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Krieg ist keine Lösung: verein demokratischer ärzt*innen (vdää*) gegen Militarisierung von Gesellschaft und Gesundheitswesen

Bundeswehr: Du (Pflegekraft) hast Burn-out? Wir haben 100 Mrd. Euro extra„Neben einer Verteidigung der geplanten Krankenhausreform kündigte Minister Lauterbach im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 2. März einen zusätzlichen Gesetzentwurf an: Eine „Gesetzeslücke“ soll angegangen werden, um „für einen Katastrophenfall oder sogar einen militärischen Bündnisfall (…) vorbereitet zu sein.“ Dafür finde ein Austausch mit Spezialist*innen der Bundeswehr statt. Analog zu anderen Bereichen der Gesellschaft soll nun also auch das Gesundheitswesen „kriegstüchtig“ werden. Begründet wird dies von Lauterbach vor allem mit Blick auf den Ukrainekrieg. (…) Wir stellen uns der weiteren Militarisierung des Gesundheitswesens mit einem lauten Nein entgegen…“ vdää*-Pressemitteilung vom 3. März 2024 externer Link und mehr daraus/dazu:

  • Neue „Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung“ plant enge Verzahnung des Militärischen mit dem Gesundheitswesen: Gesundheitswesen friedenstüchtig machen! New
    Mit dem letzte Woche bekannt gewordenen Beschluss vom Rande des NATO-Gipfels, US-Langstreckenraketen nach Deutschland zu verlegen, steigt die Gefahr einer erneuten Eskalation und regionalen Ausweitung des Krieges in der Ukraine weiter an. Von russischer Seite wurden militärische Reaktionen angekündigt.
    Die Anwendung militärischer Mittel, bis hin zu Kriegen und Invasionen wie die Russlands in der Ukraine, stellt seit Jahrzehnten eine katastrophale und entschieden zu bekämpfende Realität dar. Wir beobachten mit großer Sorge, wie seit einigen Jahren auch in Deutschland scheinbar leichtfertig Kriegsvorbereitungen getroffen werden und wie sich diese Entwicklung in alle Sektoren der Gesellschaft zieht. Am 5. Juni 2024 hat Bundesverteidigungsminister Pistorius bei einer Regierungsbefragung erklärt: „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein … Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt“. Am gleichen Tag hat das Bundeskabinett unter der Überschrift „Veränderte Sicherheitslage in Europa: Bundesregierung stärkt militärische und zivile Verteidigung Deutschlands“ eine neue „Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung“ beschlossen, in der konkrete Anforderungen an die Vorbereitung eines Kriegsfalls benannt werden. Diese ersetzt die Rahmenrichtlinie aus dem Jahr 1989.
    Es wird dort Folgendes angeordnet: „Mit den für die Gesundheitsversorgung der Bundeswehr zuständigen Stellen ist eng zusammenzuarbeiten. Die Mitwirkung aller Akteure des gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes, z. B. auch der Gesundheitsämter, bei der Planung ist sicherzustellen. Dazu wirken die gesetzlichen Berufsvertretungen der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und der Pflegeberufe, die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie die Träger der Einrichtungen der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung und ihre Verbände bei der Planung und Bedarfsermittlung mit und unterstützen die Behörden.“ Und: Nach Freigabe durch die Bundesregierung können die zuständigen Landesbehörden anordnen, dass „Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung ihre Leistungsfähigkeit auf die Anforderungen im Verteidigungsfall umzustellen, zu erweitern und ihre Einsatzbereitschaft herzustellen haben“.
    Für die Vorbereitungen im Gesundheitswesen sollen die Länder laut neuer Rahmenrichtlinie „ergänzende Maßnahmen zur gesundheitlichen Versorgung im Verteidigungsfall … planen. Sie ermitteln insbesondere die Nutzungs-, Erweiterungs- und Ersatzmöglichkeiten (z. B. temporäre Behandlungseinrichtungen) der vorhandenen Einrichtungen und Dienste sowie den voraussichtlichen personellen und materiellen Bedarf. Dabei werden auch mögliche CBRN-Gefahren berücksichtigt.“ Mit CBRN sind chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren gemeint.
    „Ärzt*innen und das Gesundheitswesen insgesamt werden die Bevölkerung nicht mit ein paar ergänzenden Maßnahmen vor radiologischen und nuklearen Gefahren schützen bzw. die durch diese entstandenen Verletzungen behandeln können.“, so Jürgen Seeger, Co-Vorsitzender des vdää*. „Wie wir in den aktuellen Kriegen sehen, ist die medizinische Infrastruktur bevorzugtes Ziel moderner Kriegsführung. Es ist also zu erwarten, dass in einem Krieg mit direkter Beteiligung der Bundesrepublik, gerade die nun vorbereitete enge Verzahnung des Militärischen mit dem Gesundheitswesen zu einer Bedrohung für die medizinische Versorgung wird.“, ergänzt Jürgen Seeger.
    Wir sehen unsere Aufgabe als demokratische Ärzt*innen darin, über die unvermeidbaren und entsetzlichen gesundheitlichen Folgen von Kriegen aufzuklären, um diese einzudämmen oder zu verhindern. Wir wollen uns nicht an der Illusion beteiligen, dass ein Krieg mit direkter Beteiligung der Bundesrepublik beherrschbar oder gar zu „gewinnen“ sein wird und dass menschliche Schäden mithilfe von uns Ärzt*innen dabei in einem akzeptablen Maße gering gehalten werden könnten
    …“ Pressemitteilung des Vereins demokratischer Ärzt*innen vom 16. Juli 2024 externer Link („Gesundheitswesen friedenstüchtig machen!“)

