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[LabourNet-Herbst-Interview] Arbeit in Impf- und Testzentren: Rückblick und Ausblick auf die „Apokalypse-Industrie“

Ein Corona Teststab, der noch lädtFür unser LabourNet-Germany-Herbstinterview 2022 sprachen wir mit Karin M. [richtiger Name ist der Redaktion bekannt] über ihre Arbeitserfahrungen 2021/22 während der Pandemie in verschiedenen Impf- und Testzentren Berlins (Arena in Berlin-Treptow und CIZ (Corona-Impfzentrum) Tegel. Bei Ausbruch des Ukraine-Krieges im März 2022 wechselte sie zum AKUZ (Ankunftszentrum) Tegel Berlin, um dort Corona-Tests bei geflüchteten Menschen durchzuführen. Im Interview berichtet sie über die Arbeitsbedingungen und die kaum fassbare Situation an erster Front in der Pandemie und später bei der Unterstützung von Geflüchteten aus dem Ukrainekrieg. Angesichts der langen Probezeiten und der Kettenbefristungen in den neu entstehenden Infrastrukturen von Impf- und Testzentren diskutierte sie mit anderen Kolleg:innen darüber, einen Betriebsrat aufzubauen, wozu es letztendlich nicht kam. Karin macht deutlich, warum demokratische Planung bei dem Aufbau von Infrastrukturen und Personalentscheidungen die Arbeit für alle Seiten verbessern würden… Siehe unser Interview vom November 2022:

LabourNet Germany [LN]: Vielen Dank, dass du Zeit für das Interview hast! Wenn du deinem Ich vor drei Jahren erklären müsstest, wo du heute arbeitest, wie würdest du da anfangen?

Karin M. [KM]: Gott, ich würde wahrscheinlich aufgeben, weil ich nicht wüsste, wie ich das sinnvoll erklären soll. Wenn ich mir vor drei Jahren erklären müsste, dass ich gegen eine Pandemie quasi an vorderster Front eine Anstellung ziemlich leicht bekommen habe, würde ich, glaube ich lachen. Dass ich dann noch bei einem großen Flüchtlingszentrum mitarbeite, das würde ich zumindest wahrscheinlicher finden. Aber ich würde mich auch wundern, wie ich da reingeraten bin.

Am Anfang verliefen die Bewerbungsprozesse relativ panisch, weil man schnell viele Leute brauchte und dachte: „Wer will denn bitte in einer Pandemie mit einem gefährlichen Virus an erster Front arbeiten?“ „Wir reden hier von Ende 2020. Da wurde Corona ernster genommen als heute, wo wir Impfkampagnen haben und wo die Zahlen zwischendurch runter gingen. Die Todeszahlen wenigstens. Anfangs da gab es ja noch keine Medikamente. Wir waren an der Front einer Pandemie eines Virus, das noch einen stärkeren Verlauf erzeugte. Deshalb hat man den Lohn, wenigstens in Berlin, für eine Aushilfskraft vergleichsweise hoch angesetzt, weil gesagt wurde, „okay, wir kriegen die gar nicht anders ran“. Sie wollten am Telefon hören, dass ich nicht ganz verrückt bin und schon konnte ich da mitmachen. Aber natürlich will keiner eine sechsmonatige Probezeit haben. Man konnte dich auch einfach auf eine Teamleiter:innen-Stelle bewerben und war dann einfach Teamleiter:innen. Wobei manche super waren, andere waren eher ungeeignet. Manche wachsen auch in ihrer Rolle. Trotzdem wäre es ideal gewesen, ein demokratisches Prinzip einzuführen, wie es generell im öffentlichen Bereich Sinn machen würde.

Die Arbeitsbedingungen von der Arena in Berlin-Treptow hin zum CIZ (Corona-Impfzentrum) Tegel und dann zum AKUZ (Ankunftszentrum) Tegel haben sich verschlechtert, was vor allem personelle Gründe hatte, aber auch was mit Demokratie und mit der Legitimierung von Vorarbeitern und von Teamleitenden zu tun hatte. Denn nach und nach gab es eine toxische Atmosphäre in Tegel, die es in der Arena nicht gab. Das hat nach einer Weile die coolen Teamleitenden rausgefiltert. Sie haben aufgegeben. Übrig blieben die, die einfach nur länger Erfahrungen gehabt hatten oder schon in der Gastro mal ein Team geleitet hatten. Das heißt aber nicht, dass sie besonders geeignet sind fürs CIZ Tegel. Viele Leute hatten sich ihre Ecke rausgeschnitten, wo sie meinten, das Sagen zu haben, ohne irgendeine Art von Legitimierung. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst oder wer zuerst laut „hier“ ruft, statt Kompetenz vorweisen zu müssen, kriegt den Job.

