet werden) rächt sich nun gewaltig. (…) Was aber zudem allgemein dringend Not täte, wären die Abschaffung des DRG-Systems (und den daraus folgenden Regelsatzbemessungen der Heime über deren Kostenträger) für ein Gesundheits- und Pflegesystem nach Bedarf. Die Eliminierung jeglicher Konkurrenz im Gesundheits-, Pflege- und Betreuungswesen durch die Überführung aller Kliniken und Heime in öffentliche Hand. Damit dabei die nicht allerhellsten Leuchten à la Spahn und Konsorten nach den weiterhin vorhandenen Wünschen des Kapitals entscheiden können, üben die Kontrolle die Mit-Arbeiter*innen, Patient*innen, Bevölkerung, Gewerkschaft und Kommunen/Länder paritätisch aus. Güter des Gesundheits-, Pflege- und Hygienewesens werden möglichst vor Ort und permanent vorrätig produziert und nicht mehr einem inkompetenten „freien Markt“ überlassen…“ Beitrag von Thorsten Büttner vom 10. April 2020 bei Sol – Sozialistische Organisation Solidarität (er arbeitet in der Pflege, Baden-Württemberg, Name durch die Redaktion geändert) - [Pflegbündnis Mittelbaden] Was ist eigentlich systemrelevant? Situation der Pflegeeinrichtungen in der Corona-Krise / Pflegeversicherung übernimmt Bonus für Altenpfleger von bis zu 1500 Euro
- Pflegeversicherung übernimmt Bonus für Altenpfleger von bis zu 1500 Euro
„… Die gesetzliche Pflegeversicherung ist bereit, in der Corona-Krise für Altenpfleger eine Sonderzahlung von bis zu 1500 Euro zu finanzieren. Das erfuhr das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) aus Kreisen der Pflegekassen. Der Betrag orientiert sich damit an der Summe, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz für 2020 steuer- und sozialabgabenfrei gestellt hat. Der Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, Florian Lanz, bestätigte den konkreten Betrag gegenüber dem RND zwar nicht. Auch er sprach jedoch von einer „steuerfreien Anerkennungsprämie“ und wies damit indirekt auf den Betrag von 1500 Euro hin. (…) „Da diese Prämie am Ende aus den Portemonnaies der Beitragszahler finanziert wird, muss deren Höhe mit Augenmaß festgelegt werden“, betonte er. „Es sollte auch nicht nach Ost oder West, Nord oder Süd unterschieden werden. Hier sollten sich insbesondere Politik und Pflege-Arbeitgeber auf einen Höchstwert verständigen“, forderte der Sprecher des Spitzenverbandes, der auch für die Pflegeversicherung zuständig ist. Die Bundesregierung hat mit einem Schutzschirm für die Pflege gesetzlich festgelegt, dass coronabedingte Zusatzlasten von den Pflegekassen bezahlt werden. Dazu können auch Sonderprämien für die Beschäftigten gehören. Altenpfleger verdienen im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen und auch im Vergleich zu Krankenpflegern im Schnitt mehrere Hundert Euro weniger im Monat. (…) Die Grünen fordern eine einheitliche Gehaltszulage für alle Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in denen Patienten mit einer Corona-Infektion behandelt oder betreut werden. In einem gemeinsamen Forderungskatalog verlangen die Pflege-Expertin Kordula-Schulz-Asche und die Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink zudem, in der Corona-Krise bestimmte Leistungen der Pflegeversicherung zu erhöhen und die Angebote zu flexibilisieren…“ Beitrag von Tim Szent-Ivanyi vom 4. April 2020 beim RND , siehe dazu: Sonderprämie von 1500 Euro in der Pflegebranche: ver.di und BVAP einigen sich auf Tarifvertrag für Corona – „Einmalprämie und dafür den Mund halten? Nicht mit uns!“ - [Pflegbündnis Mittelbaden] Was ist eigentlich systemrelevant? Situation der Pflegeeinrichtungen in der Corona-Krise
„Warum in der derzeitigen Krise die politischen Akteure und Verantwortlichen im Grunde handlungsunfähig sind. Als Stiftsdirektor vom KWA Parkstift Hahnhof in Baden-Baden und als Vorstandsmitglied im Pflegebündnis Mittelbaden, bekomme ich in der derzeitigen Krise die absolute Handlungsunfähigkeit der politischen Akteure und Verantwortlichen vor Augen geführt. Schutzausrüstungen für unsere MitarbeiterInnen sind knapp und sollen, so hören wir es seit Tagen und Wochen nun über Bund, Land und Kommune, in die Verteilung gelangen. In die Einrichtungen und Dienste vor Ort. Da wo sie dringend gebraucht werden. Bisher haben wir nichts…“ Pressemitteilung vom 29.03.2020 beim Pflegebündnis Mittelbaden und zuvor am 24.3.20: Brandmail des Pflegebündnis Mittelbaden an die politisch Verantwortlichen in Bund, Land und Region! Betreff: EILT !!!! Dringend !!!!! . Siehe dazu:- Situation der Pflegeeinrichtungen in der Corona-Krise: Stellungnahme zu Anschuldigungen an das Pflegbündnis Mittelbaden e.V. – Kritische Stellungnahme unerwünscht!
