Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit – nicht nur für das Karlsruher Fanprojekt

Dossier

Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen ArbeitAm 28. Januar 2020 wurde in Frankfurt am Main das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit gegründet. Zahlreiche bundesweite und überregionale Institutionen der Sozialen Arbeit streiten von nun an gemeinsam für diese wichtige Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht erhebt folgende Forderungen: 1. Reform des § 53 StPO durch Aufnahme der Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit in die geschützten Berufsgruppen des § 53 Abs. 1 StPO. 2. Zusätzliche Aufnahme entsprechender Verschwiegenheitspflichten als arbeitsrechtliche vertragliche Nebenpflichten in die Arbeitsverträge aller Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit…“ Siehe die Homepage des Bündnisses externer Link und weitere Informationen:

  • Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit: Das Verfahren gegen drei Fußball-SozialarbeiterInnen und dessen gesamtgesellschaftlicher Schaden New
    • Prozess in Karlsruhe: Angriff auf die Arbeit der Fanprojekte
      „Das Verfahren gegen drei Fußball-Sozialarbeiter und dessen gesamtgesellschaftlicher Schaden
      Durchaus möglich, dass sich die gut 100 Besucher der Verhandlung vom Dienstag am Karlsruher Amtsgericht hin und wieder wie bei einem Fußballspiel gefühlt haben. Zumindest jenen Teil des Publikums, der neben Angehörigen von Sozialberufen aus Fußballfans bestand, könnten die Rededuelle zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zuweilen an verbale Scharmützel bei einem Lokalderby erinnert haben. »Hören Sie doch auf, hier ständig dazwischenzublöken«, rief beispielsweise der Anwalt Alexander Schork dem Staatsanwalt zu. Der hatte zuvor wirklich eher dezent interveniert und blieb die Antwort nicht schuldig: »Wenn hier einer ständig blökt, sind Sie das, Herr Kollege.«
      Im schlimmsten Fall vorbestraft
      Die drei Angeklagten, Mitarbeiter des sozialarbeiterischen Fanprojekts Karlsruhe, schwiegen derweil während der Verhandlung. Weil sie das seit Beginn des Verfahrens tun, ist es überhaupt erst zu dem Prozess gekommen, dessen Akte mittlerweile über 600 Seiten umfasst. Die drei Sozialarbeiter stehen schließlich nur deshalb vor Gericht, weil ihnen kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Zuletzt hatten sie Einspruch gegen Strafbefehle in Höhe von 120 Tagessätzen à 60 Euro eingelegt, damit würden sie nämlich als vorbestraft gelten. (…)
      Vor allem aber empfinden es die Fan-Sozialarbeiter als Angriff auf den Kernbereich ihrer Arbeit. Tatsächlich entstand während der Verhandlung immer wieder der Eindruck, dass die Justiz nicht so richtig erfasst hat, welche Aufgaben ein Fanprojekt hat. Die Frage des Staatsanwalts an einen als Zeugen geladenen Polizisten, ob die drei möglicherweise selbst an der Vorbereitung der Pyro-Aktion beteiligt gewesen sein könnten, sorgte bei vielen im Raum für Stirnrunzeln. Der Zeuge verneinte übrigens sofort. Einem Streetworker im Frankfurter Bahnhofsviertel unterstellt schließlich auch niemand, er konsumiere Crack
      …“ Artikel von Christoph Ruf, Karlsruhe, vom 16.10.2024 in ND online externer Link
    • Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit: „Solidarität mit Volker, Sophia und Stan“
      Mitarbeitende eines Karlsruher Fanprojekts hatten bei Ermittlungen gegen Fußballfans, denen vorgeworfen wurde, Pyrotechnik gezündet zu haben, die Aussage verweigert. Jetzt wird der Fall vor dem Amtsgericht Karlsruhe verhandelt.