LN: Wie kommt man überhaupt an so einen Vertrag?

KM: Besonders in Berlin wurden viele Leute aus dem Gastro- und Veranstaltungsbetrieb eingestellt. Das war auch so gewollt, weil die Branchen am stärksten von der Pandemie betroffen waren und die Beschäftigten eine Art Ersatzarbeit bekommen sollten. Dadurch, dass Leute aus der Gastro- und Tourismusindustrie in die Zentren gekommen sind, um dort zu arbeiten, war es ein ganz besonderes Kollegium. Das hat die Atmosphäre speziell gemacht. Es war ein sehr kollegiales Verhalten, weil das auch ein ideeller Job war. Es ging hier nicht darum: „Hahaha. Ich muss mich hier beweisen und muss hier die Ellbogen ausfahren, dann kann ich hier in der Karriereleiter nach oben!“ Die gab es eh nicht, sondern es ging nur darum, „wie schaffen wir es, zusammen diese 3.000 Leute jeden Tag und später mal 4.000 Leute durchzubringen, ohne größere Probleme und ohne den Ruf der Impfkampagne und der Instanzen zu schädigen?“ Da lag uns viel dran, dass Leute nicht nach Hause kommen und sagen, „das war ganz schön blöd und wir haben lange gewartet“ oder „wir wurden unfreundlich behandelt und geh da mal nicht hin, Schatz!“ Es ging uns damit auch um den Erhalt unseres eigenen Arbeitsplatzes, denn wenn keine Leute kommen, muss zugemacht werden.

Am Anfang ging es vor allem um alte Leute, 100, 90, 80 und dann die 70-jährigen. Uns hat es Spaß gemacht, weil viele von uns bei der Arbeit noch nie mit älteren Leuten zu tun hatten. Die Impfzentren wurde in den Medien teilweise sehr positiv als Begegnungsstätte zwischen Jung und Alt beschrieben. [Siehe dazu auch den Artikel von Norbert Koch-Klaucke vom 9. August 2021 im Berliner Kurier externer Link: „So feiern Berliner die erste Impfparty in der Arena“] Das war der schöne und der positive Teil und der hat alles an schwierigen Arbeitsbedingungen oder an Bedingungen generell wieder rausgeholt. In Bezug auf den Lohn waren die Arbeitsbedingungen nicht schlecht. Ich habe hier bei 40 Stunden etwa 1.900 EUR netto verdient.

Das Problem waren die Vertragslaufzeiten. Denn erst mal hat man einfach einen Vertrag bekommen von Januar 2021 bis Ende April 2021, manche schon von Ende Dezember 2020 an, denn erst ab da lief die Impfkampagne. Unser Zentrum war mit das erste bundesweit, das die Bundeswehr betrieben hat. Das haben sie gemacht, um erst mal die Bundeswehr selbst zu impfen, denn die Bundeswehr und die Polizei und sonstige staatliche Organe liegen dem bürgerlichen Staat sehr am Herzen. Dann kam ziemlich schnell die politische Elite. Am Anfang hat man immer mal von vielen Politikern gehört, die ins Zentrum kamen, die Bundeskanzlerin und der ehemalige Präsident Rau und Parteipolitiker und die hatten immer eine Sicherheitstraube um sich rum plus Journalisten im Schlepptau. Da ging es nicht um Altersfragen, die waren oft noch nicht über 80 oder 70. Die wurden trotzdem einfach geimpft.

Dann war der erste Vertrag zu Ende. Die Probezeit ging sechs Monate. Wir dachten, nach vier Monaten, „das ist ganz schön viel Zeit, dann wird die Impfkampagne durch sein“. Dass wir da noch über ein Jahr länger impfen werden, war völlig undenkbar. Danach kam die nächste Fristverlängerung von noch mal drei Monaten. So ging es immer weiter. Immer drei, vier, drei, vier Monate Verlängerung, ganz zum Schluss nur noch monatsweise Verlängerung. Das hat die Planung schwierig gemacht, weil man dann nicht wusste „okay, wie lange geht sowas noch?“

Aber die Gastrobetriebe waren immer noch geschlossen oder eh bankrott. Viele aus dem Bereich dachten dann: „Naja, dann mache ich das wohl weiter, was soll ich sonst machen?“ So hat man sich immer von Verlängerung zu Verlängerung gehangelt. Das galt aber für alle, auch für unsere Teamleiter:innen und Personaler:innen, die anfangs oft am selben Tag eine Verlängerung unterschrieben haben.

