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»Wir wollen auch raus!«: Paukenschlag – Streik der Sicherheitsbeschäftigten am Flughafen
Quelle: Interview, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1-2/2013
Im Sicherheitsgewerbe, hier speziell im Aviation-Bereich, gibt es aktuell drei Tarifrunden. Zum einen die Manteltarifrunde, in der erstmals auf Bundesebene die Rahmenbedingungen für die grundlegenden Arbeitsbedingungen der ca. 8000 Aviation-Beschäftigten verhandelt werden Zentral ist hier die Forderung nach geregelten Dienst- und Schichtplänen. Parallel dazu sind zum anderen noch zwei Länderlohntarife offen: Im Rahmen der allgemeinen Bewachungsrunde in NRW fordert ver.di-NRW für den Aviation-Bereich Lohnerhöhungen von 12,36 Euro auf 16,00 Euro. Und in Hamburg wollen die Aviation-Beschäftigten ihren Lohn von 11,80 Euro auf 14,50 Euro heraufgesetzt sehen. Ende Januar haben wir Peter Bremme, Leiter des Landesfachbereichs Besondere Dienstleistungen von ver.di Hamburg, zu Vorgeschichte und zum aktuellen Stand der Dinge befragt.
express: Ihr habt es am 18. Januar geschafft, mit einem Streik der Sicherheitsbeschäftigten den Hamburger Flughafen lahmzulegen. Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will… Die Sicherheitskräfte hat man bislang nicht als sehr kampfstarke Berufsgruppe wahrgenommen. Wie war die Stimmung bei den KollegInnen?
Wir hatten schon zweimal für den MTV gewarnstreikt – jeweils zwei Stunden mit der Frühschicht. Allein hier war das Streikergebnis enorm. Viele Flüge fielen aus, 10 000 meist businessgedresste Passagiere mussten sich in Schlangen einreihen und darauf warten, dass sie in den zwei Spuren, die von den insgesamt 23 Spuren noch zur Verfügung standen, sicherheitsgecheckt wurden. Hier war die Stimmung bei den KollegInnen vom Sicherheitsdienst schon bombastisch.
Doch erst der Ganztagesstreik brachte alle drei Schichten auf die Straße, und es passierte das, was immer bei Streiks passiert: Der angesammelte Stress verwandelte sich in eine enorme Menge von Endorphinen, KollegInnen fielen sich um den Hals, Erinnerungsbilder von wild zusammengewürfelten Menschenknäulen wurden auf Facebook gepostet, einige reckten auch – heimlich – ihre Faust, als sie sich vor den wartenden Passagieren von ihren KollegInnen ablichten ließen. Und natürlich waren sie als »Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft« mehr als Helden für einen Tag.
Gab es überhaupt schon mal einen solchen Streik in der Bundesrepublik? Wie (lange) habt Ihr den Streik vorbereitet und was hat die KolIegInnen überzeugt, mitzumachen? Wie hoch ist Euer Organisationsgrad und wie hoch war die Streikbeteiligung?
Nein – dieser Streik hat keine mir bekannten Vorläufer. Von diesem Streik gehen drei wesentliche Botschaften aus:
Wir spielen mit diesem Streik jetzt auch in der Streikoberliga mit, zusammen mit der GDL, UFO und dem Marburger Bund. Und das ist auch die wichtige Botschaft nach Innen: Mit einer klar an den Interessen der Beschäftigten ausgerichteten Politik muss ver.di keine Angst haben, relevante Berufsgruppen an Kleinstgewerkschaften zu verlieren.
Arbeitskämpfe in prekären Beschäftigungslagen sind möglich und sehr wahrscheinlich auch erfolgreich. Die Sicherheitskräfte an Flughäfen haben in der ÖTV lange ein Schattendasein neben der großen Lufthansa und den Beschäftigten in den Flughafengesellschaften geführt. Erst mit dem Fachbereich 13, der sich in ver.di insbesondere der ›Randgruppen› annehmen soll und diese gezielt betreut, ist eine Entwicklung eingetreten, die dieses neue Selbstbewusstsein ermöglicht hat.