      Auf eindrucksvolle Demo-Bilder mussten die Fotografen am Dienstagmorgen verzichten. Die Kundgebung „Für ein Recht auf Schweigen“, die die Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts (ZVR) auf die Soziale Arbeit externer Link fordert, war von der Versammlungsbehörde am Vortag verlegt worden: vom zentralen Marktplatz hin zu einer abgelegenen Stelle am südwestlichen Rand der Karlsruher City – weit weg also vom Amtsgericht, in dem ab neun Uhr das Verfahren gegen drei Mitarbeitende des Fanprojekts verhandelt wurde. Die Demo fiel dementsprechend klein aus, die meisten Unterstützerinnen und Unterstützter machten sich direkt zum Gericht auf, um dort ihre „Solidarität für Volker, Sophia und Stan“ zu dokumentieren.
      Die Mitarbeitenden des Karlsruher Fanprojekts stehen seit Monaten nur deshalb vor Gericht, weil ihnen kein ZVR zusteht. Zuletzt hatten sie Einspruch gegen Strafbefehle in Höhe von 120 Tagessätzen à 60 Euro eingelegt, denn damit gälten sie als vorbestraft.  (…)
      Ermittlungen wegen „Strafvereitelung“
      Dabei ist das Vertrauensverhältnis zur Ultra-Szene die Basis, um überhaupt auf sie einwirken zu können. Kein Fußballfan werde sich je wieder an ein Fanprojekt wenden, wenn er befürchten müsse, dass von dort aus Infos an die Polizei weitergegeben würden, sagt Sophia Gerschel, eine der drei Angeklagten: „Es geht nicht darum, Straftäter zu schützen, sondern unsere Arbeit.“ Der Schwarze Peter gebühre in der Causa allerdings der Politik: „Die Gesetzeslage kann nur sie verändern.“
      Katastrophale Folgen
      Tatsächlich haben auch Fan-Sozialarbeiterinnen und -Sozialarbeiter im Gegensatz zu Juristinnen und Juristen, Pfarrern oder Journalistinnen und Journalisten kein ZVR. Umso wichtiger sei es, die Gesetzeslage zu reformieren, findet Lissy Hohnerlein von „Sozpädal“ („Sozialpädagogische Alternative“), die sich in Karlsruhe um obdach- und wohnungslose Menschen kümmert: „Wir betreuen Menschen, die niemandem mehr Vertrauen, nicht den Behörden, nicht der Politik und nicht der Polizei. Wenn wir dieses Vertrauensverhältnis nicht aufrechterhalten können, ist das katastrophal.“ (…)
      „Wer will noch in die Soziale Arbeit, wenn er damit rechnen muss, sich bei seiner Arbeit strafbar zu machen?“
      Immenser gesamtgesellschaftlicher Schaden
      Diesen Punkt betonte vor dem Amtsgericht Karlsruhe auch die Verteidigung der drei Fan-Sozialarbeitenden. „Das Feld der Sozialen Arbeit kommt offensichtlich nicht in der Gedankenwelt der Staatsanwaltschaft“ vor, konstatierte Anwalt Marco Noli, derweil sein Kollege Alexander Schork infrage stellte, dass das vermeintliche Wissen des Fanprojekts für die Aufklärung überhaupt relevant gewesen wäre: „Sie hatten doch schon alle Namen der Verdächtigen, welche Strafen sollen sie denn vereitelt haben?“ Der gesamtgesellschaftliche Schaden, den der Karlsruher Prozess anrichte, sei hingegen immens: „Diejenigen, die das Gesetz schützen sollen, sind erbost. Sie empfinden das als Angriff auf unsere Grundwerte.“ Vor allem aber empfinden sie es als Angriff auf den Kernbereich ihrer Arbeit. (…)
      Nach sieben Stunden Verhandlung wurde der Prozess vertagt. Er soll am 28. Oktober fortgesetzt werden
      .“ Bericht von Christoph Ruf vom 16.10.2024 bei der GEW externer Link
  • Zum Internationalen Tag der Sozialen Arbeit am 19.03.2024 ruft das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit zur Kundgebung in Berlin auf
    Für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit! Es ist an der Zeit, dass unsere Stimmen gehört werden und der unhaltbare Zustand, unter dem Beschäftigte leiden nur, weil sie ihre Arbeit machen, endlich verändert wird! Vertrauen schützen! Veränderung braucht Vertrauen! Fast im Knast! Für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit!
