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Probleme im Glasfaserausbau: (Migrantische) Bauarbeiter ausgebeutet und schikaniert
Dossier
„In der Glasfaser-Branche häufen sich nach Report-Mainz-Recherchen Fälle von Lohnbetrug und illegaler Beschäftigung. Die Rufe nach schärferen Gesetzen werden lauter. (…) Was den Bauarbeitern in Mössingen widerfahren ist, scheint kein Einzelfall zu sein. Report Mainz hat Dutzende weiterer Vorfälle dokumentiert, die sich seit Anfang 2022 in verschiedenen Regionen Deutschlands ereignet haben. Die Palette reicht von Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und Lohnprellerei über 16-Stunden-Arbeitstage bis hin zu organisierter Kriminalität und Menschenhandel – alles passiert im Glasfaserausbau. In einem Fall wurde ein Mann aus Ungarn, der in Nordrhein-Westfalen arbeitete, von seinem Subunternehmer geschlagen. Als er nach dem fehlenden Lohn fragte, wurde er vor die Tür gesetzt. (…) Wegen der bundesweiten Fälle von Sozialdumping im Glasfaserausbau werden die Rufe nach schärferen Regeln lauter…“ Report Mainz-Beitrag von Anna Stradinger und Daniel Hoh vom 13.02.2024 in tagesschau.de und dazu:
- Glasfaserausbau: Schnelles Internet – doch zu welchem Preis?
„Beim Glasfaserausbau läuft etwas gewaltig schief. Die IG BAU und ihre Beratungsstellen registrieren immer mehr Fälle von Ausbeutung. Der Verdacht: Die große Nachfrage an Arbeitskräften für das Megaprojekt Glasfaserausbau wird in Teilen von der Schattenwirtschaft bedient und auf dem Rücken der Beschäftigten abgewickelt.
Mittlerweile ist es in den Städten und Kommunen ein bekanntes Bild. Plakate der Netzbetreiber kündigen den Anschluss an das Glasfasernetz an. Kurz darauf klingelt es, bei sogenannten Haustürgeschäften wird der vermeintlich beste Vertrag angeboten. Sind möglichst viele Vorverträge in einem Gebiet abgeschlossen, beginnen die Arbeiten. (…) Die Gigabitstrategie muss ein Erfolg werden, wenn Deutschland den verlorenen Posten bei der Digitalisierung wieder aufholen will. Dass dazu „gut ausgebildete und kompetente Fachkräfte“ nötig sind, erkannte die Bundesregierung zwar, zu welchen Bedingungen die Arbeiten in der Praxis stattfinden sollen, darüber schweigt sich die Bundesregierung jedoch aus. Von „knappen Kapazitäten im Tiefbau“ ist die Rede, gleichzeitig sollen es die „Kräfte des Marktes und ein funktionierender Wettbewerb“ richten. Ein Trugschluss. (…) Die Arbeiten auf den Baustellen wirken geradezu gehetzt. Fehlende oder improvisierte Absicherungen der Kabelschächte, eine mangelnde Einrichtung der Baustellen ohne Toiletten bis hin zu Städten und Kommunen, die über beschädigte Straßen und Gehwege berichten. Dazu kommen immer wieder Berichte über Arbeitsausbeutung und großangelegte Einsätze des Zolls sowie Kräften der Staatsanwaltschaft und der Bundespolizei. (…) Die Leidtragende sind wie so oft in erster Linie die Beschäftigten. Die Vorwürfe im gesamten Bundesgebiet reichen von illegaler Beschäftigung über Lohnprellerei bis zu Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz. Wie ist das möglich? Blicken wir dazu auf die Geschäftsbeziehungen: Durchgeführt wird der Ausbau des Glasfasernetzes von Anbietern wie Telekom, Vodafone, Deutsche Glasfaser, o2 oder 1&1 Versatel. Diese stellen Anträge zur Leitungsverlegung bei den Städten und Kommunen. Die eigentlichen Arbeiten werden dabei den sogenannten Generalunternehmern überlassen. Das sind Baufirmen, die im Auftrag der Telekommunikationsanbieter tätig werden. Da diese aber nicht immer über