  • Deutschland wird kriegstüchtig. Machen wir mit? Zur Wiederkehr des Militärischen auch im Gesundheitswesen
    Seitdem Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius am 29.10.2023 in einem Fernsehinterview die Kriegstüchtigkeit der deutschen Gesellschaft und einen entsprechenden Mentalitätswandel forderte, wird dieser Appel von Vertreter*innen aller Ampelparteien sowie der CDU/CSU in unterschiedlichen Variationen fortwährend wiederholt. Mit dieser Formulierung wurde seitens des Verteidigungsministers bewusst verbal eskaliert: Bisher wurde eine Militarisierung stets mit der notwendigen Stärkung der Verteidigungsbereitschaft begründet. Die jetzige mentale Aufrüstung wirkt multifunktional: Zum einen soll sich ein relevanter Widerstand gegen die immensen Ausgaben, die die militärtechnische Aufrüstung auf Kosten von Sozialausgaben hervorrufen wird, erst gar nicht formieren. Zum anderen soll militärisches Denken in allen Bereichen der Gesellschaft fest verankert werden. Davon ist natürlich auch das Gesundheitswesen angesichts seiner immensen Bedeutung im Kriegsfall nicht ausgeschlossen. Dabei erzeugen Pistorius‘ Worte einen katalysatorischen Effekt, der ubiquitär in der Gesellschaft wirkt. Bundesgesundheitsminister Lauterbach sekundierte dann auch seinem Kabinettskollegen und forderte „eine Zeitenwende auch für das Gesundheitswesen“, da Deutschland zukünftig resilient gegen Pandemien sein solle und sich auch „für große Katastrophen und eventuelle militärische Konflikte besser aufstellen müsse“[i]. Selbstredend sind auch die Ärzteschaft und Ärztekammern von den Umbrüchen nicht ausgenommen. Aber zunächst der Reihe nach.
    Militarisierung des Gesundheitswesens ohne uns.
    (…) Bisher regt sich wenig Widerstand gegen die Militarisierung des Gesundheitswesens. Unterschiedliche Einschätzungen des Krieges in der Ukraine erschweren ein gemeinsames Vorgehen. In den 1980er Jahren war die Gefahr eines Atomkrieges das zentrale mobilisierende Moment gewesen. Diese Gefahr scheint aktuell in diesem Ausmaß nicht zu bestehen, stellt sich doch der Krieg in der Ukraine dar als zermürbender Stellungskrieg, der mit konventionellen Waffen geführt wird. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass mit jeder neuen Eskalationsstufe dieses Krieges die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung wächst. Die Erkenntnis: „Wir werden Euch im Falle eines Atomkrieges nicht helfen können“, bleibt von daher unverändert aktuell. Die Militarisierung des Gesundheitswesen bleibt unabdingbare Voraussetzung der Kriegsführung, insbesondere in einem so dicht besiedelten Gebiet wie Europa. Es ist Zeit, sich wieder und auch international zu vernetzen, um dem entgegenzutreten
    .“ Beitrag von Bernhard Winter vom 10. Juli 2024 beim Verein demokratischer Ärzt*innen – Bernhard Winter ist Mitglied der GbP-Redaktion und Vorsitzender des Solidarischen Gesundheitswesen e. V. externer Link
  • Weiter aus der vdää*-Pressemitteilung vom 3. März 2024 externer Link: „… Selbstverständlich ist es unsere professionelle Aufgabe als Ärzt*innen, Opfer militärischer Konflikte medizinisch bestens zu versorgen. Politisch ist es aber unsere Aufgabe genauso wie die der Kolleg*innen überall in der Welt, immer wieder auf die verheerenden gesundheitlichen sowie humanitären Auswirkungen von Kriegen hinzuweisen und uns dafür einzusetzen, dass Kriege gar nicht geführt, eskaliert und aktuelle Kriege gestoppt werden. Statt das Gesundheitswesen mit Bundeswehrbeteiligung auf einen Kriegseintritt vorzubereiten, setzen wir uns weiterhin dafür ein, das Gesundheitswesen solidarischer und besser für Patient*innen und Beschäftigte zu machen. (…) „Die Fehlentwicklungen im deutschen Gesundheitswesen der letzten Jahre erschweren bereits heute für alle spürbar die Versorgung der Menschen hierzulande. In dieser Situation und vor dem fiskalpolitischen Hintergrund einer olivgrünen Austeritätspolitik und entsprechend auf Militarisierung ausgerichteten Reformmaßnahmen im Gesundheitswesen zu priorisieren, halten wir für einen Irrweg, der weder die medizinische Versorgung der Bevölkerung noch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten nachhaltig stärken wird“, so Dr. Thomas Kunkel, Co-Vorsitzender des vdää*. Wir kritisieren den aktuellen Paradigmenwechsel hin zu einer Normalisierung von Krieg und Militarisierung, in der Aufrüstung, und „Kriegstüchtigkeit“ unhinterfragte Forderungen in der öffentlichen Rhetorik darstellen.“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=219034
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