In diesen harten Zeiten für die Gewerkschaftsbewegung sind Tarifforderungen von über 30 Prozent vielen zu unrealistisch und weltfremd. Andererseits zeigt diese Forderungshöhe – und darauf kommt es hier an – dass wir mit der Organisierung der oft für unorganisierbar gehaltenen SicherheitsmitarbeiterInnen Hoffnungen wecken, wie sich Beschäftigte aus der unteren Stufe des Prekariats in ein Leben katapultieren könnten, das mehr als ein Überleben sichert. Mich würde freuen, wenn ver.di diesen Funken in andere Auseinandersetzungen tragen und das »Unrealistische« zum eigenen politischen Auftrag machen würde. Schließlich hat der alte Klunker mit nur drei Tagen Streik eine elfprozentige Erhöhung erzwungen. Die Streiks in NRW und Hamburg werden zu Ergebnissen in ähnlichen Größenordnungen führen.
Die Vorbereitung lief nach den erfolgreichen Stundenstreiks problemlos. Die anderen Schichten drängelten quasi die Tarifkommission, aufs Tempo zu drücken. »Wir wollen auch mal raus…« – das war die klare Botschaft. Die KollegInnen waren auch gut vorbereitet. »Deine Rechte im Streik«-Broschüren wurden als klares Signal überall im Flughafen platziert. Die Streikerfahrungen wurden in den Pausen weitergegeben. Klar war auch, dass nur eine sehr kleine Gruppe eingeweiht war über den Zeitpunkt des Streiks. Den Ablauf selbst hatten wir allerdings breit diskutiert.
Neben dem enormen Ansporn der Tarifforderung – schließlich fordern wir 22,8 Prozent – war für die Streikmotivation vor allen Dingen ausschlaggebend, es ›denen da oben‹ mal so richtig zu zeigen. ›Die da oben‹, das waren neben den Vorgesetzten die Bundespolizei, die tagtäglich das Leben an der Spur in allen Einzelheiten kontrolliert, aber auch die Geschäftsleute, die mit abschätzigen Bemerkungen den »ungebildeten Lakaien der Bundespolizei« täglich auf den Geist geben. Ihnen kollektiv ein »Ihr könnt mich alle mal« entgegen zu schreien, ist wohl die größte Motivation zu streiken. Und das haben wir mit einem richtigen Paukenschlag geschafft. 250 SicherheitsassistentInnen konnten 10000 Passagiere am Boden halten, Flugzeuge flogen fast leer los, der Flughafen fuhr einen mittleren sechsstelligen Minusbetrag ein. Die Lufthansa musste nach unbestätigten Angaben 1,3 Mio. Euro in den Wind schreiben. Alles zusammen ein Vielfaches dessen, was die Lohnerhöhungen gekostet hätten.
All das ermöglicht hat eine Streikbeteiligung von 95 Prozent. Mittlerweile haben sich 60 Prozent der Beschäftigten bei ver.di organisiert.
Wie haben die KollegInnen aus den anderen Berufsgruppen am Flughafen reagiert – besonders die, die als Streikbrecher eingesetzt werden sollten?
Wenn wir streiken, das wissen auch die Streikbrecher, dann wird ein Arbeitstag am Flughafen zum Alptraum. Orientierungslose, frustrierte Passagiere, cholerische Geschäftsleute und wütende Familien ruhig zu stellen, das macht bei einem zu erwartenden 10-Stunden-Tag niemandem Spaß. Daher haben sich 80 Prozent der zur Verfügung stehenden möglichen Streikbecher spontan krank gemeldet. Während, aber besonders auch nach dem Streik gab es – nicht nur hinter vorgehaltener Hand – ein dickes Lob für den Streik. Alle Berufsgruppen sympathisieren mit den Underdogs am Flughafen. »Denen habt ihr’s mal richtig gezeigt«, war noch die harmloseste Variante von Anerkennung und Lob.
Von unseren Schwesterorganisationen der bei UNI GLOBLAL zusammengeschlossenen Dienstleistungsgewerkschaften an anderen europäischen Flughäfen haben wir gehört, dass dort Streikbrecher engagiert werden sollen. Die organisierten Beschäftigen wurden aufgeklärt, dass ein zukünftiger Flug nach Hamburg, Düsseldorf oder Köln kein Sightseeing ist, sondern Streikbruch, und die KollegInnen sind auf alles vorbereitetet und wissen sich zu wehren.
Im Inland hat das Unternehmen Kötter versucht, Beschäftigte aus Erfurt unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu den Streikflughäfen zu locken. Doch auch hier funktionierte das gewerkschaftliche Frühwarnsystem und kein Beschäftigter ist dem Aufruf der Geschäftsleitung gefolgt.