LN: Welche Betriebe organisieren die Impf- und Testzentren bzw. die Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine in Berlin?

KM: Da kann ich jetzt nur für Berlin sprechen, aber ich glaube, das lässt sich bundesweit teilweise übertragen. Und zwar ist das vor allem das Deutsche Rote Kreuz mit vielen Unterorganisationen. Auch die DLRG, die Johanniter, die Samariter und die Malteser übernahmen große Aufträge. Es haben sich vereinzelt noch weitere Organisationen gebildet, speziell für Ukraine, mit denen wir versuchen zusammenzuarbeiten. Da gibt es immer ein „Kompetenzgerangel“, aber eben auch viel Zusammenarbeit. Schwierig ist die Zusammenarbeit mit dem LaGeSo [Landesamt für Gesundheit und Soziales], der staatlichen Flüchtlingsorganisation, die die Oberhand hat, und den Flüchtlingsorganisationen darunter. [Siehe zum LaGeSo auch unser Dossier: [LAGeSo] Berlin schickt neu ankommende Flüchtlinge in die Obdachlosigkeit]

LN: Und wie haben sie es geschafft diese Kettenbefristung auszuhebeln?

KM: Ich weiß es nicht genau, aber man vermutet, dass es deshalb war, dass das Deutsche Rote Kreuz eine neue Firma bzw. mehrere Subunternehmen geschaffen hat. Unser Deutsches Rotes Kreuz e.V. in Berlin ist ein Mutterunternehmen von in diesem Fall drei gemeinnützigen Gesellschaften. Die unterstützen die Bevölkerung in Notlagen. Während der Covid-19 Pandemie übernimmt die Tochtergesellschaft des Deutschen Rotes Kreuz Tegel-Spee Soziale Dienste gGmbH. Vorher hieß der Arbeitgeber Deutsches Rotes Kreuz Pflege Service Berlin Südost gGmbH. Erstmal hatten wir ein halbes Jahr Probezeit. Das heißt, wir hätten jederzeit gekündigt werden können. Das war einfach eine zusätzliche Absicherung für die Unternehmen. Wenn das jetzt aus irgendeinem Grund scheitert mit der Pflichterreichung oder geklagt wird, gab es erstmal ein halbes Jahr Probezeit und dann kamen wir in ein „neues“ Unternehmen und hatten dort wieder ein halbes Jahr Probezeit. Später hat sich herausgestellt, das geht so nicht. Die Probezeit konnten sie dann in späteren Verträgen so nicht mehr anwenden, die war dann nicht mehr ein halbes Jahr. [Siehe dazu auch den Artikel von Alina Leimbach vom 2. September 2022 bei hessenschau.de externer Link: „Prozess-Serie um Kündigungen in Frankfurter Corona-Testzentrum“ und unseren Beitrag Union Busting in Frankfurter Corona Testzentrum der Medicorum TAM GmbH]

LN: Habt ihr euch gewerkschaftlich beraten lassen und gab es Versuche Betriebsräte in Test- und Impfzentren aufzubauen?

KM: Ja, mit ein paar anderen habe ich mich beraten. Da war ein gewerkschaftsnaher Kollege gewesen und er hat gemeint, wir haben hier rechtlich keine Chance, denn in diesen begrenzten Arbeitsbereich für gewisse Zeit, da kann keine Gewerkschaft jetzt ernsthaft reinbuttern für etwas, das in drei Monaten quasi gesetzlich festgelegt nicht mehr existiert. Bei der Frage zu Betriebsräten war es fast ähnlich. Jetzt einen Kampf für Betriebsräte anzufangen, wurde in unseren Chat-Gruppen immer wieder besprochen. Aber es wollte sich keiner groß raus lehnen, wenn die nächste Verlängerung ansteht, weil dann verlängern sie nicht und sie brauchen auch keine Begründung dafür.

LN: Und wie war der Umgang mit sexistischen oder rassistischen Vorfällen?