    Soziale Arbeit basiert auf dem Vertrauen zwischen Klient*innen und Fachkräften. Dieses Vertrauen kann nur dann gedeihen, wenn alle sich sicher sein können, dass Informationen vertraulich behandelt werden. Jedoch werden immer wieder Sozialarbeitende bei Polizei, Staatsanwaltschaft und vor Gericht vorgeladen, um Auskunft zu geben und über ihre Klient*innen auszusagen. Hiermit wird die auf Vertrauen beruhende Beziehung zu ihnen nachhaltig zerstört und künftige Arbeitsbeziehungen werden womöglich bereits vor Beginn verunmöglicht, mindestens erschwert! Die für die meisten Arbeitsfelder fehlenden gesetzlichen Regelungen zum strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit gefährden diese Vertraulichkeit und damit die Grundlage unserer Arbeit. Seit Jahren fordern wir als breites Bündnis innerhalb der Profession ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit. Daher: Es ist an der Zeit, dass unsere Stimmen gehört werden und der unhaltbare Zustand, unter dem Beschäftigte leiden nur, weil sie ihre Arbeit machen, endlich verändert wird!…“ Aufruf zur Kundgebung externer Link (mit Begründung) für Dienstag, 19. März 2024, 15:30 – 17:30 Uhr, Justizministerium, Mohrenstraße/ Jerusalemstraße, Berlin. Siehe als aktuelles Beispiel:

    • Soziale Arbeit unter Druck
      Im Rechtsstreit zwischen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe und dem dortigen Fanprojekt haben die betroffenen Kolleg*innen Strafbefehle wegen Strafvereitelung in Höhe von jeweils 120 Tagessätzen á 60 Euro erhalten. Dies erfolgte im Zuge von Aussageverweigerungen der Mitarbeitenden des Fanprojekts, welche sich auf ihre Schweigepflicht bezogen, um das Vertrauensverhältnis zu ihren Adressat*innen und somit ihre sozialarbeiterische Arbeitsgrundlage zu schützen. Die Folgen waren Ordnungsgelder, Androhung von Beugehaft und nun Strafen in einer völlig verheerenden Dimension. Sollten die Strafbefehle Rechtsgültigkeit erlangen, wären die Betroffenen vorbestraft und schließlich auch mit massiven Strafzahlungen konfrontiert. Neben den persönlichen Schicksalen sieht das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit (BfZ) hier auch einen massiven Eingriff in die Profession und Berufspraxis der Sozialen Arbeit.
