LabourNet – Netzwerke für Gewerkschaftsaktivisten
Papier präsentiert beim Kongreß „MachtFragen der Informationsgesellschaft“,
12-13 Juni 1998, Universität Frankfurt
In unserer gemeinsam verabschiedeten Erklärung steht:
- LabourNet fördert Computerkommunikation als ein Mittel für die Stärkung und den Aufbau gewerkschaftlicher Organisation
Obwohl dieser Auszug eher klein ist, bedeutet er sehr viel.
Im wesentlichen ist LabourNet eine Website, die im Netz Information zur Verfügung stellt. Diese Informationen stammen nicht nur von Aktivisten aus der ganzen Welt, sondern auch aus dem Internet oder anderen Quellen.
LabourNet ist durch Offenheit gekennzeichnet. Jeder und jede kann etwas beitragen. Die einzigen Forderungen, die wir an Informationen stellen, ist, daß sie genau und wahr sind. Obwohl unser Schwerpunkt auf Berichten von gewerkschaftlichen Basisaktivisten liegt, begrüßen wir auch Beiträge von gewerkschaftlichen Organisationen. Eine Diskussion über veröffentlichte Artikel ist ausdrücklich gewünscht. Man könnte sagen, daß wir nicht nur Kommunikation fördern, sondern daß wir Kommunikation provozieren wollen.
Wir halten ständig Ausschau nach Freiwilligen, die aktiv am Projekt mitarbeiten möchten.
Außerdem werden Organisationen ermutigt, bei unserer Website Platz für Webseiten zu mieten. Eine der letzten Organisationen, die neu zu uns gestoßen ist, ist eine britische Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, UNISON.
LabourNet fing als eine Site an, die den Streik der Liverpooler Dockers unterstützte. Es war ein Zweimann-Unterfangen. Obwohl der Streik beendet ist, berichtet LabourNet über viele Aktivitäten der Arbeiterbewegung weltweit und ist inzwischen sehr bekannt geworden. Mittlerweile sind zwei neue LabourNets gegründet worden, eines in der spanisch sprechenden Welt und eines hier in Deutschland. Zwei neue LabourNets werden in Kanada und den Niederlanden erwartet.
Vielleicht ist die Tatsache erstaunlich, daß LabourNet aus den Taschen derjenigen, die die meiste Arbeit leisten, finanziert wird. In Hinterzimmern, in Wohnzimmerecken wird Kommunikation von Leuten, die mehr erwerbslos als in Arbeit sind, für die Arbeiterbewegung initiiert und manchmal koordiniert und Webseiten entworfen, geschrieben und veröffentlicht.
Der einzige Teil des ganzen Unterfangens, der umsonst ist, und das auch nur für die Hauptwebsite, ist, daß der Platz für die Website von GreenNet, einem Teil der „Association for Progressive Communications“, bereitgestellt wird.
Man wird vergeblich nach einer gewissen politischen Linie unter uns suchen. Keine/r von uns schaut hin, was für ein Parteibuch (wenn überhaupt) getragen wird. Unsere Hintergründe sind ziemlich unterschiedlich. Manche von uns haben einen journalistischen Hintergrund dennoch in der Mehrzahl haben wir unsere Erkenntnisse über HTML und das „World Wide Web“ durch praktische Erfahrung erlangt. Wir haben ein gemeinsames Ziel: das größtmöglichste internationale Netzwerk für die Arbeiterbewegung zu schaffen.
Es war z.B. möglich, zwei weltweite Aktionstage für die Liverpooler Dockers zu koordinieren und dazu beizutragen, daß Schiffe, die von Streikbrechern verladen worden, nirgendwo auf der Welt entladen werden konnten, und viele anderen Sachen mehr.
Wie funktioniert LabourNet?
Im Grunde wird unsere Arbeit wo nötig durch eine Administrationsliste oder durch den Austausch von Mails koordiniert. Jedoch ist dies nicht der wesentliche Punkt. Das Geheimnis, oder vielleicht besser gesagt die Geheimnisse, warum LabourNet so erfolgreich geworden ist, liegt oder liegen an der Tatsache, daß wir vom Kapitalismus selbst gelernt haben.