genügend Personal verfügen, werden die Aufträge weitergereicht an sogenannte Sub-Unternehmer. Nicht nur die Gewinnmargen werden so immer kleiner, auch die Verantwortung verlagert sich ins Nichts. (…) Wer letztlich auf der Baustelle den Spaten ansetzt oder den Kleinbagger bedient, das wissen die Generalunternehmer nicht und die Telekommunikationsunternehmen erst recht nicht. (…) Wie lässt sich die Intransparenz des weit verbreiteten Sub-Subunternehmer-Systems bekämpfen? Dazu muss das Rad nicht neu erfunden werden. Das Ausheben von Schächten und das Verlegen von Leerrohren ist eine klassische Tätigkeit im Tiefbau und fällt damit unter die tariflichen Regelungen des Bauhauptgewerbes. Unternehmen, die hier bauen, unterliegen einer Meldepflicht bei der SOKA-BAU. Somit wäre bekannt, welches Unternehmen tatsächlich tätig ist. Die Zustände machen deutlich: Damit dies zur Pflicht wird, braucht es dringend eine entsprechende Verordnung von Seiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Zusätzlich muss die Generalunternehmerhaftung auf die Auftraggeber ausgeweitet werden. Im Klartext: Glasfaseranschluss-Anbieter haften für die Verstöße auf den Baustellen! Wer den Auftrag vergibt, muss für die Ausführung auch geradestehen. Zudem muss bereits nach einer einzigen Weitergabe des Auftrags Schluss in der Subunternehmerkette sein. Aber auch die Förderung muss überarbeitet werden. Aus dem Bundeshaushalt wurden Milliarden für die Auftragsvergabe bereitgestellt. Hier muss gelten: Gleiches Spiel für alle – ohne Tariftreue gibt es kein Geld vom Staat! Die Bundesregierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, all dies bei der Gigabitstrategie nicht berücksichtigt zu haben. Bevor sie den Glasfaserbau weiter forciert, ist jetzt erst einmal Tempo beim Kampf gegen die Missstände angesagt.“ Beitrag von Tobias Wark vom 27. September 2024 bei der IG BAU - Glasfaserausbau: Saar-Arbeitsminister Jung und Deutsche Glasfaser wollen Ausbeutung besser verhindern
„Bei einem Treffen am Montag haben sich der Saar-Arbeitsminister Jung und Deutsche Glasfaser-Geschäftsführer Schachtsiek auf konkrete Maßnahmen geeinigt, um mögliche Missstände im Glasfaserausbau künftig stärker zu bekämpfen. So sollen Bauarbeiter auf Informationsveranstaltungen über ihre Rechte informiert werden. (…) Nach Angaben des Arbeitsministeriums und der Deutschen Glasfaser ist das gemeinsam erklärte Ziel, mögliche Ausbeutung im Glasfaserausbau im Saarland künftig besser zu unterbinden. Arbeitsplätze sollen sicher gestaltet und Mitarbeitende fair entlohnt werden, heißt es. (…)Der Deutschen Glasfaser seien bislang nur zwei konkrete Fälle aus dem Saarland bekannt, bei denen es offenbar zu arbeitsrechtlichen Verstößen gekommen ist. Einer davon sei tatsächlich erst durch die SR-Recherche zur mutmaßlichen Ausbeutung im Glasfaserausbau aufgedeckt worden . Das Unternehmen habe direkt das Gespräch mit dem Generalunternehmer Geodesia gesucht. Geodesia habe aber bereits zuvor die Zusammenarbeit mit dem beschuldigten Subunternehmen Capital Glasfaser frühzeitig beendet. Capital Glasfaser hatte sich zu diesem Zeitpunkt als „leistungsschwaches Subunternehmen“ herausgestellt, so Geodesia gegenüber dem SR. Das Subunternehmen soll nach SR-Informationen offenbar wiederholt kein Gehalt an ausländische Bauarbeiter ausgezahlt haben…“ Beitrag von Daniel Novickij vom 27.08.2024 im SR - Dumpinglöhne, extrem lange Arbeitszeiten und sogar Hunger? Das alles für den Zugang zum Highspeed-Internet via Glasfaser in Deutschland?