KM: Es gab verschiedene Fälle von Rassismus, was in einer Struktur mit einer so breiten gesellschaftlichen Ausrichtung nicht verwunderlich ist. Zum Beispiel ältere Impflinge, die nicht von Ärzten mit Kopftuch oder von schwarzen Ärzten geimpft werden wollten. Dadurch, dass wir alle relativ jung waren und aus der Feierszene kommen und relativ „woke“ sind, gab es eher wenig Rassismus und Sexismus unter Kollegen. Es gab ältere Herren, die dachten, sie können hier nett mit den Betreuerinnen flirten. Einige haben sich komisch verhalten und waren überfordert von all den Leuten und all dem, was hier gerade passierte. Wir hatten verschiedene Safe Words und verschiedene Vorgehensweisen für schwierige Dinge. Ein etwas größeres Problem waren Schwurbler, die kamen entweder allein oder in Begleitung von zu impfenden Personen. Sie wollten eigentlich nur irgendwelche Diskussionen oder den großen Skandal aufdecken, was hier in diesem „geheimen“ Zentrum „Schlimmes“ passiert. Und schon eher belustigend, aber sehr selten waren auch Schwurbel-Ärzte.

LN: Haben sich nach dieser Erfahrung im Impfzentrum Kolleg:innen vorstellen können, von der Gastro in die Pflege zu wechseln?

KM: Das Deutsche Rote Kreuz betreibt auch Krankenhäuser und Altenheime oder arbeitet mit denen zusammen. Natürlich haben sie immer mal gefragt in E-Mails usw. ob wir uns das vorstellen können, weil sie händeringend Leute suchen. „Wenn ihr euch das vorstellen könnt, euch in der Pflege zu bewerben, wir geben das weiter“ Dann können die ein gutes Wort einlegen, die Deutschen Roten Kreuz Organisationen kennen sich untereinander. Es gab aber nicht viele, die in dem Pflegebereich weitermachen wollten. Im Zentrum fanden es alle super. Aber nur ein Bruchteil, würde ich sagen, hat Interesse gehabt, in die Pflege zu gehen, ein größerer Teil wollte schon MFA-Tätigkeiten [Medizinische Fachangestellte], also Terminierung, Organisation, Zuarbeit zu den Ärzten, weitermachen. Vereinzelt sind welche in Arztpraxen gelandet, weil sie immer wieder regelmäßig Ärzten zugearbeitet haben, die dort geimpft haben und die aus Praxen kommen und die sich dann die besten rausgepickt haben. Aber wir kriegen dadurch, dass wir durch Corona näher an dem Thema sind, auch die Zustände in Krankenhäusern mit, weil auch Ärzte aus Krankenhäusern zu uns kommen und schimpfen und erzählen. Wir sind im ständigen Kontakt, weil die Berufsgruppen bzw. Prio-Gruppen so eingeteilt wurden. Dadurch, dass wir die Altenpfleger durch Priorisierung viel bei uns hatten und wir immer mal mit denen warten mussten und mit denen reden konnten, haben wir mitbekommen, wie viele da aufgehört haben, weil sie gesagt haben, das ist viel zu viel und viel zu anstrengend. Dadurch hast du auch keine große Lust, nach der Erfahrung im Impfzentrum in die Pflege zu gehen.

LN: Du hattest mal erzählt, dass es beeindruckend war, dass so schnell neue Infrastrukturen aufgebaut werden konnten und Geld dafür freigegeben werden konnte. Hätte das Geld auch direkt weiter z.B. für die Pflege ausgegeben werden können, damit Pflege insgesamt attraktiver wird?

KM: Die Pandemie hat gezeigt mit welcher Geschwindigkeit auf einmal Gelder fließen können und Dinge möglich sind wie dieses Notfall-Krankenhaus, das in Berlin aufgezogen wurde, das man dann zum Glück nicht gebraucht hat. Und es sind Millionen weggeflossen und das war vielleicht nicht immer nötig. Das Gleiche galt für die Impfkampagne, welche Gelder da auf einmal locker gemacht werden können, wie da auf einmal riesige Zentren aus dem Boden gestampft wurden, das war interessant. Ich glaube, ich hätte mir gewünscht, dass gesetzlich anders vorgegangen wird. Dass man sagt: „okay, das ist hier ein absoluter Notfallplan, wir brauchen jetzt hier die Flächen, da kann jetzt nicht einfach irgendein Arena-Besitzer sagen: Ja bitte hier, wir hätten gerne 70.000 € jeden Monat Miete“ Sondern ich hätte denen deutlich weniger Miete gegeben, denn sie konnten in der Zeit eh gar keine andere Veranstaltung machen. [Siehe dazu auch den Artikel von Sabine Müller vom 25. August 2021 bei rbb24 externer Link: „Berliner Senat braucht 131.559.800,92 Euro für Impfkampagne“]

LN: Die Berlin Arena hat 70.000 Miete dafür monatlich bekommen?