Der Kapitalismus ist international. Der Kapitalismus wird zunehmend vernetzt. Wir leben in einer globalisierten Gesellschaft. Außerdem erleben wir gegenwärtig eine ‚Informationsrevolution‘. Ich kann hier diese Entwicklungen nur erwähnen. Um sie abzuhandeln, bräuchte ich Stunden und nicht die paar Minuten, die ich hier für diese Präsentation zur Verfügung habe.
Hier reicht es aus zu sagen, daß die Stärken dessen, was wir in LabourNet tun, darauf beruhen, daß wir aktiv moderne Technologie benutzen, um uns zu vernetzen.
Was für eine Art Vernetzung?
Ich glaube, es gibt einige Faktoren, die zum Erfolg vom LabourNet geführt haben. Es geht darum, wie wir ‚vernetzen‘.
Im allgemein arbeitet LabourNet auf Basisebene. Zu einem gewissen Grad erfolgt eine Koordination, jedoch nicht in dem Sinne, daß Streiks koordiniert werden, sondern in dem Sinne, daß Informationen koordiniert werden. Auf dem ersten Blick könnte dies etwas komisch wirken. Information zu verbreiten ist sehr effektiv. Es ist jedoch nicht die ganze Geschichte.
LabourNet als eine Website stellt Information zur Verfügung. Es können Informationen sein, die nur sehr schwer in den Medien zu finden sind – der „Krieg an den australischen Häfen“ oder der koreanische Generalstreik sind zwei Beispiele. Jedoch muß diese Information gelesen werden. Sie wandert nicht automatisch auf den Schreibtisch von Aktivisten aus der Arbeiterbewegung. Sie müssen sie abholen, oder, um dies etwas anders auszudrücken, sie müssen ein Interesse daran haben und bereit sein, diese Informationen zu suchen.
Der nächste Punkt ist, was diese Aktivisten mit der Information machen. Nehmen wir als Beispiel den australischen ‚Krieg an den Häfen‘. Wir machten und machen eine Kampagne für die dortigen Werftarbeiter. Wir veröffentlichten Informationen über die Geschehnisse in Australien und, als die Informationen bekannt wurden, und darüber, was die Werftarbeiter an Unterstützung, vorrangig aus den USA, bekommen.
Diese Information kann weiterverbreitet werden, zum Beispiel in die ‚Newsgroups‘, jedoch der entscheidene Punkt ist, daß diese Information kämpfenden Gewerkschaftern ermöglicht, Kontakt miteinander aufzunehmen. Was sie dann tun, ist ihre Sache. Unser Interesse ist dann, die daraus enstehenden Aktivitäten als ein Beispiel für Andere bekanntzumachen. Die gegenwärtige Boykottierung von Schiffen ist ein ausgezeichnetes Beispiel. Lassen Sie mich aus einem Brief von Jack Heyman in Oakland, Kalifornien, einem Werftarbeiter, an die Zeitung, Daily Commericial News, zitieren:
- Daß Professor Fels von der australischen „Competition and Comsumer Commision“ so bedacht ist, die ‚Maritime Union of Australia‘ wegen einer Aktion gegen eines von Streikbrechern beladenes Schiff, Columbus Canada, im Hafen von Los Angeles anzugreifen, ist nicht überraschend. Jedoch als ein amerikanischer Werftarbeiter finde ich sein Verfahren, das auf riesengroßen Lügen und Einschüchterung basiert, geschmacklos.