       „Wir müssen hier von einer eklatanten Bedrohung der Sozialen Arbeit insgesamt sprechen“, erklärt Georg Grohmann, Sprecher des BfZ. „Die Bundesregierung muss endlich aufwachen und ihr Desinteresse an dieser Thematik beenden, soll Soziale Arbeit weiterhin für die Gesellschaft wirksam sein.“ Matthias Stein, ebenfalls Sprecher des BfZ, ergänzt: „Bereits die Bestrafung der Kolleg*innen ist indiskutabel, die Höhe der Strafe skandalös! Wir stehen hinter den Mitarbeiter*innen des Fanprojekts und sichern ihnen unsere Unterstützung zu.“…“ Pressemitteilung vom 15.3.2024 externer Link beim Bündnis
  • Für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit: AWO veröffentlicht Rechtsgutachten zur Modernisierung der Strafprozessordnung
    Im September 2023 hat das AWO Präsidium beschlossen, für die Einführung eines strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts in der Sozialen Arbeit einzutreten. Die AWO fordert damit ein, dass Fachkräfte der Sozialen Arbeit, deren Arbeit auf dem Vertrauensverhältnis zu den Klient*innen aufbaut, im Strafprozess mit anderen Berufsgruppen gleichgestellt werden. Diesem Beschluss ist eine lange Diskussion in der sozialarbeiterischen und juristischen Fachwelt vorangegangen, in der die Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts auf alle Berufsgruppen der Sozialen Arbeit eingefordert wurde. Jetzt hat die sich die AWO als erster Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege klar positioniert. Die AWO fordert damit ein, dass Fachkräfte der Sozialen Arbeit, deren Arbeit auf dem Vertrauensverhältnis zu den Klient*innen aufbaut, im Strafprozess mit anderen Berufsgruppen gleichgestellt werden…“ AWO-Meldung vom 28.02.2024 externer Link zum Rechtsgutachten von Rechtsanwalt Benjamin Raabe externer Link 
  • [ver.di] Zeugnisverweigerungsrecht für die Beschäftigten der Sozialen Arbeit
    Der ver.di-Bundesfachgruppenvorstand Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit fordert schon lange die Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts in der Sozialen Arbeit (siehe dazu auch unser Selbstverständnis). Diese Forderung wird angesichts des jüngsten Angriffs auf die Verschwiegenheit und Vertraulichkeit der Sozialarbeiter*innen, die täglich mit sensiblen Informationen umgehen, immer dringlicher. Ein aktueller Fall von Mitarbeiter*innen des Karlsruher Fanprojekts, die mit Beugehaft konfrontiert sind, verdeutlicht die Notwendigkeit dieses Schrittes. Das Karlsruher Fanprojekt ist eine Einrichtung für aufsuchende Arbeit im Bereich Fußball und erfüllt eine wichtige Rolle in der örtlichen Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit und Jugendsozialarbeit (§§13 und 11 des Sozialgesetzbuchs VIII). Die Tatsache, dass Beschäftigte der Sozialen Arbeit aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit mit Beugehaft bedroht sind, ist inakzeptabel und gefährdet die professionelle Unterstützung junger Menschen. Hintergründe zur Situation in Karlsruhe:  Fast im Knast?! – Stellungnahme zu Vorladungen der Karlsruher Fanprojekt-Mitarbeitenden – Zeugnisverweigerungsrecht (zeugnis-verweigern.de) externer Link
    Die Soziale Arbeit, insbesondere die Mobile Jugendarbeit und die Straßensozialarbeit (sog. Streetwork) erfordern den täglichen Umgang mit vertraulichen Informationen, die die Privatsphäre und persönliche Entwicklung junger Menschen betreffen. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter*innen und anderer Beschäftigten in der Sozialen Arbeit ist unerlässlich, um eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Adressat*innen aufzubauen und zu pflegen. (…)
    Beschäftigten der Sozial Arbeit, die eine Aussage verweigern und die ihnen anvertrauten Geheimnisse oder Informationen nicht preisgeben wollen, drohen Bußgeld oder Beugehaft. Das ist inakzeptabel und beeinträchtigt professionelles Handeln und die Qualität des Arbeitsbündnissses. Die psychische Belastung und Unsicherheit wegen möglicher rechtlicher Konsequenzen schrecken potenzielle Fachkräfte ab und verschärfen den bereits existierenden Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit. Daher rufen wir die politischen Entscheidungsträger*innen dazu auf, unverzüglich die notwendigen Schritte einzuleiten, um das Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit gesetzlich zu verankern. Wir unterstützen die Forderungen des Bündnisses für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit uneingeschränkt und treten gemeinsam für die Rechte und den Schutz der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit ein. Die gesetzliche Verankerung dieses Rechts ist nicht nur die Basis für das konstruktive Arbeitsbündnis und den Schutz für die Beschäftigten, sondern ein entscheidender Schritt zur Steigerung der Attraktivität dieser Berufe…“ Meldung vom 10.10.2023 externer Link beim ver.di-FB Öffentliche und private Dienstleistungen, Sozialversicherung und Verkehr

Grundinfos:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=219000
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