“Es ist bedauerlich, dass unsere kritische Stellungnahme vom Sonntag, dem 29.03.2020, von Herrn Bürgermeister Roland Kaiser mit Schuldzuweisungen beantwortet und nicht einmal ansatzweise Verständnis für unsere Situation in den Einrichtungen und Diensten und die der Kolleginnen und Kollegen in der Versorgung gezeigt wird. Wir weisen jegliche Schuld des Pflegebündnis Mittelbaden an einer verringerten Ausgabe an die Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungen und Diensten entschieden zurück und sind über diese Art der „Retourkutsche“ schlichtweg entsetzt. Es ist offensichtlich, dass das gesamte Gesundheits- und Pflegesystem nicht ausreichend auf diese Krise vorbereitet war und ist. Aus dieser Verantwortung werden wir Herrn Bürgermeister Kaiser und alle anderen politisch Verantwortlichen auch nicht entlassen. Wir lassen uns nicht den ´schwarzen Peter´ zu schieben und unsere Kritik in der Presse als „absolut unangebracht“ abtun. Wir freuen uns, wenn es durch unsere Stellungnahme (oder, wie Herr Bürgermeister Kaiser formuliert: „Intervention“) immerhin zu einer zeitnahen Zuweisung gekommen ist. Dabei ist für uns nicht nachvollziehbar warum einige Einrichtungen und Dienste nichts bekommen haben. Wir halten es daher für sinnvoll, wenn zur Herstellung der nötigen Transparenz der angeführte Verteilschlüssel veröffentlicht wird…“ Pressemitteilung vom 31.03.2020 beim Pflegebündnis Mittelbaden
- Situation der Pflegeeinrichtungen in der Corona-Krise: Stellungnahme zu Anschuldigungen an das Pflegbündnis Mittelbaden e.V. – Kritische Stellungnahme unerwünscht!
- Pflegeversicherung übernimmt Bonus für Altenpfleger von bis zu 1500 Euro
- Corona-Pandemie: Verbände warnen vor Engpässen bei Schutzausrüstung in Heimen
„Altenverbände rufen die Politik auf, rasch für Nachschub an Mundschutz und Desinfektionsmitteln in Heimen zu sorgen. Auch Pflegeschulen bitten um Unterstützung. Alten- und Pflegeverbände haben mehr Mundschutz und Desinfektionsmittel für Senioreneinrichtungen gefordert. „Wenn in Pflegeheimen eine rasante Verbreitung des Coronavirus wegen nicht vorhandener Schutzmasken und Desinfektionsmittel nicht verhindert werden kann, werden viele Patienten die eigentlich gut vorbereiteten Kliniken überlasten und die Sterblichkeit wird sprunghaft steigen“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP), Professor Michael Rapp. Rapp warnte davor, Heime zu schließen und alte Menschen in eine krankmachende Isolation zu bringen. Auch deshalb sollten Ärzte und Therapeuten weiter in die Einrichtungen kommen können. In den vergangenen Tagen war es in einzelnen Bundesländern zu vielen SARS-CoV-2-Infektionen bei Heimbewohnern gekommen…“ Artikel von Thomas Hommel vom 02.04.202 in der Ärztezeitung online - Pflegeheime und ambulante Pflegedienste inmitten der Coronavirus-Krise / Corona-Krise und der „real existierende Pflegealltagalltag“ in stationären Einrichtung der Altenhilfe / In der häuslichen Pflege droht der Notstand
- Aus den Untiefen der Verletzlichsten und zugleich weitgehend Schutzlos-Gelassenen: Pflegeheime und ambulante Pflegedienste inmitten der Coronavirus-Krise