- Weder die MUA noch ihre Funktionäre baten die ‚West Coast Longshore‘ Arbeiter um Unterstützung, in diesem Zusammenhang auch die in London sitzenden „International Transport Workers Federation“ nicht, wie es irrtümlich in der DCN 21/5/98 berichtet wurde. Wir brauchten nicht gefragt zu werden. Wir haben unsere Lehren aus der Liverpooler Auseinandersetzung um die Werftarbeiter gezogen: Falls Werftarbeiter sich nicht zusammenschließen und international ihre Kämpfe gegenseitig unterstützen, werden wir alle entlassen
Und weiter im gleichen Brief:
- Wie in einer jüngsten Ausgabe der DCN berichtet wurde, haben die Reeder den Fall von Neptune Jade studiert, bei dem Werfarbeiter durch ein dramatisches Zeichen ihre Solidarität mit ihren Liverpooler Kameraden in vier aufeinanderfolgenden Werften gezeigt haben, angefangen hier in Oakland, dann in Vancouver, Canada und schließlich in Kobe und Jokohama, in Japan. Anscheinend hat Professor Fels diese Lehren nicht gut aufgenommen. Sein Verfahren wird nicht den Longshoremen daran hindern, ihre Brüder „down under“ zu unterstützen.
Sobald der Ball ins Rollen kommt, ist es unklar, wo er anhalten wird.
Wenn wir das, was hier getan wurde, als ein Netzwerk betrachten, könnte man LabourNet in die Mitte dieses Netz als eine Spinne setzen. Jedoch wäre dies eine Vereinfachung, die fast komplett an der Sache vorbeigehen würde. Information fließt zu und von LabourNet aber auch zwischen den „Knoten“.
Wenn wir diese Knoten als (Gewerkschafts-)Aktivisten irgendwo in der Welt, und die Pfade zwischen den Knoten als die Information, die ausgetauscht wird, oder, anders formuliert, die Pfade zeigen, daß die Knoten miteinander kommunizieren, fangen wir an, uns von den Geschehnissen ein Bild zu machen. Was in unserem Fall so besonders ist, ist die Tatsache, daß das Netzwerk sich ständig ändert. Knoten erscheinen und verschwinden. Die Kommunikation zwischen den Knoten hat keinen vordefinierten Weg. Die Information muß nicht von irgendeiner Stelle freigegeben werden, bevor sie weitergegeben werden darf, und was mit ihr schließlich geschieht, hängt von den sendenden und empfangenen Knoten ab.
Im Gegensatz dazu stehen die offiziellen Gewerkschaften und ihre Strukturen. Welche Information es gibt und wohin sie geht, wird normalerweise im Voraus definiert. Der Dienstweg muß eingehalten werden. Die Meinung ist in den offiziellen gewerkschaftlichen Strukturen weit vertreten, daß eine Auseinandersetzung nur erfolgreich sein kann, wenn sie von oben „organisiert“ wird. Wenn wir diese offiziellen Strukturen als Netzwerke ansehen, können wir sie nur als ein fixes Netzwerk mit einer fixen (oder zurückgehenden) Anzahl von Knoten ansehen. Der Informationsfluß ist hauptsächlich in eine Richtung, von unten nach oben. Von oben kommen die Ideologie und die Befehle, die von unten ausgeführt werden sollen. Die Gewerkschaftsstrukturen sind im allgemeinen hierarchisch und widerspiegeln den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, zu dessen Bekämpfung sie aufgebaut wurden. Mittlerweile haben viele dieser Pyramiden ihre Basis verloren oder sind gerade dabei, sie zu verlieren.
Lehren (nicht nur) für die Arbeiterbewegung
Für viele Leute ist eine ziemlich große geistige Umstellung nötig, um die Tatsache zu akzeptieren, daß wenn Organisationen der Arbeiterbewegung effektiv sein wollen, sie sich anders als bis jetzt organisieren müssen.
In einer Netzwerk-Gesellschaft müssen wir uns auch vernetzen. Heutzutage haben wir nicht nur mit echten Unternehmen zu tun, sondern zunehmend haben wir es auch mit virtuellen zu tun. Auf der internationalen Ebene werden „Unternehmen“ zusammengestellt, die in keinem Land eine wirkliche Basis haben. Sie bestehen aus Unternehmen, die in verschiedenen Teilen der Welt eine Basis haben. Diese virtuellen Unternehmen existierten für ein gewisses Projekt und werden anschließend zerlegt und anders wieder zusammengestellt. Die „rechtliche Einheit“, d.h. ein Unternehmen, das in einem Land seinen Sitz hat, existiert nur wegen der Gesetze eines Landes, spielt aber keine unabhängige Rolle. Seine Aufgabe ist, die Arbeitskräfte für eines oder mehrere virtuelle Unternehmen zusammenzustellen. Es wird jetzt zur Regel, daß Unternehmen eine internationale Arbeitsteilung haben, bei der ein Produkt in mehreren Ländern gleichzeitig entwickelt wird, woanders konstruiert wird und sonstwo produziert wird.