KM: Da haben sich die Bildzeitung und vor allem die BZ drauf gestürzt in ihrer „kritischen Begleitung“ der Impfkampagne mit dem Vorwurf, dass Steuergelder verbraten werden. Die haben verschiedene Sachen durchgerechnet für die verschiedenen Zentren. Arena ist privat oder zum Beispiel das Ring-Center Zwei, da hätte ich gesagt, wenigstens für Arena, „ihr könnt keine andere Veranstaltung machen, ihr kriegt jetzt genau so und so viel Geld“. Das hätten die auch genommen, denn was sollen die sonst machen? „Ne, da nehmen wir das wenige Geld nicht, wir nehmen gar nichts stattdessen“? Ganz witzig ist auch Messe, das hat quasi Unmengen an Miete vom Land Berlin bekommen, die gleichzeitig aber auch Betreiber der Messe sind. Das versteht kaum einer so richtig wie das Geld da im Kreis läuft und wohin. Das war ganz rätselhaft mit Messe. Bei Tegel, dem Aufnahmezentrum für ukrainische Geflüchtete war es anders. Tegel gehört dem Land Berlin.

LN: Wie haben sich denn die Arbeitsbedingungen in Tegel dann verändert und wie bist du dorthin gekommen?

KM: Ich würde sagen, dadurch, dass in der Arena alle von null anfingen, gab es in der Arena anfangs keine Kleingrüppchen. Natürlich haben sich nach einer Weile Gruppen herausgeschält, weil bestimmte Leute immer dieselben Sachen machen wollen, weil sie die gerne machen. Ich hatte immer den Anspruch zu wechseln und das zu mischen. Es gab gewisse Gruppen, was zum Beispiel das Leitsystem anging. Das war aber okay, weil die meisten, die kein Leitsystem machen wollten, MFA-Sachen machen wollten. Jetzt kamen wir von der Arena nach Tegel, wo wir von außen als Gruppe dazukamen. Es gab sehr viele coole Leute, aber auch viele, die sagten „Oh, jetzt kommen hier die chaotischen Ossis.“ Es war manchmal so ein Ost-West-Ding. Die behaupteten, als wir kamen: „Jetzt ist das alles so chaotisch und jetzt kommt hier eine Art Hippie Dorf an und will hier alles umwerfen!“ Das war eine Verschlechterung, da manche auch gezeigt haben, dass sie uns nicht mögen. Gerade später haben wir viele auch „weich bekommen“, dann wurde es besser.

Das Gute war, dass wir einen Teil unserer Teamleitenden mitbekommen haben und dass wir viele waren. Das war ganz gut, weil wir mit unseren Teamleiter:innen schon gut umgehen konnten. Wäre schön, wenn diese mal demokratisch legitimiert gewesen wären, aber okay. Dann gab es den Bruch, die Auswirkungen des Ukraine Krieges kamen auch bei uns an. Im Februar 2022 habe ich angefangen bis Mitte März für einen Monat in Tegel zu arbeiten und später bin ich ganz dorthin gewechselt. Hier gibt es einen 24-Stunden Schichtbetrieb. Das heißt, das sind erstmal Verschlechterungen. Natürlich wurden wir gefragt, ob wir das freiwillig machen wollten und überraschend viele haben aus Interesse zugesagt. Viele fanden das dann auch gut, weil die Bedingungen noch mal anders waren. Wir hatten als Teamleitende jetzt uns selbst, also Leute, die von uns die ganze Zeit nur geimpft haben, die wurden jetzt auf einmal Teamleiter:in, weil sie Russisch konnten oder weil sie fit waren. Dadurch war die Teamleiter:innen-Situation jetzt viel besser. Natürlich sagen dann Leute: „Ey, ihr könnt nicht die ganze Zeit nur morgens kommen wollen.“ Man muss das unterteilen in Eltern, die nun mal wirklich nur morgens kommen können. Die können nicht irgendwie nachts arbeiten, die müssen ihre Kinder betreuen. In Tegel haben wir das Test-Zentrum Havel-Spree betrieben und die Sichtung in den Arzt-Trucks, also ein Teil des Arztpraxen Personals. Da gab es dann 100 € mehr. Es gab aber auch vertragliche Regelungen, die es vorher nicht gab. Dreizehntes Monatsgehalt ist neu. 3 € Nachtzuschlag ist nochmal mehr als in der Arena.