“… Aber nun wird immer deutlicher und schmerzhafter erkennbar, dass Einrichtungen und Dienste für die verletzlichsten „Risikogruppen“ in diesen Tagen der tödlichen Bedrohung durch das Coronavirus offen wie ein Scheunentor gegenüberstehen: die ambulanten Pflegedienste und die Pflegeheime. Stündlich kommen nun solche Schreckensmeldungen herein: Im Würzburger Seniorenheim St. Nikolaus ist ein 13. Bewohner nach einer Infektion mit dem neuen Coronavirus gestorben, so der unfassbare (vorläufige) Stand am 29. März 2020. Inzwischen sind alle 161 meist hochbetagten und teils demenzkranken Bewohner sowie alle Mitarbeiter der Einrichtung auf das Coronavirus getestet worden; 44 Bewohner und 32 Mitarbeiter waren positiv. Und dann im Laufe des heutigen Tages auch das noch: Ein weiteres Seniorenheim in Würzburg ist vom neuartigen Coronavirus betroffen. Ein positiv auf Sars-CoV-2 getesteter Bewohner einer AWO-Einrichtung sei gestorben. (…) Und weiter nach Niedersachsen: Zwölf Corona-Tote in Wolfsburger Pflegeheim , meldet der NDR: »Das Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg: Etwa 165 vorwiegend Demenzkranke leben dort – 72 von ihnen haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Mittlerweile sind zwölf Menschen gestorben.« Und man wird von den Schreckensmeldungen in Schach gehalten. Nur kurze Zeit später meldet der NDR: »Im Wolfsburger Hanns-Lilje-Heim sind drei weitere Menschen in Folge einer Coronavirus-Infektion gestorben. Das teilte die Stadt Wolfsburg am Sonntag mit. Damit sind innerhalb von knapp einer Woche 15 Menschen in dem Alters- und Pflegeheim nach einer Infektion mit dem Virus gestorben« (vgl. Wolfsburg: Corona fordert drei weitere Todesopfer . Und nun im Laufe des Tages auch das noch: Das Klinikum Wolfsburg nimmt aufgrund von Corona-Infektionsfällen unter den Mitarbeitern keine neuen Patienten mehr auf. Diese werden auf umliegende Krankenhäuser verteilt, wie die Stadt am Sonntagabend mitteilte. Zudem seien ab sofort keine Besuche mehr erlaubt. (…) Eugen Brysch, der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, wird von der Katholischen Nachrichtenagentur mit diesen Worten zitiert: Es fehle an Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel und Schutzkleidung. „Doch nichts geschieht, um diese Misere schnell zu beseitigen.“ Insofern seien Pflegeheime derzeit „ein hochgefährlicher Ort“ für Mitarbeiter und Bewohner. Die Schutzkleidung für das Personal ist Mangelware, sie fehlt am „unteren“ Ende der Sorgekette besonders und wird Gegenstand übler Geschäftemacherei. Verschärft wird das dann durch fehlende Koordinierung seitens des Staates. (…) Und auch die ambulanten Pflegedienste mit ihren vielfältigen Kontakten zu den in eigener Häuslichkeit lebenden Pflegebedürftigen dürfen auf keinen Fall vergessen werden, denn wenn deren Beschäftigte selbst krankheitsbedingt ausfallen, dann ist Land unter in der Versorgung, die schon vor der Corona-Krise angespannt und teilweise überfordert war. Gerade die Pflegekräfte, die jeden Tag von einem zum anderen Patienten hetzen müssen, sollten unbedingt schnell und umfassend mit Schutzkleidung ausgestattet werden – die aber laut vielen Berichten nicht einmal für die intensivmedizinischen Abteilungen der Kliniken überall in ausreichender Zahl vorhanden bzw. beschaffbar ist. Da muss einem mehr als mulmig werden, alle Alarmlampen müssen grell leuchten. Wichtig ist, dass man das nicht einfach laufen lässt. Die Gesundheitsämter und die Heimaufsicht müssen tatsächlich bereits in jedem Verdachtsfall, geschweige denn bei einem Ausbruch der Krankheit, das Management übernehmen und damit auch einen Teil der Verantwortung. Man muss hier fokussiert und ohne jede Budgetbegrenzung arbeiten können, um einen Flächenbrand zu verhindern bzw. zu begrenzen…“ Beitrag von Stefan Sell vom 29.03.2020 in Aktuelle Sozialpolitik - Corona-Krise und der „real existierende Pflegealltagalltag“ in stationären Einrichtung der Altenhilfe
