BV zur Weiterentwicklung des „Zukunftsbildes Sindelfingen 2020+“: Elektro-Mobilität als Einfallstor für Verschlechterungen und Auslagerungen

Dossier

Elektro-MobilitätDer Sindelfinger Verein der Freunde der Internationalen Automobilarbeiterkonferenz fordert alle Beschäftigten in der Automobil- und Zulieferindustrie dazu auf, sich nicht auf Verschlechterungen von Arbeitsbedingungen im Zuge von grundlegenden Veränderungen in der Automobilproduktion einzulassen. Gerade in Zeiten weitreichender Veränderungen, wie derzeit die Einführung von Elektro-Mobilität und Digitalisierung beim Autobau versuchen Automobilkonzerne, wie Daimler, erkämpfte Rechte der Beschäftigten abzubauen. So kritisieren wir entschieden die „Betriebsvereinbarung zur Weiterentwicklung des Zukunftsbildes Sindelfingen 2020+“, die letzte Woche bei Daimler Sindelfingen mit dem Betriebsrat abgeschlossen wurde. Flexibilisierung der Arbeitszeit (Punkt 4), Flexibilisierung der Beschäftigten (Punkt 5) und Abbau der Fertigungstiefe (Punkte 1+2+3) sind wesentliche Inhalte, die wir gerne etwas plastischer ins Bild der Öffentlichkeit rücken möchten…“ Presseerklärung vom 7. Februar 2017 der Internationalen Automobilarbeiterkoordination Sindelfingen . Siehe dazu die Betriebsvereinbarung und Hintergrundinformationen:

  • Erfahrungen mit dem Zukunftsbild „Sindelfingen 2020+“ und dem Produktionskonzept „Factory 56“ – an der „Verschwiegenheit“ des Betriebsrats vorbei New
    „… Im Rahmen der Neugestaltung der Produktion vom Verbrennungsmotor zum Elektrofahrzeug hat der Konzern in Sindelfingen einen tiefgreifenden Wandel im Produktionsprozess eingeleitet. Im Februar 2018 stellte der Bereichsvorstand Produktion und Supply Chain von Mercedes-Benz Cars, Markus Schäfer, ein neues Produktionskonzept unter dem Titel „Factory 56“ vor. Seither wird der Bau der Produktionshalle Nr. 56 mit Hochdruck vorangetrieben. Das neue Produktionskonzept soll in der Zukunft als Blaupause für die weltweite Produktion von Autos dienen, es soll auch in China, Indien und anderen Produktionszentren eingeführt werden. Die Digitalisierung der Arbeitsabläufe im Rahmen von Industrie 4.0 soll eine „papierlose“ Produktion, gestützt auf das 5G-Mobilfunknetz, erlauben. Ein Wechsel vom Fließ- in den Taktbetrieb soll durch die Ablösung des klassischen Fließbands durch fahrerlose Transportsysteme (FTS) erreicht werden. Dies erlaubt eine Flexibilisierung der Produktion, die sowohl Serien- wie auch Nischenproduktion ermöglicht, sowie die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. „Produziert werden Pkw der Ober- und Luxusklasse mit Verbrennungsmotor, Hybridantrieb oder rein batterieelektrischem Antrieb sowie Self-Driving Cars,“ so der Unternehmenssprecher. Es sei auch denkbar, „dass die Mitarbeiter eines Tages per App ihre Arbeitszeiten wählen“. Der Betriebsrat und die IG Metall haben dem Konzept „Factory 56“ ihre volle Rückendeckung gegeben und in einer Betriebsvereinbarung dem Zukunftsbild „Sindelfingen 2020+“ zugestimmt. Parallel zu den Bauarbeiten initiierte der Betriebsrat einen „Auswahlprozess“ zur Besetzung der „Factory 56“, in der nur noch 1000 Arbeiter Beschäftigung finden werden. Es gehe nicht nur um einen normalen Arbeitsplatzwechsel, sondern um einen „Kulturwandel“, begründete die Gewerkschaft ihren Ausleseprozess. Ende 2019, Anfang 2020 soll mit der Besetzung der neuen Halle 56 begonnen werden. Dies führt zu massiver Verunsicherung und Zukunftsängsten unter der Belegschaft. „Die ‚Fabrik 56‘ ist für uns wie ein Geheimprojekt“, teilte ein Arbeiter den WSWS-Reportern beim Schichtwechsel mit. Er sei wütend, dass mehrere Kostensenkungsmaßnahmen geplant seien und eine nicht offenbarte Anzahl von Arbeitnehmern ihren Arbeitsplatz verlieren werde. Die IG Metall sei von Anfang an in die Planung und Umsetzung der ‚Factory 56‘ eingebunden gewesen und weigere sich, den Arbeitern alle Details zu liefern. „Wir stehen permanent unter Druck.“ In der Vergangenheit war die Produktionsmannschaft eines auslaufenden Modells immer auch die Anlaufmannschaft eines neuen Modells. Das ist bei der „Fabrik 56“ nicht mehr der Fall. Wird also die Halle 46, in der die S-Klasse vom Band läuft, Mitte 2020 renoviert, dann wird die Belegschaft nicht automatisch in die Halle 56 übernommen. Im „Auswahlprozess“ bestimmt der Betriebsrat, wer in der neuen Halle arbeitet. Das dient auch dazu, Opposition unter den Arbeitern zu unterdrücken, denn keiner will seinen Arbeitsplatz durch Kritik verlieren. (…) Ein Kollege von Josef, Zlatko, war zuletzt als Meisterstellvertreter beschäftigt. Er wurde kürzlich informiert, dass er nicht mehr gebraucht werde. In der „Fabrik 56“ gibt es keine Meisterstellvertreter mehr, nur noch die Meister. „Ich bin einer von 160 Kollegen, die gehen sollen“, sagte er den Reportern. Ihm sei eine Abfindung in Aussicht gestellt worden, aber die sei abhängig von vielen Faktoren, unter anderem Krankmeldungen, und sie werde individuell entschieden. „Ich soll ein Formular über meine 30 Jahre Betriebszugehörigkeit ausfüllen. Erst danach werden sie mir sagen, was ich bekomme.“ „Mir wurde gesagt, ich solle diese Entscheidung nicht persönlich nehmen, ich sei ein guter Mann, aber habe keinen Platz in der neuen Arbeitsorganisation“, fuhr er fort. „Was für eine Heuchelei! Was mit mir geschieht, ist nur der Anfang.“ Zlatko wies auf die Tausenden Arbeiter in der Zulieferindustrie hin, die vor ein paar Monaten ihre Arbeit verloren haben. Dies setze sich jetzt bei Daimler fort. „Bisher bestand eine Gruppe aus zehn bis zwölf Arbeitern. Für drei Gruppen gab es einen Meister und einen Stellvertreter. In Zukunft werden nur noch acht bis zehn Arbeiter eine Gruppe bilden. Die stellvertretende Meisterstelle wird gestrichen.“ Was mit den entfallenden Gruppenarbeitsplätzen geschehe, sei noch nicht bekannt. (…)Herbert (40 J.) arbeitet als Gruppenleiter und teilte mit, dass er gerade ein Treffen mit zwölf Arbeitern seiner Gruppe beendet habe. Er hatte den Auftrag, ihnen zu predigen, sie sollten sich bemühen, effektiv zu arbeiten und ein Bewusstsein für Sparsamkeit zu entwickeln. Er bestätigte die Aussagen seines Kollegen, dass die Gruppengröße um zwei bis drei Stellen reduziert werde. „Niemand weiß, was mit ihnen passieren wird. Jeder fürchtet um seinen Job, nicht nur in der Montage, sondern auch im Büro, Einkauf, Entwicklung und anderen Abteilungen.“ Auch er bestätigte, dass der Betriebsrat über alle Maßnahmen Bescheid wisse, aber keine Informationen herausrücke…“ Aus dem Beitrag von K. Nesan am 3. Oktober 2019 bei wsws externer Link: Daimler-Arbeiter: „IG Metall ist Handlanger des Managements“

