IG BAU zum Zentralverband des Deutschen Handwerks, dem das Bürgergeld zu hoch ist: „Rauf mit den Löhnen, dann klappt’s auch mit dem Abstand“

Dossier

LohnAnstandsGebotIch kann dem Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks Hans Peter Wollseifer nur zustimmen, wenn er sagt, dass die Grenzen zwischen dem von der Bundesregierung beabsichtigten neuen Bürgergeld [früher Hartz-IV] in Höhe von 502 Euro im Monat mit den Einkünften von Geringverdienern verschwimmen. Nur zieht er daraus die vollkommen verkehrten Schlüsse“, sagt Carsten Burckhardt, als Bundesvorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt zuständig für Handwerkspolitik. „Denn es darf jetzt nicht heißen, runter mit dem Bürgergeld, das ohnehin zum Lebensunterhalt kaum reicht, sondern rauf mit den Löhnen. Dann klappt’s auch mit dem Abstand. (…) „Was ich aber überhaupt nicht mehr hören kann, ist das Gejammer über den Fachkräftebedarf. Wenn die Ärmsten dieser Gesellschaft noch weniger bekommen, ist das jedenfalls kein Schritt zur Lösung des Problems“...“ Pressemitteilung der IG BAU vom 13.09.2022 externer Link – erfrischend, aber leider ohne sich vom „Lohnabstandsgebot“ zu distanzieren – siehe den Hintergrund:

  • [ver.di] „Lohnabstandsgebot“: Erneut unsoziale Parolen angesichts des Inflationsausgleichs beim Bürgergeld von Lindner, Merz u.a. New
    Das Bürgergeld (Hartz IV) steigt zum 1. Januar um etwa zwölf Prozent. Der deutliche Anstieg ist ein Inflationsausgleich. Anfang des Jahres hatten die Ampelparteien mit Zustimmung der CDU/CSU beschlossen, dass das Bürgergeld schneller an Preissteigerungen angepasst werden soll. Richtigerweise, schließlich soll diese Sozialleistung das Existenzminimum abdecken – auch in Zeiten der Inflation. Dass sie all dem zugestimmt haben, interessiert CDU-Chef Merz und FDP-Finanzminister Lindner heute nicht mehr. Sie behaupten im Chor mit den üblichen Hetzbättern, das „Lohnabstandsgebot“ werde verletzt. Wer arbeitet, muss mehr haben als jemand, der oder die nicht arbeitet. Dabei unterschlagen sie, dass Niedriglohnbeschäftigte aufstockendes Bürgergeld erhalten können. Wenn dieses steigt, gibt es mehr anspruchsberechtigte Beschäftigte. Zudem können Arbeitende mit geringen Einkommen weitere Leistungen erhalten, etwa Wohngeld. Wer diese Leistungen ergänzend zur Erwerbsarbeit in Anspruch nimmt, hat fast immer ein höheres Einkommen als jemand, der nicht arbeitet. Und der Lohnabstand lässt sich durch höhere Löhne vergrößern – durch höhere Tarife und einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 14 Euro. Doch das lehnen Lindner, Merz und andere ab. Stattdessen hetzen sie die Beschäftigten gegen erwerbslose Arme auf. Das ist schäbig.“ Wirtschaftspolitik aktuell 15 / 2023 vom 11.9.2023 von und bei ver.di externer Link („Lohnabstand: unsoziale Parolen“)