“Jetzt ist also die Krise da. Und dann ist sie auch noch viel schneller gekommen als erwartet. Wir stellen uns aufgrund der Corona-Krise auf einen Pflegenotstand ein, der seit Jahren gebetsmühlenartig prognostiziert wird. Bereits in den 80er Jahren haben Zeitungen ihre Beiträge mit „Pflege. Es ist 5 vor 12“ überschrieben. Seitdem berichten die Medien mit verlässlicher Regelmäßigkeit über den zu erwartenden Pflegenotstand und führen hellseherische Prognosen mit Zahlen zu Entwicklungen bis 2035 an. Darüber gab und gibt es viel Wehklagen in Politik und Gesellschaft. Aber getan hat sich außer Flickschusterei nicht allzu viel. Im Gegenteil: wie in anderen Bereichen des Gesundheitssektors auch, bei Krankenhäusern vor allem, werden Heime weiterhin geradezu kaputtgespart. Seitdem immer mehr forsche Betriebswirte das Sagen haben, leiden Bewohner wie Personal unter dem Druck der „schwarzen Zahlen“ und Renditevorstellungen von Einrichtungsträgern…“ Beitrag von Claus Völker vom 29.03.2020 bei den Nachdenkseiten - Wegen Corona-Krise: In der häuslichen Pflege droht der Notstand
“… Neben den Erntehelfern gerät wegen der Corona-Krise eine weitere oft vergessene Berufsgruppe in den Fokus: die sogenannte 24-Stunden-Pflege. Hunderttausende Frauen aus Ländern wie Polen, Bulgarien oder der Ukraine wohnen in deutschen Haushalten und ermöglichen es alten und bettlägerigen Menschen, weiter in den eigenen vier Wänden zu leben. Doch viele von ihnen könnten dieser Arbeit bald fernbleiben und schwer zu schließende Lücken hinterlassen. Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) schätzt, dass nach Ostern zwischen 100 000 und 200 000 Menschen nicht mehr zu Hause versorgt werden können. Denn viele der Frauen, die in den kommenden Wochen die Einreise geplant haben, um andere Betreuerinnen abzulösen, ändern ihre Pläne. Wegen der Grenzkontrollen, der ungeklärten Transportfrage, aber auch wegen gesundheitlicher Sorgen. Noch dramatischer ist die Lage aus Sicht der Stiftung Patientenschutz. Viele Betreuerinnen fehlten schon jetzt, sagte Vorstand Eugen Brysch. Der Sozialverband VdK forderte Hilfe für berufstätige Angehörige, wenn sie einspringen. Zwar hatte das Bundesinnenministerium am Mittwoch erklärt, osteuropäische Pflegekräfte seien vom Einreiseverbot für Saison-Arbeitskräfte nicht betroffen und könnten mit einer Bescheinigung des Arbeitgebers die Grenze passieren. Allerdings gilt das nur für diejenigen, die legal in Deutschland arbeiten – und das ist in der Branche der 24-Stunden-Betreuung nur eine Minderheit von rund zehn Prozent, wie der VHBP schätzt. (…) Die Existenz dieses „grauen Pflegemarkts“ führt dazu, das niemand weiß, wie viele Arbeitskräfte von den Einschränkungen betroffen sind – wie groß also die Versorgungslücke werden könnte. Aus Sicht des Pflegewissenschaftlers Michael Isfort vom Institut für angewandte Pflegeforschung zeigt der befürchtete Personalengpass bei der häuslichen Betreuung, wie in der Corona-Krise lange verdrängte Versäumnisse in der Pflege an die Oberfläche gespült würden. Zu lange habe man den Einsatz der osteuropäischen Kräfte zwar geduldet, aber keine legale Lösung dafür gefunden…“ Artikel von Alicia Lindhoff vom 26.03.2020 in der Frankfurter Rundschau online
- Aus den Untiefen der Verletzlichsten und zugleich weitgehend Schutzlos-Gelassenen: Pflegeheime und ambulante Pflegedienste inmitten der Coronavirus-Krise