„Der eine oder andere wird es in den vergangenen Monaten im eigenen Haushalt erlebt haben: endlich gibt es einen Glasfaser-Anschluss und damit die Zugangsmöglichkeit zum stabilen schnellen Internet. Und man wird sich an die dafür notwendigen Bauarbeiten erinnern. Und die haben so manchem, anders als das sprichwörtliche Bohren beim Zahnarzt, doch sehr weh getan. »Seit fast vier Jahren geht das so, alles aufgerissen, nur schlecht zugeschüttet, alles Murks. (…) Um das Großprojekt Glasfaserausbau zu beschleunigen, wurden im Telekommunikationsgesetz Verfahrenserleichterungen festgeschrieben. Konkret: Alle lizensierten Anbieter haben freien Zugang zum Glasfaserausbau und damit zu den öffentlichen Wegen.« (…) Man kann das, was derzeit viele Bürger in ihren Kommunen erleben, als ein wirtschaftspolitisches Fallbeispiel par excellence durchspielen. Hier aber soll die andere Seite der Medaille in den Blick genommen werden – die Bauarbeiter, die das machen (müssen). Und nein, es wird viele nicht wirklich überraschen, wenn man hier davon ausgeht, dass mal wieder das Sub-Sub-Subunternehmertum sein Unwesen treibt. Auch wenn die öffentliche Infrastruktur wie Gehwege, Straßen usw. Schaden nimmt – zuallererst einmal sind es die Menschen am Ende einer langen Verwertungskette, die Schaden nehmen. Also nicht die Hausbesitzer und Mieter, sondern diejenigen, die den Ausbau realisieren. (…) Unter diesem Titel hat sich das Politikmagazin „Report Mainz“ mit den Zuständen beim Glasfaserausbau beschäftigt, hier mit Blick auf die, die das machen müssen. Die »Schattenseiten zeigen sich auf etlichen Baustellen: Arbeiter, zum Beispiel aus Osteuropa oder Syrien, werden um ihren Lohn gebracht, müssen teilweise sogar hungern«, behaupten Anna Stradinger und Daniel Hoh in ihrem Beitrag Hungern trotz Arbeit: Ausgebeutet im Glasfaserausbau vom 14. Februar 2024. Das Politikmagazin hat dutzende Fälle von Arbeitsausbeutung aus verschiedenen Regionen Deutschlands dokumentiert. Gewerkschaftsvertreter sprechen von flächendeckenden, strukturellen Problemen in der Glasfaserbranche. (…) Man müsse berücksichtigen, »dass viele Bauarbeiter – ob aus Osteuropa oder aus Drittstaaten wie Nordafrika oder Nahost – oft über kein Netzwerk verfügten und es sich deshalb mit ihrem einzigen Arbeitgeber nicht verscherzen wollten. „Also gehen sie nicht gegen Arbeitsausbeutung vor.“ Noch schlimmer sei es oft für Personen aus Drittstaaten, die hier nur ein Aufenthaltsrecht hätten. „Das Aufenthaltsrecht ist hier an die Beschäftigung gekoppelt. Verlieren sie ihren Job, müssen sie zeitnah ausreisen.“ Die Arbeitnehmer befinden sich also in einem starken Abhängigkeitsverhältnis.« (…) »Wegen der bundesweiten Fälle von Sozialdumping im Glasfaserausbau werden die Rufe nach schärferen Regeln lauter. Im Interview … fordert zum Beispiel Frank Bsirske, grüner Bundestagsabgeordneter und früherer Chef der Gewerkschaft ver.di, eine sogenannte Sonderregelung Glasfaser. „Das heißt, es sollen nur solche Generalunternehmen und solche Subunternehmen beauftragt werden dürfen, die nachweisen können, dass sie bei der SOKA-BAU, also der Sozialkasse der Bauwirtschaft, angemeldet sind.“ Genauso kann sich der Ampel-Politiker weitere Gesetzesverschärfungen vorstellen: zum Beispiel eine Pflicht, wonach die Telekom-Anbieter regelmäßig alle Unternehmen in der Kette kontrollieren müssen, um zu überprüfen, ob diese sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Auch sollten die milliardenschweren Zuschüsse von Bund, Ländern und Kommunen für den Glasfaserausbau an Sozialstandards gekoppelt sein. Denn eines sei für die Branche klar, so Bsirske: „Das sind himmelschreiende Verhältnisse, das ist organisierter Lohnbetrug, der danach schreit, zu handeln.“« Auch wenn der eine oder andere die überschaubare Kleinteiligkeit der konkreten Vorschläge und eine vermutliche Wirkungslosigkeit dessen, was da als Möglichkeit des Handelns zur Diskussion gestellt wird, beklagen wird: ansonsten herrscht flächendeckend und parteiübergreifend Stille über dem Glasfaser-See. Leider ist der Glasfaserausbau ein weiteres unter vielen Beispielen (gerade, aber nicht nur im Baubereich), wie durch die Globalisierung der Arbeit Dumpinglöhne nach Deutschland importiert werden können und nicht nur die Unternehmen, auch die vielen Kunden eine Ausbeutungsdividende auf der Preisseite einstreichen können.“ Beitrag von Stefan Sell vom 27. April 2024 auf seiner Homepage - Siehe auch das Video : „Hungern trotz Arbeit – Ausgebeutet im Glasfaserausbau“