  • Fachkräftemangel im Handwerk: Zuckerwort und Peitsche
    Eine gutgemachte Imagekampagne soll die Wertschätzung für Handwerksberufe steigern, um junge Menschen dafür zu gewinnen. Doch der Präsident Zentralverbands wünscht sich auch mehr Druck auf Erwerbslose
    Erst seit wenigen Wochen läuft eine Plakatkampagne externer Link, mit der der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) dem Fachkräftemangel begegnen und Handwerksberufe für junge Menschen attraktiver machen will. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Image: „Was gegen Handwerk spricht? – Meine Akademikereltern“, steht neben dem Bild einer jungen rothaarigen Frau. „Dabei gibt es nirgendwo mehr erfolgreiche Startups als im Handwerk. Hier stimmt was nicht“, erklärt die „Wirtschaftsmacht von nebenan“ dazu. (…) Eine Stärke der Kampagne ist, dass sie den Standesdünkel bildungsbürgerlicher Familien auf die Schippe nimmt: „Unsere Kinder lernen, mit dem Kopf zu arbeiten. Mit den Händen arbeiten sollen andere.“ Mehr Wertschätzung ist gefragt. Nur um einen offensichtlichen Grund für den Fachkräftemangel in Deutschland bleibt es hier merkwürdig still: Um die eher bescheidenen Löhne in manchen Berufen, die körperlich anstrengend und vielfach nicht bis zum regulären Rentenalter durchzuhalten sind.
    Rund eine Viertelmillion Fachkräfte fehlen nach Angaben des Zentralverbands externer Link. Besonders betroffen seien der Baubereich und das Baunebengewerbe sowie die Bereiche Sanitär-Heizung-Klima, Elektro- und Lebensmittelhandwerk, hieß es im Frühjahr, als die ARD-tagesschau von einem „Überbietungswettbewerb der Firmen im Kampf um Personal“ berichtete. In Kleinbetrieben liegen aber die Brutto-Jahresgehälter im Durchschnitt bei rund 36.000 Euro externer Link. Was davon netto übrigbleibt, ist in Zeiten der Energiekrise nicht viel, vor allem nicht, wenn davon Kinder mitzuversorgen sind. Dass es zur Behebung des Fachkräftemangels vielleicht auch finanzielle Anreize braucht, will der Zentralverband des Deutschen Handwerks allerdings nicht so verstanden wissen, dass signifikant höhere Löhne gezahlt werden sollten.
    Stattdessen findet der Präsident des ZDH, Hans Peter Wollseifer, das Hartz-IV-Nachfolgemodell „Bürgergeld“ für Erwerbslose noch viel zu komfortabel externer Link. Dies werde dazu führen, „dass sich für mehr Menschen als bisher das Nicht-Arbeiten mehr lohnt als das Arbeiten“, sagte Wollseifer der Rheinischen Post. Als Gründe nannte er unter anderem den „Wegfall von Sanktionen, die deutliche Anhebung des Regelsatzes“ auf 502 Euro im Monat für alleinstehende Erwachsene und „die komplette Übernahme der stark gestiegenen Heizkosten“. Das sorge „für Demotivation bei denjenigen, die mit einem geringen Gehalt regulär arbeiten“, argumentiert er…“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 12. September 2022 externer Link
  • Kritik am Bürgergeld: Völlig unangemessene Vorstellungen
    Das Handwerk beklagt zu hohe Sozialbezüge. Eine solche Haltung ist angesichts der rasant steigenden Preise nicht nur zynisch, sie ist auch falsch.
    Das Handwerk sucht händeringend nach Arbeitskräften. Das wird wohl auch so bleiben angesichts der negativen Signale, die der oberste Repräsentant sendet. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, kritisiert die Höhe des neuen Bürger:innengelds, das die Bundesregierung einführen will. Der Mann beschwert sich also darüber, dass Schikanen gegen lange erwerbslose Menschen wegfallen, Heizkosten übernommen werden sollen und der Regelsatz für Erwachsene auf 502 Euro im Monat angehoben werden soll. Er behauptet, dass Leute dann keine Motivation zum Arbeiten hätten. Eine solche Haltung ist angesichts der rasant steigenden Preise nicht nur zynisch, es ist auch einfach falsch. Deutschland hat einen der größten Niedriglohnsektoren Europas. Das funktioniert nur, weil die Leute ein hohes Arbeitsethos haben…“ Kommentar von Anja Krüger vom 12.9.2022 in der taz online externer Link

Siehe auch zum Thema:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=204271
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