  • Aus dem Text der Presseerklärung vom 7. Februar 2017 der Internationalen Automobilarbeiterkoordination Sindelfingen : „… Wir diskutierten auf unserem letzten Treffen noch etliche andere Punkte der Betriebsvereinbarung und kamen einstimmig zu der Auffassung: Die Vereinbarung zur Elektromobilität die am Standort Sindelfingen ausgehandelt wurde, stellt absolut keine win-win Situation für uns als Beschäftigte dar, sondern ist ein Angriff auf unsere hart erkämpften Rechte und wird deshalb von uns abgelehnt. So werden wir es auch auf Versammlungen im Betrieb diskutieren. (…) Deswegen sind nicht totale Flexibilisierung, Fremdvergaben und Reduzierung der Fertigungstiefe vorwärts gerichtete Antworten auf heutige Entwicklungen, sondern der Weg der Arbeitszeitverkürzung. Die Verteilung der Arbeit unter neuen Bedingungen, auf die Schultern Aller, ob bei Daimler oder den Zulieferern. Der nächste richtige Schritt, für den wir alle Metaller einigen, ist die: 30 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich. Das ist die Antwort, dafür treten wir ein!
  • Siehe auch die IG Metall dazu: Elektro-Auto: Made in Sindelfingen.
    Lange, intensive und anstrengende Verhandlungen liegen hinter uns. Wir können mit Stolz verkünden: Sindelfingen bekommt ein eigenständiges Elektrofahrzeug und wird in seiner Rolle als Leadwerk für E- und S-Klasse und Innovations- und Kompetenzzentrum für neue Technologien und Fahrzeuge der Luxus- und Oberklasse weiter gestärkt. (…) Zudem wird die aktuell bestehende Produktionskapazität und dadurch auch die Beschäftigung weitreichend abgesichert…“ Brennpunkt – IG Metall-Zeitung Werk Sindelfingen – EXTRA vom Februar 2017 externer Link
  • Siehe auch die BV “Zukunftsbild Sindelfingen 2020+” von 2014:
    • Präambel: Die Betriebsparteien stimmen darin überein, dass die getroffene Vereinbarung “Zukunftsbild Sindelfingen 2020+” und die darin enthaltenen Investitionen die Wettbewerbsposition des Standortes Sindelfingen verbessern und zur Beschäftigungssicherung am Standort beitragen. Die Betriebsparteien sind der Überzeugung, dass es gemeinsame Aufgabe ist, die Wettbewerbsfähigkeit auch weiterhin kontinuierlich zu steigern. (…) ln Anerkennung des jetzt erbrachten Belegschaftsbeitrags zur Zukunft des Werks sagt die Unternehmensleitung die Fertigung eines bisher nicht am Standort produzierten Fahrzeugs in Sindelfingen zu. (…) Folgende Funktionen werden fremdvergeben:…” Diese Liste ist zu lang fürs Zitieren, wir dokumentieren die gesamte Betriebsvereinbarung vom 30.07.2014 .  Unter ” Gültigkeit dieser Fassung” steht tatsächlich: ” 30.07.2014 – 31.12.2999″! Das nennen wir “Zukunftssicherung”!
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=111366
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