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Empörung in Bochum
Mehr als 2000 Beschäftigte des Opel-Werks im Ruhrgebiet informieren sich während der Arbeitszeit über neue Vereinbarung, die das Ende des Standorts besiegeln könnte. Artikel von Daniel Behruzi aus der jungen Welt vom 06.02.2014
Nach der Bekanntgabe einer neuen Standortvereinbarung für die Opel-Werke Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach ist die Aufregung in Bochum groß. Die Beschäftigten aller drei Schichten – insgesamt über 2000 Arbeiter – informierten sich am Dienstag und in der Nacht zum Mittwoch in jeweils einstündigen Versammlungen über die Situation. Der in der vergangenen Woche unterzeichnete Vertrag gilt für die Ruhrgebietsfabrik zwar nicht, betrifft diese aber doch: Denn darin wird offenbar die Verlagerung der Zafira-Produktion von Bochum ins hessische Rüsselsheim erstmals festgeschrieben. Das würde das Ende der Autofertigung im Ruhrgebiet endgültig besiegeln. Für die Belegschaften der anderen Opel-Standorte wird hingegen der Ausschluß betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2018 verlängert.
Von einem »wichtigen Verhandlungserfolg von IG Metall und Gesamtbetriebsrat« berichtet ein junge Welt vorliegendes Flugblatt der Rüsselsheimer Beschäftigtenvertretung. Demnach wird der im März 2013 geschlossene Tarifvertrag »konkretisiert«. Der darin enthaltene Ausschluß von Entlassungen wird um zwei Jahre bis Ende 2018 verlängert, die Gesamtlaufzeit des Vertrags um ebenfalls zwei Jahre bis Ende 2020. Zugleich enthält die Vereinbarung Produktzusagen. In Eisenach sollen weiterhin die Kleinwagen Adam und Corsa vom Band laufen. Im Komponentenwerk Kaiserslautern wird die aktuelle Beschäftigtenzahl von 1 800 Vollzeitstellen bis Ende des Jahrzehnts festgeschrieben. Und am Stammsitz in Rüsselsheim soll neben dem Insignia ein weiteres Modell produziert werden. Hierzu werde der Aufsichtsrat im März »verbindliche Investitionsentscheidungen« treffen, so der örtliche Betriebsrat. Damit soll die bereits beschlossene Verlagerung der Astra-Produktion nach Ellesmere Port (Großbritannien) und Gliwice (Polen) kompensiert werden.
In anderer Hinsicht soll Rüsselsheim hingegen von Verlagerungen profitieren. So will der Opel-Mutterkonzern General Motors (GM) die Produktion seiner Marke Holden in Australien 2017 aus Kostengründen einstellen. Diese könnte Medienberichten zufolge nach Hessen verlagert werden. Da hier bereits der Insignia für den britischen Markt hergestellt wird, muß das Werk für Fahrzeuge mit Rechtslenkung nicht extra umgebaut werden. »Zusätzlich wird ab 2015 der Zafira Tourer für mehrere Jahre im Rüsselsheimer Fahrzeugwerk gefertigt«, heißt es in dem Betriebsratsflugblatt.
In Bochum sorgt diese Aussage für Überraschung und Empörung. »Damit würden der IG-Metall-Bezirk Mitte und der Gesamtbetriebsrat eine Entscheidung festschreiben, die hier in Bochum noch gar nicht endgültig gefallen ist«, kritisierte Bochums Betriebsratschef Rainer Einenkel am Dienstagnachmittag gegenüber junge Welt. »Das ist eine sehr merkwürdige Situation, die wir unbedingt geklärt haben wollen.« Er selbst habe von der in Rüsselsheim getroffenen Vereinbarung erstmals am Freitagabend – also nach deren Unterzeichnung durch die dortigen Betriebsräte – aus einem internen Schreiben des Arbeitsdirektors erfahren, berichtete Einenkel. »Mich interessiert dieser Tarifvertrag brennend. Leider gibt es hier niemanden, der ihn hat.« Auch der Bochumer IG Metall liege die Vereinbarung nicht vor.
Hessens IG-Metall-Bezirksleiter Armin Schild hat in einer Stellungnahme angekündigt, den in Rüsselsheim ausgehandelten Tarifvertrag in den nächsten Tagen zu unterzeichnen. Dieser sei »ein sehr wichtiges und sehr gutes Signal für die Menschen und die Marke«. Der Gewerkschaft sei damit »ein weiterer wichtiger Schritt gelungen, hin zu langfristig sicheren Jobs und Wachstum bei Opel«. Opel-Aufsichtsratsmitglied Schild zeigte sich überzeugt, daß »die von der IG Metall immer wieder geforderte Vorwärtsstrategie nun umgesetzt wird«. Gesamtbetriebsratschef Wolfgang Schäfer-Klug erklärte: »Die Verlängerung der Laufzeit des Vertrags sowie des Kündigungsschutzes geben den Beschäftigten die notwendige Sicherheit, damit wir auf der Basis des abgeschlossenen Tarifvertrags weiter erfolgreich für den Erfolg von Opel arbeiten können.«
Unklar ist, ob der Vertrag weitere Zugeständnisse der Beschäftigten enthält. Die ursprüngliche Vereinbarung vom vergangenen März sieht unter anderem vor, daß die übertariflichen Teile des Weihnachtsgeldes gestrichen und 2013, 2014 und 2015 fällige Lohnerhöhungen erst mit Inkrafttreten des jeweils folgenden Tarifvertrags wirksam werden. Weder bei der IG Metall noch beim Unternehmen war zu erfahren, ob diese Regelung mit der verlängerten Vertragslaufzeit fortgeschrieben wird.
Bochums Betriebsratsvorsitzender Einenkel sieht aus anderen Gründen »großen Klärungsbedarf«. Wenn der Abzug der Zafira-Produktion aus dem Ruhrgebiet Voraussetzung für die Einigung sei, bedeute das »automatisch das Aus für Bochum«. Dazu gebe es hierzu bislang keine formelle Entscheidung, so Einenkel. Vielmehr habe das Unternehmen in Zusammenhang mit einem Rechtsstreit erklärt, das Auslaufen der Fahrzeugproduktion sei noch nicht endgültig beschlossen. Die Beschäftigtenvertretung hat Klage gegen die Schließung eingereicht und argumentiert mit Verweis auf Formfehler des Unternehmens. Die Verhandlung hierüber ist allerdings bereits mehrfach verschoben worden.
Auch bei den Verhandlungen über einen »Sozialtarifvertrag« gibt es in Bochum zur Zeit keine Bewegung. Im Dezember hatten sich Vertreter des Managements und des IG-Metall-Bezirks Nordrhein-Westfalen auf Eckpunkte geeinigt. Eigentlich sollten die Verhandlungen auf dieser Grundlage bis zum Jahresende weitergeführt werden. Geschehen ist allerdings nichts. Es gebe weiterhin keinen unterschriebenen Vertrag, betonte Einenkel. Während in Rüsselsheim Fakten geschaffen werden, gehen die Hängepartie und das Verwirrspiel in Bochum also weiter.