Die Tarifverhandlungen im Sicherheitsgewerbe betreffen auch eine ganze Reihe anderer Branchen – beispielsweise waren auch Streiks bei den Betriebsfeuerwehren von Chemieunternehmen angekündigt. Kannst Du etwas darüber sagen, wie erfolgreich die Arbeitskämpfe anderswo laufen?
Ja, auch diese Streiks haben funktioniert. Für viele Beschäftige war es das erste Mal, dass sie gestreikt haben. Die Streiks in diesen Hochsicherheitsbetrieben sind allerdings reglementiert und haben daher nicht die Wirkung eines Flughafenstreiks.
Ist Eure Streikbotschaft beim Arbeitgeber angekommen? Noch scheinen sie kein adäquates An-
gebot gemacht zu haben. Riskieren sie erneute Streiks und damit Ausfallkosten, mit denen man gleich mehrere solcher Tariferhöhungen bezahlen könnte?
Die Botschaft ist zunächst bei allen Aviation-Lobbyorganisationen angekommen. Der Verband der Flughafenbetreiber fordert in Allianz mit den Airlines und dem Arbeitgeberverband BDSW eine Verschärfung des Streikrechts an Flughäfen. Ähnlich wie in Frankreich sollen Streiks erst möglich sein, wenn sie lange vorher angekündigt werden. Auch Zwangsschlichtungen sollen ermöglicht werden. In NRW haben die Arbeitgeber sogar Textbausteine für Notfallverordnungen aus dem Gesetzestext abgeschrieben.
Gleichzeitig wird eine Armada von Anwaltskanzleien beauftragt, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Auch das juristische Streikunterbindungsarsenal, das bei den GDL-Streiks zum Einsatz kam, soll für den Flughafen erprobt werden. Hinter den Kulissen ist klar: Der Druck zur Einigung ist enorm. Vordergründig spielt der BDSW noch mit unserer Streikoption. Denn wenn ein erneuter Streik ansteht, können sich die Vertreter noch wichtiger nehmen und so können Türen in Ministerien, bei der Bundespolizei, bei Flughafenbetreibern und Airlines für den Arbeitgeberverband noch besser geölt werden.
In der Presse liest man, dass die Branchenvertreter, also Fluggesellschaften und Flughafenbetreiber, mit Schadensersatzforderungen drohen und ankündigten, sie würden der rechtlichen Frage nachgehen, ob und in welchem Umfang eine Haftung des Staates in Betracht komme, weil die Verantwortung für die Passagierkontrollen die Bundespolizei beziehungsweise, je nach Betreiber des Flughafens, die jeweilige Landesbehörde habe, die wiederum private Sicherheitsdienstleister damit beauftragen könne. Der Bundesverband des Sicherheitsgewerbes hätte den Gesetzgeber gar aufgefordert, das Streikrecht zu ändern oder gar zu verbieten, wie die junge welt am 29. Januar 2013 schreibt. Was ist dran? Ist das nur das übliche Streikgebaren oder ist das ernster zu nehmen? (Stichwort Diskussionen über die Einschränkungen des Streikrechts bei Arbeitskonflikten in der Daseinsvorsorge, siehe express Nr. 4/2012)
Diese neue Koalition müssen wir ernst nehmen. Hier wird unter der Flagge »Harmonisierung der Rechtsgrundlage in der EU« einerseits daran gearbeitet, die Streikaktivitäten an die von Sarkozy verschärften Streikgrundlagen an Flughäfen in Frankreich anzupassen – Stichwort: lange Vorankündigungszeiten und Zwangsschlichtung. Andererseits wird der Streik des Sicherheitspersonals als Beleg für die Notwendigkeit der Einschränkung von Streikmöglichkeiten in der so genannten Daseinsversorge benutzt. Gleichzeitig sind Rechtsanwaltskanzleien, die ihr Geld schon mit dem Streikfall der GDL verdient haben, aufgefordert, die Zweitverwertung ihrer Erkenntnisse zu versilbern, also die Streikparteien damit zu verunsichern, dass Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe an sie gestellt werden. Diese Kanzleien prüfen auch, wie wirksam einstweilige Verfügungen gegen Flughafenstreiks sein könnten.
Diese Auseinandersetzung zeigt, wie wachsam wir alle zukünftig sein müssen, wenn Gewerkschaften damit wieder liebäugeln sollten, Streikrechte zu Ungunsten von Minderheitsorganisationen einschränken zu wollen.
Vielen Dank und viel Erfolg bei den weiteren Aktionen!