Wenn wir nicht unbeteiligte Zuschauer/innen werden wollen, müssen wir lernen, diese Arbeitsweise zu kopieren, d.h. uns selbst zu vernetzen, auch wenn etwas anders, als es die Bosse tun. Wenn irgend etwas aus der jüngsten Auseinandersetzung der MUA, dem Liverpooler Dockers‘ Streik oder dem geplanten koreanischen Generalstreik zu lernen ist, dann, daß inoffizielle Basisaktivitäten ermutigt und nicht entmutigt werden sollen. Z.B. das gegenwärtige Bündnis der West Coast ‚Wharfies‘ und der japanischen Werftarbeiter zeigt, was ohne Vorplanung möglich ist. Die Besitzer der Columbus Canada, ein Schiff, das von Streikbrechern während des „Krieg an den australischen Häfen“ geladen wurde, lernen dies auf ihre Kosten. Während 16 Tage mußte das Schiff auf See bleiben, weil keiner in den USA bereit war, das Schiff zu entladen. Das Schiff mit seiner von Streikbrechern geladenen Ladung mußte mit Kosten von 10 Millionen Dollar zurückgeschickt werden. Die Firma hat außerdem zusagen müssen, von einer Anklage gegen die ILWU und die Mitglieder der Gemeindegruppen abzusehen, die vor dem Hafen Streikposten aufstellten.
Zweifelsohne wird es den offiziellen Gewerkschaften schwerfallen, ihre Mitglieder zu ermächtigen und sie zu ermuntern, tätig zu werden, ohne explizite Anordnungen von der Zentrale. Die Gewerkschaften müssen außerdem ihre Mitglieder ermutigen, selbständig zu denken. Die Tage sind vorbei, an denen die Gewerkschaften in der Lage waren, aus ihrer Betrachtungsweise Antworten auf alles zu geben (ob die Antworten richtig waren, ist ein ganz anderes Thema). Die Kommunikationsformen und Arbeitsweisen, die ich hier dargestellt habe, berühren darauf, daß sie nicht hierarchisch sind und daher im Widerspruch zu den gegenwärtigen Arbeitsweisen der Gewerkschaften stehen. Die gewerkschaftlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts müssen geändert werden, um dem geänderten, vernetzten Kapitalismus begegnen zu können.
In der Tat, die Veränderungen im Kapitalismus und unsere Erfahrungen stellen viele Aspekte der gegenwärtigen Arbeitsweisen der Gewerkschaften in Frage. Um zu überleben, werden Gewerkschaften ihre Mitglieder ermutigen müssen, global zu denken – und im Gegensatz zum Einleitungstext dieser Arbeitsgruppe sowohl lokal als auch global zu handeln. Das Internet hat sich als eine mächtige Waffe erwiesen. Lassen Sie mich mit einem erneuten Zitat aus dem Brief eines amerikanischen ‚Wharfies‘ beenden:
- Wenn Reeder sich in große Konglomerate zusammenschließen können, warum sollen Werftarbeiter sich nicht gegenseitig unterstützen können? Australische Werftarbeiter können gediegene gewerkschaftliche Leistungen gegen die Unterdrückung anderer vorweisen, (auch wenn dies die Produktion und Effizienz beeinträchtigt hätte). Dies haben sie für diejenigen getan, die unter Apartheid gelitten haben und für die indonesischen Gewerkschafter, die unter dem Diktatur Suharto im Gefängnis verkümmern und auch gegen den blutigen Krieg in Vietnam.
Und die letzen Wörte dieses Briefes:
- Wie wir in Amerika sagen: „Columbus Canada ist australisch für Neptune Jade“.
Dave Hollis, 11. Juni, 1998