Die Corona Testungen sind qualitativ sehr schlecht. Das Testen selber ist so, dass wir rechtlich dort Flüchtlinge nicht wirklich testen können, dass wenn irgendwas schief geht und es knickt uns das Test-Stäbchen ab etc., dann hätten wir rechtlich ein großes Problem. Also müssen sich alle Geflüchteten selbst testen. Es waren billig Tests, die hatten einen schlechten Ruf. Du kannst alle Tests-Kits vergleichen in der großen Tabelle und dort haben unsere gerade so noch alle Bedingungen erfüllt, dass wir sie überhaupt benutzen dürfen. Dadurch waren die Tests schlecht und dadurch sind wahrscheinlich viele durchgerutscht und haben Corona mit ins Zentrum gebracht, für die ein bis zwei Tage Aufenthalt im Aufnahmezentrum von Tegel. Dadurch war für viele der Sinn der Arbeit infrage gestellt. Du bist hier trotzdem für 40 Stunden. Ein bisschen sinnvoller war die Arbeit im Abschnitt Arztpraxis, wo man einfach Leuten, denen es schlecht ging, helfen konnte. Das war schöner, das wollten auch viele machen. Die mobile Arztpraxis des DRK ist in einem Extra-Truck. Die haben Mensch, denen es nicht gut ging, die aus der Ukraine kamen, noch mal extra medizinisch geholfen. Das fand alles in Zelten statt. Der ehemalige Flughafen Tegel ist wie ein leerstehendes Haus, was jahrelang nicht betrieben wurde, was dadurch nur eine Teilbetriebserlaubnis hat. Alle Einrichtungen des Gebäudes müssten jetzt eigentlich eine neue Betriebserlaubnis bekommen und dafür geprüft werden, gegebenenfalls repariert oder nachgebaut werden und können dann eine Betriebserlaubnis bekommen und dann kannst du dort eigentlich erst wieder wohnen oder arbeiten. Das hat einfach ganz banale Sicherheitsgründe. Deshalb wurden diese riesigen Zelte davor aufgebaut, was völlig albern ist. Du hast daneben ein gewaltiges Gebäude, in das locker 15.000 Leute untergebracht werden könnten.

LN: Wenn du über die Arbeitsbedingungen und Strukturen hättest mitentscheiden können, was hättest du dann anders gemacht?

KM: Ein Thema unter Kollegen war, dass die Zentren wegen der Zweckbestimmung nicht anderweitig genutzt werden konnten oder durften. Z.B. für andere Impfungen oder Corona-Testungen für alle mit Termin, das wäre doch sinnvoll gewesen und die räumlichen und personellen Ressourcen waren dafür auch meistens ausreichend. Bis auf eine Ausnahme durften wir regelmäßige Testungen viel zu spät und nur auf Nachdruck für Beschäftigte durchführen. Leicht umzusetzen gewesen wären vor allem demokratische Arbeitsbedingungen, etwa das Wählen der Leitungen und das gemeinsame Beraten, wie es weitergeht und was man macht und was nicht. Die Befristung finde ich gar nicht so schlimm, denn ich weiß gar nicht, ob ich es ewig machen würde. Aber längere Befristung wäre schon besser, von einem halben Jahr oder vielleicht sogar von einem Jahr, statt dieses Hopplahopp von so wenigen Monaten. Aber das lag eher an den kurzfristigen politischen Entscheidungen als am DRK. Ich selbst hatte kein so großes Problem damit, weil man immer dachte: „Na ja, hier wird man eh nicht für immer sein.“

Wir danken für das Gespräch!

Weitere Dossiers und Beiträge zum Thema „Arbeiten und Corona“ bei LabourNet Germany:

Und zum Themenbereich der Geflüchteten aus der Ukraine siehe unser Dossier: Hilfe für (alle!) Menschen in der Ukraine: Grenzen auf und Abschiebestopp!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=206071
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